Derzeit erleben wir heftige »Kulturkämpfe« um die geschlechtliche Selbstbestimmung von trans* Menschen. Konservative und Rechte laufen gegen das geplante Selbstbestimmungsgesetz der Ampel Sturm. Debatten um vermeintliche »Cancel Culture« kochen hoch. Dabei gehen die Stimmen derjenigen, die von Trans*Feindlichkeit, Gewalt und Prekarität betroffen sind, schnell unter. Liberale Anerkennungspolitik greift selbst zu kurz, wenn es um die Verschränkung von strukturellen Gewaltverhältnissen und Ausbeutung geht. Lia Becker und Zoe* Steinsberger (zum Beitrag) greifen mit zwei persönlich-politischen Interventionen ein. Gewaltverhältnisse, in denen sich trans* Menschen jeden Tag bewegen müssen, wirken wie tiefe »Schnitte in die zweite Haut«. Zwei Beiträge, die sich auch der Gegenüberstellung von Klasse und Politiken um Identität entziehen und trans*feministische Perspektiven eröffnen. 

 


Für Mira[1]

Intro

Trans* Menschen hatten lange Zeit keine Stimme in politischen und medialen Diskursen. Eine lange Geschichte von Gewalt, Pathologisierung und Zuschreibungen als »Kranke«, »Perverse« oder »Monster« löscht »unsere« Stimmen aus. In den letzten Jahren sind die Repräsentationen in Medien und Popkultur deutlich sichtbarer – und damit auch umkämpfter – geworden. Eine widersprüchliche Entwicklung. Denn trans* Leben werden entweder als individuelle Leidens- oder individuelle Erfolgsgeschichten dargestellt, Transitionen auf körperliche Veränderungen und medizinische Verfahren reduziert. 

Umbrüche in den hegemonialen Geschlechterverhältnissen und trans* Emanzipationskämpfe haben mit dazu beigetragen, dass sich ein neues Regulierungsregime von »Transidentität« herausbildet: Fortschritte bei rechtlicher Anerkennung bei weiterhin fortbestehender institutioneller Diskriminierung; prekäre gesellschaftliche Akzeptanz statt offener Trans*feindlichkeit. Die Anerkennung von »Transidentität« drängt Pathologisierung allmählich zurück. Kämpfe um einen besseren Zugang zu trans*spezifischer Gesundheitsversorgung können so besser geführt werden (vgl. Appenroth/Castro Varela 2019). Die Mehrheit der trans* Menschen hierzulande und in Europa lebt aber weiter in gewaltvollen und prekären Verhältnissen. Ihre Lebensbedingungen, zu denen mehr als Hormontherapien und Namensänderungen gehören, werden weitgehend unsichtbar gemacht (vgl. die Beiträge von Garbasz, Lieffe, Steinsberger, Tegeler, Luca/Andrea in Becker et al. 2022). Um das zu ändern, müsste über den Zusammenhang von intersektionaler Gewalt, Prekarisierung und Klassenverhältnissen gesprochen werden.

Trans*feminine Menschen sind mit einem Dickicht gewaltvoller Zuschreibungen konfrontiert: als »tragische«, isolierte und nicht-begehrenswerte Figuren oder gar als monströse, fehlgeleitete »perverse Männer«. Rechte Kräfte wollen uns als Gefahr für Geschlechterordnung, Familie und Nation nicht »nur« institutionell am liebsten wieder auslöschen. Aber auch selbsternannte »genderkritische« Feminist*innen wie Kathlen Stock oder Alice Schwarzer verbreiten trans*feindliche Positionen. Teile linker und sozialdemokratischer Diskurse sehen in trans*, queer-feministischen und antirassistischen Emanzipationskämpfen nur eine von der eigenen Identität besessene Politik, die dem Kampf um soziale Gerechtigkeit schade.

Dieser Text ist aus Gefühlen von Wut, Ohnmacht, Traurigkeit entstanden. Mit radikaler Verletzlichkeit und dem Impuls, sich zu wehren. Bite back! 

Über meine Erfahrungen mit Gender-Trauma und Transitioning zu schreiben, hat mich viel Überwindung gekostet; Jahre emotionaler Arbeit gebraucht. Gewalterfahrungen gehen mit Scham, negativen Gefühlen, Verdrängung und Sprachlosigkeit einher. Jahrelang habe ich mich etwa gescheut, den Begriff Trauma für meine Erfahrungen zu verwenden. Ich suche nach Worten, die es mir ermöglichen, eine neue Sprache für meine Erfahrungen zu finden und meinen Blick für intersektionale Gewaltverhältnisse zu schärfen. Dieser Text ist Teil dieses Lernprozesses. Schreiben über Gewalt und Minorisierung tut weh. Es macht verletzlicher; aber gerade darin ist es für mich Teil eines Heilungsprozesses.

In Teil I dieses Textes schreibe ich über eigene Erfahrungen mit Gender-Trauma und Minorisierung, versuche sie trans*feministisch zu verstehen. 

In Teil II gehe ich auf meine Auseinandersetzungen mit Heilung im Umgang mit Gender-Trauma ein. Ich verstehe meinen Heilungsprozess als einen verkörperten Aneignungs- und (Ver-)Lernprozess, als Praxis von trans*feministischer Care-Arbeit. 

Die Teile fügen sich nicht zu einer kohärenten Perspektive. Aber sie gehören für mich zusammen. Es ist ein Schreiben über Umbrüche und Aufbrüche: fragmentarisch, suchend und teilweise sperrig. Jeder Teil hat eine eigene Sprache, die ich nicht vereinheitlichen möchte und zu diesem Zeitpunkt auch nicht kunstvoller verweben kann. 

Trans*feministische Texte zu lesen ist für mich wie neu Sprechen lernen. Aber die verschiedenen Sprachen meiner politischen Sozialisation verstehen sich (noch) nicht. Das erzeugt eine Spannung in mir. Das Gefühl, dass meine politische Sprache verstummt und eine (selbst im unorthodoxen Marxismus zu fest gefügte, hetero- und cisnormative) Weltsicht »bröckelt«, war für mich in der Transition ebenso präsent wie die körperlichen Veränderungen. Das ist ebenso wenig ein individuelles Problem wie die Fragmentierung politischer Räume oder das Auseinanderfallen der Zeiten für Lohnarbeit, Heilungsprozesse und intellektuelle Arbeit ein Problem des besseren Selbstmanagements ist. Schreiben ist zugleich der Versuch, meine politische Sprache in einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche und Krisen (neu) zu finden. 

In Teil III schlage ich den Bogen zurück zum ersten Teil des Textes: Trans* Lebensweisen sind in intersektionale Gewalt- und Ausbeutungsverhältnisse eingewoben. Dabei nehme ich Bezug auf kritische trans* Forschung und trans*marxistische Perspektiven zu sozialer Reproduktion, die in den letzten Jahren selbstbewusster artikuliert werden und sich mit einer liberalen Anerkennungspolitik auseinandersetzen, die die Ursachen von Prekarität, Ausbeutung, Gewalt und Rassismus nicht infrage stellt (vgl. Teil III des Textes). Der Text endet mit einem gewagten Sprung von der theoriepolitischen Ebene zu politischen Suchbewegungen. Angesichts trans*feindlicher, misogyner und rassistischer Mobilisierungen, Prekarisierung und Klimakrise ist ein trans*feministisches bite back! Teil einer notwendigen Intersektionalisierung der Kämpfe. 

Das Verweben der verschiedenen im Text aufgerissenen Ebenen ist eine kollektive Arbeit. Erst eine Vielgestalt unterschiedlicher Geschichten und Alltagspraxen eröffnet neue Horizonte für die radikale Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse: trans*feministisches world making (vgl. Raha 2018). 

Teil I: Naming. Den eigenen Erfahrungen eine trans*feministische Sprache geben

Trans*sein war für mich im konservativen Sauerland Anfang der 1990er Jahre undenkbar. An meiner Schule gab es keine*n einzige*n offen nicht heterosexuell lebende*n Mitschüler*in; schwul galt als Inbegriff für die »Aids-Seuche«. Ich lebe mit Erfahrungen männlicher Gewalt, die sich auch gegen gender-nonkonforme und trans* Menschen richtet. Als ich beim Schulschwimmen in der Umkleidekabine gepackt, unter Johlen begrapscht und als »Mädchen« und »Schwuchtel« bezeichnet wurde, hinterließ das nicht nur Wut, Scham und das Gefühl der Machtlosigkeit, sondern auch eine tiefe Verunsicherung: Ich wollte ja so gern »ein Mädchen sein«. Wie konnten sie das sehen, was ich mir selbst nicht eingestehen konnte? Die Möglichkeit, weder »Junge« noch »Mädchen« zu sein, war schlicht undenkbar für mich. Ich konnte nicht weinen. Auch nicht, wenn ich mich später daran erinnerte. Ich hatte das Gefühl, gleichzeitig zu verschwinden und zu ersticken. Erst Jahre später machte diese traumatische Erfahrung irgendwie »Sinn«. Mit dem Beginn meiner Transition.

Heute kann ich benennen, wofür ich die meiste Zeit meines Lebens über keine Sprache hatte: Das Aufwachsen in einer binär-zweigeschlechtlichen und cis-normativ geprägten Welt war für mich eine traumatische Erfahrung. Das ist kaum verwunderlich. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen trans*feminine, trans* und nicht-binäre Menschen aufwachsen, überleben und leben, berauben strukturell der Bilder und Worte, um sich selbst anders und besser zu verstehen. Das Wissen, das von trans* Körpern und Communities ausgeht, wird gesellschaftlich abgewertet und marginalisiert.

