Der Afrikaaner-Nationalismus errichtete den Apartheidstaat zur Ausgrenzung und Ausbeutung der Mehrheit, um einer Minderheit alle Ressourcen, Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten zu sichern. Der Landraub als eine von vielen Methoden der Zwangsproletarisierung hatte längst begonnen, als die National Party 1948 zum Hauptakteur des Afrikanerdom und der Entwicklung des Apartheidsstaats aufstieg. In den 1870er Jahren wurde der Enteignungsprozess in die Wege geleitet, und im 20. Jahrhundert reduzierten die Bodengesetze von 1913 und 1936 den Anteil der afrikanischen Bevölkerungsmehrheit am gesamten Landbesitz auf 13 Prozent. Dieser Vorgang hatte eine zweifache Konsequenz: Er zerstörte eine erfolgreiche afrikanische Landwirtschaftstradition und zwang gleichzeitig die afrikanische Mehrheit in einen Prozess der Proletarisierung. Lohnarbeit in den Bergwerken, auf der Farm oder in der Fabrik wurde zur notwendigen Subsistenzbedingung, um in den sogenannten Reservaten und späteren Homelands unter der Herrschaft der National Party zu überleben. Umgekehrt wurde eine Subsistenzlandwirtschaft in den Homelands als notwendig betrachtet, um die Kosten der Arbeit niedrig zu halten.1 In den 1960er und 1970er Jahren förderte die National Party einen gewaltigen Modernisierungsschub im agroindustriellen Komplex (Feinstein 2005, 193–200). Sie gewährte Schutz durch Importsubstitutionsmaßnahmen, billige Kredite, Dürreund Hochwasserhilfen, Treibstoffrabatte, Düngemittelsubventionen oder reduzierte Bahnfrachttarife und stärkte das System der landwirtschaftlichen Marktverbände, die weiße Betriebe subventionierten, das Angebot kontrollierten und die Preise, sogar für Grundnahrungsmittel, künstlich hochhielten. Die landwirtschaftlichen Produktionsprozesse und die Transport- und Vertriebswege wurden mechanisiert. In den 1970er Jahren erhöhten sich die Kapitalinvestitionen, während die Arbeitsintensität zurückging. Die Gesamtfaktorproduktivität nahm vor allem bei Exportprodukten wie Wein, Obst und Gemüse zu. Pestizide gegen Unkraut und Schädlingsbefall, chemische Düngemittel, Hochertrags-Saatguttechnologien und verbesserte Bewässerungsmethoden wurden eingesetzt und vermehrte staatliche Forschungsanstrengungen betrieben. Südafrika erlebte seine »grüne Revolution« während der Apartheid. All das hatte zur Folge, dass die Schere zwischen dem von Weißen kontrollierten agroindustriellen Komplex und der schwarzen Subsistenzlandwirtschaft immer größer wurde. Die letzteren erhielt keine infrastrukturellen, finanziellen, technischen oder sonstigen notwendigen Hilfen; sie verkam zu einer ertragsarmen, unproduktiven Teilzeitaktivität. Gleichzeitig hatten schwarze, insbesondere afrikanische Verbraucher die Last hoher Lebensmittelpreise bei relativ niedrigen Einkommen zu tragen. Ein Eckpfeiler dieses rassistischen Nationsbildungsprojekts und des zunehmend monopolistischen agroindustriellen Komplexes war die weiße Genossenschaftsbewegung. Sie wurde politisch, gesetzlich und finanziell durch die Bodenkreditbank, durch steuerliche Vergünstigungen und durch Ausbildungsprogramme gefördert (Roberts 2009, 1ff). Die Zahlen sprechen für sich. Zu Beginn der 1990er Jahre hatten die 250 weißen Genossenschaften rund 142000 Mitglieder, Vermögenswerte in Höhe von insgesamt 12,7 Milliarden Rand, einen Umsatz in Höhe von 22,5 Milliarden und einen jährlichen Bruttogewinn von mehr als 500 Millionen Rand