In den Industriegesellschaftenhat sich in den letzten Jahren das Bewusstsein durchgesetzt, dass das herrschende Energie-, Konsum- und Produktionsmodell grundlegend transformiert werden muss. Eine ökologische Wende scheint konsensfähig, wenn auch nicht ausgemacht. Im Mainstream-Diskurs wird dieser Politikwechsel v.a. unter den Stichworten Green Economy und Green New Deal verhandelt. Der grundlegende Widerspruch bleibt bei dieser Debatte jedoch ausgeblendet: Kapitalakkumulation braucht Wachstum. Wo weniger produziert und konsumiert wird, wird aber auch weniger in Wert gesetzt. Der Kapitalismus verträgt sich faktisch nicht mit De-Growth-Strategien.

Vor diesem Hintergrund drängt sich das Konzept »grüner Sozialismus« theoretisch geradezu auf. Eine ökologische Konversion würde implizieren, dass das Naturverhältnis der Gesellschaft (und damit auch ihre Arbeitsformen, Lebensgeschwindigkeit, Konsummuster usw.) nicht länger vom Zwang zur Kapitalverwertung bestimmt wird, sondern umgekehrt die Gesellschaft über ihr Naturverhältnis entscheidet – eine klassisch sozialistische Idee.

Geschichtsdeterminismus, Technikkritik, Agrarkommunismus …

Doch wenn die Verbindung so nahe liegend ist, warum haben sich die realen Sozialismen – vom Staatssozialismus des 20. Jahrhunderts bis zum lateinamerikanischen »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« – noch immer durch eine Naturzerstörung ausgezeichnet, die der im Kapitalismus in nichts nachsteht? Ein Grund ist sicherlich, dass sich der Sozialismus ideengeschichtlich als Fortschrittsprojekt verstand, bei dem die Entwicklung der Produktivkräfte die Funktion eines Motors hatte. Der Marxismus der Zweiten Internationale und zugespitzt der Sowjetmarxismus verwandelten das Marxsche Argument, wonach die technische Entwicklung die Tür zum Kommunismus aufschlägt, indem sie die Menschheit von Mangel befreit und die fragmentierten Unterklassen zu einem sozialen Subjekt verbindet, in ein deterministisches Gesetz. Aus der Marxschen Möglichkeit wurde historische Mechanik: Die Produktivkraftentwicklung treibt die Gesellschaft auf den Kommunismus zu. Im Umkehrschluss bedeutete das: Da Befreiung nur auf höchstem industriellen Stand möglich ist, muss die sozialistische Gesellschaft den technisch-industriellen Sprung in nachholender Entwicklung forcieren. Die Gewalttätigkeit des Stalinismus war in diesem Zusammenhang nur folgerichtig. Immerhin war die industrielle Modernisierung nicht nur in der UdSSR, sondern auch in bürgerlichen Gesellschaften oft ein gewalttätiges, teilweise sogar terroristisches Projekt (siehe etwa Armenhäuser im 19. oder die ostasiatischen Entwicklungsdiktaturen im 20. Jahrhundert).

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts formierten sich starke antideterministische Gegenbewegungen, die Entwicklungsvorstellungen und teilweise auch das Naturverhältnis zu hinterfragen begannen. Dabei überlagerten sich verschiedene Debatten: In der westeuropäischen und nordamerikanischen Linken schlug die Frankfurter Schule eine alternative Marx-Lektüre vor, in der Naturverhältnis und Kritik der instrumentellen Vernunft eine zentrale Rolle einnahmen. Die Grundlage für diesen Perspektivenwechsel legten Horkheimer und Adorno bereits in der »Dialektik der Aufklärung«, in der sie u.a. anhand des Odysseus-Mythos veranschaulichten, wie das listenreiche bürgerliche Subjekt Fortschritt als eine Erweiterung des Herrschaftswissens begreift und gleichzeitig Natur und Weiblichkeit als zu unterwerfendes »Anderes« setzt. Im Rahmen dieser Auseinandersetzungen kam es auch zu einer Wiederentdeckung des jungen Marx und dessen Pariser Manuskripte, in denen die Entfremdungskritik – verstanden als Entfremdung des Menschen von seinem Produkt, der Gesellschaft und der Natur – im Mittelpunkt steht.