Das gesellschaftlich verfügbare und anerkannte Wissen über trans* Personen wird seit Jahrhunderten von anderen produziert und dominiert: von Psychiatern und Medizinern, Juristen, staatlichen Institutionen. Die trans*feminine Wissenschaftler*in und Aktivist*in Susan Stryker fasst das so: Die Verwerfung von Körpern, die cis- und zweigeschlechtlichen, ableistischen Normen widersprechen, ist vielmehr die Grundlage hegemonialer Wissensproduktion (vgl. Stryker 2008, 154). Den Drang, die Leidenschaft, sich gegen diese epistemische Gewalt eine Sprache anzueignen, in der die eigenen Erfahrungen und widerständiges Handeln erzählt werden können, bezeichnet die marxistisch-antirassistische Feminist*in Himani Bannerjee als Naming (vgl. Bannerjee 1995, 21 f.). Naming ist nicht alleine, in isolierter Selbstreflexion möglich, sondern nur in sozialen Prozessen kollektiver Wissensproduktion (zu frühem, trans*feministischen Naming vgl. auch die sehr unterschiedlichen Manifeste von Stone 1987; Stryker 1994; Koyama 2001).

Trans*feminismus kann als eine mit dem Körper verbundene Epistemologie und soziale Bewegung verstanden werden, die sich gegen die Auslöschung und Individualisierung unserer Erfahrungen richtet (vgl. Garriga-Lopez 2019; Stryker/Bettcher 2016). Susan Stryker fasst Transgender Studies als Ausgrabungs- und Heilungsprojekt, das »versucht, unterdrücktes Wissen, das für transgender Kämpfe relevant ist, von den Machtstrukturen zu befreien, die es verdecken und verschließen« (Stryker/Aizura 2014, 3; Stryker 2017). Trans*feministische Epistemologie geht von dem »situierten Wissen« (Haraway 1995) aus, das im Alltag entsteht. Durch eine Vielzahl unterschiedlicher »Geschichten« (von Erfahrungsberichten, kollektiven Diskussionen bis zu wissenschaftlicher Forschung und Kunst) hindurch können macht- und gewaltkritische Begriffe und Perspektiven ausgearbeitet und politisch wirkmächtig werden. 

Gender-Trauma

Gender-Trauma ist ein solcher Begriff, der mir hilft, meine Wege und Gefühle anzuerkennen statt abzuwerten, die eigenen Erfahrungen dabei in einem gesellschaftlichen Kontext zu sehen. Dabei greife ich auf Überlegungen von Alex Iantaffi[2] und Lucie Fielding zurück, die sich auf Schwarze feministische und postkoloniale Arbeiten zu Trauma beziehen (Iantaffi 2020; Fielding 2021). Gender-Trauma meint für mich unterschiedliche Erfahrungen in unterschiedlichen Lebensphasen, die in meinem Körper abgelagert sind: Depression, Gefühle von Traurigkeit und Selbst-Abwertung; Ängste, wenn es um Sportumkleiden, Schulen, Mensa oder Ärzt*innen geht. Ein Wegdriften und Dissoziieren in sozialen Situationen, darunter jahrelang auch beim Sex; Schlafstörungen, Muskelschmerzen und Verspannungen …; sie fühlen sich an wie Risse durch die zweite Haut.

Als Kind hatte ich früh das Gefühl, anders zu sein. Von Umstehenden bei Spaziergängen öfter mit der Frage »ist das ein Mädchen oder ein Junge?« konfrontiert, ging mein eigenes Verunsicherungsgefühl tiefer. Es war das Gefühl, irgendwie »fehl am Platz« zu sein. Ich flüchtete in mich und weg von mir zugleich. 

In Familie, Kindergarten und Schule wird Gender-Gewalt institutionalisiert und normalisiert. Die Übergänge zur Grundschule und später zum Gymnasium waren tiefe Einschnitte: Ich war nicht mehr primär in »meiner« häuslichen Welt in Spiele versunken, sondern hatte permanent mit Gefühlen der Fremdheit und den Zuschreibungen gender-spezifischer Erziehung und Bildung zu tun. Ein Junge war ich ja offensichtlich nicht, ein Mädchen wohl auch nicht. Manche Kinder konnten das riechen. Ich bin der Jungs-Gewalt der Kleinstadt-Schule entkommen. Umkleidekabinen, Sportplätze, Schulhof, Busse. Orte, an denen ich mich anders fühlte. Angst. Sprüche, Schläge. Binär ist ein zu steriler Begriff, um die gegenderte Welt im konservativ-christlich, ländlich geprägten Sauerland Anfang der 1980er Jahre zu verstehen. Klar, gesellschaftlich hat sich seit den frühen Neunzigern vieles getan, queere Emanzipationsfortschritte wurden erkämpft. Aber trans* und nicht-binäre Kids sind in den letzten Jahren zum battlefield geworden, auf dem gesellschaftliche »Kulturkämpfe« um Geschlecht, Sexualität, Familie und Nation ausgetragen werden: Kinder würden »frühsexualisiert«, Mädchen dazu »ermuntert«, lieber Jungen zu werden usw. Aber wer kann die Kinder und Jugendlichen hören und verstehen? Welche Eltern haben die Ressourcen, das Wissen, um ihre Kids wirksam zu unterstützen? Frühe und durch das soziale Umfeld unterstützte Transitionen können über Leben entscheiden. Das zeigen auf traurige Weise hohe Raten von Depressionen und Suizid-Versuchen bei trans* Jugendlichen (vgl. Adams/Vincent 2019; Prasse 2020). Ich verspüre eine unbändige Wut, wenn ich an die trans* und anderen Kinder denke, die Gewalt und Diskriminierung erfahren.

Trans* Kids entwickeln ihre eigenen Überlebensstrategien – auch das vorzeitige Abbrechen der Schule gehört dazu. Ich zog mich in eine Phantasiewelt aus Büchern zurück. Meine Sozialisation als Lehrer*innenkind trug dazu bei. In der Schule versuchte ich, mich mit Mädchen anzufreunden, unter den Jungs nicht zu sehr aufzufallen. Bloß keine Schwäche zeigen. Kontrolliert sein, die Umgebung im Blick. Ich fühlte mich fremd unter anderen Kindern. Auch als ich in der Zeit zwischen 18 und Anfang 20 enge Freund*innen fand, blieb ein in den Körper eingeschriebenes Gefühl von Isoliertheit. Das alltägliche Bewegen zwischen Anpassung an und empfundener Distanz zu Maskulinitätsnormen wurde für Jahre zur zweiten Haut, die ich getragen habe, um zu »passen«, durchzugehen als »Junge«. Die Gefühle von Fremdheit, Trauer und Sehnsucht habe ich versucht wegzudrücken. Aber sie schneiden tief in die zweite Haut.

Transitioning beginnt nicht mit einem Coming-out. Aus trans*feministischer Perspektive sind die vielen unterschiedlichen Überlebensstrategien wichtig, das Suchen und Sich-Behaupten. Die Widerständigkeit, die angesichts einer trans* Lebensweisen auslöschenden Alltagskultur darin steckt, geht im eigenen Blick zu schnell verloren. Kein Wunder, werden doch die Geschichten von trans* Menschen gesellschaftlich marginalisiert statt gefeiert. Gewalterfahrungen überlagern das gefühlte Erleben und Erinnern über lange Zeit. Ich habe Gender-Suchbewegungen immer wieder begonnen; experimentierte mit Cross-Dressing, blieb aber bei meinem Namen und männlichem Pronomen; versuchte mit cis-männlicher Außenwahrnehmung oder eher androgyner Gender-Performance Frieden zu finden. Phasen des Experimentierens wechselten sich mit Phasen der Depression ab. Selten habe ich über diese inneren struggles gesprochen und sie auch gegenüber Freund*innen meist heruntergespielt, aus Scham und Unsicherheit, aus dem Gefühl heraus, es selbst nicht zu verstehen.

Es hat lange gedauert, bis mir mein trans* Begehren klarer wurde. Es war berauschend, verstörend und beängstigend – aufgewühlt durch queere Begegnungen. Zu meiner »Transition« habe ich mich nicht entschieden, es war ein intensives Verlangen, eine Sehnsucht, der ich nicht mehr ausweichen und die ich nicht mehr verdrängen konnte, als ich Worte dafür fand. Zufällig bekam ich Leslie Feinbergs »Stone Butch Blues« in die Hände (vgl. Feinberg 1993). Dieses Buch sprach zu mir wie kein anderes in meinem Leben. Obwohl Feinbergs Erfahrungen so anders sind als meine (vgl. zu einer aktuellen Aneignung von »Stone Butch Blues«, Rosenberg 2021). Für mich war es der erste Bruch mit verinnerlichter Trans*phobie. Es war befreiend und aufwühlend. Ich habe eine Woche geweint. Erst als ich andere trans* und trans*feminine Menschen kennenlernte, konnte aus einer Sehnsucht etwas werden, was ich mich zu leben traute. Begegnungen, Literatur, Filme können unser Leben verändern, das gilt für minorisierte Menschen noch stärker. Als trans* Menschen verändern wir durch unsere Präsenz und das Teilen von Erfahrungen die Kontexte, in denen wir uns bewegen. Trans* world making (vgl. Raha 2018) verändert gesellschaftlichen Alltag und erweitert zugleich den Horizont für neue Weisen des Miteinander-in-Beziehung-Seins. Der Begriff queeres und trans* world-making betont das konkret-utopische Potenzial von Alltagspraxen, in dem Gender und Verkörperungen, Identitäten und soziale Beziehungen umgearbeitet werden, sodass andere gesellschaftliche Zukünfte aufscheinen (vgl. Munoz 2009; Raha 2018, 118 u. 161 f.; Beyer 2022).

Verkörperung von Trans*misogynie und Minorisierung

Wenn du fast immer die einzige trans* und nahezu immer die einzige trans*feminine Person bist, ist das eine krasse Erfahrung als »Minderheit«. Aber Minorisierung geht darüber hinaus; eine gewaltsame Positionierung in Wissens- und Bildordnungen, die den gesamten Alltag durchziehen: Die eigenen Erfahrungen werden unsichtbar gemacht oder durch abwertende und stereotype Zuschreibungen an den Rand gedrängt. Wessen Erfahrungen, Wissen, Gefühle, Begehren, politische Diskurse zählen? 

