Die These der Faschisierung erhält täglich neue Nahrung aus aller Welt, aus den USA, Österreich, auch hierzulande. Nicht dass wir irgendwo von einem ausgewachsenen Faschismus sprechen könnten, darum geht es nicht, sondern um die molekulare bzw. in Schüben stattfindende Ausbreitung typischer ideologischer Elemente in zunehmend kohärenter und geschichtlicher – also gesellschaftlich wirksamer – Form.
So unterschiedlich die »Varieties of #Faschisierung«[1] sich darstellen, so sehr findet man eben gemeinsame Elemente. Hier nur kursorisch zusammengefasst (ausführlich Candeias 2024a) lassen sich typische Merkmale festhalten: die Ausbreitung reaktionärer Formen der »Ressentimentbewirtschaftung«, verbunden mit der typischen Abgrenzung von oben, also den vermeintlichen Eliten, und von unten, mit einem harten Klassismus – oder besser »Klassenhass« (wie Balibar es nennt), immer wieder verknüpft mit der Produktion des »Anderen« als Bedrohung von außen. Klassismus, Rassismus und Sexismus sind die gesellschaftlich wirksamsten Formen der Konstruktionen von Ungleichwertigkeit und produzieren eine Form ideologischer und sozialer Kompensation für die Unterordnung im Alltag. Sie ermöglichten es der radikalen Rechten, entgegen ihrer ursprünglichen Klassenzusammensetzung auch die Missstimmung »von unten« in populare Zustimmung zu verwandeln.
Die autoritäre und radikale Rechte hegt dabei eine offene Gegnerschaft zu Parlamentarismus und Parteien, verunglimpft demokratische Verfahren und nutzt das Parlament nur (voller Missachtung) als Bühne. Der Anspruch führt jedoch weiter, richtet sich gegen eine demokratische und solidarische Lebensweise auch im Alltag – denn die Erweiterung des Sagbaren führt unmittelbar zur Erweiterung des Raumes des Handelns, von Hassäußerungen auf Social Media und im Alltag bis hin zu Gewalttaten (von »unten«) und schließlich – dort, wo solche Kräfte an die Macht gelangen – zu offener Repression (von »oben«).
»Take back Control« – die Rückgewinnung der Kontrolle – ist gewissermaßen das Versprechen einer radikal rechten Agenda – verbunden mit einer Art (zunehmend massenhafter) reaktionärer Selbstermächtigung, in der sich ein verbreiteter Fatalismus übersetzen und das Aggressionspotenzial sich entladen kann. Immer geht es auch gegen kollektive wie individuelle soziale Rechte, insbesondere gegen Gewerkschaften und Arbeitsrechte zur Verschiebung der Kräfteverhältnisse von Kapital und Arbeit, sowie gegen die Commons, gegen das Öffentliche. Das ist sozusagen die polit-ökonomische Komponente der autoritären und radikalen Rechten. Der Klassenhass trifft als erste jene, die zur Verwertung nichts beitragen (können), neben Geflüchteten v.a. die Arbeitslosen und Sozialhilfe-Empfänger*innen. Es geht außerdem um die Schwächung und schließlich Vernichtung innerer Feinde. Das Recht wird dabei von Fall zu Fall relativiert oder missachtet.
Rechtsverschiebung und/oder Polarisierung?
»Das Changieren zwischen einem Gerade-Noch demokratischer Regelung« bzw. demokratischer gesellschaftlicher Umgangsformen und »dem Noch-Nicht faschistischer Politik macht gerade die Spezifik« einer Situation der Faschisierung aus (Weber 1999, 146).
Faschisierung bedeutet nicht, dass wir bereits einen Weg beschreiten, auf dem eine faschistische Partei sich anschickt einfach die Macht zu übernehmen und die alten liberalen Parteien an die Seite drängt. Vielmehr treiben sie die alten konservativen Parteien in die Radikalisierung und ziehen das gesamte Parteienspektrum nach rechts. Die daraus resultierende gesellschaftliche Polarisierung ist dann auch nicht einfach eine zwischen Rechten und Linksliberalen. SPD und Grüne sind angesichts der jüngsten Ereignisse nicht nach links gerückt, sondern haben die Füße in den Boden gerammt, um nicht noch weiter nach rechts gezogen zu werden, und können kaum widerstehen. Sie waren zuvor aber in der Migrationspolitik (Stichwort GEAS) wie auch bei Fragen des Bürgergelds (Wiedereinführung der Sanktionen) bereits große Schritte in Richtung Normalisierung von radikal rechten Positionen gegangen.
