These zur Situation der Zeit: Spätinterregnum – die Konfliktlinien in der Gesellschaft sind vielfältig. Nach wie vor existent ist die sozial-ökonomische Linie Markt vs. Sozialstaat/Umverteilung. Virulent ist der sogenannte Kulturkampf um die gesellschaftliche Modernisierung entlang einer progressiv-liberalen vs. konservativ-autoritären Linie. Doch ein Konflikt sticht hervor: die Auseinandersetzung um ein ökologisches Modernisierungsprojekt vs. ein (teilweise aggressiv vertretenes) Projekt zur Verteidigung einer fossilistischen Produktions- und Lebensweise. Quer dazu drängt sich nun mit neuer Qualität und Brisanz die Auseinandersetzung um die zukünftige Ausrichtung der Außen- und Sicherheitspolitik hinein, zwischen einem Projekt der Aufrüstung und neuen globalen Blockkonfrontation mit Russland und China vs. neuer globaler wie europäischer Sicherheitsarchitektur auf Basis einer postfossilen und gerechteren Weltwirtschaft. Die politischen Kräfte und die Parteien ordnen sich entlang dieser Linien neu. Die Linien ziehen sich dabei quer durch alle Parteien. Noch hat sich keine neue Hegemonie herausgebildet. Vielmehr erleben wir Kämpfe um die Neuzusammensetzung des Machtblocks. Und alle Projekte, die sich als hegemoniale aufstellen wollen – auch Kräfte, die künftig an Regierungen teilhaben wollen (etwa die CDU/CSU) –, müssen sich in der Frage der ökologischen Krise positionieren und entsprechende Transformationsstrategien vorschlagen und verfolgen – oder sich eben mit untergeordneten Positionen im Machtblock begnügen oder sie werden gänzlich marginalisiert.
Daraus ergeben sich auch strategische Konsequenzen für die LINKE: Sie muss sich entscheiden, ob sie sich als sozial-konservative Partei in der Defensive gegen neoliberale Verschlechterungen (wie zu Zeiten der Agenda 2010) und gegen die Folgen ökologischer und gesellschaftlicher Modernisierung positioniert oder als nach vorn gerichtete sozial-ökologische Kraft mit sozialistischer Perspektive, als Partei der Zukunft – für das Überleben und die Befreiung aller unterdrückten Klassen und inzwischen der Menschheit insgesamt.
Neben den Nichtwähler*innen hat DIE LINKE die meisten Wähler*innen an SPD und Grüne verloren. Die Ampel-Regierung wird sicherlich mehr und weitreichendere Maßnahmen zum Klimaschutz ergreifen als all ihre Vorgängerkoalitionen. Die Bedeutung von Auseinandersetzungen in diesem Feld wird daher in der kommenden Zeit ebenso zunehmen wie die sozialen Spannungen im Zuge der Transformation. Denn es ist offensichtlich, dass sich das Tempo des Umbaus regierungsseitig aktuell drastisch erhöht (und auch erhöhen muss im Kampf gegen die verheerenden Folgen der Erderwärmung), der Prozess gar in eine neue Qualität umspringt.[1] Die verbindlichen Vorgaben zur Treibhausgasminderung von EU und deutschem Klimaschutzgesetz erfordern gar eine Verdreifachung des Tempos bei den CO2-Einsparungen als auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien, das Aus des Verbrennungsmotors ist greifbar, die gesamte Grundstoffindustrie muss sich klimaneutral umbauen, der Umfang der notwendigen Gebäudesanierungen ist atemberaubend
Es geht innerhalb des kapitalistischen Systems also nicht mehr nur um Anpassungen, sondern um einen Systemsprung mit ungewissem Ausgang in vielerlei Hinsicht. Nicht nur die technischen, wirtschaftlichen und sozialen Trägheiten schaffen hier enorme Spannungs- und Konfliktfelder. Neben klassischen Streitpunkten wie jenen, wer die Kosten trägt, oder welche Gefahren der sozialen Verdrängung bzw. Problemverschiebung (ggf. ins Ausland, siehe Wasserstoffimporte) zu erwarten sind, stehen auch Fragen der Akzeptanz (siehe Windkraftausbau oder Abschied vom Auto) in einer ganz anderen Dimension im Raum, als bislang bekannt. Gleichzeitig legt das Klimaschutzgesetz für sechs Sektoren – Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft und Sonstiges – jährliche CO2-Minderungsziele für den Zeitraum 2020 bis 2030 fest. Erstmals könnte damit greifbar werden, dass umweltverträgliches Wachstum unmöglich ist, weil die notwendigen Einsparungen bei den Treibhausgasmengen damit nicht zu erreichen sein werden. Zudem nehmen die Zweifel zu, dass das herrschende profitorientierte System in der Lage sein wird, den notwendigen Wandel hierzulande sozial abzusichern und global gerecht zu gestalten.