zu verzeichnen (Amin/Bernstein 1995). Sie tätigten sämtliche Exporte von Obst und Südfrüchten, erzeugten die gesamte Wollproduktion und verkauften 90 Prozent der Trockenfrüchte. Hinsichtlich der Betriebsmittel lieferten oder finanzierten sie 90 Prozent der Düngemittel, 85 Prozent der Treibstoffe, 65 Prozent der Chemikalien und einen Großteil der Maschinen und Geräte, die von weißen Farmern eingesetzt wurden; sie gewährten außerdem 25 Prozent der von ihnen beanspruchten Kredite (ebd., 5). Im Zentrum dieses weißen agroindustriellen Komplexes standen elf Sommergetreide-Genossenschaften. Die beiden größten hatten einen Jahresumsatz von 2,374 bzw. 2,22 Milliarden Rand, was den Vergleich mit Südafrikas größten Nahrungsgüterkonzernen wie Imperial Cold Storage oder Rainbow Chickens (2,4 bzw. 1,5 Milliarden im Jahr 1993) nicht zu scheuen braucht. Diese Landwirtschaftskonzerne waren eigentlich keine Genossenschaften, auch wenn sie sich so nannten. Sie standen nur Weißen offen und widersprachen damit den geltenden Grundsätzen und Werten des Genossenschaftswesens.2 Sie hatten außerdem während der letzten Jahrzehnte Managementmethoden übernommen und wie kapitalistische Unternehmen agiert, während die Kontrolle durch die Mitglieder zurückging. Verstärkt wurde diese Entwicklung nach der Apartheid durch den Übergang von einem internationalisierten zu einem globalisierten agroindustriellen Komplex. Dieser Übergang wurde vorangetrieben durch die Neoliberalisierung von Südafrikas politischer Ökonomie. Obwohl deren Ursprünge in der Zeit der Apartheid liegen, hat die Regierung des African National Congress (ANC) diesen Prozess vertieft und dem Neoliberalismus ein afrikanisches Gesicht verliehen. Dieser »Afro-Neoliberalismus« kam 1994 in Südafrikas erstem demokratischen Haushalt und später in der schändlichen wirtschaftspolitischen Strategie für »Wachstum, Beschäftigung und Umverteilung« von 1996 zum Ausdruck (Satgar 2008). Die von der ANC-Regierung betriebene afro-neoliberale Wende hat die ganze südafrikanische Wirtschaft mitsamt dem weißen agroindustriellen Komplex reorganisiert und globalisiert. Man hätte erwarten können, dass die weiße Landwirtschaft durch das Klima des globalen Wettbewerbs ihre Monopolstellung verliert und den Weg zur Entrassisierung des agroindustriellen Komplexes freimachen wird, aber dem war nicht so. Die Regierung entschied sich schon frühzeitig für eine marktorientierte Landwirtschaftspolitik, die sich unter dem Einfluss der Weltbank auf Exportüberschüsse orientierte. Diese wurden vor allem durch den weißen agroindustriellen Komplex sichergestellt.3 Die neoliberale Wirtschaftspolitik reorganisierte dessen Akkumulationsdynamik durch Liberalisierung, Deregulierung und Wettbewerb.4 Die von den Erzeugern kontrollierten Marktverbände wurden aufgelöst und Einfuhrbeschränkungen abgebaut. Bei den weißen Genossenschaften verschärfte die neoliberale Landwirtschaftspolitik des ANC die Abkehr vom Genossenschaftsmodell. Dabei setzten sich zwei Tendenzen durch. Die erste kommt darin zum Ausdruck, dass die wichtigsten Teile des globalisierten agroindustriellen Komplexes von einer zunehmend geringeren Zahl »weißer Genossenschaften« kontrolliert werden. Im Jahre 2005 gab es nur noch 78 (statt wie in den frühen 1990er Jahre 250) Genossenschaften für Obst- und Gemüseproduzenten, Viehzucht, Getreide und Ölsaaten, Fleisch-, Holz-, Tabakund Weinproduzenten, die einen