Die These der Faschisierung widerspricht keineswegs der der Polarisierung der Gesellschaften. Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse werden jedoch darin dramatisch nach rechts verschoben und zwar in einer Form, die einen Qualitätssprung darstellt, der auch eine entsprechende Benennung erfordert – und keine weitere Beschwichtigung, ohne zugleich überall schon den Faschismus zu sehen. Am anderen Pol der Polarisierung organisieren sich zwar die Kräfte links des Konservatismus wieder für Proteste, verfolgen aber keineswegs ein gemeinsames Projekt. Zu heterogen sind die Kräfte dieses Pols, zu gegensätzlich manche Position (bspw. in Bezug auf Ukraine oder Palästina), zu sehr sind sozialdemokratische, grüne und linksliberale Kräfte in das Scheitern der grün-kapitalistischen Modernisierung und des progressiven Neoliberalismus verstrickt. Und, dieser Pol ist insgesamt kleiner geworden. Verschiebungen vollziehen sich innerhalb des Pols, aber er wächst keineswegs.
USA: Lumpenbourgeoisie an der Macht
Währenddessen ergreifen Kräfte der Faschisierung tatsächlich die Macht: Gefährlich wird es stets, wenn gewichtige Kapitalfraktionen die Prozesse der Faschisierung unterstützen oder gar selbst vorantreiben, um ihre Ziele zu verfolgen oder um Krisen zu überwinden.
These: Es handelt sich in den USA um eine kleptokratische Lumpenbourgeoisie, die direkt den Staat übernimmt und unter Missachtung des Rechts gegen den bürokratischen »Deep State« vorgeht.
Diese spezielle Kapitalfraktion der Lumpenbourgeoisie und ihre Helfer*innen, lassen sich in Anlehnung an Marx eben als »Lumpen« bezeichnen, denn sie lehrt der »Instinkt«, dass die Demokratie in kapitalistisch organisierten Gesellschaften »zugleich deren gesellschaftlichen Grundlage unterwühlt«, so Marx, vor allem in Krisen des Kapitalismus – also weg damit. Als Lumpen verfolgen sie kein produktives Projekt mehr, welches die Kapitalakkumulation auf erweiterter Stufenleiter vorantreibt. Stattdessen wird versucht, alle Schranken der Ausbeutung von Mensch und Natur nieder- und den Reichtum notfalls auch mit Gewalt an sich zu reißen: Raub oder »Akkumulation durch Enteignung«, wie es David Harvey nannte. Die neue Stellung der Lumpenbourgeoisie ist also selbst Ausdruck der Krise des Kapitalismus wie der mit ihr verbundenen liberalen Demokratie. Weder Recht noch Gesetz, Parlament oder demokratische Verfahren an sich spielen dabei eine Rolle – eine Art des unerklärten Ausnahmestaates. Direkt nach der Machtübernahme kann vom Versuch eines Staatsstreiches von oben gegen die Exekutive gesprochen werden. (Der NS musste sich erst noch mit der alten Staatsbürokratie – und dem Kapital – arrangieren und parallel eigene Exekutivapparate aufbauen, von Gau- und Kreisleitern, über SS und SD bis zur Gestapo).
Eine populare und sich seit den Anfängen der Tea Party Bewegung teilweise extrem radikalisierte Massenbasis gibt es bereits: Hier hat sich eine klassenübergreifende Allianz zwischen »rechten Christen, der fossilen Brennstoffindustrie, Immobilienunternehmern und Segmenten ausrangierter weißer Arbeiter*innen und radikalisierter Mittelschichten« (Davidson/Fletcher 2025) mit Abstiegsängsten (Russell Hochschild 2016 u. 2025) und neuerdings den Tech-Milliardären gebildet. Nichtsdestoweniger gibt es innerhalb dieser Koalition dennoch starke Spannungen zwischen dem oligarchischen und dem populistischen Flügel, dem freihändlerischen und dem protektionistischen Flügel von MAGA (Make America Great Again), Linien, durchaus quer zu einander stehen.