Sara Ahmeds Perspektiven finde ich inspirierend, um zu verstehen, wie rassistische, cis- und heteronormative, trans*feindliche und ableistische Machtverhältnisse verkörpernd wirken und wie minorisierte Menschen sich in und gegen diese behaupten. Ahmed arbeitet mit dem Bild, dass Normen quasi bewohnt werden; sie geben einem Körper Unterkunft, Raum, Zugehörigkeit – oder eben nicht (Ahmed 2021, 150). Der Körper wird durch die Wirkung der Normen zum Fragezeichen (ebd., 152 u. 150–173). Machtverhältnisse durchziehen den Körper: etwa in Erfahrungen, sich fremd zu fühlen, nicht gesehen und gehört zu werden, gestoppt zu werden, infrage gestellt zu werden, »zum Fragezeichen« oder gar »pervers«, zum »Monster« zu werden.

Trans*personen müssen als cis passen und ihr Gender permanent unter Beweis stellen – oder werden quasi als »Betrüger*innen« enttarnt, manchmal sogar zu etwas Monströsem gemacht (vgl. auch Ahmed 2021, 156). Trans-Misogynie bezeichnet eine besondere Form von sexistischer Gewalt gegen trans*feminine Körper: Sie werden exotisiert, Genitalien sind Gegenstand gewaltvoller Blicke und Zuschreibungen; Trans*feminität wird als nicht authentisch und nicht begehrenswert konstruiert (vgl. Serano 2016). Grenzziehungen, wer als respektables Subjekt anerkannt oder ent-menschlicht wird, werden auch an Normen heterosexueller und fügsamer Feminität festgemacht (vgl. Aizura 2015, 130; Thom 2019). Dieses trans*misogyne »policing« von Körpern und Gendergrenzen richtet sich gegen trans-feminine Menschen of Color und trans* Menschen mit dis-abilities auf besondere Weise. 

Thalia Bettcher zeigt, wie von äußerer Gender-Performance auf Genitalien und umgekehrt von Genitalien auf Gender-Identität (und Sexualität) geschlossen wird; eine machtvolle Normalität im cis-normativen Alltag. Für trans*feminine Menschen ist das ein gefährliches Doppelspiel: Es führt zum Zwang zu »passen« (als eindeutig cis lesbar zu sein); gelingt dies nicht, drohen Abwertung und gewalttätige Übergriffe (vgl. Bettcher 2014). Das erzeugt einen ungeheuren Druck und Stress.

Transfeindlichkeit wirkt wie ein permanentes Hämmern, das das Selbst fragil macht (vgl. Ahmed 2016). »Von Geschlecht nicht beherbergt zu werden, durch das Geschlecht obdachlos zu sein« (Ahmed 2021, 158) macht es notwendig zu kämpfen, auf der eigenen Existenz zu beharren, hartnäckig zu sein. Gegen Perspektiven, die den Status als Opfer festschreiben, betont Sara Ahmed, wie im Über-Leben – quasi molekular, durch ein permanentes Nagen, durch Begegnungen und viele kleine Bewegungen – ein anderes Leben, und darin verkörpert eine andere Weltauffassung, entstehen kann: »wie das Bewusstsein über Geschlechter zugleich ein Weltenbewusstsein ist, das dir erlaubt, an Orte zurückzukehren, an denen du bereits warst, um dich von Geschlecht und Heteronormativität – und von derl  gesamten Gestalt deines eigenen Lebens zu entfremden« (ebd., 32 f.). Das lässt sich auch auf Transitioning beziehen. Damit meine ich mehr als meine Gender-Transition: eine verkörperte, lustvolle und schmerzhafte, widersprüchliche Arbeit des Ver-Lernens hegemonialer und Aneignens neuer Denk-, Fühl- und Handlungsweisen. Sie ist zugleich eine gelebte Auseinandersetzung mit Gewalt- und Machtverhältnissen, in der ein »situiertes Wissen« (s. o.) entsteht. 

Kleine, normale Dinge des Alltags können zu einem widerständigen Kraftakt werden. In den ersten Jahren nach meinem Coming-out war es jeden Tag eine Überwindung rauszugehen – zur Arbeit, Einkaufen, neue Kleidung kaufen, auf öffentliche Toiletten oder in Restaurants, zu Ärzt*innen oder Behörden zu gehen, zu verreisen, in politischen Kontexten auf »neue Leute« zu treffen. Blicke. Exotisierende Blicke meist, irritierte und verunsicherte Blicke öfter, feindliche Blicke manchmal. Ich checkte meine Umgebung ständig. Ruhe vor dem Gefühl des „Zur-Anderen-gemacht-Werdens“,fand ich nur im engen Freund*innenkreis. Ich habe um mich herum einen Schutzwall gegen diese Blicke aufgebaut. Das kann ich gut. Früh gelernt, kommt es mir heute wieder zugute. Aber es kostete jeden Tag Energie, mich nicht hineinfallen zu lassen in die bekannten Gefühle von Fremdheit und Traurigkeit. Ich habe gelernt, zurück-zu-glotzen, auch wenn es das Risiko von direkter Gewalt erhöhen kann. Auseinandersetzungen als Radfahrer*in mit aggressiven Autofahrern können damit enden, entweder als »Schwuchtel« oder als »scheiß Fotze« attackiert zu werden. Für mich war das, anders als für viele Frauen* und gender-nicht-konforme Menschen, eine neue Erfahrung.

Die ersten vier Jahre nach meinem »Coming-out« waren unglaublich anstrengend. Zu den 45-Stunden-Wochen in den ineinander verschmelzenden Zonen von Lohnarbeit und politischer Arbeit kam quasi ein zweiter »Job«: die unsichtbare Arbeit von Transitioning. Am Anfang gab es so viel zu entdecken, zu verarbeiten, zu entscheiden, zu organisieren: Hormone ja oder nein; eine Therapeut*in finden und die Zulassung für die Hormontherapie bekommen, neue Kleidung kaufen … Die meiste Zeit und Kraft brauchte dabei aber die Auseinandersetzung mit Ängsten, Traurigkeit, Wut, mit Körperscham, Diskriminierung und internalisierter Abwertung von trans* Menschen. Minority Stress, ein Begriff aus der Psychologie und diskriminierungskritischen Gesundheitsforschung, verweist auf die körperlichen, belastenden und die Gesundheit schädigenden Wirkungen von struktureller Diskriminierung. »Minority Stress«, als meine Therapeut*in das zum ersten Mal sagte, als ich über meine Traurigkeit und Erschöpfung sprach, dachte ich: »Soooo schlimm ist es bei mir doch nicht.« Zuhause musste ich weinen. 

Für ein trans*feministisches Schreiben über eigene Erfahrungen finde ich es wichtig, unterschiedliche soziale Positionierungen zu unterscheiden, ohne Gewalt- und Ausbeutungserfahrungen zu relativieren oder gegeneinander auszuspielen. Wenn ich über meine Erfahrungen mit Gender-Trauma und Minorisierung schreibe, tue ich das von einer privilegierten Position aus. Es macht einfach einen krassen Unterschied, ob ich als trans* Person von Minorisierung betroffen bin oder mit vielen sich überlagernden traumatischen Erfahrungen, rassistischer Gewalt und prekärem Alltag zu kämpfen habe. Als weiße trans*feminine, queere, able-bodied Person mit deutscher Staatsbürger*innenschaft, unbefristetem Arbeitsvertrag und einem Mittelklasseeinkommen bin ich mit Erfahrungen von Gender-Trauma konfrontiert; ich erlebe krasse Minorisierung, bin aber deswegen nicht marginalisiert. Ich habe einen akademischen Bildungsabschluss, gute berufliche Qualifikationen, Zugang zum Schreiben, linker politischer Öffentlichkeit und englisch-sprachigen Diskursen zu trans* Themen. Ohne Differenz wahrzunehmen und anzuerkennen, können wir den Zusammenhang der Gewaltverhältnisse weder verstehen noch kollektiv überwinden.

Ich bin nicht von Rassismus betroffen; habe nicht infolge meines Coming-out meine Lohnarbeit, Einkommen oder die Wohnung verloren wie viele trans-feminine Menschen. Trans*feminine Menschen of Color, die ich in den letzten Jahren gesprochen habe, hatten krasse Erfahrungen mit Polizeigewalt und sexualisierter Gewalt durch cis* Männer, mit Schikane durch Jobcenter, mit fehlendem legalem Aufenthaltsstatus. Ich habe Zugang zu (trans*spezifischer) Gesundheitsversorgung als Leistung der gesetzlichen Krankenkasse, anders als die meisten trans* Personen weltweit. Die durchschnittliche Lebenserwartung von trans*femininen Menschen liegt in vielen Ländern deutlich unter 50 Jahren.


Um den Zusammenhang von Gewalt, Verkörperung und Identität besser zu verstehen, finde ich den Begriff »zweite Haut« inspirierend. »Skins register how we see and know the world affectively«, so die queer-feministische Marxist*in Rosemary Henessy (Henessy 2013, 126; Raha 2018). Nat Raha versteht trans* im Anschluss daran als »sense of being that is felt through the body« (Raha 2018, 72); dies ist eng verbunden mit kulturellen Normen, die Intelligibilität organisieren (vgl. ebd.). Raha verortet diese Verkörperungsweisen im Zusammenhang von Produktion und sozialer Reproduktion, der Hervorbringung abgewerteter und zugleich für kapitalistische Ausbeutung produktiv gemachter feminisierter, rassisierter, disabled, queerer und trans* Körper (vgl. ebd. 2021, 105 f.). Trans* leben, Klassenpositionen, Rassismus und andere Formen intersektionaler Gewalt (vgl. Fütty 2019) lassen sich nicht trennen. Die Begriffe verweisen auf einen Zusammenhang im Alltag, dem wir nicht durch individuelle Umgangsweisen entrinnen können. Intersektionale Gewalt- und Ausbeutungsverhältnisse wirken verkörpernd, als Schnitte durch die »zweite Haut«. 


