Ein Umbau der Automobilindustrie wird nur mit den Beschäftigten gelingen. Demokratisierung der Wirtschaft, die Einrichtung von Branchen- und Strukturräten sind in diesen Tagen der Krisendiskussion so oft gefordert wie seit den 1970er Jahren nicht mehr – doch bisher kaum in die Betriebe der Autokette getragen worden. Auch die sozialen Auseinandersetzungen in den Betrieben spielen in den Proklamationen für eine ökologische Industriepolitik nur selten eine Rolle.
Zu klären ist, was die Beschäftigten und ihre Vertretungen zu immer mehr Konzessionen treibt und wie die Inszenierung von Machtspielen den Bewegungsraum verengt. Wie können »Haltelinien« ausgehandelt werden und wo gibt es Widerstand gegen das immer stärkere Gegeneinanderausspielen von Standorten, von intern vermarktlichten, fragmentierten Unternehmensteilen, von Belegschaften innerhalb der Konzerne und entlang der Wertschöpfungskette? Wie kann es gelingen, die »Produktivität« wieder auf die Tagesordnung zu setzen, jenseits der Wachstumseuphorie? Ohne transnational koordinierte Debatten über die Renditeziele und deren Verteilung in den Konzernen bleibt eine Gegenmacht im Einzelbetrieb marginal.
Strukturelle Überproduktion gibt es in der Autoindustrie nicht erst seit der Krise 2007/2008. Die Betriebsräte der Hersteller haben im Rahmen ihrer Beteiligung an Investitionsplanungen den jahrelang absehbaren Aufbau von Überkapazitäten mitgetragen, wie auch die IG Metall in ihrer Aufsichtsratsrolle im Rahmen der Unternehmensmitbestimmung. Bei VW ist es im Zuge der Tarifverhandlungen 2006 immerhin zur Einrichtung eines Investitionsfonds für Zukunftsprojekte gekommen, der 2009 um einen zweiten – nun für Projekte jenseits des Kerngeschäfts – erweitert wurde. Auch bei Mahle wurde ein Fonds für die Entwicklung einer Alternative für den Standort Alzenau erreicht. Das sind aber noch Ausnahmen. Das Management folgt der einzelbetrieblichen Rationalisierungslogik und fordert immer groteskere Produktivitätsvorgaben. Das ist Ausdruck einer veränderten Shareholder-Orientierung im finanzmarktgetriebenen Kapitalismus. Obwohl sie wissen, dass zehnprozentige Produktivitätssteigerungen pro Jahr mit cost-cutting und Arbeitsverdichtung einhergehen, gibt es kaum Widerstand auf Seiten der Beschäftigtenvertretungen.
Bei BMW und Daimler gibt es zunehmend Auseinandersetzungen innerhalb der IGM. Im Daimler-Werk Ludwigsfelde droht einigen der IGM-Ausschluss. Im Zuge der Betriebsratswahlen bei BMW rief bereits das Management die Fraktionen zum Betriebsfrieden auf. Schöne Zeiten sind das. In einigen Zulieferbetrieben haben jedoch auch die Betriebsräte genug von den Konzessionen, dem race to the bottom. Nichts geht mehr, wenn auch noch am Kurzarbeitergeld gestrichen wird, dann lieber den Standort aufgeben. Ohne alternative Arbeit ist das schwer. Seit Oktober 2008 gab es in Deutschland über 90 Insolvenzen im Zulieferbereich, zahlreiche Autohäuser machten zu. Einige sind mittlerweile von Konkurrenten übernommen worden, aber viele Beschäftigte sind in Transfergesellschaften geparkt – auch hier trotz Zusatzqualifikation oft ohne Aussicht auf alternative Arbeit.
Wegen ansteigender Exporte wurde die Produktion in vielen Betrieben seit April/ Mai 2010 wieder hochgefahren. Eingestellt werden nur Leiharbeiter; jung und belastbar müssen sie sein. »Das Arbeitstempo steigt, der Autobau ist erneut von extremer Arbeitsverdichtung betroffen. (Zeitschrift Gute Arbeit 06/2010, 6). Nicht einmal zwei Jahre ist es her, da wurden die Leiharbeiter als die ersten Leidtragenden der Krise ausgemacht, das sollte in Zukunft verhindert werden. Lernen verschoben. Nun, die nächste Krise kommt bestimmt.
Absatzwachstum und Beschäftigungswachstum fand seit einigen Jahren bis 2009 vor allem in Mittelosteuropa, in Brasilien, Süd-Korea, in den fünf Autotigern Indonesien, Taiwan, Malaysia, Thailand, Indien und vor allem China statt. In China streikten die Belegschaften von Honda und Toyota im Mai und Juni 2010 erfolgreich für höhere Löhne und bessere Bedingungen und konnten Zugeständnisse an freie Betriebsratswahlen durchsetzen. Die Reaktionen im Westen bezogen sich nicht etwa auf den Erfolg für die Beschäftigten, sondern hofften, dass die billige Autoproduktion zu Ende ginge, bezogen sich also auf die Konkurrenzbedingungen.