Umsatz von 6,7 Milliarden Rand erzielten, ein Betriebsvermögen im Wert von 5,4 Milliarden verzeichneten und 203207 Mitglieder hatten.5 Die strukturelle Macht dieser »Genossenschaften« (die vielleicht zutreffender als Monopolunternehmen zu bezeichnen wären) wurde durch die Neoliberalisierung verstärkt. Nach dem Wert der genossenschaftlichen Produktion steht die Landwirtschaft in Südafrika nach wie vor an der Spitze, und sie wird bei genauerer Betrachtung von weißen Monopolunternehmen beherrscht, die nur formalrechtlich als Genossenschaften bezeichnet werden. Die zweite Haupttendenz im Zuge der Neoliberalisierung ist die Umwandlung vieler dieser »Genossenschaften« in Privatunternehmen oder Aktiengesellschaften.6 Ein aktuelles und bezeichnendes Beispiel dafür ist das einer der ältesten südafrikanischen Landwirtschaftskooperativen, der National Cooperative Dairies (NCD). Diese Molkereigenossenschaft, entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus der Initiative zum Betrieb einer Butterfabrik, ist heute Südafrikas größter oder zweitgrößter Milchlieferant. Das Wachstum verdankt sich ihrer Globalisierungsstrategie, die dazu führte, dass sie im Jahre 2003 ihren Genossenschaftscharakter aufgab und zu einem privatwirtschaftlich geführten Unternehmen wurde. Begleitet wurde diese Umwandlung von Joint Ventures mit dem Milchriesen Danone (an dem die NCD einen Anteil von 45 Prozent erwarb) und der neuseeländischen Landwirtschaftskooperative Fonterra, vor allem zur Vermarktung von milchbasierten Zusatzstoffen und zur Belieferung von Schnellrestaurants in der gesamten südafrikanischen Region. Heute wird die NCD an der Johannesburg Stock Exchange (JSE), Afrikas globalisiertester Börse, als Aktiengesellschaft geführt. Mit dem Versuch, ihr Kapital auf 500 Millionen Rand zu erhöhen, ist sie auf dem Weg zur Globalisierung ihrer Eigentümer- und Anteilsstruktur. Sie will sich damit im globalisierten agroindustriellen Komplex positionieren und ihren Marktanteil auf dem Fast-Food-Markt steigern, indem sie sich mit den Supermarktketten Massmart und ShopRite liiert und dadurch ihre Aktivitäten auf dem südafrikanischen Kontinent weiter globalisiert. Dieses Beispiel ist für Südafrikas globalisierten agroindustriellen Komplex nicht ungewöhnlich. Der Export von Qualitätswein, Obst und Gemüse bis nach Europa ist heute ein fester Bestandteil des Welthandels, der durch den Afro-Neoliberalismus für Südafrikas Wettbewerbsfähigkeit und Exportorientierung noch wichtiger geworden ist.

Folgen für Südafrikas globalisierten agroindustriellen Komplex

Durch den Verlust der Ernährungssouveränität hatte die Globalisierung der südafrikanischen Nahrungsgüterindustrie verheerende Folgen. Südafrika ist vom Nettoexporteur zu einem Nettoimporteur von Nahrungsmitteln geworden. Die gesamte Produktions- und Handelsinfrastruktur seiner Nahrungsgüterindustrie trug durch Kohlenstoffemissionen zur globalen Erwärmung bei. Der Anteil der Landwirtschaft an den südafrikanischen Treibhausgasemissionen, die ohnehin die höchsten in Afrika sind und weltweit an vierzehnter Stelle stehen, beläuft sich auf neun Prozent. Die andere Seite neben der fossilbasierten, gentechnisch-orientierten globalisierten Produktion ist der Anstieg der Lebensmittelpreise. Südafrika importiert jährlich 1,4 Millionen Tonnen Weizen. Diese Einfuhren wirkten sich preistreibend auf die Wertschöpfungskette von Korn zu Brot aus. Da der