Nach zahlreichen Wahlniederlagen und in einer tiefen Krise, die nicht auf kurze Zeiträume und oberflächliche Dinge zurückführbar ist, kann man nicht weitermachen wie bisher und hoffen, dass sich andere Ergebnisse einstellen. Wenn Die Linke 2025 in den Deutschen Bundestag einziehen will, dann braucht sie eine Weststrategie. Davon wird ihr Überleben als moderne, bundesdeutsche linke Partei im 21. Jahrhundert abhängen. Selbst wenn die Partei im Osten stärker wäre, reicht dies allein nicht aus. Selbstverständlich bleibt auch die Weiterentwicklung linker Politik in den Ostbundesländern weiterhin nötig.

 

 

Eine bundesdeutsche, relevante Linke war eine Errungenschaft in der Parteienlandschaft. Um gesellschaftliche Relevanz zurückzuerlangen, muss Die Linke deshalb jetzt eine Weststrategie ausarbeiten.

Im Westen leben 48,2 Millionen der insgesamt 60,4 Millionen Wahlberechtigten (Berlin mit 2,4 Mio. ausgeklammert). In seinen wachsenden städtischen Ballungsräumen liegt beträchtliches Wähler*innenpotenzial. Mit relativ wenig Ressourcen können viele Menschen erreicht werden. Hier lebt das moderne Dienstleistungsproletariat. Und auch 75 Prozent aller Industriearbeitsplätze in Deutschland befinden sich im Westen. 

Selbsterklärterweise will Die Linke für die Mehrheit im Land Politik machen – sie sollte aber erst einmal dafür Sorge tragen, fünf Prozent zu erreichen.

Diese Analyse macht folgende 4 Schritte erforderlich: 

1

Bestimmung von Schwerpunktgebieten im Westen im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl, die intensiv mit finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet werden. Hierfür ist eine strukturelle Umgestaltung der verbliebenen personellen und finanziellen Ressourcen der Gesamtpartei erforderlich. 

  • Der Hauptfokus sollte auf dem Ruhrgebiet liegen, der Großraum Köln/Bonn (NRW, 12,8 Millionen Wahlberechtigte);
  • Region Frankfurt (Hessen, 4,3 Millionen Wahlberechtigte);
  • Region Hannover (Niedersachsen, 6 Millionen Wahlberechtigte);
  • Zu prüfen sind zudem: Region Stuttgart (Baden-Württemberg, 7,7 Millionen Wahlberechtigte) und Region München (Bayern, 9,4 Wahlberechtigte);
  • Städte wie Berlin, Hamburg, Erfurt, Bremen, Leipzig etc. tragen sich selbst mithilfe ihrer starken Landesverbände.

2

Identifikation gesellschaftlicher Gruppen und Milieus, die leichter als andere als Wähler*innen gewonnen werden können. 

 

  • Dienstleistungsbeschäftigte. 34,6 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland im Dienstleistungssektor. Krankenpfleger, Busfahrerinnen, Erzieher, Verkäuferinnen, Lieferdienstfahrer, Friseurinnen, Sozialarbeiter, prekäre Akademikerinnen und weitere Dienstleistungsbeschäftigte bergen ein hohes Potenzial für Die Linke. Es sind viele weiblich und migrantisch geprägte Berufe, die mit Armutslöhnen abgespeist werden und auf die Altersarmut zusteuern. Diese Berufe genießen eine hohe Sympathie unter der Gesamtbevölkerung, werden aber finanziell wenig gewertschätzt. Anerkennung muss sich auch materiell niederschlagen.
  • Prekär lebende Rentner*innen. 40 Jahre Erwerbstätigkeit ist keine Garantie mehr für eine Rente, die zum Leben reicht. Mütter und Dienstleistungsbeschäftigte in prekären Berufen sind besonders betroffen.
  • Mieter*innen. Hohe Mieten sind mittlerweile ein ubiquitäres Problem, nicht nur in den Großstädten. Mieten fressen hohe Anteile des Einkommens und sind damit nicht nur ein Geld-, sondern auch ein Sorgenposten für viele Menschen.
  • Migrant*innen. Die Arbeiterklasse ist migrantisch: Viele Menschen mit Migrationsgeschichte "halten den Laden am Laufen". Sie verrichten oft weiblich geprägte und prekäre Jobs im Dienstleistungssektor. Sie sind am stärksten betroffen vom Rechtsruck und rechter Gewalt. Das Einwanderungsgesetz wird dazu führen, dass viele migrantische Menschen Wahlrecht erhalten werden (2023 gab es rund 200 000 Einbürgerungen), gleichzeitig sind viele Migrant*innen Nichtwähler*innen. Die Linke braucht eine Strategie, diese Menschen zu gewinnen, und sie braucht einen positiven Bezug auf Zuwanderung im gegenwärtigen Sündenbock-Klima gegen Migrant*innen.