Es steht zu befürchten, dass die Ampel-Regierung – nicht nur dank der FDP als «Wächterin» gegen zu starke Belastungen der Wirtschaft, gegen zu viel Klimaschutz oder Sozialstaat – insgesamt weit hinter dem zurückbleiben wird, was erforderlich ist, um die anstehenden gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen. Das wird viel Enttäuschung produzieren, und tut es bereits. Da die Klimapolitik der fossilistischen Wirtschaft nicht allzu sehr schaden darf, werden alle Umbaumaßnehmen eher moderat bleiben, was vor allem viele Grünen-Wähler*innen vergrätzen dürfte. Auch bei der SPD wird sich zeigen, ob sie sich über die Signalreform des Mindestlohnes hinaus als Garantin eines sozialen Übergangs zu einem grünen Kapitalismus positionieren kann. Das Bürgergeld ist bisher nur ein ideologischer Wortschleier, weil Hartz-IV abgenutzt klingt. Sanktionsfreiheit oder ein deutlich höheres Niveau? Fehlanzeige. Höheres Rentenniveau, Mietenmoratorium, Reregulierung der Arbeit, Bürgerversicherung, also zentrale sozialpolitische Projekte, die die SPD (und auch die Grünen) in dieser Regierung umsetzen wollte: Alles auf unbestimmt vertagt. Das auf (teils aggressive) Verteidigung des Fossilismus ausgerichtete rechtskonservative Lager stabilisiert den Regierungskurs zusätzlich. Die CDU sucht hier noch ihre Rolle: Sie muss sich rechts profilieren, um die AfD in Schach zu halten und sich als klare Oppositionsführerin zu präsentieren.
Die Entlassungswellen in der Automobil- und Zuliefererindustrie sprechen ebenfalls gegen ein ernsthaft sozial-ökologisches Vorgehen. Und aktuell führt der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine nicht nur zu großem menschlichen Leid und verschärften geopolitischen Konfrontationen, sondern auch zu einer massiven Aufrüstung und einem drohenden energiepolitischen Salto rückwärts: zu (Fracking-)Gas, Kohle und sogar Atomstrom in Deutschland und Europa.
In der Bilanz wird die Klimapolitik der Ampel eine negative Verteilungswirkung mit sich bringen und dennoch klimapolitisch weit hinter dem Notwendigen zurückbleiben. Es wird vermutlich zu einigen sozialen Ausgleichsmaßnahmen kommen, aber keineswegs wird die sich weiter öffnende, in der Pandemie noch einmal beschleunigt zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft abgebremst oder gar umgekehrt. Ein weiterer Knackpunkt der Transformation ist die Finanzierungsfrage. Es braucht massive Investitionen in den ökologischen Umbau und die Rekonstruktion einer in Zukunft resilienten sozialen und stofflichen Infrastruktur: von der Gesundheit und Bildung bis zu Energieversorgung und dem öffentlichen Verkehr. Ohne Aussetzung der Schuldenbremse und ohne Schattenhaushalte öffentlicher Unternehmen und Anstalten und vor allem ohne Umverteilung lassen sich die Kosten der Pandemie und die notwendigen Investitionen nicht finanzieren. Uns stehen also verschärfte Verteilungskämpfe und Kämpfe um die Rolle des Staates bzw. des Öffentlichen bevor. Denn für einen radikal sozial-ökologischen Umbau braucht es nicht nur eine entschlossene Förderpolitik, sondern starke Regulierungen und eine viel größere Rolle der öffentlichen Hand, des öffentlichen Eigentums, öffentlicher Unternehmen und anderer gemeinwirtschaftlicher Wirtschaftsformen. Dies ist auch nötig, um den Umbau zu beschleunigen und um nicht darauf warten zu müssen, bis der Markt das regelt. Das wiederum geht nicht ohne deutlich mehr Partizipation und Wirtschaftsdemokratie.
