Genossenschaften und Kooperativen sind ein Teil der Arbeiterbewegung und der Bewegung zur Demokratisierung der Wirtschaft – das wird in den USA oft übersehen. Immer wieder gab es erfolgreiche Versuche, Betriebe in Regie der Belegschaften zu führen und Kooperativen zu gründen, wenn auch meist nur in kleinem Maßstab. Sie wurden häufig sabotiert von ultrakonservativen und antigewerkschaftlichen Kräften oder durch rassistische Gewalt beendet. Konnten die Kooperativen sich etablieren, waren sie transformatorisch wirksam: Sie veränderten die Branche, die Arbeitsvorschriften, führten Kranken- und Vorsorgeleistungen ein; sie minderten rassistische und sexistische Diskriminierung; sie warben für fairen Handel und praktizierten ihn. Genossenschaften haben die Gemeinden um sie herum verändert, indem sie die Wirtschaftsaktivitäten erhöhten, Arbeitsplätze und wirtschaftliche Sicherheit schafften und die Beziehungen im Gemeinwesen und das Gemeindeleben verbesserten.
Das Potenzial wiederentdecken*
Interessante Beispiele aus dem 20. und 21. Jahrhundert sind die Kooperativen Freedom Quilting Bee, Rainbow Grocery Cooperative, Equal Exchange und Cooperative Home Care Associates.
Nähen für Befreiung
Freedom Quilting Bee wurde 1966 gegründet, um Bauernfamilien eine von der Landwirtschaft in Naturalpacht (sharecropping) unabhängige Einkommensmöglichkeit zu schaffen. Es war eine Strategie afroamerikanischer Frauen, Armut zu bekämpfen und auf Grundlage der neu gewonnenen finanziellen Unabhängigkeit die Bürgerrechtsbewegung zu unterstützen. Frauen aus Alberta und Bees Gend im Bundesstaat Alabama schlossen sich zusammen, um gemeinsam Quilts (gesteppte Decken) zu nähen und zu verkaufen. FQB ist Gründungsmitglied der Federation of Southern Cooperatives und ein Beispiel dafür, wie Frauen die Kontrolle über ihre eigenen Arbeitsbedingungen und ihren Betrieb erlangen. Zugleich ist sie Beispiel für solidarische Arbeit im Gemeinwesen. 1968 kaufte die Kooperative mehr als neun Hektar Ackerland und baute auf einem Teil der Fläche eine Nähfabrik. Acht Parzellen verkauften die Frauen an Pächterfamilien, die aus ihren Häusern vertrieben worden waren – einige nachdem sie sich ins Wählerverzeichnis eingetragen oder an einer Kundgebung von Martin Luther King jr. teilgenommen hatten. Die Quilt-Näherinnen verbesserten über die Jahre ihre wirtschaftlichen Strategien und erweiterten ihre Produktpalette um Platzdeckchen, Schürzen, Topflappen und Servietten. Während der Zeit ihres größten Erfolges, um 1992 herum, hatte FQB 150 Mitglieder und war der größte Arbeitgeber der Stadt. Neben der Näherei betrieb die Kooperative eine Kindertagesstätte und führte nach Schulschluss und im Sommer Lese- u.a. Kurse durch. In einer Zeit, in der das politische Klima die ökonomischen Möglichkeiten für Afroamerikaner im Süden der USA empfindlich einschränkte, konnten Frauen durch die Kooperative das Einkommen ihrer Familien verbessern. Sie hatten eine alternative Einkommensquelle geschaffen und konnten sparen, Höfe und Ackerland kaufen und Gemeinwesenprogramme durchführen. Als eine Kooperative von Eigentümerinnen wurden auch Bedarfe der Familien und des Gemeinwesens gesehen und in Angriff genommen – alles in der Regie von Frauen.
