Die Gefährdung unserer natürlichen Lebensgrundlagen ist eng damit verknüpft, wie im Kapitalismus produziert wird. Der Zwang zum Wachstum und dass ökologische Kosten externalisiert werden – darin liegen strukturelle Schranken für ein Leben im Einklang mit den ökologischen Grundlagen. Ein grüner Kapitalismus kann Profitzwang und nachhaltige Produktion nicht versöhnen; er kann den Planeten höchstens für einen Teil der Menschheit lebensfähig halten. Gesundheit, Qualität der Ernährung oder risikoarme Lebensorte bleiben von den finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen abhängig. Für eine Partei, für die gleiche soziale und demokratische Rechte ein unverrückbarer Bezugspunkt sind, ist er daher keine Perspektive. Die ökologische Frage ist zwingend mit der sozialen Frage verbunden und sie kann ein eigenständiger Zugang zum Thema »Sozialismus« sein.
Eine Erderwärmung von zwei Grad Celsius würde katastrophale Folgen für das Leben auf unserem Planeten (Dürren, Überschwemmungen, Wetterextreme) haben – insbesondere für die Menschen in den ärmeren Teilen der Welt. Auf dem Kopenhagener Klimagipfel 2009 wurde vereinbart, dass in der Europäischen Union gegenüber dem Basisjahr 1990 80 bis 95 Prozent der Treibhausgasemissionen einzusparen sind – ein Ziel, dem sich die LINKE im Parteiprogramm verpflichtet hat.
Was ökologisch zwingend klingt und eher ein technisches Problem zu sein scheint, findet politische Unterstützer aus unterschiedlichen Richtungen. Doch in den knapp vier Jahrzehnten, die seit Veröffentlichung von »Grenzen des Wachstums« durch den Club of Rome vergangen sind, ist der ökologische Wandel unter kapitalistischen Vorzeichen kaum vorangekommen: Unsere Produktionsweise, insbesondere in den nördlichen Teilen der Welt, ist noch immer Ressourcen vernichtend. Ökologische Effekte, die durch den Ausbau erneuerbarer Energien oder durch effizientere Energienutzung entstanden sind, werden durch das allgemeine Wirtschaftswachstum und durch den Rebound-Effekt wieder aufgefressen (vgl. LuXemburg 1/2011).
Die konkreten Reformvorschläge mö- gen sich ähneln, die Differenzen liegen im Grundsätzlichen: Wer wie die Grünen glaubt, dass die ökologisch-ökonomische Krise nur eine irrtümliche Fehlentwicklung der Marktwirtschaft ist und mit »grüner Marktwirtschaft gegen Markt- und Politikversagen« zu heilen sei (vgl. Bündnis 90/Die Grünen 2008, 1), macht sich vielleicht mehr Illusionen über die kapitalistische Wachstumsdynamik und Vermachtung gesellschaftlicher Verhältnisse als diejenigen, die eine Lösung der ökologischen Probleme im Kapitalismus in Zweifel ziehen (Candeias 2010, 21).
Dieses Argument mag überraschen. Reformen des Kapitalismus scheinen zunächst realistischer als seine Transformation. Dagegen spricht die Macht der alten Industrien der fordistischen Ära, also der großen Energieversorgungsunternehmen oder der Automobilindustrie, die sich als Bremsklötze einer ökologischen Reformpolitik erweisen. Denken wir daran, wie die Energiekonzerne in Deutschland den halbherzigen Atomausstieg der rot-grünen Bundesregierung unter der jetzigen Bundesregierung wieder einkassieren konnten. Nur durch die Atomkatastrophe in Fukushima konnte er durchgesetzt werden. Und: »Ein grüner Kapitalismus würde«, warnt Ulrich Brand, »eine neue Phase der Regulation der Naturverhältnisse einleiten, die nicht grundlegend die Degradation stoppen wird. Er wird, wie alle gesellschaftlichen Verhältnisse unter Bedingungen der Dominanz der kapitalistischen Produktionsweise, selektiv sein, vielen Menschen zu mehr Einkommen und einem höheren materiellen Lebensstandard verhelfen, andere Menschen und Regionen ausschließen oder gar ihre materiellen Lebensgrundlagen zerstören« (Brand 2012). Die Inwertsetzung der Natur wird dazu führen, dass alle Waren und Dienstleistungen, die mit dem Leben unmittelbar verknüpft sind (Luft, Ernährung, Wohnorte), teurer werden und die Frage der Lebensdauer noch viel stärker eine soziale Frage sein wird. Die Klassenfrage ist dann nicht nur eine Frage der sozialen Gleichheit, sie wird zur Überlebensfrage. All diese Momente – die Wachstumsdynamik, die ökonomisch vermachteten Verhältnisse und die mangelnde Akzeptanz ökologischer Reformen aufgrund der sozialen Spaltung – lassen die Option eines grünen Sozialismus nicht unwahrscheinlicher werden als die eines grünen Kapitalismus.