In Südeuropa, v.a. in Italien, waren es in den frühen 1960er Jahren neue Arbeiterkämpfe, die ein theoretisches Interesse an Arbeitsorganisation und Entfremdung begründeten. Unter den süditalienischen Inlandsmigranten hatte sich eine neue politische Subjektivität entfaltet, die den gewerkschaftlichen Lohn- und Verteilungskämpfen fremd gegenüberstand und die fordistische Fabrik als solche als Gegner betrachtete. In diesem Kontext entwickelten italienische MarxistInnen auch eine radikale Technikkritik. Das Fließband wurde als Strategie interpretiert, mit deren Hilfe das Kapital die Belegschaften ihrer Autonomie berauben und die Arbeit hierarchisch steuern kann. Das bedeutete im Umkehrschluss, dass es – anders als von Lenin postuliert – keinen sozialistischen Taylorismusgeben könne. Eine revolutionäre Gesellschaft müsse sich jenseits der bestehenden Technik entwickeln und die kapitalistischen Arbeits- und Lebensprozesse als solche auf den Kopf stellen.

Diese These wiederum schien sich mit den Positionen maoistischer und guevaristischer Linker im Süden zu decken (vgl. Debatte in: Bettelheim/Castro/Guevara 1969), die die Möglichkeit eines eigenständigen Wegs zum Kommunismus postulierten. Was nach Entwicklungskritik klang und von europä- ischen Linken auch so (miss-)verstanden wurde, war in erster Linie jedoch innerkommunistischen Strategiekonflikten geschuldet. Da der Sowjetmarxismus davon ausging, dass Entwicklungsstadien historisch determiniert sind, setzten Moskau-treue Kommunisten in der ganzen Welt auf Reformbündnisse mit nationalen Entwicklungsbourgeoisien. Damit gerieten sie in Konflikt zu dem maoistischen und guevaristischen Revolutionsmodell, das den Aufbau von Guerillagruppen propagierte und von der Möglichkeit überzeugt war, die bürgerliche Phase überspringen zu können. Der Maoismus formulierte in Abgrenzung zum großindustriell strukturierten Sowjetmarxismus die Notwendigkeit eines eigenen, stärker bäuerlich geprägten kommunistischen Wegs.

Das Primat der Politik und der Irrsinn der Ideologie

Die verschiedenen Ansätze der Technik- und Modernismuskritik mündeten nicht minder in der Sackgasse als der traditionsmarxistische Technikfetischismus. In der europäischen und nordamerikanischen Neuen Linken gewannen anthropologische Vorstellungen von »Ursprünglichkeit« die Oberhand, die – vom bürgerlichen Diskurs des »freien Wilden« kaum zu unterscheiden – die Subsistenzformen von Indigenen, Dorfgemeinschaften, Roma etc. idealisierten und bruchlos an die Esoterik anschlussfähig waren.

Noch dramatischer verlief die Geschichte des Maoismus. Auch wenn es diesem nie um ein alternatives Naturverhältnis, sondern um eine Veränderung der Beziehungen von Stadt und Land sowie von Kopf- und Handarbeit gegangen war, illustriert seine Geschichte doch, was geschehen kann, wenn auf ideologischer Grundlage alternative Entwicklungswege definiert werden. So versuchten die Revolutionsführer im maoistischen China und im Kambodscha der Roten Khmer, die kapitalistische Moderne durch eigene Fortschrittsparadigmen zu ersetzen. In China bspw. propagierte man während des »Großen Sprungs nach vorn« (1958–1961) die Möglichkeit einer dezentralen, nicht-fordistischen Entwicklung, ließ Stahl in Hinterhof-Öfen kochen und stellte die landwirtschaftlichen Anbaumethoden radikal um. Die Kampagne war ein völliges Fiasko und zog schwere Hungersnöte nach sich. Noch drastischer war die Entwicklung in Kambodscha: Hier führte der Kampf gegen die hierarchische Trennung von Kopf- und Handarbeit zur Zwangsumsiedlung der Stadtbevölkerung und zu einer wahren Hexenjagd auf Intellektuelle. Das Primat der Politik schlug in offenen Terror um.