Gesunde Nahrungsmittel und Selbstverwaltung
Die Rainbow Grocery Cooperative öffnete ihr erstes Nahrungsmittelgeschäft im Sommer 1975 als Teil von People’s Food System in San Francisco. Rainbow wuchs schnell, überlebte viele der Nachbarschaftsläden und nahm 1993 die Rechtsform einer Genossenschaft an. Mit etwa 200 Arbeiter-Eigentümern ist Rainbow Grocery der zweitgrößte Genossenschaftsbetrieb in den USA. In den Anfangsjahren waren die Arbeiter-Eigentümer maßgeblich an der Entwicklung von Zertifizierungsstandards für ökologische Lebensmittel beteiligt und entwickelten den Vertrieb unabgepackter Lebensmittel und Kräuter. RGC wurde als ökologisch nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen ausgezeichnet, das nicht nur Wiederverwertung und Recycling betreibt, sondern auch auf kurze Wege setzt, lokale Erzeugnisse kauft und für alternative Verkehrsmittel wirbt. Als Kooperative der Belegschaft setzt Rainbow auf faire Arbeitsbedingungen, Krankenund Versorgungsleistungen und faire Löhne, von denen sich leben lässt. Die Genossenschaft schafft »nicht-hierarchische Arbeitsplätze« auf der Grundlage von »Respekt, Gegenseitigkeit und Kooperation« (Selbstdarstellung im Internet). Viele der Selbstverwaltungspraktiken, darunter Ausbildungs- und Trainingsangebote, die RGC entwickelt hat, sind Vorbild für die Kooperativenbewegung in den USA geworden und von anderen Kooperativen übernommen wurden. Die meisten der täglichen Entscheidungsprozesse werden auf Abteilungsebene getroffen. Die selbstverwalteten Arbeitsgruppen der 14 Abteilungen wählen die Mitglieder der verschiedenen Komitees. Der Vorstand ist mit den übergreifenden finanziellen und rechtlichen Belangen und der längerfristigen Planung und Entwicklung befasst.
Fair handeln und fair arbeiten
Equal Exchange verbindet fairen Handel mit Demokratie am Arbeitsplatz, sie unterstützt auf der ganzen Welt Kooperativen, die Kaffee, Tee und Schokolade produzieren, und macht sie in den USA bekannt. Die Kooperative in Boston schafft Kontakte zwischen ihren Arbeiter-Eigentümern und ihren Kunden und Produktionsgenossenschaften im globalen Süden. Ziel ist es, dauerhaft Handelsbeziehungen zu etablieren, die ökonomisch gerecht und umweltfreundlich sind. Die Verkaufszahlen im Fair-Trade-Bereich stiegen 2010 um 24 Prozent und es wurden Umsätze im Wert von 170 Millionen US-Dollar erzielt. Doch die Fair-Trade-Händler sind äußerst verschieden. So bietet etwa der Konzern Wal-Mart eine Sparte mit Fair-Trade-Produkten an und unterstützt damit Kaffeeproduzenten im Regenwald. Doch die eigenen Arbeiterinnen und Arbeiter in den USA bekommen weiterhin Niedrigstlöhne und können ihren Lebensunterhalt nur durch Wohlfahrtsprogramme sichern. Am anderen Ende des Spektrums steht Equal Exchange, ein Genossenschaftsbetrieb im Eigentum der Belegschaft. 80 Arbeiter-Eigentümer zeugen vom erfolgreichen Wirtschaften und dem Wachstum der Kooperative, aber Equal Exchange setzt auch Maßstäbe in den Bemühungen, Fair Trade zu einem Teil einer gesellschaftlichen Transformationsbewegung werden zu lassen. Dass der Betrieb von den Arbeitern getragen wird, soll dazu beitragen, Ausbeutung in allen Teilen der Produktions- und Absatzkette zu beenden. »Ist Fair Trade ein tragfähiges Modell für eine solidarische Wirtschaftsweise?«, fragte Rodney North von Equal Exchange auf dem Left Forum 2011 in New York. Seine Antwort lautete: Manchmal. Das ist der Fall, wenn fairer Handel bedeutet, Gewinne und Verluste zu teilen, als auch frei von Ausbeutung und Teil der Veränderung von Machtstrukturen ist. Bei einem Treffen mit der dominikanischen Regierung hat Equal Exchange die Behandlung der Landwirtschaftsgenossenschaften angesprochen, und in den USA hat sie die Entwicklung des fairen Binnenhandels maß- geblich vorangetrieben. Wenn allerdings eine Abteilung eines Unternehmens fair produzierte und gehandelte Waren einkauft, während der Rest des Unternehmens Gewerkschaften unterminiert, hat »Fair Trade« nichts mit solidarischem Wirtschaften zu tun. Wenn die Käufer aus Gewissensgründen einen geringfügig höheren Preis zahlen, aber alle anderen Machtverhältnisse unverändert bleiben, ist das keine solidarische Ökonomie. Equal Exchange eröffnet ein ganz neues Feld und bringt im Handel in jeder Hinsicht gleichberechtigte Partner zusammen. Indem Fair Trade mit Belegschaftseigentum verbunden wird, ist Equal Exchange Teil der Bewegung für die Transformation zu einem solidarischen Wirtschaftsmodell.