Ich bin durch mein Lohnarbeitseinkommen nicht auf Community angewiesen, um zu überleben. Privilegien, insbesondere die Ressourcen und Netzwerke durch Klassenprivilegien, gehen strukturell (Alltag und Zeitressourcen) mit Distanz zu Erfahrungen prekarisierter und marginalisierter Menschen einher. Sie bilden eine Art Pufferzone: »Es geht darum, wie tief du fallen kannst, wenn du etwas verlierst. […] Privileg kann die Kosten der Verwundbarkeit begrenzen.« (Ahmed 2021, 302) Oft sind sie zugleich Kontaktzonen zu prekären und marginalisierten Trans*communities, die von Abgrenzung oder von trans*feministischer Solidarität geprägt sein können. In trans* Communities wiederum führen sie zu Machtungleichgewichten etwa beim Zugang zu bezahlten Community-Jobs, Öffentlichkeit und politischen Sprechpositionen (vgl. auch das Interview mit Yishay Garbasz in Becker/Beyer/Pühl 2022). 

TEIL II: Heilung und Pride

Privilegien kannst du nicht abgegeben, sondern nur verlieren. Ich spüre das jeden Tag körperlich. Darin mischt sich Widersprüchliches. Transitioning heißt für meine soziale Position, dass Prekarisierungsrisiken zunehmen. Aber auch Sicherheitsvorstellungen, mit denen ich aufgewachsen bin und die Teil meiner Überlebensstrategien waren, sind erschüttert. Sie sind durch weiße, cis* und heterosexuelle Mittelklasse-Erfahrungen in den 1980er und 1990er Jahren geprägt. Häute, die für neue Erfahrungen nicht mehr passen. Seit meiner Transition muss ich einen Umgang mit neuen Ängsten finden. Ich habe Angst vor trans*feindlichen Übergriffen. Angst vor zunehmender Trans*feindlichkeit. Angst, durch die Folgen von Minority Stress und autoritäre gesellschaftliche Entwicklungen in prekäre Arbeit »abzurutschen«. Angst, wegen meines sichtbar anderen Körpers in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen diskriminiert zu werden. Neue Schnittflächen durch die zweite Haut.

Meine politische Arbeit gibt mir Selbstbewusstsein, Anerkennung und Sicherheit in einer Zeit anstrengender Umbrüche – zugleich ist sie Lohnarbeit zum Lebensunterhalt und eine privilegierte Position, bezahlt linke politische Arbeit machen zu können. In den ersten Jahren nach meinem Coming-out fühlte sich das aber viel belastender an als vorher, obwohl viele Kolleg*innen mich solidarisch unterstützen. In einem hetero- und cis-normativ geprägten Umfeld machten mir das plötzlich sichtbare Anderssein und die permanente Minorisierung zu schaffen. Eine Zeit, in der ich aus Selbstschutz, Überlastung und Überforderung eigene Gewalterfahrungen relativierte. Kein Wunder, da minorisierten Menschen gesellschaftlich nahegelegt wird, den eigenen Wahrnehmungen von Gewalt nicht zu trauen und Diskriminierung als Folge des eigenen Fehlverhaltens oder falscher Entscheidungen zu sehen (vgl. auch Fielding 2021, 107). Auch politische Selbst-Verleugnung spielte eine Rolle, etwa der Gedanke: »Ich will nicht in erster Linie trans* sein.« Realistische Sorgen: Ich will nicht darauf reduziert werden. Die Angst, anerkannte Sprechpositionen zu verlassen, mischte sich da mit hinein. 

In dieser Zeit unterschätzte ich, welchen Raum ich für mich brauchte, wie viel emotionale Arbeit Transitioning bedeutet. Ich habe immer wieder die Grenzen eines individuellen Umgangs mit den Erfahrungen von Gender-Trauma und Minorisierung gespürt. Dennoch ist es mir schwergefallen, das zu ändern. Das hat viele Gründe. Solidarische Care- und Mikropolitiken des Alltags werden in vielen heteronormativen und cis-männlich dominierten linken Zusammenhängen abgewertet. 

Transition heißt für mich, in vielen Situationen stark sein zu müssen; zu lernen, stark zu sein, indem ich mich verletzlich zeige und aufhöre, alles alleine regeln zu wollen. Das fällt mir schwer. Ich bin durchgekommen, indem ich Wut in Empathie und Parteilichkeit für andere verwandeln konnte. Die Erfahrung von Gewalt und »Anders-Seins« wurde zu einer Antriebskraft für mein politisches Engagement als Jugendliche und ist es bis heute geblieben. Stark sein, kämpfen war mein Überlebensmodus: Sicherheit über Kontrolliert-Sein herzustellen, Anerkennung aus Leistung, Stärke aus dem Gefühl intellektueller Überlegenheit zu ziehen. Alte Muster machen es mir schwer, Self-Care und pleasure, die schönen und lustvollen Seiten meines Transitionings, stärker auszuleben. Manchmal müssen wir das ver-lernen, was uns beim Überleben geholfen hat. Heilung.

Ein trans-feministischer Begriff von Heilung ist eine widerständige Aneignung eines in problematische Diskurse eingewobenen Begriffs. Er meint etwas anderes als »cure« (vgl. Claire 2017): also »Heilung« durch medizinische Behandlung und Management des Selbst; Gesundmachen als Wiederherstellen von Funktionsfähigkeit; heteronormative und ableistische Vorstellungen von Ganzheit statt Fragmentierung; von Identität und gelingendem Leben als Abwesenheit von Schmerz, Trauer und Wut. 

Heilung aus trans*feministischer Perspektive meint den widerständigen und selbst-fürsorglichen Umgang mit Trauma infolge von »intersektionaler Gewalt« (vgl. Fütty 2019) und Minorisierung. Es geht um ein »processing« negativer Gefühle im Prozess mit anderen, im Schreiben und – neu Erzählen der eigenen Geschichte, in Care-Praxen. Das habe ich von Atlanta Beyers inspirierender Lesweise des lesbischen, queeren »processing« (Cvetcovik 2003) in Christie Roads Schreiben über Trauma, Körper und Freund*innenschaft gelernt (vgl. Beyer 2022). Inspirierend fand ich auch »Brilliant Imperfection« von Eli Claire (2017), Lucy Fieldings »trans sex« (Fielding 2021) und Texte zu Heilung und Wut aus Schwarzen, Women und queer of Color feministischen Perspektiven (brown 2019; Adamou 2021).[3] 

Heilung ist Teil von trans* sozialer Reproduktion: für viele trans* und trans*feminine Menschen notwendige emotionale und Care-Arbeit, um zu (über-)leben; Arbeit, durch die zugleich Arbeitskraft für kapitalistische Verwertungsprozesse reproduziert wird (vgl. Raha 2018 u. 2021; Seeck 2021). Die Dimension von Heilung wird jedoch in vielen Diskussionen um soziale Reproduktion noch zu wenig berücksichtigt. Das hat auch etwas damit zu tun, wie minorisierte Subjekte in Diskussionen um Care-Arbeit (nicht) gesehen werden. Heilung verstehe ich als kollektiv eingebetteten Prozess, mit der Individualisierung von Gewalterfahrungen zu brechen. Sie ist Teil von trans*feministischem world making (vgl. Raha 2018). Heilung und trans* world-making in den Blick zu nehmen kann das kritische und transformative Potenzial der feministisch-materialistischen Diskussionen um soziale Reproduktion erweitern.

Heilung berührt für mich eine Vielzahl von Praktiken (ohne Anspruch auf Vollständigkeit!): Trauer- und Traumaarbeit; Self-Care- und Care-Arbeiten, wechselseitige Unterstützung von queeren und trans* Menschen; das Lernen einer feministischen Politik der Verletzbarkeit und Wut, die Frauen* und feminisierten Menschen abgesprochen wird; einen von »Pride« getragenen Umgang mit trans*femininer Verkörperung und einen eigensinnigen und lustvollen Zugang zu queerer Sexualität zu lernen; Naming (siehe Teil I des Textes) als macht- und gewaltkritische Verortung und Neu-Aneignen der eigenen Geschichte. Es bedeutet auch, ausgehend von Brüchen in der eigenen Biografie, einen widerständigen Umgang gegenüber hegemonialer, cis- und heteronormativer, kapitalistisch geprägter Zeitlichkeit und Erwartungen an permanente Produktivität zu lernen. 

Gegen die »verlorene Zeit«. Die eigene Geschichte anders fühlen

Seit meinem Coming-out verspüre ich oft ein melancholisches Gefühl, in dem sich Traurigkeit und Wut mischen; Wut mal über mich, mal über die gesellschaftlichen Bedingungen meiner Kindheit, Jugend und Zwanziger. Die »verlorene Zeit«. Verlust, Trauer, Sehnsucht und Bedauern. Meine verlorene Jugend kann mir niemand zurückgeben. Aber es ist lange her. Ich »tröste« mich damit, dass eben viele (insbesondere queere, minorisierte, von Rassismus und Ausgrenzung betroffene) Menschen ihre Jugend als eine Zeit erlebt haben, der sie einfach nur entfliehen wollten. Es war für mich als Jugendliche schlicht nicht möglich, überhaupt auf die Idee zu kommen, trans* zu sein oder gar ein Coming-out zu wagen, umzuziehen und in einer Stadt, eher in einer anderen Welt, einer anderen Zeit … ein »glückliches Mädchen« zu sein. Ich kann mittlerweile empathisch auf das queere, trans* Kid in mir schauen. 

Schwieriger ist es zu verarbeiten, dass ich meine Transition mit Mitte 30 und nicht früher begonnen habe. Die Zwanziger fühlen sich an wie meine zweite verlorene Jugend. Und das schmerzt. Wie hätte ich mich mit 25 mit einem anderen Gender gefühlt? Wie würde mein Leben heute aussehen? Hätte ich es geschafft, während meiner Transition mein Studium abzuschließen? Hätte ich nur … 

Es reicht nicht, mir zu sagen, dass alles seine Zeit braucht, dass ich »noch nicht so weit war«. Dass es in meinen Zwanzigern einfach zu viel war. Die eigene Geschichte anders zu erzählen heißt für mich anzuerkennen, dass das für mich eine traurige und schwierige, aber keine verlorene Zeit war. Weil ich tolle Menschen kennenlernte, die heute noch Teil meines Lebens sind. Weil ich in einem für mich »safen« Umfeld das Dissoziieren hinter mir lassen konnte. Weil ich für wichtige Menschen da war. Weil ich begonnen habe zu lernen, auf eigene Bedürfnisse zu hören. Weil … Weil …

Traurigkeit in Wut zu verwandeln ist seit meiner Jugend meine Antriebskraft für politisches Engagement und Widerständigkeit. Aber meine Zwanziger bekomme ich auf diese Weise nicht zurück. Wie kann ich mit dem intensiven Gefühl der »verlorenen Zeit« umgehen, in dem sich traumatische und Transitioning-Erfahrungen verdichten?