Ein wichtiger Teil dieser Allianz sind nicht zuletzt diverse bewaffnete, milizartige Gruppen – für ihre Treue begnadigte und belobigte Trump auch gleich Tausende von ihnen, die für den Sturm auf das Kapitol verurteilt worden waren, als »gute Amerikaner«. Diese treue Massenbasis ist in dem Machtprojekt von Trump bisher in untergeordneter Stellung, entfaltet aber ein wirksames Drohpotenzial. Insbesondere für die Produktion einer Stimmung gegen die inneren Feinde und ihre offene Bedrohung: gegen die »marxistischen Bürokraten, die ihr Land hassen«, gegen Wokeness und insbesondere Transpersonen und vermeintliche »Genderideologen«. Gegen jene, die angeblich »Rassenhass schüren«, wie Black Lives Matter, oder die »linksliberale Elite« an sich – ein »Amalgam (Verklumpung)der Gegner« (Simon Strick)[2] als gezielte und flexible »strategische Inkohärenz« (Judith Butler). Offene Repression bis zur »Vernichtung« dieser Feinde sind erklärte Ziele – eine Begrifflichkeit, die gar nicht erst versucht eine Aufforderung zur Gewalt zu verhehlen.[3] Dies trifft auf eine »Lust am Faschismus« von »unten« (Fiona Kalkstein)[4], den Spaß am Überschreiten von Grenzen, der Provokation, sich frei zu machen von »bürgerlichen« Konventionen und Moral, bis hin zur Ausstellung von Grausamkeit und Gewalt. Trump ist es dabei gelungen, Fatalismus und »Scham in Stolz« zu verwandeln (Russell Hochschild)[5] und aggressiv nach außen zu wenden.
Eine der ersten Maßnahmen der Lumpenregierung ist der Austritt aus den internationalen Klimaabkommen und das Kaltstellen der US-Umweltbehörde, um den Weg für uneingeschränktes Fracking und die Fortführung der fossilen Industrien und der entsprechenden Lebensweise frei zu machen. Die Entwicklungsagentur USAID soll ganz abgeschafft werden, ihre Tätigkeit mit sofortiger Wirkung auf Eis gelegt, 40 Mrd. US-Dollar, mit denen jedes Jahr Projekte in 130 Staaten unterstützt werden, darunter lebenswichtige Programme für Medikamente, Wasserversorgung, Suppenküchen etc., aber auch Menschenrechtsgruppen im Iran oder das Militär im Libanon, eingefroren werden. Dazu Elon Musk, der die Maßnahme durchgeführt hat, auf seiner Plattform X: »USAID ist eine kriminelle Organisation. Es ist Zeit, dass sie stirbt.« (SZ v. 4.2.25, 7)
Es folgen die Blockade von Bundesprogrammen, natürlich vor allem für Diversity- und Affirmative-Action-Programme zur Gleichstellung, dann die Drohung und versuchte Entlassung von 200 000 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, die Aufforderung zum sofortigen Einstellen der Arbeit in den Behörden, die willkürliche Entlassung von hohen Spitzenbeamten, etwa des Bundesverwaltungsamtes für die Kontrolle und Prüfung der transparenten Verwendung öffentlicher Mittel, weil dieses zufällig gegen Elon Musk ermittelte; weiter wurde die Leiterin des National Labor Boards entlassen und den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes wegen vermeintlich »nationaler Interessen« das Tarifrecht genommen, ein direkter Angriff auf Arbeits- und Streikrechte. Blockiert wurde auch die Sozialversicherung, die Millionen von Menschen betrifft, von Medicaid bis Arbeitslosenunterstützung. An den Schulen wird nun eine »patriotische Bildung« vorgeschrieben, »ohne Genderideologie« und um das vermeintlich falsche Geschichtsbild zu Sklaverei und dem Genozid an den Native Americans zu korrigieren.
Keine dieser Maßnahmen ging durch den Kongress, die meisten verstoßen in der Art ihrer Dekretierung gegen die Verfassung. Ganz vorne weg dabei ist DOGE, die Behörde zur Entbürokratisierung, die maßgeblich von Elon Musk geleitet wird (und bisher ebenfalls keine Bestätigung durch den Kongress hat).
Nach dem Scheitern des »progressiven Neoliberalismus« geht hier ein antiliberaler und autoritärer Spät-Neoliberalismus (oder schon ein »illiberaler Kapitalismus«[6]), im Versuch seine eigene Krise zu überwinden, in einem Prozess seiner Faschisierung in etwas Neues über, reaktionär, revanchistisch und gefährlich (ausführlich dazu Davidson/Fletcher 2025). Das schnelle Vorgehen führt zu chaotischen Zuständen. Anders als gedacht, scheint sich dennoch rasch Widerstand zu organisieren, nicht zuletzt auf dem juristischen Feld. Bislang scheint das Trump-Regime solche richterlichen Entscheidungen aggressiv zu ignorieren. Entsprechend formieren sich auch gerade die Gewerkschaften für Kommendes, diskutieren einen Generalstreik. Bernie Sanders und Alexandra Ocasio Cortez (AOC) versammeln auf ihrer Tour »gegen die Oligarchie« durch mehrheitlich republikanische Staaten auch in ländlichen Gegenden Zehntausende Menschen. Millionen Menschen in 1 300 Städten der USA demonstrierten am 5. April gegen die Trump-Regierung. Die extreme Polarisierung in den USA lässt bei Erstarken der Gegenkräfte zu Trump und seinen Lumpen eher eine Radikalisierung des Kurses und ein bürgerkriegsartiges Szenario erwarten, auf das faschistische Kräfte in den USA schon länger hoffen (Solty 2024).