Kooperativen gründen – Armut und Rassismus bekämpfen
Im New Yorker Stadtteil Bronx hat die Pflegegenossenschaft Cooperative Home Care Associates die ökonomische Handlungsfähigkeit von Women of Color erhöht, die bisher nur in Niedriglohnjobs gearbeitet haben und von denen drei Viertel auf staatliche Unterstützung angewiesen waren. Die Pflegebranche ist für ihre Unzulänglichkeiten bekannt: Niedriglöhne, hohe Fluktuation, mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten und Verstärkung von Armut (Gordon Nembhard i.E.). CHCA ist im Besitz von Arbeiterinnen und setzt neue Standards in der Pflege: höhere Löhne, Krankenversicherung und andere Vorsorgeleistungen, Ausbildung und Demokratie am Arbeitsplatz. Die Entwicklung von Führungsfähigkeiten von Frauen wird durch die Organisationsstruktur gefördert. Peggy Powell, Mitbegründerin von CHCA, betont, wie wichtig es ist, dass die Kontrolle des Vorstandes durch die schwarzen Frauen und Latinas selbst übernommen wird; die Mitbestimmung ist entscheidend, damit die Fähigkeiten, sich selbst zu behaupten und zu vertreten, entwickelt werden können. Mehr als 1600 Latinas und Afro-Amerikanerinnen arbeiten als Pflegehelferinnen in drei Unternehmen der CHCA. 700 der Beschäftigten sind Eigentümerinnen und CHCA damit die größte Kooperative im Besitz von Arbeitenden in den USA. Seit 1987 haben die Arbeiterinnen-Eigentümerinnen durchschnittlich 250 US-Dollar oder zwischen 25 und 50 Prozent ihrer ursprünglichen Einlagen als Dividenden ausgezahlt bekommen. Die Kooperative strebt eine Verbesserung der Löhne und Versorgungsleistungen ihrer Mitglieder ebenso an wie bezahlten Urlaub sowie Krankenversicherung und schafft eine Arbeitskultur, die von Vertrauen und Zusammenarbeit geprägt ist. Die Weiterbildung der Mitglieder, die Schaffung von Aufstiegsmöglichkeiten und Selbstverwaltungspraktiken werden durch CHCA befördert. Aus der Kooperative ging ein Institut für Pflegeassistenz hervor, das Mitglieder und andere in der Branche Tätige fortbildet. 2000 wurde als dritter Ableger Independence Care Systems gegründet, eine Einrichtung, die sich auf Pflegeleistungen für Behinderte spezialisiert. Auch die Vermögensbildung der Mitglieder wird unterstützt. Neben den Löhnen werden Dividenden gezahlt, Lebensversicherungen abgeschlossen und die Möglichkeit angeboten, einer Rentenversicherung beizutreten. CHCA unterstützt die Mitglieder in Finanzfragen wie der Einrichtung von Spar- oder Girokonten, und eine Beratung in Steuerfragen kann ebenfalls in Anspruch genommen werden. Die Versorgungsleistungen sind in der Pflegebranche einmalig. Die Kooperative hat eine große Zahl sinnvoller Arbeitsplätze in der Kommune geschaffen und eine typische Niedriglohnbranche verändert.