Pride und Heilung sind für mich verbunden. Pride ist für mich, zu versuchen, in meinen Denk- und Fühlweisen mit den selbst-verletzenden Erzählungen und Bildern über Trans*menschen zu brechen. Es ist nicht meine Schuld. Es ist kein Scheitern. Aber das macht das Gefühl der verlorenen Zeit nicht weg und macht es nicht weniger traurig. Überleben ist keine verlorene Zeit und mein Leben ist mehr als Überleben. Aufbrüche, auf die ich stolz sein kann. Es ist gut, dass ich wütend bin. Und es ist gut, dass ich traurig bin. Ich habe Zeit verloren durch die Wirkung struktureller Gewaltverhältnisse auf mich und meinen Körper. Ich gehe bewusst in das Gefühl von Verlust und Traurigkeit. Versuche mich in Phasen zurückzuversetzen, in denen ich mich völlig lost fühlte. Früher habe ich fast nie geweint. Heute mischt sich im Weinen Traurigkeit mit wütendem Stolz, Trans*melancholie mit Ängsten und Hoffnungen zu einem Strudel, der mich mitreißt. Aber er trägt mich nicht weg, in die Leere, in die Dissoziation. 

Heilung bedeutet für mich: Trauer zuzulassen, zu ver-sorgen, mich berühren (zu lassen). Versuchen, da zu verweilen, wo sich Wut und Trauer, Stärke und Verletzlichkeit, Begehren treffen. Sie intensiv zu spüren, wenn ich mich mit dem Gefühl der verlorenen Zeit konfrontiere. Schreiben, Körperarbeit wie Yoga, Meditation und Shiatsu, Austausch mit Freund*innen, bei trans-feministischen events und in Facebook-Gruppen fühlen sich hilfreich an. Durch die Berührungen im Shiatsu kann ich Schmerz, Traurigkeit, Wut in meinem Körper sehr intensiv spüren und habe zugleich das Gefühl, in der Verletzlichkeit gehalten zu werden. Körperarbeit ist Teil des Anders-Erzählens. Zu Beginn und am Ende der Yoga-Praxis etwa schließe ich die Augen und erinnere mich mantraartig: »Ich bin stolz auf meine Wege. Pride gibt mir Kraft.« Die negativen Gefühle fühlen sich danach präsenter, aber weniger intensiv an. Manchmal spüre ich unbändige Energie und sogar Euphorie. Pride heißt für mich, die Arbeit daran anzuerkennen. Und um meine Kraft zu wissen. 

Ich weiß nicht, ob das Gefühl der verlorenen Zeit mich für immer begleiten wird. Aber durch die Arbeit mit dem Körper kann ich die eigene Geschichte durchqueren und queeren. Traurige Momente lassen sich durch Begegnungen und Begehren transformieren. Verwoben mit Traurigkeit und Verlust sind Sehnsüchte, Träume, Begehren. Andere Selbst-Erzählungen und ein queeres Anders-Erleben von Erinnertem sind performative Praxen, die durch Wiederholung verkörperte Erfahrungen schaffen (vgl. Fielding 2021). 3.000 Wiederholungen schaffen eine andere, neue Verkörperung, schreibt adrienne maree brown, »we become, what we practice« (brown 2019, 14).

Trans* Zeit und Fragmentierung

Transitioning ist eine schöne, aufregende, manchmal ermüdende, manchmal erschütternde Reise durch die verkörperte Ungleichzeitigkeit. Ich bewege mich im Widerspruch zur hegemonialen, cis-normativen Biografie mit ihren Phasen (vgl. auch Pearce 2019 zu Zeitlichkeit und Gender-Transitionen). Für mich ist es schwierig, mit dem Widerspruch umzugehen, dass ich eine zweite Jugend ein Stück weit leben kann, aber dies eben eingewoben bleibt in die Zeit als erwachsener Mensch mit einem komplexen Leben, einer herausfordernden Lohnarbeit, Träumen von Trans*elternschaft und Co-Parenting. Zugleich ist es ein aufregender Lernprozess, »mitten im Leben« neu zu beginnen.

Trans*feministisches world-making lässt im Alltag eine ganz andere Zeitlichkeit aufscheinen, die unter den herrschenden Verhältnissen nur eingeschränkt leb-bar ist. Zeit für Transitioning, das Leben von Trans*zeit (wie eine »zweite Jugend«; Phasen von körperlichen Veränderungen und Heilung), für individuelle wie kollektive Care-Praxen muss dem Alltag in flexibilisierten kapitalistischen Arbeitsregimen abgerungen werden. Das ist individuell aber nur sehr begrenzt möglich. Ich bin in einer privilegierten Position, auch weil ich mir individuelle Arbeitszeitverkürzung leisten kann. Besonders prekär beschäftigte und marginalisierte trans* Menschen haben nicht die Bedingungen, wie zum Beispiel ausreichende Lohnarbeitseinkommen, Zeit und Zugang zu Ressourcen für Self-Care. Unsere Lebenszeit wird durch Normen und Muster einer kapitalistischen, cis- und heteronormativen Organisation von Gesellschaft strukturiert. Transitioning bewegt sich in vielfältigen Widersprüchen zu den hegemonialen Anforderungen und Erwartungen des »Managements« der eigenen Biografie, kann diese Verhältnisse aber nicht sprengen (vgl. auch Gleeson/O’Rourke in Becker/Beyer/Pühl 2022) ). 

Baby Dyke? Gefühlte Nähe und verkörperte Distanz(ierungen)

Die Macht der Gendernormen zeigt sich auch in dem, wie wir begehren und wonach wir uns sehnen. Gender-Trauma macht es »difficult dropping into our bodies and experiencing them as sites of pleasure« (Fielding 2021, 158). Dazu kommen die Wirkungen der hegemonialen Bilder von cis-Körpern, die sexistischen, heteronormativen Schönheitsidealen entsprechen. Sie haben meine Sozialisation über viele Jahre geprägt, ich habe sie internalisiert.

Im Rückblick wird mir klar, wie sehr ich mich in den ersten Jahren meines Transitionings in den alten Mustern bewegte, die mir emotionale Sicherheit gaben. Häute, die auch durch traumatische Erfahrungen geformt sind, Sicherheit und Kontrolle hochbewerteten. Mir fehlte das Wissen, wie ich mich als gender-nicht-konforme Jugendliche, als politisierter Twen mit unerfüllten Gender-Sehnsüchten, aber auch als Erwachsene während meiner Transition gut um mich kümmern könnte. Woher sollte es auch kommen? Das Wissen entsteht als Teil der verkörperten Praxis, in der Erfahrung des Transitioning und in der Verbindung zu trans* Räumen, kollektivem trans* world making. Einen eigenen Weg zu Heilung zu finden heißt, neue Wege für Care, Spielen und Lust zu finden (vgl. dazu auch cardenas 2019).

Wenn es um Sex geht, fällt es mir am schwersten, das Gefühl, mit Ende 30 neu zu beginnen, anzunehmen und mich für das Lustvolle daran zu öffnen. Das habe ich zuerst vor allem selbstkritisch gesehen und mich sogar dafür abgewertet. Je mehr ich mich damit beschäftige und mit Freund*innen darüber spreche, merke ich, dass es nicht nur die eigenen verkörperten Muster sind, die es mir schwermachen. Es ist die Macht der Beschämung.[4] Sie wirkt individualisierend und erschwert den Zugang zu den eigenen Erfahrungen, die vielschichtiger sind, als Gefühle des Scheiterns es nahelegen. Trans*misogyne Körper-Beschämung und heteronormative Vorstellungen von Sexualität und Biografie sind auf eine Weise wirkmächtig, die es für mich schwermachte, meine Erfahrungen für mich selbst anzuerkennen.

Trans*feminine Körper und Erfahrungen mit Sexualität werden beinahe völlig aus verfügbaren, anerkannten Bildern und Diskursen gelöscht. Bis heute gibt es dazu nur wenig deutschsprachige Literatur aus trans*femininen Perspektiven (vgl. Hamm 2020; im englischen Sprachraum u. a. Bellwether 2013; Fielding 2021; Roche 2018). Es ist gesellschaftlich nicht anerkannt, als 40-, 50- oder 60-jährige Person Sexualität und Gender völlig neu zu entdecken und das in dieser Lebensphase wichtig zu nehmen (vgl. das berührende Buch von Juno Roche). Ab einem gewissen Alter gilt vermeintlich »unerfahren« oder »unattraktiv« zu sein als individuelles Scheitern (hetero- und homonormativ geprägter) sexueller Entwicklung. Es ist empowernd, den Druck, den ich durch verinnerlichte patriarchale und cis-normative Annahmen von Souveränität auf mich ausübe, loszulassen, zu verlernen. Lucie Fielding setzt in ihrer trauma-therapeutischen Arbeit auf das aktive Lernen einer Haltung der Neugierde im Entdecken von Körper, Begehren und Sexualität, auf ein »beginners mind«: »to begin anew with sensations, not with names, vocabulary, or the things we know about bodies« (Fielding 2021, 103; Bellwether 2013). 

Transitioning heißt für mich, die Scham gegenüber dem eigenen Körper zu überwinden. Die Vielfalt trans*femininer Körper und Gender-Performances ist immer noch weitgehend unsichtbar in öffentlichen und medialen Repräsentationen, zum Teil aber auch in queerer Kultur. So sind etwa trans*feminine Butches weitgehend unsichtbar in einer Kultur, die trans*feminine Menschen mit Erwartungen konfrontiert, hyper-feminin zu sein. Sexistische und cis-Normen löschen die »Schönheit in Differenz« sehr unterschiedlicher femininer, feminisierter und trans-femininer Körper aus (das gilt auch für trans*maskuline und rassisierte Körper; Körper, die von ableistischen Normen abweichen) (vgl. Fielding 2021, 118 f.).