Melonisierung und die Zerstörung des liberalen Konservatismus
Auch in der EU übernehmen rechtsradikale oder explizit neofaschistische Parteien die Regierungsgeschäfte, wie uns die Entwicklungen in Ungarn, Italien, den Niederlanden, nun auch in Belgien, fast in Österreich (und bis Ende 2023 auch in Polen) zeigen.
These: »Melonisierung« ist Ausdruck einer Formierung eines eigenständigen Hegemonieprojekts zur Ablösung der dominanten Stellung der Liberalkonservativen im Machtblock. Das impliziert eine gewisse Anpassung, zugleich verallgemeinert es die Tendenzen der Faschisierung über die radikale Rechte hinaus.
Gern wird gerade das Beispiel Italien herangezogen, um zu zeigen, dass das alles nicht so schlimm kommt. Tatsächlich vollziehen diese Regierungen nicht den Bruch mit der EU oder der NATO oder weiteren herrschenden Institutionen, nicht einmal die ungarische. Die sogenannte Melonisierung bedeutet im Kern die Abspaltung oder Stillstellung der radikalen Strömungen innerhalb dieser Parteien, um sich für Kompromisse mit den bisher herrschenden Gruppen fit zu machen und selbst in den Machtblock bzw. innerhalb dessen aufzusteigen (ein Manöver, welches übrigens alle historischen Parteien des Faschismus, inkl. der NSDAP, praktizierten – Sebastian Friedrich sieht in seiner überzeugenden Analyse[7] solche Tendenzen auch in der AfD). Die Politik Von der Leyens gilt als Beleg, wie Meloni und ihre Regierungspartei Fratelli di Italia gewissermaßen in das herrschende Projekt eingebaut wurde, nun mit den »tyrannischen Technokraten und Bankiers« in Brüssel (Originalton Meloni; taz v. 29.5.24) zusammenarbeiten kann, so etwa Nino Galetti von der Konrad-Adenauer-Stiftung (WDR v. 22.10.24). So kann man es sehen.
Zugleich aber verändert sich das Projekt der Europäischen Union dadurch selbst: Vom Green Deal bleiben nur gewisse Teile, die industriepolitisch notwendig sind, am ehesten jene Investitionen in Rüstungsstrukturen und andere strategische Sektoren. Die »ausufernde Umweltbürokratie« soll beseitigt, das Verbot neuer Autos mit Verbrenner-Motor ab 2035 rückgängig gemacht werden (Broder 2024, 3). Vor allem aber beeilt sich die Kommission Ursula von der Leyens in der ohnehin schon repressiven Migrationspolitik der EU Melonis Positionen vorauseilend zu übernehmen: Aufnahmelager außerhalb der EU, mehr und schnellere Rückführungen, neue Deals mit autokratisch regierten Herkunftsländern und sogar Abschiebungen nach Syrien: Plötzlich scheint alles möglich, auch gegen geltendes Recht. Dafür fließen – anders als bei Ungarn oder Polen früher – weiter ungehindert die EU-Milliarden ins Land. Dass das Aufnahmelager in Albanien scheiterte, lag nicht an der EU, sondern an italienischen Gerichten. Die konservative EVP kann ihr Programm mit Meloni leichter umsetzen und Europäische Sozialdemokraten und Grüne unter Druck setzen. Nun soll auch das EU-Recht angepasst werden, um die repressive Migrationspolitik zu legalisieren.
Innenpolitisch hat die Regierung Meloni – eine Koalition der spät-faschistischen Fratelli mit der nicht minder rechten Lega unter dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Salvini und der von Berlusconi gegründeten Forza Italia – neben der verschärften Bekämpfung von Migrant*innen und der Seenotrettung (mit juristischen oder eben unrechtmäßigen Mitteln) als erstes das erst 2019 eingeführte Bürgergeld für Arbeitssuchende weitgehend abgeschafft. Gewerkschaften und Arbeitsrechte stehen unter Druck. Das gefällt auch dem Kapital gut. Statt sozialer Sicherheit gibt es mehrere neue Sicherheitsgesetze: Die Regierung verschärfte das Strafgesetzbuch, führte 48 neue Straftatbestände ein und schränkte das Demonstrationsrecht ein: Für zivilen Ungehorsam drohen jetzt zwei Jahre Haft. Und natürlich verfolgt sie eine traditionalistische Familienpolitik etwa mit dem Kinderbonus nur für verheiratete, heterosexuelle Paare. Aktuell wird ein Gesetz für die Wiedereinführung der Atomenergie entwickelt. Und auch die Verfassungsreform hin zu einem Präsidialsystem mit Direktwahl der Regierungschef*in und einer automatischen parlamentarischen Mehrheit (Broder 2024, 2) ist noch keineswegs vom Tisch. Was sich abzeichnet, ist eher ein »schleichender Weg in den autoritären Staat« (Vogel 2024, 362).