Sozial und/oder ökologisch – DIE LINKE
Insofern ist die Ampel-Koalition sicherlich nicht die beste Lösung für die vielfältigen sozialen und ökologischen Probleme dieser Gesellschaft – aber eine Chance für die LINKE. Dieses Paradox soll kein schwacher Trost nach den dramatisch schlechten Wahlergebnissen für die LINKE sein, sondern eine nüchterne Beschreibung von Möglichkeiten. Denn es bestehen große Spielräume für die einzige Oppositionspartei links der Regierung, wenn, ja, wenn sie diese Chance zu nutzen weiß. Da gibt es keinen Automatismus.
Dafür müssen wir als LINKE natürlich unsere eigenen Probleme lösen und Widersprüche angehen, um glaubwürdig zu sein und effektiv agieren zu können. Zu viele schwelende innerparteiliche Konflikte und Machtkämpfe, die von den Medien dankbar aufgenommen und verstärkt wurden, prägen das Gesicht der Partei. Das betrifft nicht zuletzt den Umgang mit der ökologischen Frage. Für die Mehrheit in der Partei gehören die soziale und die ökologische Frage untrennbar zusammen. Das zeigt sich auch regelmäßig bei Umfragen unter Wähler*innen der LINKEN. Das macht einen wichtigen Unterschied etwa zu den Grünen aus. Der Vorwurf einer meinungsstarken Minderheit in der LINKEN lautet jedoch, die Partei renne mit ihrem radikal-ökologischen Programm nur den Grünen hinterher und lenke von den eigentlichen sozialen Kernthemen ab. Damit erscheint die Partei an diesem zentralen Punkt als unentschieden bzw. zerstritten. Zwar bekennt sie sich, was von relevanten Teilen der Umweltverbände und der Klimabewegung, darunter Fryidays für Futures, auch so wahrgenommen wird, als einzige im Bundestag vertretene Partei zum 1,5-Grad-Ziel. Es fehlt allerdings an Glaubwürdigkeit, wenn führende Vertreter*innen der Partei und vor allem der Fraktion(en) dies immer wieder öffentlichkeitswirksam infrage stellen – sofern die LINKE überhaupt in den Medien vorkommt.
Lange vor der letzten Wahl warnten wir, die Partei werde zwar nicht in der Lage sein, in relevanter Zahl Wähler*innen der Grünen zu sich herüberziehen, aber es drohe ihr der Verlust eines großen Teils der eigenen Wähler*innen an die Grünen. Leider ist diese Vorhersage eingetroffen. Mit einer mehrdeutigen Vielstimmigkeit hat die Partei Wähler*innen und Aktive abgeschreckt und verunsichert – was bei einer «Klimawahl» besonders in Gewicht fiel, zumal, weil die SPD zugleich wieder sozialer auftrat und gute Chancen auf die Kanzlerschaft hatte. Das taktische Wahlverhalten in solchen spezifischen Konstellationen ist nur schwer zu beeinflussen. Allerdings ist festzuhalten: Es nutzt der LINKEN nichts, dass sie die richtige Programmatik hat, wenn sie diese aufgrund der harten internen Richtungskämpfe nach außen nicht glaubhaft vertreten kann.
Wie tragen wir also gesellschaftliche Widersprüche, die sich selbstverständlich auch durch die Partei und die gesellschaftliche Linke insgesamt ziehen, so aus, dass sie nicht einfach reproduziert oder einseitig aufzulösen versucht werden und damit spaltend wirken? Wie schaffen wir es, einen Umgang damit zu finden, der es ermöglicht, sie in progressiver Weise und nach vorn gerichtet zu bearbeiten? Neu aufstellen bedeutet dabei, ein strategisches Zentrum von Partei- und Fraktionsführung aufzubauen, das verbindlich für diesen Umgang mit Widersprüchen steht, auch mit Personen, und einen Korridor definiert, in dem unterschiedliche Positionen ausgetauscht und Konflikte ausgetragen werden können. Was wir brauchen ist weder stramme Parteidisziplin ohne Debatte noch eine Kakophonie dissonanter Positionen.