3

Bestimmung von maximal fünf, idealerweise drei konkreten und relevanten Themen und möglichst wenigen, wiedererkennbaren Forderungen in den Bereichen. Zusätzlich sollten in gesellschaftlichen Konflikten eindeutige und hörbare Positionierungen eingenommen werden. Raushalten bringt nichts. Rein, auch wenn es kontrovers ist.


Mein Vorschlag über fokussierte Themen zum jetzigen Zeitpunkt: 

  • Mietendeckel. Viele Menschen in Berlin haben für kurze Zeit massive finanzielle Entlastungen und die Wirksamkeit linker Politik gespürt. Ein Mietendeckel ist Bundessache und muss im Wahlkampf als prominente Forderung nach vorne gestellt werden.
  • Steuerentlastungen für niedrige und mittlere Einkommen und gute Arbeit im Dienstleistungssektor. Die arbeitende Bevölkerung muss entlastet werden und so viel verdienen, dass es zum guten Leben reicht. Ein höherer Mindestlohn schafft kurzfristig Abhilfe, es muss politisch um dauerhafte finanzielle Besserstellung und Entlastung bei der Arbeitszeit gehen. Hohe Einkommen und Vermögen sollen dafür stärker belastet werden. Es bedarf konkreter, faktenbasierter Konzepte, die leicht zu erklären sind. Empörungspotenzial sind das Vermögen und der Lebensstil des oberen 1 Prozent im Kontrast zur Mehrheit.
  • Rentenreform. Deutschland braucht eine große Rentenreform, eine höhere Mindestrente und eine Rentenversicherung, in die alle einzahlen, auch Beamte, Selbstständige und Politiker*innen.
  • Klimaschutz als Klassenfrage formulieren. Privatjets, Privatyachten und private Weltraumfahrten sollen verboten werden. Das obere 1 Prozent ist hauptverantwortlich für die Klimakrise, nicht die Bratwurst nach der Schicht oder Dosenbier der Jugendlichen. Grundbedarf an Strom, Wärme und Wasser wird subventioniert, Mehrverbrauch wird höher bepreist – eine linke Alternative zum CO2-Preis. 


Der Wahlkampf soll über die Konfliktarena Oben-Unten emotionalisieren: Eine Minderheit lebt auf unsere Kosten. In dieser Konfliktarena hat Die Linke ein polarisiertes Alleinstellungsmerkmal (vgl. Mau et al. 2023). Lediglich „die da oben“ zu rufen und mit Reden im Bundestag mal zu sagen, wie es ist, reicht für Die Linke allerdings nicht mehr aus. Das anzuerkennen ist der erste Schritt zur Weiterentwicklung: Es geht um realen Gebrauchswert der Partei fernab von Floskeln.


Zu allen anderen Themen (Abrüstung und Diplomatie, Schuldenbremse, Bildungspolitik, Queerpolitik etc.) muss einheitliche Sprechfähigkeit hergestellt werden. Eine klare Haltung gegen Rechts und Rassismus rundet in der Konfliktarena Wir-Sie (Mau et al 2023) die thematische Aufstellung ab. 

4

Durchsetzungsperspektive skizzieren. Das Hauptproblem der Linken ist die fehlende Durchsetzungsperspektive und dass die Partei keine systematische Diskussion darüber führt, wie sich das ändern ließe. 
Durchsetzungsperspektive bedeutet nicht Schlagwort-Gefuchtel im innerparteilichen Grabenkampf („Klassenpartei“, „Bewegungspartei“, „Regierungspartei“, „Kümmererpartei“, „Protestpartei“ etc.), sondern eine strategische Bestimmung 

was konkret

mit wem 

mit welchen Mitteln 

zu welchem Zeitpunkt 

realistisch betrachtet

durchgesetzt wird/werden kann. 


Nur wenn hier eine glaubwürdige Perspektive und an den realen Ressourcen orientierte Strategiefähigkeit entwickelt und auch vermittelt werden, kann Die Linke wieder Vertrauen gewinnen.

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