Das alles ist selbstverständlich noch kein Faschismus. Aber es sind doch substanzielle Veränderungen, eine Verschiebung des Diskurses und Normalisierung rechtsradikaler und neofaschistischer Positionen, ihre Verankerung in den Institutionen, und letztlich auch eine Schwächung der Gegenkräfte, die in die Defensive gedrängt sind, von der Sozialdemokratie über die Gewerkschaften bis hin zur zersplitterten Linken.
Zur Erinnerung: Die Reste der konservativen Partei DC (Democratia Christiana) wurden bereits von Silvio Berlusconi mit der Gründung der Forza Italia absorbiert bzw. marginalisiert, der liberale Konservatismus zerstört – ein Vorbild für alle weiteren politischen Unternehmer von Sebastian Kurz bis Donald Trump. Nun sind selbst die stark geschwächte Forza Italia und auch die Lega nur noch die kleineren Koalitionspartner der neofaschistischen Fratelli. Die sukzessive Radikalisierung des Konservatismus hat am Ende die radikale Rechte gestärkt. Die Melonisierung wirkt also eher wie der Abschluss einer Zerstörung des liberalen Konservatismus und »Formierung eines eigenständigen Hegemonieprojektes« (Friedrich am 16.11.2024). Ein ähnliches Bild ergibt sich in Österreich.
FPÖ-isierung: Der Neofaschismus als neue Partei des Kapitals
In Österreich lässt sich gut nachverfolgen, wie 25 Jahre Beschwichtigung und der Versuch der Entzauberung einer unter Jörg Haider modernisierten rechtsradikalen FPÖ nur dazu führten, ihren Aufstieg weiter zu beflügeln. Sebastian Kurz übernahm die Methoden und politischen Positionen der FPÖ, entkernte die ÖVP von innen, Schnitt den Apparat zu auf einen Personenkult um seine charismatische Führung. Er holte die FPÖ in die Regierung, um sich von der Sozialdemokratie als ewiger Koalitionspartner freizumachen und zugleich die an der Macht nach wie vor unerfahrene und unorganisierte FPÖ zu entzaubern. Die Regierung scheiterte bekanntermaßen im Korruptionssumpf.
Im weiteren Verlauf wurde die FPÖ mit etwas Verzögerung jedoch stärkste Partei bei den jüngsten Wahlen, während die alte Staatspartei ÖVP arg gestutzt wurde. Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer der Republik hegten inzwischen keinerlei Berührungsängste mit der FPÖ und befürworteten die Kanzlerschaft von Herbert Kickel – die ÖVP in ihrer »Funktion als parteigewordener ideeller Gesamtkapitalist« hat »offensichtlich keine Verwendung mehr« (Stuhlpfarrer 2025). Neben Anti-Migration, Anti-Woke und Anti-Klima setzte die FPÖ im Wahlkampf immer weniger auf die soziale Frage (wie noch bei der Wahl zuvor), sondern auf eine »aggressiv-neoliberale Agenda«. Damit soll die ÖVP »kanibalisiert« und als »führende bürgerliche Elitenpartei« abgelöst werden (ebd.).
Dass im letzten Moment doch kein Regierungsbündnis zustande kam, lag nicht etwa an großen inhaltlichen Differenzen, sondern daran, dass man sich nicht über die Verteilung der Ministerämter einigen konnte. In Umfragen liegt die FPÖ nun noch weiter vorn, bei knapp 34 Prozent (!), die ÖVP fällt weiter ab (PolitPro, 8.4.2025). Ob die neue Koalition von ÖVP, SPÖ und NEOS daran etwas ändern kann, bleibt abzuwarten.