Das Parteiprogramm der LINKEN formuliert als Ziel den demokratischen Sozialismus, der sich an »Freiheit, Gleichheit, Solidarität, an Frieden und sozial-ökologischer Nachhaltigkeit« orientiert (Die LINKE 2011, 28). Im Zusammenhang des Kapitels »Öffentliches und Belegschaftseigentum« (30ff) wird darauf hingewiesen, dass auch unter ökologischen Gesichtspunkten z.B. eine gesellschaftliche Organisation der Energieversorgung und des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs angezeigt ist.
»Grüner Sozialismus« kommt als Begriff im Parteiprogramm nicht vor, wohl aber der sozial-ökologische Umbau. Doch es findet sich keine theoretische Verknüpfung der ökologischen Frage mit dem Demokratischen Sozialismus. Auch das von der Bundestagsfraktion angestoßene Projekt »PLAN B – das rote Projekt für einen sozial-ökologischen Umbau« – spricht vom sozial-ökologischen Umbau (vgl. Fraktion die LINKE 2012). Wir wollen uns der Frage nach einem grünen Sozialismus über die Kritik an der Unfähigkeit der bestehenden politisch-ökonomischen Ordnung, den ökologischen Herausforderungen gerecht zu werden, nähern; von hier aus müssen wir Parameter einer gesellschaftlichen Ordnung bestimmen, die den Prinzipien einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft gerecht wird und zugleich die Reproduktion der Menschheit so gestaltet, dass ihre natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben.
Dem Kapitalismus wohnt der Zwang zu Wachstum und zur Landnahme noch nicht zur Ware gewordener Bereiche inne (vgl. Dörre 2011), Kosten der Produktion – ökologische, soziale – werden externalisiert. Während die sozialen Kosten (Krankheit, Erwerbsarbeitslosigkeit, Kriminalität) auf die Gesellschaft übertragen werden, werden die ökologischen Kosten der »Natur« übergeholfen, beides mit fatalen Folgen. Würden die Kosten wieder internalisiert, beispielsweise über Ökosteuern oder Verbote, würden Produktionskosten erhöht und Gewinne reduziert – das scheut das Kapital wie der Teufel das Weihwasser. Eine ökologische Regulierung des Kapitalismus ist deshalb nur als Folge politischer Kämpfe denkbar.
Diese Kämpfe werden bereits geführt (vgl. LuXemburg 1/12). Die Partei die LINKE ist an vielen Punkten Teil dieser Kämpfe, z.B. in der Klimagerechtigkeitsbewegung oder bei der Rekommunalisierung der Energieversorgung. Die Konzepte zur ökologischen Regulierung des Kapitalismus sind durchaus mannigfaltig. In grünen Parteien und in Teilen der Umweltbewegung wird regelmäßig ein »Green New Deal« – also ein ökologisch reformierter grüner Kapitalismus – gefordert (vgl. Bütikofer/Giegold 2010). Die Grünen stoßen mit ihrem Angebot des Green New Deal bei der Bevölkerung und der neuen Öko-Industrie auf Zustimmung, und hier liegen Anknüpfungspunkte für Kooperationen. Statt auf große Photovoltaikanlagen und Offshore-Windparks in den Händen weniger Energieversorgungsunternehmen setzt die LINKE allerdings auf eine dezentrale und kommunale Energieversorgung. Kommunale Energieversorgung ist letztlich nicht nur ökologisch sinnvoller, sondern auch ökonomisch für die Kommunen ertragreicher. Die Gewinne der großen Energieversorgungsunternehmen müssen dann nicht mehr mitfinanziert werden, sondern können für soziale und kulturelle Projekte vor Ort verwendet werden (vgl. LuXemburg 1/2012).
Saral Sarkar versteht »Ökosozialismus« als »eine Synthese von dem Ideal einer egalitären-solidarischen Gesellschaft und dem Ideal einer nachhaltigen Wirtschaft«, aus der sich ein Anspruch an den Sozialismus ergibt: »Der alte Sozialismus« suchte sein Ziel auf »Grundlage einer hoch entwickelten industriellen Ökonomie« zu verwirklichen. Angesichts der Grenzen des Wachstums einer industriellen Produktions- und Lebensweise ist dies »völlig illusorisch« (2012). Die Wachstumsfrage trifft einen Kern des traditionellen linken Selbstverständnisses. Der Glaube an den Fortschritt war lange ein zentrales Moment linker Identität – insbesondere der marxistisch geprägten Arbeiterbewegung. Dabei muss der »grüne Sozialismus« nicht als ökonomisch schrumpfende Gesellschaft gedacht werden. Empfehlungen, dass alle auf Wohlstand zu verzichten hätten, ist mit größtem Misstrauen zu begegnen: »Ohne eine wirksame Bekämpfung von sozialer Ungleichheit und Prekarität im globalen Maßstab wird sich ökologische Nachhaltigkeit weder national noch international durchsetzen lassen.« (Dörre 2012) Die soziale Frage verbindet sich mit der ökologischen und der Demokratie.