Weizenpreis auf den globalisierten Märkten aufgrund von angebotsorientierten Faktoren gestiegen ist, führte dies zu höheren Verbraucherpreisen. Wie Cock (2009) zeigt, hatte die politische Ökonomie dieser Wertschöpfungskette außerdem eine verstärkte Eigentums- und Machtkonzentration in der einheimischen Weizenproduktion und in der Mehl- und Backwarenindustrie zur Folge. Die Geschäfte mit dem Brot stellten eine große Belastung für Arbeiterfamilien dar. Eine in Pimville (Soweto) anhand von 40 Arbeiterhaushalten durchgeführte Erhebung ergab, dass dort 60 Prozent des Monatseinkommens für Lebensmittel und davon allein 31 Prozent für Brot ausgegeben wird (Joynt 2010, 34). Darüber hinaus ergab eine qualitative Studie im gleichen Arbeiterbezirk, dass der allgemeine Anstieg der Lebensmittelpreise vielfach Hunger verursachte (ebd.). Das ist unmittelbar mit der neuen Praxis des »Shoplifting« verbunden, bei der Menschen in Supermärkte eindringen und dort Lebensmittel konsumieren. Über diese Mundraubpraktiken berichteten führende südafrikanischen Zeitungen; sie haben auch die Aktionen des Unemployed Peoples Movement (UPM), der Arbeitslosenbewegung, beeinflusst. UPM-Führer wurden verhaftet; aber es kamen die verzweifelten Kämpfe der Menschen zur Befriedigung gundlegender Bedürfnisse ans Licht. Der globale agroindustrielle Komplex verursacht Ernährungsungleichheit, die eine Herausforderung für die Politik der Ernährungssouveränität darstellt: Auf Verbraucherseite stellen Mangelernährung wie Übergewichtigkeit zentrale Probleme dar, die in allen Bevölkerungsteilen, aber in der schlimmsten Form bei südafrikanischen Kindern auftreten (Chopra/Whitten/Drimmie 2009).

Solidarwirtschaftliche Ernährungskooperativen

Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und zunehmenden Ernährungsunsicherheit entwickeln sich in armen Gemeinden zunehmend Nahrungsproduktionsinitiativen.7 Es entstanden Gemüsegärten, Lebensmittelprojekte oder -vereine und viele weitere Projekte. Darüber hinaus hat sich der Staat bemüht, unter den neu aufkommenden schwarzen Farmern das Genossenschaftswesen zu fördern. Die allgemeinen Erfahrungen mit einer staatlich betriebenen Genossenschaftsentwicklung waren allerdings negativ. Eine von oben betriebene Politik hat sowohl die Entstehung einer Genossenschaftsbewegung als auch das Aufkommen lokaler Basisinitiativen verhindert. Südafrika hat seit 1996 zwei Phasen einer von oben betriebenen Politik der Genossenschaftsentwicklung erlebt, die beide dramatisch gescheitert sind. In der zweiten Phase, in den Jahren 2000 bis 2003, verpflichtete das Handels- und Industrieministerium den südafrikanischen Genossenschaftsverband NCASA (National Cooperative Association of South Africa) in einem Partnerschaftsabkommen zum Aufbau von Genossenschaftsentwicklungszentren. Nach fünf Jahren war kein einziges entstanden, die NCASA wurde für insolvent erklärt und Millionen von Rand waren ohne Nachweis verschwunden. Im Nachhinein wird bei genauerer Untersuchung klar, dass die Finanzbürokratie der NCASA eine Funktion zuweisen wollte, die sie objektiv nicht erfüllen konnte (Satgar/ Williams i.Vorb.). Das entlastet sie allerdings nicht von den organisatorischen Schwächen, die zu ihrem Scheitern mit beitrugen. Inzwischen hat eine dritte Phase des Aufbaus einer Genossenschaftsbewegung begonnen, die immer noch vom Staat gesteuert wird. Bei den Einzelgenossenschaften, einschließlich der