Genossenschaften als Teil einer Bewegung der Transformation
Kooperative Wirtschaftsformen gibt es schon lange, sie sind hunderte von Jahren älter als kapitalistische Unternehmensformen. Im Altertum haben Babylonier, afrikanische Gesellschaften und die Ureinwohner Nordamerikas gemeinschaftlich Ackerbau betrieben und die Chinesen entwickelten die ersten Spar- und Kreditvereinigungen. In der Neuzeit sind Kooperativen wesentlicher Teil unserer Wirtschaft, der Internationale Genossenschaftsbund geht davon aus, dass es weltweit 47000 Kooperativen gibt, die zusammen über 100 Millionen Mitglieder haben. Mehr als 20 dieser Kooperativen haben einen jährlichen Umsatz von über einer Milliarde US-Dollar. Doch trotz ihres langen Bestehens werden sie von kapitalistischen Unternehmensformen in den Schatten gestellt und sind in den USA nahezu unsichtbar. Durch die Unsichtbarkeit finden die Arbeiter-Kooperativen zu wenig Untestützung. Wirtschaftsstudiengänge lehren nicht, wie man Kooperativen aufbaut und erfolgreich betreibt; Banken sind zögerlich in der Kreditvergabe. Es gibt keine staatlichen Weiterbildungsprogramme, und Regionalentwicklungsfirmen bieten Kooperativen keine Starthilfen. Die Regierung nimmt keine Daten über Kooperativen in ihre Statistiken auf und hält nur äußerst geringe Unterstützung bereit, sei es in Form von finanziellen Ressourcen oder politischen Maßnahmen. In Bezug auf die Nachfrage kann man sagen, dass die meisten Menschen nicht einmal wissen, was eine Genossenschaft ist. Genossenschaftsbetriebe in den USA haben ihre Besonderheit nicht offensiv zu Markte getragen. Die Sichtbarkeit von Genossenschaften wird langsam durch eine Reihe von Faktoren verbessert: durch die steigende Zahl von Betrieben in Belegschaftseigentum, wachsendes Interesse an Genossenschaften als Strategie der Arbeitsplatzbeschaffung und des ökonomischen Wachstums – insbesondere in wirtschaftsschwachen Regionen –, durch mehr Genossenschaftsnetzwerke und eine zunehmende Kooperation mit Bewegungen für soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit wie etwa Gewerkschaften und der Bewegung für eine solidarische Ökonomie.
Treten Kooperativen aus dem Schatten heraus?
In den USA wächst die Zahl der Kooperativen, von 1980 bis 2004 verdoppelte sich ihre Zahl von 150 auf 300 (GEO Newsletter Nr. 69). Angesichts der mangelhaften Datenlage basieren aktuelle Belege auf Einzelberichten. Jackall und Levin (1984) sehen Bedingungen für das Wachstum von Kooperativen jeder Art in: Arbeitslosigkeit und schlechten wirtschaftlichen Bedingungen, Phasen rapiden technologischen Wandels, die mit Desintegrationsprozessen einhergehen, und drittens in Phasen politischer Umwälzungen, in denen die gegenwärtigen Wirtschaftsstrukturen und -praktiken in Frage gestellt werden. Diese Bedingungen bestimmen die gegenwärtige wirtschaftliche Situation. Als Teil einer Strategie gegen Arbeitslosigkeit und Armut erfahren Kooperativen einen Legitimationszuwachs. Ein Beispiel für eine neue Wirtschaftsentwicklungsstrategie ist die Evergreen Cooperative in Cleveland, die innenstädtische Armutsviertel mithilfe von Genossenschaftsbetrieben wieder aufbauen will (vgl. Alperovitz/Howard/ Williamson in: Luxemburg 4/2010, 34-39). Evergreen arbeitet mit »Bottom-Up« und »Top-Down« Prozessen, in denen die Kooperativen in Zusammenarbeit mit den Gründern, lokalen Eckpfeiler-Unternehmen (ein Krankenhaus und eine Universität, die potenzielle Abnehmer sind) und einer Organisation für die Entwicklung von Kooperativen (Ohio Employee Ownership Center) entwickelt werden. Indem der Aufbau mit lokal verankerten Unternehmen und Einrichtungen organisiert wurde, konnten mehrere Millionen Dollar Gründungskapital akquiriert werden. Die Zusammenarbeit der Stahlarbeitergewerkschaft USW mit der MondragonKooperative eröffnet ein neues Feld (vgl. Davidson in diesem Heft, 100ff). Eine große und geschichtsträchtige Gewerkschaft wie die USW lässt