Dafür müssen wir auch inhaltlich noch konkreter werden. Denn wir stehen vor einer Schwierigkeit: Die Leute wollen Veränderung, aber sind zugleich überfordert angesichts der vielen Krisen. Viele haben Angst – auch das ist uns unter anderem bei den letzten Wahlen auf die Füße gefallen. Unsere sehr weitgehenden Vorstellungen wirken oft wie die Taube auf dem Dach. Da behalte ich doch lieber den Spatz in der Hand. Aber sie wirken nicht nur unerreichbar, sondern verunsichern auch: Wie soll das alles gehen? Ohne Berücksichtigung von Klassenunterschieden geführte Verzichtsdebatten, auch von links, tun ihr Übriges. Das heißt nicht, unsere Positionen abzuschwächen. Vielmehr sollten wir die Forderung nach sehr weitgehender Transformation der vorherrschenden Produktions- und Lebensweisen mit konkreten Sicherheitsversprechen verbinden. Ohne Sicherheitsversprechen könnte es passieren, dass nicht unwesentliche Teile der Bevölkerung in kurzer Zeit nach rechts driften (siehe Corona), ins fossilistische und anti-progressive Lager.
Wir können unsererseits nicht nur mit der Notwendigkeit des ökologischen Umbaus argumentieren und negative Zukunftsszenarien entwerfen. Ein durchaus berechtigter Katastrophismus mobilisiert die Jugend, aber er lähmt auch große Teile der Bevölkerung, nicht zuletzt in den unteren Klassen, die für eine Linke zentral sind. Wir brauchen den Druck von Fridays for Future, der ist großartig, sonst kämen wir überhaupt nicht voran, aber wir brauchen nicht zuletzt als Partei positive Bilder und Erzählungen von dem, was es alles zu gewinnen gilt.
Vor allem das Sozialökologische der Transformation, was viel besser den Kern linker Politik beschreibt als Klimapolitik, dieses Sozialökologische muss ausbuchstabiert werden, als soziale Frage des 21. Jahrhunderts, nicht nur defensiv, so im Sinne von: «Wir dürfen die kleinen Leute nicht belasten.» Vielmehr sollten wir nach vorn gerichtet argumentieren: Das gilt es mit der Transformation zu gewinnen, das bringt mehr Jobs, mit sinnvollen Tätigkeiten, mehr Zeitwohlstand, mehr soziale Sicherheit, lebenswerte Städte und Landschaften. Schließlich sind die unteren gesellschaftlichen Klassen und Gruppen am stärksten sowohl von den Folgen des Klimawandels als auch von den Folgen einer ökologischen Modernisierung (unter grün-kapitalistischen Vorzeichen) betroffen. Nur wenn es gelingt, den (falschen) Gegensatz von Ökologie und Beschäftigung, von Klimaschutz und sozialem Ausgleich aufzubrechen, können wir dafür Allianzen mitaufbauen.
Das Sozialökologische als verbindendes Thema für so unterschiedliche «Milieus» wie Industriearbeiter*innen, im Nahverkehr Beschäftigte oder eben die jungen Aktivist*innen von Fridays for Future (übrigens hat die LINKE in all diesen Gruppen Wähler*innen verloren). Für eine soziale und ökologische Klassenpolitik und ein neues gesellschaftliches Wohlfahrtsmodell. Gegen die Konzerne, aber mit den Beschäftigten und den Umweltbewegungen. Konzeptionell wie auch mit einer entsprechenden Praxis muss diese Ausrichtung deutlich werden. Die Menschen müssen sich vorstellen können, wie es hinterher aussehen könnte, konkret. Eine positive Zukunft. Dafür lohnt sich dann vielleicht auch ein Kreuzchen auf dem Wahlzettel. Angesichts der kommenden gesellschaftlichen Transformationen und Umbrüche würde diese Option auch der neuen Zeit besser entsprechen.