Begrifflich verhält sich die Ergänzung »grün« zum Sozialismus wie seine Ergänzung »demokratisch«: Die Geschichte des realen Sozialismus und die Debatten innerhalb der sozialistischen Bewegungen zeigen, dass es keine Tautologie ist. Grüner Sozialismus lässt sich als eine postkapitalistische Gesellschaftsformation beschreiben, die sich nur als Dreiklang von demokratischer Steuerung von Wirtschaft und Gesellschaft, ökologischer Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit denken lässt. Eine Gesellschaft, die im Gegensatz zum Kapitalismus in der Lage sein wird, jenseits eines strukturellen Profit- und Wachstumszwangs die Lebensqualität zum Maßstab ihres ökonomischen Handelns zu machen. Hierin liegt der zentrale Unterschied zwischen grünem Kapitalismus und grünem Sozialismus: Selbst wenn im ersteren zukünftig nur noch Elektroautos gebaut werden sollten, wird er nicht die vielfältigen Bedarfe nach ökologischen Produkten befriedigen können. Was sich privatwirtschaftlich nicht rentiert, etwa der kleinteilige öffentliche Nahverkehr in ländlichen Gebieten, wird nicht angeboten werden. Hier stößt die Marktsteuerung an ihre Grenzen, hier wird demokratische Steuerung zur ökologischen Notwendigkeit.
Statt wie unter kapitalistischen Bedingungen auf die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes zu starren – einer ökonomischen Messgröße, bei der sogar Unfälle, Naturkatastrophen und Umweltschäden zur Steigerung beitragen –, rückt im grünen Sozialismus die Frage nach der Qualität ökonomischer Entwicklung, der ökologischen Nachhaltigkeit oder Auswirkungen für die Lebensweise der Menschen in den Fokus. Soziale Probleme werden nicht mit mehr stofflichem Konsum und Ressourcenverbrauch zu lösen sein, insbesondere wenn wir sie im Weltmaßstab betrachten. Grüner Sozialismus setzt deshalb nicht auf quantitatives, sondern auf qualitatives Wachstum – gedacht als nachhaltige ökologische Produktion und Steigerung der Lebensqualität durch Zeitgewinn für Kultur, demokratische Teilhabe, Muße und Bildung. In weniger ungleichen und in sozial gesicherten Gesellschaften wird der Wunsch, seinen gesellschaftlichen Status mittels materieller Symbole auszudrücken, zurückgehen. An die Stelle von Statussymbolen und Konkurrenz kann Kultur das Bedürfnis nach Differenz und Ausdruck der eigenen Persönlichkeit setzen. Deshalb ist sozialer Ausgleich – sowohl innerhalb einzelner Gesellschaften als auch zwischen Ländern – ein wichtiger Schlüssel zur Lösung der ökologischen Frage (vgl. van Treeck 2012).
Wollen wir vom grünen Sozialismus nicht nur träumen, müssen wir Transformationsprojekte formulieren, die bereits seine Prinzipien innerhalb der bestehenden Machtverhältnisse erkennbar werden lassen; die also nicht nur auf das parlamentarisch Durchsetzbare, sondern auf die Gewinnung einer anderen Hegemonie orientieren: Etwa bürgernahe kommunale Kraftwerke und eine Rekommunalisierung der Energieversorgung; eine ökologisch-soziale Steuerreform, die aus der Umsatzsteuer eine Verbrauchssteuer nach ökologischen Kriterien macht – also Produkte, die in der Herstellung oder im Verbrauch energieintensiv sind, stärker besteuert und andere entlastet und gleichzeitig hohe Einkommen und Vermögen zur Finanzierung und zum sozialen Ausgleich heranzieht. Gesetzliche Vorgaben können ökologische Produktvarianten zum Standard erheben. Statt Ressourcenkriege der Industrieländer zur Durchsetzung ihrer ökonomischen Interessen brauchen wir eine Politik der Entschuldung und eigenständigen Entwicklung. Umwelttransfereinkommen können als monatliche Zahlung zur Deckung von Energiekosten realisiert werden, mit denen jedeR seine Energiekosten (teilweise) decken kann, sodass ökologisches Verhalten belohnt und gleichzeitig verhindert wird, dass der Verbrauch von Energie arm macht (vgl. Fraktion die LINKE 2012, 13).