das Bündnis von Kooperativen und Gewerkschaften wiederaufleben. Das ist ein Signal an die Arbeiterbewegung und die Öffentlichkeit, dass Kooperativen Teil der Lösung sind und nicht bloß eine randständige Alternative. Eine Reihe von »Worker BuyOuts« stehen an, in denen die Belegschaften strauchelnde Unternehmen aufkaufen werden. Durch die Zusammenarbeit der USW mit Mondragón kann aus Fehlschlägen der Vergangenheit gelernt werden und an die Erfolge der Mondragón-Kooperative der letzten 50 Jahre angeknüpft werden. Gleichzeitig stellt die Beteiligung der USW sicher, dass sich im Genossenschaftsmodell kein Zweiklassen-Modell der Beschäftigten (Eigentümer und Angestellte) entwickelt und die Kooperativen nicht durch Selbstausbeutung die Löhne in anderen Unternehmen drücken. Netzwerke und Dachverbände wie die U.S. Federation of Worker Cooperatives und eine Vielzahl regionaler Netzwerke wie das Network of Bay Area Cooperatives befördern das Wachstum der Genossenschaften. Sie spielen eine wichtige Rolle in der Aus- und Weiterbildung und Kooperation von Genossenschaften. Es bleibt die Frage, in welchem Ausmaß Kooperativen Teil einer Bewegung für eine Transformation sind oder ob sie nur eine Strategie zur Schaffung von Arbeitsplätzen sind, die den Interessen ihrer Mitglieder nützt. Genossenschaftsnetzwerke wie die US Federation of Worker Cooperatives, North American Students for Cooperation und die US Federation of Community Development Credit Unions haben sich der Bewegung für eine solidarische Ökonomie angeschlossen. Die Bewegung tritt global für eine Transformation der Wirtschaftsweise ein, die Mensch und Planet an erste Stelle setzt. Solidarische Ökonomie basiert auf den Prinzipien Solidarität, partizipatorische Demokratie, Gleichheit auf allen Ebenen, Nachhaltigkeit und Pluralismus (der Gestaltungsweisen – es gibt kein alleingültiges Modell). Eine solidarische Wirtschaft schließt an konkrete alternative Praxen wie Kooperativen, Genossenschaftsbanken, Landwirtschaftsgemeinschaftshöfe, Gemeinschaftliche Land- und Vermögensverwaltungen (Community Land Trusts), fairer Handel und Komplementärwährungen an, aber auch an Aspekte, die als Teil der Mainstream-Wirtschaft gelten, wie der öffentliche Sektor und Sozialmaßnahmen. Die Arbeit an einer solidarischen Wirtschaft erstreckt sich von der Organisierung an der Basis über die Wirtschaftsentwicklung des Gemeinwesens bis hin zu Recherchearbeiten und politischer Interessenvertretung. Die solidarische Ökonomie verbindet Praxis mit Theorie: Sie geht von ganz anderen Annahmen aus als die kapitalistische neoklassische Theorie. Die Neoklassik geht vom homo economicus aus, einem rational, berechnend, eigennützig handelnden Kerl, der unter geringsten Anstrengungen oder Kosten nach dem größten Nutzen für sich selbst strebt. Seine Berechnungen werden von seinem Standpunkt aus als Individuum gemacht und nicht unter Berücksichtigung einer größeren Gemeinschaft, der Umwelt, der Nation oder der Welt. Es gibt viele Belege, dass Menschen oftmals als homo solidaricus – solidarische Menschen – handeln. Altruismus, Gegenseitigkeit, Solidarität, Kooperation, Beherztheit, Liebe, soziale Werte und Ansehen – diese Motive können genauso stark, wenn nicht stärker sein als materieller, individueller Gewinn. Wir sollten unser Stichwort nicht bei Darwins Vorstellung vom Überleben des Stärkeren suchen, sondern bei Modellen wie interdependente Beziehungen von Symbiose und Kooperation. Kooperativen passen gut zu diesem Bild des homo solidaricus. Zusammen mit partizipatorischer Demokratie, dem Kernprinzip der solidarischen Wirtschaft, wird die Passung noch genauer. Andere Prinzipien der solidarischen Wirtschaft sind komplizierter. Gerechtigkeit ist ein weit gefasstes Konzept. Für Gerechtigkeit für Arbeiter-Eigentümer einzutreten, heißt noch lange nicht, sie auch für die angestellten Nicht-Eigentümer zu fordern. Wie weit die Gerechtigkeit hinsichtlich