Sozial-ökologischer Systemwechsel
Die LINKE hat dafür bereits überzeugende Konzepte angedacht, beispielsweise den linken Green New Deal (maßgeblich von Bernd Riexinger und seinem Team entwickelt). Um Missverständnisse zu vermeiden: Der Begriff ist nicht zentral. Die Wahl des Begriffs ergab sich aufgrund der internationalen Anschlussfähigkeit, etwa an die Debatten um Bernie Sanders und Alexandra Ocasio-Cortez und damals noch Jeremy Corbyn. Dazu gibt es heute eine breite internationale Debatte. In der Rosa-Luxemburg-Stiftung haben wir stets von sozial-ökologischer Transformation oder grünem Sozialismus gesprochen – diese Begriffe sind zwar konzeptionell sinnvoll, aber propagandistisch, als allgemeine Slogans sozusagen, ungeeignet. Letztlich gab es in der Partei den Kompromiss «sozial-ökologischer Systemwechsel», der sowohl an die sozial-ökologische Transformation als auch an den SystemChange von Fridays für Future und anderen anschließt und eine sozialistische Perspektive anklingen lässt. Letztlich muss ohnehin je nach Zielgruppe entschieden werden, was sinnvoll erscheint. Jeder Begriff ist erklärungsbedürftig, solange die gesellschaftliche Linke insgesamt keinen besseren Slogan hat.
Inhaltlich hat der Green New Deal folgende Schwerpunkte, sehr verkürzt: 1. Ausbau der sozialen Infrastrukturen als Kern eines erneuerten Sozialstaates bzw. eines Infrastruktursozialismus. 2. Sozial-ökologischer Umbau der Industrie – was mehr ist als Dekarbonisierung, sondern die entscheidende Frage stellt, was wollen wir produzieren? 3. Ein Investitionsplan für die nächsten 10 bis 15 Jahre und eine entsprechende Finanzierung, die die Vermögenden und das Kapital wieder mehr an den Kosten für das Gemeinwesen beteiligt. Man könnte mit Keynes auch sagen: die Sozialisierung der Investitionsfunktion wie auch der Innovationsfunktion.
Eine ökologische Klassenpolitik um diese Schwerpunkte herum verbindet radikale Maßnahmen zur Eindämmung der ökologischen Krisen mit einer gleichgewichtigen Behandlung von sozialen und Beschäftigungsfragen – denn für eine sozial-ökologische Transformation braucht es enorm viel Arbeitskraft sowohl im Bereich alternativer industrieller Produktion als auch mit Blick auf die Ausweitung sozialer Infrastrukturen und die Aufwertung der sogenannten systemrelevanten Arbeiter*innen. Ökologie und Beschäftigung sind, konsequent gedacht, kein Gegensatz. Mit einer «kurzen Vollzeit für alle» (zwischen 28 bis 30 Wochenstunden) verteilt sie die notwendige Arbeit gleichmäßiger auf alle, Erwerbsarbeit wie gesellschaftlich notwendige Sorgearbeit, aber auch Zeit für Muße und gesellschaftliches Engagement (vgl. 4 in1 von Frigga Haug 2011).
Eine solche Perspektive gilt es konkret auf den unterschiedlichen Feldern durchzudeklinieren, zum Beispiel für die Mobilitätswende. Um die Klimaziele zu erreichen, bedarf es einer Verschiebung: weg vom motorisierten Individualverkehr hin zum Umweltverbund aus Bahn, ÖPNV, Fahrrad- und Fußverkehr. Für die dafür nötige Steigerung der Fahrgastzahlen um den Faktor 2,5 bräuchte es nicht nur sehr viel mehr Lokführerinnen und Busfahrer, sondern auch viel mehr Straßenbahnen, E-Busse, Regionalbahnen etc. Dieses Potenzial haben wir berechnet: Eine Konversion hin zu einer solchen alternativen Produktion brächte bis zu 314.000 zusätzliche Arbeitsplätze. Das Gesamtpotenzial wäre noch deutlich höher, wenn wir eine «kurze Vollzeit für alle» ansetzen würden. Damit wären wir bei einem Gesamtpotenzial von bis zu 436.500 zusätzlichen Arbeitsplätzen (Candeias/Krull 2022). Die Autokonzerne werden diese Transformation nicht freiwillig mitmachen. Sie reiten das Pferd, bis es tot ist, bzw. so lange, wie das eingesetzte Kapital (hohe) Profit abwirft. Daher geht dies nur gegen die Konzerne, aber mit den Beschäftigten. Auch hier stellen sich Fragen des Eigentums (Knierim 2022).