Die ÖVP hatte längst Inhalte und Methoden der radikalen Rechten für sich adaptiert und auch nach der kurzen Ära Kurz beibehalten (nur mit dem Personenkult funktionierte es ohne Charisma nicht mehr). Nicht unähnlich zu Kurz mit der ÖVP hatte übrigens Trump in der Republikanischen Partei agiert, sozusagen eine Zerstörung der Grand Old Party von innen heraus. Andernorts wurden die konservativen Parteien zwischen einem liberalen Populismus à la Macron und der radikalen Rechten des Rassemblement National zerrieben.
Konservatismus radikalisiert sich
Um aus seiner Krise herauszukommen, wendet sich der Konservatismus in Richtung eines radikalen Populismus mit ebenso radikalisierter spätneoliberaler Agenda. Ersteres gelingt jeweils nur so halb, weil die radikale Rechte da meist konsequenter ist und weil die Konservativen zugleich nicht ihren Status als Volkspartei und als Vertreter der wichtigsten Kapitalfraktionen gefährden dürfen. Dieser radikalisierte Konservatismus (wie Natascha Strobl 2024 das nennt) übernimmt die Methoden und Positionen der radikalen Rechten, bei Wahrung des liberal-demokratischen Anscheins. Gerade das ist Ausdruck nicht des Faschismus, sondern eines Prozesses der Faschisierung: Entweder es gelingt den konservativen Parteien die radikale Rechte im Zaume zu halten, indem sie dieser immer mehr gleichen, oder sie werden von rechts verdrängt (FPÖ, Fratelli, RN, PVV) – oder von innen zersetzt und übernommen (Trump). Die »Geister, die« er »rief«, wird der liberale Konservatismus nicht mehr los.
Die Politik der radikalen Rechte wie des radikalisierten Konservatismus kann dabei durchaus als bewusster Prozess gesellschaftlicher Regression betrachtet werden, der eben für den eigenen Machtgewinn und die Entfesselung der ungehemmten Ausbeutung von Mensch und Natur, nicht nur eine angemessene Krisenbearbeitung der großen gesellschaftlichen Probleme verhindert (Candeias 2025), sondern Gegenkräfte mobilisiert, »die die Ressourcen zur Lösung vernichten« (Jaeggi 2023, 218). Übrig bleibt ein reaktionäres und zerstörerisches Projekt der Bereicherung der Wenigen.
Spät-neoliberale Merz-Offensive
These: Sozial und ökonomisch hat die Regierung Merz wenig Konsenselemente anzubieten. Als Kitt gegen Sozialkürzungen und Abbau von Arbeitsrechten hat sie nur Politiken der Angst und die Mobilisierung zur Aufrüstung. Damit einher geht eine Dynamik, ihre Politik auch auf anderen Feldern zu radikalisieren, Irrationalismus, Repression und Ablenkung zu verstärken und damit den Weg der Faschisierung (weiter) zu beschreiten. Die sogenannte Brandmauer steht nicht mehr lange. Die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt 2026 werden zum Lackmustest.
Wie schon an anderer Stelle gesagt (Candeias 2024a): Nicht nur die selbsternannte »Fortschrittskoalition« oder der grüne Kapitalismus im globalen Westen sind gescheitert. Auch die konservativen Parteien haben kein attraktives neues Projekt, welches eine »Akkumulation auf erweiterter Stufenleiter« (Marx), die Bearbeitung der zentralen gesellschaftlichen Krisen und Widersprüche und einen aktiven gesellschaftlichen Konsens stiften könnte. Nach Radikalisierung ihrer alten Agenda in einer Art »autoritären Neoliberalismus« (Candeias 2004/2009) anlässlich der Finanz- und Schuldenkrise 2009ff haben sie keine Ideen und Impulse mehr für eine neue Politik. Schon unter Bundeskanzlerin Merkel ging es zuletzt nur noch um die Verwaltung der Krisen. Mit Friedrich Merz steht ein Vertreter eines überkommenen Neoliberalismus an der Spitze der CDU. Zukunft repräsentiert diese Partei nicht.
Während Trump und seine Tech-Kumpane noch die Ideologie von KI und digitalen Welten für sich beanspruchen, hat Merz nur ein eher muffiges »mehr vom Gleichen«, also weniger Regulierung zu bieten. Trump erzeugt mit seiner Drohung eines Zoll- und Handelskrieges Druck zum Schutz US-amerikanischer Produktionsstandorte, während China die Technologieführerschaft übernimmt, von regenerativen Energien über Batterietechnik und E-Mobilität (Auto, Bahn, ÖPNV) bis hin zu Maschinenbau und KI. Die CDU, verfangen in ihrem ideologischen Vakuum, predigt die Rückkehr zum deutschen Wachstumsmodell, dessen Grundlagen erodiert sind: Exportweltmeister mit immer höheren Leistungsbilanzüberschüssen, das trägt nicht mehr.