Betrachtet man diese Entwicklung von Fortschritts- und Modernismuskritik, so wird nachvollziehbarer, warum deutsche Linke – prominent Dath (2008) oder Dath/ Kirchner (2012) – inzwischen wieder ungebrochen technikfreundlich argumentieren. In »Implex« insistieren Dath und Kirchner auf der Marxschen Unterscheidung zwischen Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnissen, sprich zwischen technischer Innovation und gesellschaftlichen Verhältnissen. Simpel ausgedrückt: Nicht die Pharmatechnik ist das Problem, sondern ihre profitorientierte Aneignung durch das Kapital.

Doch die neoleninistische Volte beantwortet die Frage, in welchem Verhältnis Technik, Entwicklung, Herrschaft und Emanzipation denn nun eigentlich stehen, nicht wirklich. Was bei Antibiotika noch einleuchten mag (allein dass es sie gibt, ist ein gewaltiger emanzipatorischer Fortschritt), wird beim Thema Gentechnik schon komplizierter. Es gibt eben durchaus Wissen, das strukturell, also auch jenseits der profitorientierten Aneignung, Herrschaftswissen ist.

Fortschritt ohne Entwicklung?

Was hat die Modernismuskritik nun aber mit dem grünen Sozialismus zu tun? Meine These wäre, dass eines der zentralen Probleme des Staatssozialismus (ebenso wie des »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«) darin bestand, dass er kein eigenes Entwicklungsmodell (vielleicht auch Nicht-Entwicklungs-Modell) hervorbrachte. Der Sowjetmarxismus kopierte das kapitalistische Akkumulationsmodell einschließlich dessen energetischer Basis, Konsumverständnis, tayloristischer Arbeitsorganisation und utilitaristisches Naturverhältnis. Andererseits scheiterten aber auch die Versuche, sich aus dieser Umklammerung zu befreien. Die neulinke Entfremdungskritik postulierte, zumindest implizit, einen Begriff der »Eigentlichkeit«, der eine vermeintlich menschliche Natur zum Ausgangspunkt nahm: Wenn die Verhältnisse »entfremdet« sind, dann muss es auch einen »Naturzustand« geben, zu dem es zurückzukehren gilt. Die Experimente hingegen, auf ideologischer Grundlage alternative Entwicklungsvorstellungen zu formulieren, mündeten – wie im Maoismus – in voluntaristischem Erziehungsterror.

Wo also neu ansetzen? Zunächst einmal scheint mir der Marxsche Entwicklungsoptimismus doppelt widerlegt. Die in der technischen Entwicklung angelegte Möglichkeit der Emanzipation (in Daths/Kirchners Worten: »des sozialen Fortschritts«) ist geringer als von Marx erhofft. Wissensfortschritt bedeutet unter den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen eben doch v.a. eine Intensivierung von Herrschaft. Zum anderen, und dieses Argument wiegt vielleicht noch schwerer, stellt sich die Frage, ob es jenen Überfluss, der für Marx das Ende der Ökonomie und damit die Grundlage des Kommunismus einläuten sollte, überhaupt geben kann. Die natürliche Begrenztheit des Planeten Erde impliziert, dass stoffliche Güter nicht endlos zur Verfügung stehen können.2

Wenn man davon ausgeht, dass Communismus eine Aneignungsbewegung ist, in der die Gesellschaft dafür sorgt, dass Arbeitsformen, Lebensgeschwindigkeit, Konsummuster und Naturverhältnis nicht länger vom Zwang zur Kapitalverwertung, sondern in demokratischer Übereinkunft bestimmt werden, dann steht der grüne Communismus vor einem begrifflichen Problem: Die technische Entwicklung hat den Überfluss, den Reichtum für alle, arbeitstechnisch möglich gemacht; die Begrenztheit der Natur jedoch wirft uns auf die ökonomische Frage »Was brauchen wir und zu welchem Preis?« wieder zurück.