Internalisierte Transphobie hat viele Seiten. Nicht der Schwanz ist das Problem, sondern seine gesellschaftliche Bedeutung innerhalb eines Ensembles von Körper, Begehren und Gender, die darin wirkmächtige Norm binärer Zweigeschlechtlichkeit. 

Meine Sehnsucht nach einem cis-weiblichen Körper ist widersprüchlich. Es geht nicht primär um Genitalien. Es ist eine intensive, lebendige Fantasie, in der ich mich mit der Jugendlichen verbinde, die ich nie sein konnte; tomboyisch und etwas verschmitzt. Ein Sehnsuchtsbild. Zugleich verstrickt mit dem Imaginären der Norm, cis = begehrenswert(er) zu sein. Internalisierte Transphobie, die Bilder meiner Gender-Fantasien zeichnet. Bittersweet. Manchmal euphorisieren mich diese Fantasien, manchmal machen sie mich traurig, manchmal beides zugleich. Die Sehnsucht nach einem normierten Körper als vermeintlichem wie manchmal realem Schutz ist nicht verwunderlich in einer cis-normativen und sexistischen Gesellschaft. Meine Sehnsüchte sind nicht mit der Norm identisch, sie existieren in dem Raum zwischen Zurückweisung und Verkörperung von Normen; messy, trans* eben. Ich versuche, die Sehnsucht nach einem normierten Körper zu verändern, ohne sie einfach zu verdrängen und mich dafür selbst abzuwerten. Transitioning.

Brüste, die wachsen. Love it. My trans*clit. Love her. Vielfältige Öffnungen und Häute. Love them. Neugierde und Lust, Melancholie und Traurigkeit. Sie bilden das dichte Geflecht, in dem sich mein Körper verändert. Love them.

Wo Sehnsucht und schmerzhafte Geschichte verwoben sind, bin ich am verletzlichsten. Feminine Maskulinität und lesbisches Begehren waren lange Sehnsuchtsorte, die sich so unmöglich anfühlten, dass sie selbst für Fluchtfantasien zu schemenhaft blieben. 

Sehnsüchte ohne Namen und lange Zeit ohne klare Konturen. Cis-Männlichkeit war für mich dagegen mit klebriger Vertrautheit und unüberwindbarer Fremdheit verbunden. Mit Trauer und Dissoziation. Mit Freundschaft und Liebe. Mit Gewalt, Angst und Trauma.

Heute sind die verschiedenen Gefühle und die Schichten meines Verhältnisses zu Maskulinität(en) klarer für mich. Das Bedürfnis nach Abgrenzung ist aus der Distanz zur cis-männlichen Anrufung geringer. Zugleich erinnert mich Cis-Männlichkeit heute anders, aber weiter präsent, an die Gefahr körperlicher Gewalt.

Maskulinität anzueignen - das ist für mich ein Teil des Umgangs mit Gewalterfahrungen und meiner Wut. Als Schutzschild nach außen funktioniert das nicht. Wie auch? Trans*feminine Körper werden durch Bilder von Männlichkeit verletzlich(er). Dazu gehört auch, als trans* sichtbar zu sein und öfter mis-gegendert zu werden.

Welche Bilder von trans*femininen Menschen haben wir im Kopf? Manchen Menschen wird »Frau«-Sein ständig abgesprochen. Manche wollen gar nicht »Frau sein«, aber auch nicht permanent falsch gegendert werden. Ich will keine Projektionsfläche sein für Trans*feindlichkeit und die Abwertung von (trans*) Feminitäten. Und nein, es geht auch nicht darum, nicht-binär zu leben zum neuen Ideal zu erheben oder queere Maskulinität zu heroisieren. Wie nicht-binäre Gender-Performances konkret lebbar sind, hängt auch von Privilegien, von Körpernormen, Weiß-Sein und Klassenpositionen ab. 

Trans-feminine Aneignung von Maskulinität, (un-)mögliche Verkettungen, die den Körper nicht loslassen. Suchend in den Leerstellen, Zwischenräumen und Überlappungen der überlieferten Begriffe und Bilder. Tastend in zerklüfteten Landschaften von Gender, Körperbildern und Begehren. Trans* feminine boi – wenn meine Gender-Performance Namen braucht, fühlt sich der am ehesten passend an … Mein Weg in lesbische Räume, das trans*feminine Aneignen von Selbstbezeichnungen wie Dyke, mit langen Geschichten in lesbischen Communities, fühlt sich schwieriger an. Da wo Sehnsucht und Schmerz sich verbinden, sind wir am verletzlichsten. Transitioning bedeutet für mich, oft neu zu beginnen; zu lernen, unsicher und verletzlich zu sein und Wut intensiv zu spüren. Vielleicht ist Baby Dyke dafür ein ganz passender und schöner Begriff? 


Pride. Wissen, dass es in diesen gesellschaftlichen Verhältnissen keine vollständige Heilung, kein Gefühl, »ganz zu sein«, geben kann. Es körperlich wissen. Meine Häute zu tragen, fühlt sich gut an. Stolz, verletzlich, lebendig.


Heilen – ein Prozess, der Schmerz und Wut, Begehren, Empathie und Stolz verwebt. An manchen Tagen fühlt sich das an wie eine Waffe. Ein Messer, das trans*feindliche Blicke und Zuschreibungen in der Luft zerschneiden kann. 


Healing. Never too late.

 

Teil III: Trans*feministisches bite back!

Es gibt keine Heilung alleine, in der Arbeit am Selbst. Es gibt keine Heilung, die nicht auch über den schmerzhaften und lustvollen Weg der Kämpfe um Identität vermittelt ist. Es gibt keine Heilung alleine über den Weg kollektiver Wut. Es geht darum, zu berühren und sich berühren zu lassen. Es gibt keine Heilung ohne kollektive Befreiung.

Begriffe wie Trans* oder auch trans* Frau als Identitätskategorien beruhen auf einer Abstraktion, sind selbst umkämpft und überdecken schnell Differenzen in gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Die institutionelle Regulation von Gender-Transitionen wirkt individualisierend. Individuelle Selbstbestimmung soll über medizinische Körperveränderungen, Psychotherapien und Förderung der Integration in den Arbeitsmarkt erreicht werden. Es etabliert sich eine wirkmächtige Norm, durch möglichst geräuschlose, privat organisierte Transition glücklich zu werden und dabei gesellschaftlich produktiv zu sein; ein respektables Leben zu führen, sich in eine binäre, heterosexuelle Geschlechterordnung einzufügen. Eine Norm, die von weißen, able-bodied und Mittelklasse-Körpern ausgeht und trans* Menschen als erfolgreiche »Manager*innen des Selbst« darstellt und trans* Menschen unter Druck setzt (vgl. Irving 2013 u. 2016). Zugleich werden bestehende klassenspezifische, rassisierte und ableistische Differenzen zwischen trans* Menschen verstärkt. Die sozialen Infrastrukturen etwa für trans*inklusive Gesundheitsversorgung oder Bildung sind weiter prekär; substanzielle Programme zur Bekämpfung von struktureller Diskriminierung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt fehlen.

Es ist leider keine Ironie der Geschichte, dass manche Diskurse gegen »Identitätspolitik« in linken, sozialdemokratischen und auch feministischen Kontexten diese individualisierende Norm und das Modell liberaler Identitätspolitiken reproduzieren. Trans* und queere Menschen werden als von ihren eigenen Identitäten versessen präsentiert, die mit Minderheitenpolitik den Kampf um soziale Gerechtigkeit schwächten. Die in den letzten Jahren stärker werdenden trans* und queer-marxistischen Perspektiven ermöglichen es dagegen, über den Fokus auf Identität hinauszugehen und miteinander verwobene intersektionale Ausbeutungs- und Gewaltverhältnisse in den Blick zunehmen.

Trans* soziale Reproduktion 

Über 30 Prozent aller trans* Personen in der EU sind erwerbslos. Da es nicht überall und für alle einen Zugang zur Arbeitslosenversicherung gibt, überleben viele mit informeller Arbeit. Sie arbeiten zu unterdurchschnittlichen Löhnen, über 40 Prozent haben ein Einkommen, das keine Existenzsicherung im Alter oder bei schwerer Krankheit zulässt. Häufig bestimmen Stereotype über trans*feminine Menschen zusätzlich zu Qualifikation, Bildungsabschlüssen und den Auswirkungen körperlicher Einschränkungen über die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt (vgl. auch Tegeler; Steinsberger, Seeck und Garbasz in Becker/Beyer/Pühl 2022). Die Verschränkung von alltäglicher Diskriminierung, Passing-Stress bzw. Sichtbarkeit als trans*, Belastungen in der Transition mit ökonomischer Prekarität sind Ursachen dafür, dass viele trans* Menschen unter starken psychischen Belastungen leiden, entsprechend häufig in prekären Teilzeitjobs landen. Alltäglicher Rassismus, das Überleben ohne gesicherten Aufenthaltsstatus und Staatsbürger*innerechte und ökonomische Prekarität führen dazu, dass trans* Migrant_innen gesellschaftlich marginalisiert werden. 

Gegenwärtige Regulierungsregime (das Zusammenwirken kapitalistischer Strukturen, staatlicher und zivilgesellschaftlicher Praktiken) zielen auf Produktivität bestimmter trans* Körper – und produzieren den frühzeitigen Tod anderer, besonders trans*femininer Menschen of Color und prekärer Arbeiter*innen. Grenzziehungen zwischen »respektablen« und marginalisierten trans* Subjekten werden verstärkt. Die differenzierenden Politiken des Leben-Machens und frühzeitigen Sterben-Machens, Bio- und Nekropolitiken (vgl. Haritaworn/Snorton 2013; Haritaworn u. a. 2015; Aizura 2015; Fütty 2019) wirken nicht nur durch Normen (welche Körper werden als normal und respektabel konstruiert? Wessen Leben wird geschützt, wessen Tod betrauert?). Anerkennung und die Konstruktionen von Respektabilität und Mensch-Sein sind mit kapitalistischen Produktionsverhältnissen, der Herstellung des Werts der Ware Arbeitskraft, verwoben (vgl. Aizura 2015). Das rassisierte Stereotyp der Sexarbeiterin etwa prägt Trans*misogynie gegen trans*feminine Menschen maßgeblich – zugleich werden die Repräsentationen auch durch »die rassisierten Relationen der Ausbeutung und Verwerfung« strukturiert (ebd., 130). Die rassisierte Sexarbeiter*in wird zur »unzivilisierten ethnisch Anderen aus der ArbeiterInnenklasse«, zum Objekt von Abwertung und Hass, gemacht – und darin zugleich die staatliche Kriminalisierung rassisierter »trans*working classness« legitimiert (ebd., 136 f.). 