landwirtschaftlichen, hat der Staat nicht genügend getan, um genossenschaftliche Werte und Prinzipien zu vermitteln. Er hat statt dessen Genossenschaften im Zuge der Schwarzen Wirtschaftsförderung finanziert, was zu Profitstreben, Patronage und Korruption führte. Organisatorisch mangelt es diesen Genossenschaften an grundlegenden Fachkenntnissen, technisch fehlt es an praktikablen Kooperationsstrategien. Viele dieser Mängel wurden anhand der ersten amtlichen Grundlagenstudie über die südafrikanischen Genossenschaften von der Regierung selbst konstatiert. Die im Jahre 2009 durchgeführte Untersuchung ergab, dass nur 2644 der 22030 amtlich registrierten aktiven Genossenschaften noch tätig waren. Landesweit hatten also 12 Prozent überlebt (DTI 2009, 37). Eine sich herausbildende Alternative zum staatlich organisierten Genossenschaftswesen ist eine solidarwirtschaftliche Bewegung von unten. Sie basiert auf der Erkenntnis, dass die kapitalistische Krise eine Systemkrise ist, die sich in einer allgemeinen Zivilisationskrise ausdrückt. Diese Krise hat sowohl wirtschaftliche als auch ökologische, politische und soziale Dimensionen. Nach der Formulierung des Cooperative and Policy Alternative Center (COPAC) ist eine solche Solidarwirtschaft »eine kollektive humanistische Antwort auf die Krise, mit der wir konfrontiert sind. [...] Sie ist ein gezielter, durch gemeinsamen Kampf und bewusste Wahl organisierter Prozess zur Herstellung einer neuen demokratischen Produktions-, Konsumtions- und Lebensform, die die Realisierung menschlicher Bedürfnisse und ökologischer Gerechtigkeit fördert (COPAC 2010, 18). Gegenwärtig entwickelt sich diese Praxis der Umgestaltung als eine politische Bewegung, die sich in Forschungsprogrammen zur genossenschaftlichen Entwicklung niederzuschlagen beginnt. Dazu gehören die in diesem Beitrag dargestellten Fallstudien zu Nahrungsmittelkooperativen. Diese Genossenschaften betreiben eine Solidarwirtschaft, die internes Eigentum und Mitgliederkontrolle betont. Nach der COPAC-Klassifikation lässt sich die »Kadishi Agricultural Cooperative« als eine Arbeiterproduktionsgenossenschaft und die »Mathomo Mayo Organic Agricultural Cooperative« als eine arbeitereigene Genossenschaft bezeichnen.8 In einer Arbeiterproduktionsgenossenschaft kontrollieren die Arbeitereigentümer alle Entscheidungsprozesse und ihre eigenen Produktionsmittel, sofern sie (wie beispielsweise die Felder) für die Arbeit der Genossenschaft notwendig sind. Auch das weitere Eigentum der Genossenschaft befindet sich in Gemeinbesitz. Diese Genossenschaften können Arbeiter einstellen, sofern diese nicht mehr als ein Viertel der Arbeitereigner ausmachen und nachgeordnete Tätigkeiten ausüben.9 Demgegenüber kontrollieren in einer arbeitereigenen Genossenschaft die Arbeitereigentümer alle betrieblichen, strategischen und programmatischen Entscheidungen, und das Genossenschaftseigentum befindet sich entweder in individuellem und gemeinschaftlichem Besitz oder ausschließ- lich in Gemeinbesitz.10 Auch die solidarwirtschaftlichen Werte und Prinzipien sind in den internen Betriebsordnungen dieser Genossenschaften in ihrer Form und in ihrem Grad unterschiedlich festgelegt.11 In der Solidarwirtschaft werden die Genossenschaften nicht vom Staat kontrolliert. Sie schalten den Staat ein, wenn es aus ihrer Sicht notwendig ist, sind aber nicht in einer staatlich orientierten Entwicklungslogik gefangen.