Generell braucht eine ökologische Klassenpolitik klarer Gegner (die Kampagne «Deutsche Wohnen & Co enteignen» macht es vor). Bleiben wir bei der Mobilitätsfrage, fragt sich, wer zahlt für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs? Sicher, der Bund stellt nun zusätzliche Mittel bereit, aber nicht ausreichend. Es bedarf einer stabilen Grundsicherung, einer «Dritten Säule» bei der Finanzierung des Ausbaus des ÖPNV etwa durch die Einführung einer Unternehmensabgabe (bzw. sogenannten Nutznießerbeiträgen) oder durch Steuern (Bremen/Berlin) statt einer Maut für alle oder nur über die Verteuerung der Parkräume. Das Letztere würde zu einer sozialen Schieflage im Übergang führen. Eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigt, wie eine solche Finanzierung aussehen könnte (Sander 2021). Ein so ausgebauter Nahverkehr (bei Zurückdrängung des Autoverkehrs) würde zu mehr Umweltgerechtigkeit führen, denn die von städtischer Umweltverschmutzung am stärksten betroffenen sind die einkommensärmeren Gruppen und Klassensegmente, die Geringverdiener*innen, oft migrantisiert und weiblich, sowie jene im globalen Süden, deren Existenzgrundlagen vom Klimawandel bedroht sind. Zugleich brächte er mehr soziale Gerechtigkeit, denn es sind eben jene ärmeren Teile der Bevölkerung, die am meisten auf den öffentlichen Verkehr angewiesen sind, da sie sich kein Auto leisten können. Ökologische Klassenpolitik bedeutet dabei, neue Allianzen mit gemeinsamer Praxis zu entwickeln oder, wie es das Autor:innenkollektiv Climate.Labour.Turn (2021) von Fridays for Future formuliert hat: «Ökologische Klassenpolitik bedeutet, die Machtressourcen der verschiedensten Bewegungen zusammenzuführen, um gemeinsam für gesellschaftliche Veränderungen zu kämpfen.»
Zu spät – was dann?
So könnte es also gehen. Oder sagen wir, so kommen wir ins Gespräch. Doch sogleich ergeben sich auch für linke Konzepte zur Vermeidung des Klimawandels strategische Probleme. Selbst wenn wir von der unzureichenden Politik der Ampel-Regierung oder der schwierigen Weltlage absehen könnten und morgen damit beginnen würden, den linken Green New Deal umzusetzen, besteht das erste Problem darin, dass die für eine solche Transformation nötigen Ressourcen wie Lithium, Nickel, Kupfer, Seltene Erden etc. wohl nicht ausreichen werden. Auch der Ausbau der Wind- und Solarenergie oder der Wasserstofftechnologien wird kaum Schritt halten können mit dem Bedarf. Aufgrund der Nutzungskonkurrenzen beim Einsatz von Ressourcen und Energie für einen ökologischen Umbau ist auch bei einem linken Green New Deal nicht alles gleichzeitig machbar (vgl. Neef 2022). Auch wenn der Rohstoffverbrauch bei der Nutzung von Windkraft, bei der Photovoltaik oder Elektromobilität vergleichsweise gering ist (Reckordt 2022), müsste für deren massiven Ausbau der Einsatz von Rohstoffen in anderen Produktionsbereichen etwa im Automobil- und Bausektor sofort drastisch reduziert werden. Diese Nutzungskonkurrenzen zwingen uns viel schneller dazu, über die Frage nachzudenken: Was können wir noch produzieren?