Wider Erwartungen und trotz hoher Investitionen wuchs der russische Markt nicht, Investitionen wurden verschoben, zum Teil zurückgenommen. Die finanzielle Beteiligung der Sber-Bank an GM ist vom Tisch. Auch hier konnten nach heftigen Auseinandersetzungen mit Aussperrungen z.B. bei Ford in St. Petersburg höhere Löhne erstreikt werden. Dies war Anlass für ein erstes Treffen der Ford-Betriebsräte über Westeuropa hinaus.
In den emerging markets kam es außer in China spätestens im Jahr 2009 zur Stagnation mit negativen Folgen etwa für die Arbeit in den MOE-Regionen. Allen voran VW, aber auch Fiat, PSA, Renault/Dacia, GM, Toyota und Hyundai hatten auf den Aufbau von Automobilregionen in Mittelosteuropa gesetzt, zu Ungunsten von Standorten in Großbritannien, Spanien und Portugal. Höhere Löhne wurden z.B. erstreikt bei Skoda in der Tschechischen Republik, bei Renault in Slovenien und Rumänien. Neue Wachstumsmärkte entstanden indes kaum, nicht nur in Polen dominieren Gebrauchtwagen aus Westeuropa. Die Hersteller gaben die erhöhten Kosten durch steigende Löhne in Form von Lost-costBeschaffungsvorgaben an die Zulieferer weiter. Die Fertigung von arbeitsintensiven Teilen wanderte immer weiter.
Der Arbeitsplatzabbau in der Krise fand vor allem im Süden und in Mittel- und Osteuropa statt. Lohnzuwächse gibt es seitdem kaum noch, in einigen Ländern wie Rumänien wurden die ohnehin geringen Mindestlöhne drastisch reduziert. Fiat zieht Produktion aus Polen ab, verlagert nach Italien zurück, Bosch konzentriert Entwicklungsbereiche auf die deutsche Zentrale. Standortschließungen sind die Folge. Auch in den Kernländern haben Hersteller wie Zulieferer die Krise zur Durchsetzung massiver Restrukturierungsprogramme genutzt. Dabei geht es um umfassende cost-cutting-Strategien, die alle Arbeitsplätze in den Unternehmen betreffen: Fertigung, Verwaltung, Forschung und Entwicklung.
Werden Autohersteller in ökonomischen Analysen in Gewinner und Verlierer eingeteilt, dann werden Wettbewerbsparameter wie Absatz, Umsatz, Bruttomargen, operative Ergebnisse, Umsatzrenditen, Investitionen, Eigenkapitalquoten etc. verglichen (IGM 2010). Die liquiden Mittel aller europäischen Hersteller haben sich trotz Krise verdoppelt bis verdreifacht. Geld ist also genug da. Sie haben es eingespart bei Investitionen, durch Kurzarbeit, den Abverkauf der Halden und den Abbau von Arbeitsplätzen z.B. von über 5 000 bei BMW (fast ausschließlich Leiharbeiter), fast 16 000 weltweit bei Daimler. VW/ Audi hat dagegen Beschäftigung ausgebaut: in China und durch die Re-Integration der Auto 5 000 GmbH in die VW AG. Die Bruttomargen bewegen sich zwischen 10,5 Prozent bei BMW und 20 Prozent bei Renault. Die operativen Umsatzrenditen sanken krisenbedingt. Verdient wird genug.
Weltweit sind Restrukturierungsmaßnahmen mit Standortschließungen nicht länger Ausdruck von Krise und Strukturwandel, sondern zum permanenten Instrument der Unternehmenspolitik geworden. Für eine internationale arbeitspolitische Auseinandersetzung ist eine Einteilung der Automobilregionen in Gewinner und Verlierer kontraproduktiv. Hören wir auf, von Schwellenländern zu reden, die »uns« bedrohen, einholen, überholen. Diskutieren wir über die Widerspruchskonstellationen des Interessenhandels (Detje u.a. 2008, 52), über Auseinandersetzungen an den Standorten in Streiksituationen, auch über Widerstände gegen die Einführung konzernweiter Standards wie z.B. im Fall der Zeitarbeit durch VW-AutoVision in Brasilien und Mexiko.