Die »Kadishi Agricultural Cooperative«

Diese Kooperative ist zwanzig Jahre alt und im Norden des ländlichen Südafrika in der Provinz Mpumalanga angesiedelt.12 Eingebettet in deren schöne Hügellandschaft hat sie ihren Sitz im Zentrum von Matabidi, einem Dorf etwa 40 Kilometer nördlich der Stadt Graskop. Ihre 65 Mitglieder kommen aus den drei umliegenden Dörfern. Die Genossenschaft ist sehr aktiv und eine zentrale Institution im Dorf. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ist zwar die Landwirtschaft, in der sie große Erfolge verzeichnet, sie hat aber ihre Aktivitäten auch auf verschiedene Bedürfnisse des Dorfes erweitert. So betreibt sie ein Lebensmittelgeschäft, eine Tankstelle, eine Reifenreparatur und einen Geflügelladen. Ursprünglich half die Genossenschaft örtlichen Kleinbauern (160 Farmern, die jeweils eine Farm in der Größe von 1 Hektar besaßen) bei der Beschaffung von Materialien wie Saatgut oder Dünger. Die Farmer bauten vor allem Bohnen, Mais und Sorghum für den Eigenbedarf an und erkannten, dass sie Frachtkosten sparen und Preisnachlässe erzielen konnten, wenn sie Betriebsstoffe en gros einkauften. Später konnte die Genossenschaft mit staatlichen Hilfen wichtige landwirtschaftliche Geräte kaufen. Im Jahre 2008 hatte sie ihre landwirtschaftlichen Aktivitäten auf das Pflügen, Bearbeiten und Bepflanzen von Feldern zu subventionierten Preisen, auf Bodenaufbereitung und Schädlingsbekämpfung, auf den Ankauf von Ernteprodukten und ihren Verkauf auf lokalen Märkten, auf die Herstellung von Maismehl und auf dessen Lagerung in einem schädlingsfreien Silo erweitert. Die Kadishi-Kooperative ist eine mitgliederbetriebene Arbeiterproduktionsgenossenschaft. Die Arbeitereigentümer treten der Genossenschaft bei und werden durch Entrichtung eines Jahresbeitrags zu Mitgliedern. Das Betriebsvermögen der Genossenschaft befindet sich in Gemeinschaftsbesitz und ist nicht aufteilbar. Die Arbeitereigentümer besitzen ihr eigenes Stück Land, nutzen aber Gerätschaften und andere Produktionsmittel, die Gemeinbesitz der Genossenschaft sind. Sie haben das Recht auf einen Anteil an Gewinn und Verlust, auf Information und auf Teilnahme an den Entscheidungsprozessen nach dem Prinzip, dass jedes Mitglied eine Stimme hat. Die Mitgliederversammlungen finden mindestens dreimal im Jahr entsprechend dem Erntezyklus statt. Die Maispreise werden von der Genossenschaften nach den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen festgesetzt. Zusätzlich werden auf vierteljährlichen Arbeitereigentümer-Versammlungen alle für die Genossenschaft relevanten Fragen besprochen. Die dörfliche Gemeinschaft wurde von der Genossenschaft auf vielfältige Weise beeinflusst. Ende der 1990er Jahre hatten viele Bauern in der Umgebung aufgehört, ihr Land zu bebauen. Mit der Wiederbelebung der Genossenschaftstätigkeit während der letzten zehn Jahre ist die Zahl der aktiven Farmer sprunghaft gestiegen. Im Jahre 2007 hatten alle 160 Farmer in der Region ihre Felder bestellt. Eine der Methoden, mit denen die Genossenschaft den Bauern half, ihre Felder neu zu bewirtschaften, ist die Subventionierung der Bepflanzung. Normalerweise liegen die Kosten für die Bestellung von einem Hektar Land (Pflügen, Bearbeiten, Säen) bei 800 bis 1000 Rand. Die Genossenschaft beschaffte staatliche Gelder und konnte durch ihre eigenen Rücklagen für 300 Rand pro Hektar Feldbestellungsdienstleistungen (einschließlich der Aussaat) anbieten. Viele Bauern haben dadurch wieder begonnen, ihren Hof zu bewirtschaften. Darüber hinaus zahlt die Kadishi-Kooperative den Bauern Bargeld für Maislieferungen, so dass sie ihren Mais direkt an die Genossenschaft verkaufen. Diese hat damit direkt zu ihrem Lebensunterhalt beigetragen und in den Haushalten für eine gewisse finanzielle Stabilität gesorgt. Dass sie Bargeld für Mais bezahlen kann, noch bevor sie ihn verkauft, ist ein weiterer Indikator für ihren Erfolg. Weil immer mehr Bauern ihre Ernte an die Genossenschaft verkaufen, konnte diese ihre Tätigkeit erweitern und ihre Überschüsse steigern. Indem sie Maismehl einlagert, verarbeitet und zu günstigen Preisen an die örtliche Gemeinschaft verkauft, hat sie in vielen Dörfern unmittelbar für Ernährungssicherheit gesorgt. Sie ist auf dem Wege zur Entwicklung von Marketingstrategien und einer Kadishi-Marke, die ihre Präsenz auf den lokalen Märkten weiter vergrößern und zu Ernährungssicherheit beitragen soll.