Das zweite Problem ist: Wir sind zu spät dran. Das 1,5-Grad-Ziel ist nicht mehr zu erreichen. Selbst wenn wir sofort alles nötigen Umbauten angehen würden, ist dies nicht mehr zu schaffen. Die Grundlagen für eine Verdopplung oder 2,5-Fachung des öffentlichen Verkehrs zu legen oder den klimaneutralen Umbau der Industrie voranzutreiben sowie die dafür nötige Verdopplung des Nettostromverbrauchs und der Leistung von Windkraft und Photovoltaik – all das ist in zehn oder 15 Jahren kaum machbar, vielleicht bis 2040, aber eben nicht mehr rechtzeitig.
Das heißt, wir müssen aus linker Perspektive viel mehr über Klimafolgenanpassung sprechen und darüber eine Diskussion anstoßen, was wir mit dem neuen Heft der Zeitschrift LuXemburg (2/2022) versuchen. Als Notwendigkeit sozusagen, resiliente Strukturen aufzubauen bzw. andere rückzubauen, den Verbrauch drastisch zu reduzieren, nicht mithilfe von Dekarbonisierung, sondern einfach durch weniger Konsum von Energie und stofflichen Waren. Wieder stellt sich die klassenpolitische Frage, wer muss sich wie anpassen? Wir sollten zum Beispiel frühzeitig eigene Vorstellungen davon entwickeln, was wir gegen die Überhitzung in Städten tun können. Denn diese wird am stärksten in den Betonburgen der benachteiligten Viertel zum Tragen kommen und vorwiegend Menschen treffen, die in beengten Verhältnissen und unter heute schon klimatisch schlechten Bedingungen leben. Wie können wir das Problem der Überhitzung in den Griff kriegen, ohne eine neue Runde der Verdrängung durch notwendig gewordene ökologische Gebäudesanierungen oder Maßnahmen wie Verkehrsberuhigung und Begrünung von städtischen Räumen einzuläuten? (Zur städtischen Umweltgerechtigkeit vgl. Sander 2019)
Ein anderes Beispiel: Überschwemmungsgebiete, gerade prominent ins Bewusstsein gerückt, aber auch das Gegenteil: zunehmende Dürren und Wassermangel in vielen Teilen des Landes und wachsende Konkurrenz um Wasser zwischen Landwirtschaft, Privatverbrauchern und Industrie. Das sehen wir aktuell in der Lausitz, wo viele Flächen landwirtschaftlich nicht mehr genutzt, zugleich die vielen geplanten Seen zur Renaturierung der Kohlegruben und für eine touristische Nutzung nicht gefüllt werden können, oder in Grünheide, wo Tesla im wahrsten Sinne des Wortes der Umgebung das Trinkwasser abgräbt und die Wälder eh schon austrocknen.
Bereits jetzt müssten wir auf eine andere Landwirtschaft umstellen und diese an die neuen Bedingungen der Böden, der zunehmenden Trockenheit und Hitze, veränderter und geringerer Biodiversität etc. anpassen. Bereits jetzt müssten wir auf ein anderes Wassermanagement umstellen, entscheiden, wofür wir das knappe Gut verwenden wollen. Bereits jetzt bräuchten wir einen Stopp der fortschreitenden Versiegelung, mehr Ausgleichs- und städtische Kühlungsräume, generell mehr Grün. Schulen, Altenheime, Krankenhäuser wären anders einzurichten, damit sie auf Hitzewellen vorbereitet sind – freilich ohne den flächendeckenden Einsatz von energiefressenden Klimaanlagen, sondern durch bauliche Maßnahmen. «Lehren aus der Pandemie» (Koester 2022) zu ziehen, hieße, neu zu definieren, was wir an Infrastruktur unbedingt brauchen, Produktionslinien zu überdenken und zu deglobalisieren und vor allem die soziale Infrastruktur (vgl. Candeias u.a. 2021) resilient zu machen und sie als Grundlage, die das gesellschaftliche Leben absichert, auszubauen. Der Klimawandel ist in vollem Gange, auch bei uns. Wie begegnen wir ihm also?
Wenn es stimmt, wie zuvor angeführt, dass solche Negativszenarien eher zur Demobilisierung großer Bevölkerungsteile, insbesondere der unteren Klassen und Gruppen, beitragen, dann stellt sich die Frage: Wie kommen wir nun von dieser düsteren Bestandsaufnahme – wir sind zu spät dran, die Klimaziele sind nicht mehr rechtzeitig zu erreichen, wir müssen uns jetzt schon auf katastrophische Szenarien einstellen – zu einer konkreten positiven Perspektive?