Trans* Leben, das physische und psychische Überleben und vielfältige Gender-Performances werden kollektiv (re-)produziert: durch Care-Arbeiten, Sex und Vergnügen; durch Versorgung mit Nahrung, Wohnraum, Pflege, Unterstützung im Umgang mit Gesundheitsinstitutionen und Unterstützung der Transition. In der aufkommenden Diskussion um trans* soziale Reproduktion (vgl. u. a. Raha 2018 u. 2021; Gleeson/O’Rourke 2021; Seeck 2021) werden feministisch-marxistische Perspektiven auf den Zusammenhang von Lohnarbeit und ins Private abgedrängter Care-Arbeit weiterentwickelt. Dabei wird die Engführung auf heterosexuelle Familienkonstellationen und unbezahlte Haus- und Sorgearbeit kritisiert.[5]

Nat Raha nimmt prekäre Überlebens- und Care-Praxen von trans* Menschen in den Blick. Sie bringen soziale Beziehungen und kulturelle Welten hervor. Sie sind unbezahlte und oft für die Mehrheit unsichtbare Arbeit – und zugleich reproduzieren sie feminisierte, abgewertete Arbeitskraft für kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse (Raha 2021, 105). Prekäre queere und trans* Menschen sind auf marginalisierte Formen der Care-Arbeit außerhalb von heteronormativen Familienstrukturen angewiesen: solidarisches Teilen von Essen und Zimmern, Medikamenten und Hormonen, das Kümmern um depressive oder obdachlose Freund*innen, Unterstützungsstrukturen gegen gewalttätige Übergriffe auf der Straße oder Diskriminierung durch staatliche Behörden (vgl. Raha mit Bezug auf Cohen/Monk 2016). Prekäre trans* Care-Praxen finden in informellen Netzwerken und selbst-organisierten, prekären Räumen statt; sie stemmen sich gegen gewaltvolle Zuschreibungen durch Gender, race, ability, während sie versuchen, aus den Zwängen prekärer Lohnarbeit auszubrechen (Raha 2021, 105 f.). Die Erfahrungen in der Lohnarbeit sind dabei ein wichtiger Bereich. Wohnen, Gesundheitsversorgung, der Umgang mit cis-normativen und rassistischen staatlichen Institutionen sind weitere Zusammenhänge, die strukturell individualisierend wirken und zugleich in kollektiven Formen trans* sozialer Reproduktion konfrontiert werden. 

Trans*leben(sweisen) – identitätskritische Perspektiven auf Ausbeutung und Gewalt

Ein Fokus auf trans* soziale Reproduktion läuft Gefahr, trans*feministische Wissensproduktion zu verengen, wenn einseitig Klassenverhältnisse und in dieser Perspektive besonders ökonomische Prekarität und Care-Arbeiten betont werden. Ich schlage – von einer gramscianisch-marxistischen Perspektive auf den Zusammenhang kapitalistischer Produktions- und gesellschaftlich hegemonialer Lebensweisen herkommend (vgl. Ludwig 2011; Candeias u. a. 2011) – vor, trans* soziale Reproduktion als Vielzahl verkörperter, intersektional strukturierter Lebensweisen zu verstehen. Trans* Lebensweisen lassen sich nicht auf Fragen von geschlechtlicher Identität reduzieren. Das bedeutet auch, den Blick zu weiten: auf die gesamte Lebensweise, das vielschichtige Gewebe von Erfahrungen, Gefühlen, Begehren, unterschiedlichen Überlebensstrategien.[6] Zugleich geht es mir mit diesem Text um eine gewaltkritische Perspektive auf trans* Lebensweisen und Klasse mit trans*femininer Differenz. Es ginge darum, unterschiedlichen Formen von Gewalt überhaupt als solche erkennbar und in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang kritisierbar zu machen: Verwundbarkeit durch strukturelle epistemische Verwerfung (oder Ignoranz) und Minorisierung; Gender-Trauma als eine sehr vielgestaltige, individuelle, konkrete, verkörperte Wirkung. Direkte gewalttätige Übergriffe und strukturelle Diskriminierung, Fragmentierung und Entfremdung; Prekarität, Minorisierung und Marginalisierung zu unterscheiden. Das Schreiben, ausgehend von den eigenen Erfahrungen, das ich in diesem Text versucht habe, ist im besten Fall Teil von Prozessen, viele, andere Geschichten zu erzählen und dabei gewaltkritische Perspektiven einzunehmen. Im Kontext der lateinamerikanischen radikalen feministischen Streiks und Bewegungen spricht Veronica Gago von einer Kartografie der Gewaltformen (vgl. Gago 2020; auch das Interview mit Beth und Luca in Becker/Beyer/Pühl 2022 zum Prozess militanten Erzählens von trans* Klassenerfahrungen). 

Trans*lebensweisen zeichnen sich durch komplexe Widersprüche und unterschiedliche, intersektional geprägte, eigensinnige Strategien des Umgangs mit Gewalterfahrungen und Prekarität aus: widerständige Aneignungen, Ver-/Lernprozesse, »konkret utopische« solidarische Care-Praxen im Transitioning, ebenso wie verinnerlichte Abwertungen und widersprüchliche Normalisierung. 

Sara Ahmed erinnert an den Unterschied von gewaltvoller Normativität und widersprüchlicher Normalität: Das Begehren »nach einem normalen Leben bedeutet nicht zwingendermaßen eine Identifikation mit den Normen, es kann der Wunsch sein, die Erschöpfung zu vermeiden, die durch das Beharren auf der eigenen, bloßen Existenz entsteht.« (Ahmed 2021, 159) Dieses Begehren gerät in Widerspruch zu den gesellschaftlichen Lebensverhältnissen. Ahmed verweist darauf, dass für minorisierte, prekäre bzw. »fragile« Subjekte Überleben, »Existenz an sich zu einer Form politischer Arbeit wird« (vgl. ebd., 150 u. 299–306). Ihr Begriff Diversity-Arbeit kann für eine erweiterte gewalt- und identitätskritische Perspektive hilfreich sein. Unter Diversity-Arbeit von women und queers of Color, trans* Menschen versteht sie in doppelter Weise kritisch »die Arbeit, die wir tun, wenn wir die Normen einer Institution nicht so richtig bewohnen, innehaben [können]«, und »die Arbeit, die wir tun, wenn wir eine Institution verändern wollen« und (Ahmed 2021, 123 u. 150). Die Normalisierung von Verletzungen durch Gewalt, Ausbeutung und Prekarität, ist sowohl ein herrschaftsförmiges gesellschaftliches Muster, das Institutionen und Bereiche des Alltags prägt, als auch Teil von Überlebensstrategien darin. Ein transformativer Begriff von Heilung verweist darauf, dass das miteinander Teilen von Verletzungen, Trauma und Erfahrungen von Minorisierung und Entfremdung soziale Beziehungen verändert und Horizonte für andere gesellschaftliche Verhältnisse eröffnen kann. Heilen als transformative Praxis geht über eine individualisierte Praxis der Selbst-Sorge hinaus: Kollektiv eingebettete Formen von Care und affektiv-körperlicher Arbeit können es ermöglichen, verkörperte Gewalterfahrungen umzuarbeiten und im Umgang mit Schmerz zugleich das kollektive Begehren nach einem Ende von Gewalt, Identitätszumutungen, Prekarität und Ausbeutung zu nähren.

Geist der Abspaltung 

Um Klasse mit trans*feministischer Differenz zu denken, plädiere ich daher dafür, über den engen Rahmen marxistischen Denkens hinauszugehen, für offene Suchbewegungen im Spannungsfeld von radikalen Trans*feminismen (vgl. u. a. Garriga-Lopez u. a. 2019), Queer-of-Color-Kritik (vgl. u. a. Ferguson 2004 u. 2018; Haritaworn u. a. 2015; Bacchetta/El-Tayeb/Haritaworn 2015; Tudor 2021), Schwarzen intersektionalen Feminismen (vgl. u. a. Cohen 2019; Bergold-Caldwell/Thompson 2021) und queerem Marxismus (vgl. auch Colpani 2022 zu Queer-of-Color-Interventionen und Hegemonietheorie). Diese überlappen sich und markieren klare Absatzbewegungen von liberaler Identitätspolitik (zu »trans Liberalismus« vgl. Raha 2015). Es sind heterogene Perspektiven, die an einem tiefgreifenden epistemischen Wandel arbeiten: einer Kritik der Kategorien und Vorstellungswelten von Geschlecht, Sexualität und Familie, Eigentum, Nation, race, Herkunft und Kultur, Vernunft und Krankheit, Behinderung und Heilung, die Teil der bürgerlichen, kolonialen, heteronormativen und rassistischen Wissensordnungen und Herrschaftstechniken sind.[7] 

Auch Klasse wird in diesen Suchbewegungen als intersektionale Kategorie (wieder) angeeignet. Klasse intersektional zu denken und Intersektionalität und Politiken um Identität herrschaftskritisch zu re-politisieren – diese Doppelbewegung wird seit einigen Jahren im Umfeld von Bewegungen wie BLM oder den feministischen Streiks stärker (vgl. auch Taylor 2017). Die queer-feministische Sozialist*in Lisa Duggan schreibt polemisch zugespitzt: »›Intersectionality‹ began as a method of analyzing dynamic social formations and became code for […] superficial multiculti class-exclusive liberalism.« (Duggan 2021) Arbeiten zu queerer und trans*feministischer politischer Ökonomie gehen über eine Art »Intersektionalität light« (Aizura 2015), die die unterschiedliche Vulnerabilität bestimmter Körper gegenüber Gewaltverhältnissen aufzeigt, hinaus. Aren Aizura etwa plädiert für konkrete Kritiken kapitalistischer (reproduktiver) Ökonomien, die gesellschaftliche Arbeitsteilungen, staatliche Regulation von Körper und den ideologischen Rahmen kritisieren, innerhalb dessen trans*feminine Körper anerkannt oder verworfen werden. (vgl. Aizura 2015; zu Verbindungen von Marxismus und Intersektionalität Bohrer 2019). 