Die »Mathomo Mayo Organic Agricultural Cooperative«

Die »Biologische Agrargenossenschaft Mathomo Mayo« wurde vor fünf Jahren in der Ivory Park Township gegründet. Sie gehört zu einer zweiten Welle von Genossenschaften, die in einer Township Community im Herzen Südafrikas aufgeblüht sind. Ivory Park liegt etwa dreißig Kilometer nordöstlich von Johannesburg und hat nach der Volkszählung von 2001 rund 110000 Einwohner,13 die in 36464 Haushalten leben, eine bedeutende Zahl davon in Hütten und Notunterkünften. Mindestens 12603 Haushalte verfügen über keinerlei Einkünfte, und die Arbeitslosenrate liegt bei 40 Prozent. In vieler Hinsicht ist Ivory Park typisch für die südafrikanischen Townships. Hunger ist ein ernstes Problem. Darin kommt auch die Krise sozialer Reproduktion zum Ausdruck, die heute viele Armenund Arbeiter-Communities im heutigen Südafrika betrifft. Seit 1999 wurde aber durch die Initiative von Umweltaktivisten, die am EcoCity-Programm beteiligt sind, ein Versuch unternommen, sich der sozialen Krise durch den Aufbau eines Ökodorfs und durch eine lokale Genossenschaftsbewegung anzunehmen, die Bedürfnissen der lokalen Gemeinschaft entspricht. Das Ökodorf war Anstoß für genossenschaftliche Aktivitäten auf den Gebieten von biologischer Landwirtschaft, Textilproduktion, Abfallbeseitigung, Papierrecycling, FahrradInstandsetzung, Jugendarbeit und Hausbau wie auch in der Verwaltung des Ökodorfs. Viele dieser Kooperativen sind stark subsistenzorientiert, manche haben auch kommerzielle Strategien entwickelt, die für Einkünfte sorgen. Die Geschichte ist nicht frei von Misserfolgen. Die im Jahre 2000 gegründeten zwölf Landbaukooperativen scheiterten allesamt am fehlenden Zugang zu Wasservorräten und Kapitalinvestitionen. Diese Erfahrung hat jedoch dem Aufbau der lokalen Genossenschaftsbewegung nicht geschadet, sondern als Ansporn zu weiteren Experimenten gedient. So entstand fünf Jahre später die biologische Landbaukooperative Mathomo Mayo als Teil einer zweiten Welle von mit dem Ökodorf verbundenen Genossenschaftsbewegungen.14 Fünf arbeitslose Frauen traten an den EcoCityFonds mit dem Wunsch heran, ein großes Stück Land für einen ökologischen Gartenbau zur Ernährung ihrer Familien zu nutzen. Sie wollten – wissend um frühere Probleme – die Nachbarschaft des Ökodorfs nutzen, um von dort Wasser zu beziehen. Der EcoCity-Fonds gewährte ihnen den Zugang zu dem angrenzenden Landstück und zum Wasser. Die Frauen ließen daraufhin ihre Genossenschaft amtlich registrieren und fingen an, mithilfe von Geräten und Materialien, die sie unter sich aufteilten, das Feld zu bebauen. Die Kooperative verlangt eine einmalige Beitrittsgebühr; das Betriebsvermögen ist Gemeinbesitz und nicht aufteilbar. Gleichzeitig haben die Arbeitereigner das Recht auf einen Anteil an Gewinn und Verlust, auf Information und auf Teilnahme an einer egalitären Entscheidungsfindung nach dem Prinzip einer Stimme pro Kopf. Durch ihre geringe Größe arbeitet die Kooperative horizontal und findet sich gemeinschaftlich zusammen, um vor allem