Grüner Sozialismus oder weniger ist mehr
Vielleicht ergibt sich hier eine Öffnung, um weitergehenden sozialistischen Momenten mehr Gehör zu verschaffen oder, Willi Brandt paraphrasierend, um mehr Wirtschaftsdemokratie und mehr Sozialismus zu wagen. Denn die Zeit rennt uns davon. Konturen solcher sozialistischer Einstiegsprojekte haben wir bereits mehrfach skizziert (siehe LuXemburg 3/2019, Candeias 2019, Candeias u.a. 2021 u. 2022). Im Stakkato: Die Notwendigkeit, schnelle strukturelle Veränderungen unter Zeitdruck herbeizuführen, macht Elemente partizipativer Planungsprozesse auf unterschiedlichen Ebenen nötig. Ohne Zweifel wird die öffentliche Hand mit stärkerer Regulierung und Investitionsplanung, mit der Aufwertung öffentlicher Unternehmen und mehr öffentlichem Eigentum sowie einer stärkeren Innovationspolitik eine größere Rolle spielen müssen. Solche Planungskapazitäten müssen erst wiederaufgebaut werden, auch in den Verwaltungen. Zugleich wäre dies eine Chance, den nötigen Umbau mit einer weitreichenden Demokratisierung zu verknüpfen und voranzubringen: über eine Öffnung der Verwaltungen, der Schaffung von «Transformationsräten» auf unterschiedlichen Ebenen, einer Demokratisierung öffentlicher Unternehmen und der Einrichtung von Zukunftswerkstätten auf dem Land und in den Stadtvierteln. All diese Einrichtungen und Partizipationsformen müssten mit den Problemen angemessenen Entscheidungsrechten und Mitteln ausgestattet sein.
Als Gesellschaften sollten wir uns stärker in die anstehenden Entscheidungen einmischen, was und wie wir noch produzieren können und zu welchem Zweck. Das wäre eine wirkliche Demokratisierung der Wirtschaft – im Gegensatz zu einem grünen Kapitalismus, der trotz partieller Fortschritte in der Dekarbonisierung auf ein Mehr an Produktion, Profit und Ressourcenverbrauch setzt, die ökologische Krise weiter verschärfen wird und die Auswirkungen nur mithilfe des Einsatzes autoritärer Mittel im Inneren und an den Grenzen im Zaum halten kann. Wir müssen uns also fragen: Was brauchen wir zum Überleben und für ein gutes Leben für alle?
Hier müsste ein ganzes Programm folgen. Ich möchte nur einen Punk herausgreifen, im Sinne einer positiven und dringlichen Utopie, die das Überleben im Angesicht der ökologischen Krisen mit der Selbstsorge und der Sorge um andere sowie einem guten Leben verbindet: Zeitwohlstand. Wir brauchen ein neues Verständnis von Wohlstand, einen neuen Begriff von Reichtum: In einer «Reproduktionsökonomie» (vgl. Candeias 2012), die sich zu beschränken weiß und zugleich neuen Reichtum schafft, geht es um andere soziale Innovationen, sinnvollere Produktivkräfte und eben um Zeitwohlstand: Zeit für die allseitige Entwicklung, für Freund*innen, Familie und Selbstsorge, Raum für Zärtlichkeit, Solidarität, Unterstützung und Ansporn statt Konkurrenz, für gemeinsames Engagement – zum Beispiel um die Transformation mitzugestalten. Für ein «sozial und ökologisch nachhaltiges Wirtschaften ohne Wachstum werden Umverteilungen bei Einkommen und Arbeit enormen Ausmaßes notwendig» sein (Witt 2011). Und wenn für die zentralen Bedürfnisse gesorgt ist, kann weniger tatsächlich mehr sein. Viele haben große Sehnsucht nach dem Ende des Hamsterrades – denn «Zeit ist der Raum zu menschlicher Entwicklung» (Marx 1865, 145). Das wäre nun auch ökologisch geboten. Es geht ums Ganze, um die Frage der gemeinsamen Verfügung über die unmittelbaren Lebensbedingungen, um die Gestaltung von Zukünften.