Wenn die Überlebensfähigkeit einzelner Hersteller diskutiert wird, geht es um Größe und um eine breite Modellpalette. Nur Hersteller mit mehr als vier Millionen produzierten Autos im Jahr seien überlebensfähig. Renault und Nissan haben nur zusammen eine Chance; Honda, Mazda und Mitsubishi sind nicht groß. Zugleich drohe Gefahr durch neue Konkurrenten, eher kleine Produzenten in China oder der Abzug von Technologie durch Tata oder Geely im Zuge der Aufkäufe von Landrover Jaguar und Saab (Wolf 2010). Paradox, dass die IGM (2010, 40) argumentiert, dass Dreiviertel der in Deutschland produzierten Autos in den Export gehen, zukünftige Investitionen auf neue Standorte konzentriert werden müssten. Sie sieht die Bedrohung von inländischen Arbeitsplätzen durch Verlagerung der Produktion in lokale Wachstumsmärkte, fordert jedoch keine Investitionen in Alternativen. Bedrohung gehe auch von der Verringerung der Wertschöpfung durch downsizing aus.
»Downsizing« suggeriert kleinere Motoren, leichtere Fahrwerke und Leichtbaumaterialien, emissionsärmere Gesamtfahrzeuge. Gemeint sind aber Effizienzsteigerungen durch Synergien ganz unterschiedlicher Art: Im konventionellem Antrieb geht es um die Erzielung gleicher, nicht reduzierter Motorleistungen bei Hubraumreduzierung etc., bei der Umstellung von Plattformen auf modulare Baukästen (gleiche Fahrwerke, auf die unterschiedliche Karosserien aufgesetzt werden – z.B. wird die PQ 35 Golf-Plattform auch eingesetzt bei Skoda Octavia, Seat Toledo, Audi A3) werden Flexibilitätsvorteile mit zusätzlichen Skalenerträgen verbunden. Mit Re-Taylorisierung und Standardisierung von Arbeitsprozessen entlang der gesamten Wertschöpfungskette wird Arbeit vernichtet. Es geht um nichts anderes als die Steigerung der Produktivität.
Die Diskussion um Alternativen kreist um Elektroautomobilität – wessen eigentlich? In Europa sind vor allem Staaten und mit ihnen viele Forschungseinrichtungen die Treiber der Entwicklung. Es gibt volle Fördertöpfe. Konzeptwettbewerbe um Modellregionen wurden in nahezu allen Autoländern Europas gestartet. Für Szenarien und Prognosen wurde viel Geld ausgegeben. Schon seit Herbst 2008 vergeht kaum ein Monat, in dem nicht eine neue Studie über die Herausforderung »Elektromobilität« in Europa verbreitet wird (Michaux 2010; FhG-IAO/PwC 2010). Der französische Staat ist vorgeprescht, andere folgten mit nationalen Entwicklungsplänen. Innerhalb von zehn Jahren soll eine Million Autos zusätzlich auf deutschen Straßen fahren – wenig bedeutsam angesichts des jährlichen Marktes von 3,5 Millionen neuen Autos bei einem Bestand von 55 Millionen Fahrzeugen in Deutschland. Für die Hersteller handelt es sich um eine kleine Nische: VW plant bis 2018 eine Steigerung der Weltproduktion von jährlich sechs Millionen auf elf Millionen. Die Produktion des Elektroautos E-up läuft erst 2013 an und soll jährlich bei ca. 50 000 liegen. Eine Trendwende weg vom konventionellen Antrieb ist dies kaum. Das E-Car ist zuerst einmal der Drittwagen für die Reichen und die neuen »Kreativen« der Innenstadt. In den Städten – erste Ergebnisse vom BMW-Flottenversuch liegen vor – werden diese Autos vor allem zu Hause strombetankt. Haus- und Garagen-Besitzer, nicht Mietbewohner im fünften Stock sind das Marktklientel der Zukunft. Dass regenerative Energien fehlen, Batterien noch überwiegend aus Blei bestehen und Lithium weltweit rar ist, Infrastruktursysteme Mangelware sind usw. – all dies weiß offenbar vor allem das Management der Hersteller in Europa, denn sie setzen nicht allein auf den Elektroantrieb. Das Management von VW und Audi leistet es sich, sieben und mehr Antriebssysteme weiterzuverfolgen, und steht damit nicht allein. Was fehlt, sind die langfristigen Beschäftigungswirkungen, wenn Motoren, Kolben etc. nicht mehr zum Einsatz kommen. In einigen Betrieben wird nach alternativen Produktionen gesucht. Das ist ein Einstieg in den Umstieg. Geld ist in den Konzernen genug da. Erhebliche Anteile der Investitionen müssen in die Entwicklung alternativer Produktion fließen. Elektroautos sind kein Ausweg aus der Beschäftigungskrise. Belegschaften und ihre Vertretungen haben Spielräume, diese Investitionen zu erkämpfen – das geht aber nur in konzernweiten gemeinsamen Verhandlungen. Ansonsten droht ein neuer Wettbewerb, jetzt nicht um Modellzuweisungen, sondern um alternative Produktion.