Ihr Programm: Rückkehr zum Verbrenner und ein bisschen ökologische Modernisierung, aber bitte viel langsamer; Steuerentlastungen für alle Unternehmen ohne Gegenfinanzierung; fast eine Billion Euro investieren wollen, aber ohne die Schuldenbremse zu reformieren; Industriepolitik nur als Rüstungspolitik; für den Freihandel, aber ohne sich mit Trump anzulegen und zugleich für Protektionismus gegenüber China; weniger Staat, während China und die USA massive Industriepolitik betreiben – das Wirtschaftsprogramm der CDU ist gar keines, da stimmen sogar die Wirtschaftsforschungsinstitute zu.[8]
In der internationalen Konkurrenz von China abgehängt, von den USA unter Druck gesetzt, wird nun folgerichtig gemacht, was bei Biden zuvor noch hart von Merz kritisiert wurde: Hunderte von Milliarden nicht für die Infrastruktur eines grünen Kapitalismus, sondern für die Aufrüstung und die Reparatur der alten Infrastruktur. Die Milliarden fürs Militär sollen dabei industriepolitisch nicht nur an Konzerne wie Rheinmetall oder in die USA gehen. Vielmehr sollen, in der Konkurrenz mit China und den USA, Mittel zur Entwicklung von KI-gestützten Waffensystemen, modernen Kampfdrohnen und ähnlichem aus deutscher Produktion oder europäischen Kooperationsprojekten fließen.[9] Wie weit die Wachstumseffekte eines solchen Hightech-Militärkeynesianismus reichen, ist noch nicht absehbar. In der Regel haben Ausgaben fürs Militär eher widersprüchliche Wachstumseffekte mit vergleichsweise geringen Multiplikatoreffekten aufgrund hoher Konzentration und Geheimhaltungsgründen. Da ist es gut, dass der Militärkeynesianismus zugleich zur ideologischen Mobilisierung taugt. Und auch ein erheblicher Teil der Milliarden für die Infrastruktur soll in die Ertüchtigung von Straßen und Brücken fließen – schließlich können über marode Brücken keine Panzer fahren.
Zwar sollen Milliarden in den ökologischen Umbau der Wirtschaft fließen, klimapolitische Vorgaben werden aber verwässert, Ziele relativiert und auf immer spätere Termine verschoben. Mit den restlichen Infrastrukturmitteln können die dringendsten Nachholbedarfe endlich gedeckt werden. Da zugleich an der Schuldenbremse festgehalten wird, können also Schulgebäude repariert und gebaut, aber keine Lehrer*innen und Erzieher*innen eingestellt werden, Krankenhäuser saniert, aber keine Pfleger*innen beschäftigt werden. Zugleich fehlt Geld für eine Vielzahl anderer, im Koalitionsvertrag vorgesehener Projekte – weshalb drei Viertel aller Verabredungen unter Finanzierungsvorbehalt stehen. Merz hat bereits verkündet, die Haushalte müssen weiter konsolidiert werden – durch Kürzungen, v.a. bei Sozialem. Begonnen wird mit der Abschaffung des Bürgergeldes, »wie wir es kennen«.
Außerdem soll die Wettbewerbsfähigkeit wiederhergestellt werden. Statt alter Stärken auf Basis von hoher Produktivitätsentwicklung, Innovationen und Technologieführerschaft in neuen Sektoren, soll die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft in Deutschland jedoch vor allem durch »Entbürokratisierung« – also Absenkung von Standards – und »preisliche Wettbewerbsfähigkeit« hergestellt werden. Die Unternehmensverbände und Konzerne setzen offen auf die Schwächung der Gewerkschaften. Zu diesem Zweck dürfen wir mehr eben jener Ideologie erwarten, die den Konsens verloren hat, entscheidend verantwortlich für den Aufstieg der radikalen Rechten ist, und die Kräfteverhältnisse nutzen will, um wenigstens die Ausbeutungsbedingungen zu verbessern: insgesamt eine »spät-neoliberale Offensive« also.