Von dem italienischen Marxisten Antonio Gramsci kommt der Gedanke, dass wir Herrschaft und Ausbeutung nur überwinden können, wenn wir die gesamten Weisen, wie wir denken, fühlen, arbeiten und leben, verändern, uns aus gewohnten und erlernten Denk-, Fühl- und Handlungsweisen lösen, diese verlernen. Ein solcher »Geist der Abspaltung« (Gramsci 1994, 1264; vgl. Demirović 2015) zielt auf eine radikale epistemische und soziale Transformation; dies könnte eine vielsprechende Perspektive sein, um Diskussionen um »racial capitalism« und »Abolition« im weiten Sinne des Wortes (vgl. Thompson 2020; Bergold-Caldwell u. a. 2021; Seymour 2022) sowie marxistische Diskurse um Hegemonie, Klassenverhältnisse und hierarchische (globale) Arbeitsteilungen (vgl. die Beiträge in Candeias 2021; Castro-Varela/Dhawan 2015) kritisch aufeinander zu beziehen.

Trans*feministisches bite back!

Derzeit bildet sich ein Resonanzfeld zwischen neu-rechten Positionen, konservativ-christlichem Anti-Feminismus, sozialdemokratischen und liberalen Kritiken von »Identitätspolitik«, zwischen (anti-muslimischem) Rassismus und einem trans*feindlichen, »gender-kritischen« Feminismus (vgl. Tudor 2021; Shon Faye 2021; Pearce u.a. 2020). Über die Situation in England schreibt Alyosxa Tudor treffend: »Lesbische/feministische Trans*feindlichkeit in Großbritannien […] verwendet dasselbe Vokabular und dieselbe Logik wie rechte ›Anti-Gender‹-Argumentation. […] Wir [sind] Zeugen einer Überschneidung zwischen transphoben Positionen und Frauen*feindlichkeit, Rassismus und Migratismus, einer vereinfachenden Fokussierung auf sexuelle Gewalt und einer Umschreibung des Feminismus als single-issue-Projekt.« (Tudor 2021, 241) 

Die vermeintlichen »Kulturkämpfe« um Geschlecht und trans* Identitäten sind Teil der Kämpfe um Hegemonie, um die Aufrechterhaltung, Veränderung und Überwindung von Ausbeutungs- und Gewaltverhältnissen. (vgl. auch Beyer 2022; Colpani 2022) Sowohl neu-rechte, rassistische und antifeministische als auch liberale Identitätspolitiken sind mit Klassenverhältnissen verwoben (zu LGTBI-Liberalismus und Homonormativität vgl. u. a. Duggan 2004; Raha 2015). Dem stehen Suchbewegungen entgegen, die eine (unterschiedlich verstandene) »unteilbare« »Solidarität in Differenz« (vgl. auch Nüthen in Becker/Beyer/Pühl 2022) artikulieren. 

Aus trans*feministischer Perspektive ist ein Ausgangspunkt für »Solidarität in Differenz«, dass trans* Menschen auch innerhalb linker, feministischer und queerer Diskurse und Zusammenhänge minorisiert sind. Bereits Ende der Achtziger hatte Sandy Stone in einem Manifest die transfeindlichen Zuschreibungen in herrschenden Wissensregimen und Teilen der feministischen Bewegung als »Moralgeschichten und Ursprungsmythen, die die ›Wahrheit‹ über das Geschlecht erzählen«, kritisiert (Stone 1987; von Verf. übersetzt; zit. nach Tudor 2021, 243) und als trans*feminine Aktivist*in und Intellektuelle für ein anderes Selbstbewusstsein/verständnis von trans* Menschen geschrieben. Susan Stryker plädiert in einem späteren Manifest für Politiken von »transgender rage«: »Durch den Einsatz von Wut, wird das Stigma selbst zu einer transformativen Macht.« (Stryker 1994, 261; Stryker 2019; zit. n. Ahmed 2021, 289) Heute lohnt es sich, an diesen Impuls wieder anzuknüpfen und ihn angesichts der Verschränkungen transfeindlicher, anti-feministischer, rassistischer und antisemitischer Diskurse zu erweitern; ein trans-feministisches bite back!, das auf intersektionale Allianzen aus ist.

Die Geschichte der Trans*bewegung zeigt, dass Trans*emanzipationskämpfe auf Verbündete angewiesen sind (vgl. zum unterschiedlichen US- und deutschem Kontext Stryker 2017; da Silva 2021). Das gilt angesichts der autoritären Tendenzen mehr denn je. Trans*feminismus ist dabei nicht deckungsgleich mit (notwendigen wie umkämpften) Politiken für die Anerkennung von trans* Rechten. Für mich heißt das, im Bemühen um Brücken-Bauen und solidarische Verbindungen, zugleich herrschaftskritische Perspektiven zu stärken und die Vorstellungskraft für radikale Veränderungen wieder zu weiten. 

Sara Ahmed verweist auf unterschiedliche und verwobene Geschichten von Frauen*, die darauf bestehen mussten, Frauen* zu sein: Women* of Color, Lesben, Butches, trans* Frauen. Trans*feminismus bringt sie dabei eng mit einer Wiederaneignung von radikalen lesbischen, »queer before queer« (ebd., 285) und mit Women*-of-Color-Feminismen zusammen (vgl. ebd., 282–298). Trans*feminismus fordere heute mit am stärksten, »die kämpferische Haltung des lesbischen Feminismus zurück«; in dem Beharren darauf, dass die Behauptung und »Gestaltung des Lebens politische Arbeit ist« (ebd., 289). 

Frau* als politische Kategorie ist ein Bündnisbegriff, der für trans*feministische Politiken weder ausreicht noch verworfen werden sollte.[8] In Bezug auf lesbische Erfahrungen schreibt Ahmed: »Wir weichen von der Kategorie Frauen* ab, wenn wir uns in Richtung von Frauen bewegen.« (Ahmed 2021, 284) Die gefühlte Nähe zur Kategorie Frau*, aus einer vielfach gebrochenen Distanz heraus, ist für mich kein Widerspruch zu meiner nicht-binären Verortung. Für andere trans* Menschen fühlt sich das anders an. Trans*/feministische, queere und intersektionale Allianzen erweitern die Kategorie »Frau« und gehen zugleich über sie hinaus. Bündnisse sind kein Zuhause, sondern: »Bündnisse tun weh«, wie die Schwarze Feminist*in Bernice Johnson Reagon 1983 schrieb. Damit sie gelingen können, müssen wir anerkennen, dass Trauma, Wut, Trauer und Heilung unterschiedlich erfahren werden; der Umgang damit durch intersektionale Gewalt- und Ausbeutungsverhältnisse geprägt wird. Es geht um Solidarität auf der Grundlage von Differenz und Verletzbarkeit durch intersektionale Gewaltverhältnisse; um eine Solidarität, die den Alltag und das lokale, verkörperte Wissen zum Ausgangspunkt nimmt. 

Trans*feministische Praxen sind als untergründig wirkendes Wissen, als praktizierte Solidarität und Care längst (minoritärer) Teil einer »Intersektionalität der Kämpfe« (Davis 2015; Cohen 2019; Gago 2020). 2020 demonstrierten etwa im Rahmen der Black-Lives-Matter-Bewegung Tausende Menschen unter dem Motto »Black Trans Lives Matter«. Die Aufstände gegen Polizeigewalt, Entrechtung und Armut in den USA waren maßgeblich durch Queers of Color geprägt. Trans*feministische und antirassistische (vgl. auch Shukrallah in Becker/Beyer/Pühl 2022) Bewegungen können sich auch in einer radikalen Kritik prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse verbinden, die auf Solidarität über die Grenzen von Nation und militarisierten Grenzregimen, heteronormativer Familie und Gender hinaus zielt und solidarische Care-Praxen ins Zentrum stellt. Dekolonialer Trans*Feminismus (Garriga-Lopez u. a. 2019 und 2022) bestünde in den westlichen Metropolen auch darin, die politische Ökonomie von Exportwirtschaft, Ressourcenraub und unseren konsumorientierten Lebensweisen, Aufrüstung und Kriegspolitik infrage zu stellen; sich mit antirassistischen, antikriegs und antikolononialen Kämpfen und der Klimagerechtigkeitsbewegung zu verbinden. 

Trans*, antirassistische, feministische of Color, dekoloniale und dis-ability justice Bewegungen arbeiten an vielgestaltigen Perspektiven für eine radikale Transformation und Demokratisierung aller gesellschaftlichen Verhältnisse. Perspektiven wie »Abolition« (vgl. Thompson 2020; Rosenberg 2021; Seymour 2022; Cullors 2022) und Klimagerechtigkeit sind dabei entstehende Konvergenzen, die auch zu neuem Interesse an demokratischen, ökologisch-sozialistischen, feministischen Sozialismen beitragen können. Lisa Duggan spricht von »queer liberation« als Teil von Allianzen für einen dekolonialen Sozialismus.  In Zeiten der eskalierenden Klimakrise und Entwicklungen hin zu einem autoritären Kapitalismus sind diese Bündnisse notwendiger denn je.


Dieser Text ist eine Vorveröffentlichung aus dem Sammelband »Bite back! Queere Prekarität und unteilbare Solidarität«, der von Lia Becker, Atlanta Beyer und Katharina Pühl herausgegeben wird und demnächst bei Edition Assemblage erscheint.