Geschlecht, Herkunft und Hautfarbe, sexuelle Orientierung und Identität reicht, ist Teil der Statuten und Umgangsweisen jeder einzelnen Genossenschaft. Doch der Genossenschaftsgedanke gibt Grund zur Annahme, dass aufgeklärte Haltungen eher befördert werden (vgl. den Beitrag von Ness, 32ff). Dasselbe gilt für das Prinzip der Nachhaltigkeit (auch wenn sie nicht in den sieben Prinzipien der Genossenschaften genannt ist, vgl. 125, Fn 11). Die Beispiele zeigen verschiedene Wege, wie die Beschäftigten Solidarität und wirtschaftliche Kooperation gegen Diskriminierung und Marginalisierung nutzen können, ihre Kräfte bündeln und ihre eigenen, auf gegenseitigen Nutzen gerichteten und oft demokratischen Unternehmen schaffen können. Arbeiter-Kooperativen wollen alternative, demokratische Eigentumsstrukturen schaffen – während Monopolmacht, Ungleichheit, Hierarchien, begrenzte Ressourcen und Marktversagen weiter wirken. Viele der Gründungsverläufe gleichen sich: Aufgrund eines Bedarfs oder Problems kommen Menschen zusammen, fangen klein an und verteilen Risiken breit, nutzen vorhandene Kontakte; Selbsthilfe in der Gruppe befördert die Motivation und eine andauernde Auseinandersetzung mit Aus- und Weiterbildung. Auf Grundlage einer ersten wirtschaftlichen Stärkung gelingt es vielen Kooperativen, größere Kämpfe um die Verbesserung von Arbeitsbedingungen und -vorschriften, Krankenversicherung und Versorgungsleistungen, wirtschaftliche Stabilität und Vermögensbildung, demokratische Mitbestimmung und Entwicklung des Gemeinwesens zu bestehen – insbesondere dann, wenn sie Teil eines größeren Netzwerks und einer breiten Bewegung für eine solidarische Wirtschaftsweise sind. Genossenschaften können aus ihrem Engagement in einer breiten, auf Transformation gerichteten Bewegung für eine solidarische Ökonomie Nutzen ziehen:
- Macht durch Größe: Solidarische Wirtschaft als breit angelegte Bewegung kann helfen, mehr Menschen für Genossenschaften zu interessieren. So hat etwa das Netzwerk für eine solidarische Ökonomie in den USA (SEN) dabei geholfen, neue Kooperativen zu gründen, darunter die Jersey Shore Neighborhood Cooperative, die Well Spring Initiative und das Southern Grassroots Economy Project, und es hat die Gründung einer Einwanderergenossenschaft unterstützt.
- Wirtschaftliche Integration: Die solidarische Wirtschaft versucht, Zuliefererketten zu stärken und ökonomische Integration zwischen Kooperativen und anderen Bereichen wie Finanzen, Konsumption, Austausch, alternativen Währungen, öffentlicher Sektor und den Commons zu entwickeln. Das Netzwerk hat begonnen, eine Karte solidarischen Wirtschaftens in den USA anzulegen, um die wirtschaftliche Integration zu verbessern, und es beteiligt sich an RIPESS, einem weltweiten Netzwerk der Netzwerke sozialen und solidarischen Wirtschaftens.
- Bereichsübergreifende Unterstützung: Kooperativen können eine zentrale Komponente einer neuen Wirtschaftsweise sein. Die globale Bewegung für eine solidarische Ökonomie verleiht allen ihren Wirtschaftsbereichen größere Sichtbarkeit, eine Stimme und Macht – als politisch Handelnde, als Konsumenten, Arbeiter-Produzenten und Mitglieder des Gemeinwesens.
- Systemwandel: Genossenschaften sind häufig zu Kompromissen gezwungen, um gegen kapitalistische Unternehmen bestehen zu können, die auf Niedriglöhnen, union-busting, schlechten Arbeitsbedingungen etc. basieren. Eine Verbindung von Genossenschaften mit einer breiten Bewegung für die Transformation zu einer solidarischen Wirtschaftsweise würde beiden nützen. Zusammen sind wir stärker als versprengt in einzelnen Wirtschaftssektoren. Für eine gesellschaftliche Transformation müssen Kooperativen aus dem Schatten heraus und in den Mainstream eintreten können.
Aus dem Amerikanischen von Catharina Schmalstieg *Passagen des Artikels, insbesondere über die Kooperativen FQB und CHCA, sind auf Grundlage von Jessica Gordon Nembhard (i.E.) entstanden.