betriebliche Entscheidungen zu treffen. Vom solidarwirtschaftlichen Standpunkt ist Mathomo Mayo eine arbeitereigene Genossenschaft. Die Mathomo-Mayo-Kooperative ist heute ein äußerst erfolgreicher städtischer Erzeuger biologischer Agrarprodukte.15 Die Kooperative hat zahlreiche Preise gewonnen. Durch Spenden von verschiedenen Institutionen konnte sie ihre Gartenanlage einzäunen, einen Regenwassertank kaufen und das Bohrloch für ihren eigenen Brunnen vertiefen. Indem sie ihre Produkte direkt im Garten verkauft, verfügt sie über einen festen Nachbarschaftsmarkt mit durchschnittlich 26 Kundinnen pro Tag. Da sie Nahrungsmittel billig verkauft, hilft sie den Hunger in den Haushalten und in der Township-Community zu bekämpfen. Darüber hinaus versorgt sie ihre Arbeitereigentümer und deren Familien gratis mit Lebensmitteln.

Probleme und Aufgaben solidarwirtschaftlicher Ernährungsalternativen

Um sich gegen den herrschenden agrarindustriellen Komplex durchsetzen zu können, müssen solidarwirtschaftliche Ernährungsalternativen verschiedene Probleme bewältigen. Das erste – das im südafrikanischen Kontext große Ausmaße hat – ist der Aufbau einer solidarwirtschaftlichen Bewegung von unten. Gegenwärtig sind viele Inititativen lokal ausgerichtet und isoliert. Es muss eine wirkliche Bewegung entstehen, damit sich diese Unternehmungen verbinden und ihre Erfahrungen austauschen können. Dieser Prozess muss durch einen Aktivismus der Umgestaltung angeleitet werden, der unterschiedliche städtische und ländliche Arbeiter-Agrarkooperativen verbindet und Vernetzungsmöglichkeiten schafft. Das lässt die zweite wichtige Aufgabe hervortreten. Die Rolle des Wissens ist in diesem Kampf entscheidend. Jedes solidarwirtschaftliche Unternehmen in der alternativen Ernährungsökonomie muss dazu beitragen, dieses Wissen zu verbreiten. Gegenwärtig entwickelt sich die Mathomo-Mayo-Kooperative in der Ivory Park Township zu einem wichtigen Förderer alternativer Ernährungsökonomie. Sie bildet andere Mitglieder der Gemeinschaft aus, die eigene biologische Landbaukooperativen einrichten wollen. Darüber hinaus hat die Ausbildungs- und Kommunikationskooperative des Ökodorfs ein Komitee zur Ernährungssouveränität gebildet, um alle biologischen Landbaukooperativen in der Ivory Park Township an einen Tisch zu bringen. Sie hat sich auch mit auswärtigen Projekten in Verbindung gesetzt. Der nächste Schritt soll die Entwicklung einer Strategie der Ernährungssouveränität für die gesamte Gemeinschaft sein, die den Hunger beseitigt und für Umweltgerechtigkeit sorgt. Und schließlich muss die Entwicklung einer solidarwirtschaftlichen Bewegung und erfolgreicher ErnährungssouveränitätsAlternativen imstande sein, dem Staat und dem von ihm unterstützten agroindustriellen Komplex eine wirksame gegenhegemoniale Herausforderung entgegenzusetzen. Dazu braucht man ein politisches Projekt, das für die Sozialisierung und ökonomische Umgestaltung des bestehenden agroindustriellen Komplexes sorgt. Ein solches Projekt kann nur durch Graswurzelkämpfe von unten entstehen.