Die harten Angriffe des VW-Managements sind gewissermaßen ein Vorgeschmack: Ankündigung von Massenentlassungen und Aufkündigung aller(!) geltenden Tarifverträge. Dabei ist die wirtschaftliche Situation weniger dramatisch als dargestellt. Zwar verzeichnete der Konzern im Jahr 2024 Gewinneinbrüche, aber eben keine Verluste, sondern lediglich geringere Milliardenprofite als erwartet. Tatsächlich geht es um die Schwächung der Gewerkschaften als Sozialpartner. Bereits angekündigt werden Angriffe auf Arbeitsstandards, Arbeitsrechte und Streikrecht. Unternehmensverbände trommeln für eine Verlängerung von Arbeitszeiten, auch Lebensarbeitszeiten, gegen die Lohnfortzahlung bei Krankheit (mindestens für härtere Kontrollen und einen unbezahlten Karenztag), gegen Streikrechte in infrastrukturellen Bereichen, v.a. in der Daseinsvorsorge. Generell werden die Reste der Sozialpartnerschaft infrage gestellt. Die Höhe von Löhnen und auch des Mindestlohns soll aber »weiterhin Sache der Sozialpartner sein«, während die eine Seite dieser Partnerschaft in seiner institutionellen Macht geschwächt werden soll, etwa durch Verlängerung der gesetzlichen zulässigen Arbeitszeit oder eine Pflicht zur Schlichtung in strategischen Bereichen der Wirtschaft und des Staates.
Der Unterschied: Die CDU/CSU will zwar wie Trump Einschränkungen zur besseren Verwertung der Arbeitskraft beseitigen, bedient sich dafür auch eines rechten Populismus wie ihn die AfD und andere predigen, setzt sich dafür auch schon mal verbal über das geltende Recht hinweg, wahrt aber den Nimbus des liberalen Demokraten – wahrscheinlich sogar aus Überzeugung.
Ökonomisch ist das deutsche Exportmodell so kaum zu retten. Die beiden größten Absatzmärkte für (industrielle) Waren aus Deutschland, China und USA, werden zunehmend unsicher, durch den Handelskrieg der USA einerseits und das Einholen und Überholen chinesischer Konzerne. Ein alternatives Modell (Konzentration auf die Binnenwirtschaft und die EU, mit Stärkung einer resilienten sozialen und stofflichen Infrastruktur, Erschließung neuer Sektoren v.a. im Bereich »grüner« Technologien, Kooperation mit China) wird nicht geboten. In einem Umfeld mit drohender globaler Rezession, unkalkulierbaren Folgen der Klimakatastrophe, Krisen der Reproduktion und anderer multipler Probleme ist also mit drastisch verschärften Verteilungskämpfen zu rechnen. Die Logik des Machterhalts drängt dann Merz den Weg in Autoritarismus, Faschisierung und Militarisierung immer weiter zu treiben.
Oder, wie Yanis Varoufakis es formuliert: »Die Deutschen können keine Autos mehr verkaufen. Also bauen sie nun Panzer. Aber Panzer halten Jahrzehnte und die Konsumenten kaufen sie nicht. Daher funktioniert der Militärkeynesianismus nicht – es sei denn du lancierst, wie die USA, einen Krieg nach dem anderen.«[10]
Hoffnung in hoffnungslosen Zeiten
Wieder ein düsterer Ausblick. Trotz des Wintermärchens um Die Linke bei den Bundestagswahlen sind die Wahlergebnisse insgesamt niederschmetternd – sie folgen der Entwicklung von blockierter Transformation und gesellschaftlicher Faschisierung. Doch dem Horror mit dem »Pessimismus des Verstandes« (Gramsci) analytisch nachzugehen, die veränderten Verhältnisse zu begreifen heißt, ihnen weniger ausgeliefert zu sein, dem »Optimismus des Willens« und der Hoffnung einen festen Grund zu bereiten, ohne Illusionen. Bemühter Voluntarismus hilft da kaum. Gefühle von Lähmung angesichts der Verhältnisse sind schwer aushaltbar – da verstärken düstere Analysen noch die drückende Last. Doch auch die Predigt trotziger Hoffnung geht über Gefühle von Verzweiflung und Bedrängung hinweg. Mit Horkheimer geht es darum, wie der begründete Pessimismus produktiv gemacht werden kann, damit er nicht in Fatalismus umschlägt.
Thomas Brasch paraphrasierend können wir tatsächlich »den Verhältnissen für ihre Widersprüche« danken, und beharrlich die nächste Intervention vorbereiten, den Aufbau der Organisation voranbringen. Das Manöver von Merz, eine Kooperation mit der AfD im Bundestag nicht formal, aber gezielt bei einer Abstimmung zu Fragen der Migration zu suchen, brachte ein Jahr nach den Protesten anlässlich der Enthüllungen der Correctiv-Recherche über ein Geheimtreffen zur »Remigration« im Januar 2025 wieder Millionen von Menschen zurück auf die Straße. Hier zeigt sich, dass der andere Teil der polarisierten Gesellschaft zwar in der Defensive ist, aber er ist immer noch da und auch handlungsfähig, zumindest punktuell.