In den Verfassungen Ecuadors und Boliviens ist in den vergangenen Jahren ein alternativer Wohlstandsbegriff verankert worden. Als Antwort auf das ökonomisch-alternativlose Enteignungsregime des Neoliberalismus haben sich soziale Bewegungen auf das »gute Leben« (sumak kawsay) besonnen, wie es von indigenen Gemeinschaften propagiert wird (vgl. Larrea 2010). Der ecuadorianische Indígena-Aktivist Floresmilo Simbaña (2012, vgl. Prada 2012) definiert den Begriff folgendermaßen: 

 

  1. Reziprozität (Sozialbeziehungen, die nicht auf Tausch, aber doch auf ausgleichender Wechselseitigkeit beruhen)
  2. Gemein(schafts-)eigentum
  3. die Verbindung mit der Natur (im Gegensatz zur Trennung von Mensch und Natur im modernen Denken)
  4. soziale Verantwortung
  5. Konsens in den Gemeinschaften

In der Realität der linksregierten Länder Lateinamerikas spielen diese alternativen Parameter keine echte Rolle. Trotz der ökosozialistischen Rhetorik ist das rohstoffzentrierte, weltmarktorientierte Akkumulationsmodell in Ecuador, Bolivien und Venezuela im letzten Jahrzehnt sogar weiter vertieft worden (CEPAL 2012, 97). Zudem hat der Begriff des sumak kawsay auch konzeptionelle Probleme: Er argumentiert auf der Grundlage traditioneller Gemeinschaften, die erstens auch nicht widerspruchsfrei sind und die es zweitens jenseits der ruralen Welt kaum noch gibt.

Trotzdem scheint es mir erfolgversprechend, die Debatte um den grünen Sozialismus mit diesem, aus einer ganz anderen Denktradition stammenden Konzept kurzzuschließen. Denn das Spannungsverhältnis zwischen sozialistischer Fortschrittsbegeisterung und antiimperialer Modernisierungs- und Entwicklungskritik wird sich nicht einfach auflösen. Es ist beides richtig: Marx hatte Recht, wenn er ganz in der Tradition der Aufklärung behauptete, dass gesellschaftliches Wissen überhaupt erst die Befreiung von Mangel und Unmündigkeit ermöglicht. Es stimmt aber eben auch, was antikoloniale Bewegungen und Intellektuelle im Süden (wie z.B. Escobar 2007) betonen: dass nämlich der Entwicklungsdiskurs selbst Teil des imperialen Herrschaftsparadigmas ist. Die Vorstellung, Gesellschaften müssten tradierte Formen und Lebensvorstellungen überwinden, ist selbst schon Teil neokolonialer Herrschaft.

Die Herausforderung für einen grünen Sozialismus lautet, eigenständige Ziele von Arbeit, Kooperation und Ökonomie zu formulieren. Wir sollten uns dabei allerdings daran erinnern, zu welchem Horror das »Primat der Politik« in der Lage ist. Der Maoismus war ja nicht nur deswegen schrecklich, weil er autoritär war, sondern auch weil er den Kommunismus jenseits der stofflichen und sozialen Realität aus dem puren Willen zur »Andersheit« begründen wollte.

Wenn man akzeptiert, dass Sozialismus ein radikaldemokratisches Vorhaben ist, dann wird auch klar, welche gewaltigen Konfliktpotenziale die demokratische Verständigung über dieses Projekt birgt. Der Widerspruch zwischen der sozialistischen Forderung nach größerer materieller Teilhabe und dem ökologischen Verständnis, dass sich der stoffliche Konsum der wohlhabenden 30 Prozent der Weltbevölkerung verringern muss, liegt auf der Hand. Dass unsere Lebensund Kulturvorstellungen von kapitalistischen Verwertungszwängen geformt sind und gerade den stofflichen Konsum als Ausdruck von Lebensqualität begreifen, macht die Sache nicht einfacher. Der grüne Sozialismus wird also radikal unterschiedliche Sprachen, Wissensarten und Perspektiven zusammenbringen müssen. Eine einfache Synthese, in der sich die Widersprüche dialektisch aufheben lassen, wird es nicht geben. Auch das ist Teil der Herausforderung: lernen, die Koexistenz unterschiedlicher Logiken in einem gesellschaftlichen Projekt zuzulassen. Wir wollen Reichtum für alle, aber weniger Konsum. Technische Innovation, aber eben auch die Freiheit, tradierte gemeinschaftliche Lebensformen beizubehalten. Stete Veränderung, aber ohne Entwicklung. Das mag widersprüchlich sein, ein Hybrid – aber mit Sicherheit realistischer als Kapitalismus ohne Wachstum, als globale Inwertsetzung ohne Naturzerstörung.