Wir sind Mitte bzw. Ende 20 und studieren, so wie die Hälfte unserer Generation. Außerdem arbeiten wir, mal bezahlt, mal unbezahlt. Meistens schaffen wir es, die überteuerte Miete für unsere WG-Zimmer rechtzeitig zu bezahlen. Doch inzwischen macht sich immer öfter Erschöpfung breit. Denn wir wissen, dass uns die herrschende Lebensweise keine Zukunft bietet und nach 30 Jahren Arbeit nur Burn-out und Klimakollaps auf uns warten. Deshalb sind wir politisch aktiv und setzen uns im Alltag, an der Uni und in der Stadt Frankfurt für ein anderes Leben ein. Doch es ist eine Aufgabe, die uns in vielerlei Hinsicht fordert– und allzu oft überfordert.
Die Druckerei für alle!
Im Juni 2023 besetzten wir ein 150 Jahre altes fünfstöckiges Backsteingebäude im Herzen des Frankfurter Stadtteils Bockenheim, die ehemalige Druckerei der jüdischen Unternehmerfamilie Dondorf. Es ist ein Denkmal für die bewegte Arbeiter- und Industriegeschichte Frankfurts und erinnert an die Verfolgung und Ermordung der Familie durch die Nationalsozialisten. Im Frühjahr war bekannt geworden, dass die Max-Planck-Gesellschaft die Dondorf-Druckerei, in der zuletzt Ateliers des Kunstpädagogik-Instituts angesiedelt waren, abreißen will, zugunsten eines Neubaus für das Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik. Es wäre nicht nur der Verlust eines wichtigen historischen Gebäudes, das viele Möglichkeiten für nichtkommerzielle Nutzungen bietet, in einer stark gentrifizierten Stadt. Es wäre auch ein ökologisches Desaster, weil allein der Abriss nach Berechnungen von Architects for Future über 1,2 Millionen Kilo CO2 ausstoßen würde. Unsere Forderung ist, das Gebäude zu erhalten und in ein selbstverwaltetes kulturelles Zentrum umzuwandeln.
Nach 19 Tagen beendete die Polizei die Besetzung durch eine Räumung. In dieser kurzen Zeit ist es uns gelungen, unsere Wünsche nach einer nachhaltigeren, kollektiveren und selbstbestimmteren Lebensweise in der Realität auszuprobieren. Monatelang hatten wir auf die Besetzung hingearbeitet. Während eines Sommerfestes auf dem angrenzenden alten Unicampus öffneten wir mit Hunderten Menschen die Tore der Dondorf-Druckerei. Es spielten Punkbands im Hof, Künstler*innenkollektive stellten ihre Werke aus, in einigen Räumen waren Ateliers hergerichtet, die alle nutzen konnten. Es entstanden Hunderte Kunstwerke, die die Flure zierten. Das Gebäude wurde zum Leben erweckt, das Gefühl der gemeinsamen Stärke und der unendlichen Möglichkeiten war überwältigend. Beim nächtlichen Plenum war die Erschöpfung allen anzusehen. Doch wir hatten es geschafft: Die Polizei hatte uns nicht geräumt, es gab keine Anzeige wegen Hausfriedensbruch. Die Anspannung fiel ab und es machte sich ein Glücksgefühl breit. Wir konnten kaum glauben, dass wir das geschafft hatten.
In den nächsten Tagen standen viele Aufgaben an. Hunderte Quadratmeter freie Fläche mussten »bespielt« und alle möglichen Aktivitäten koordiniert werden. Politische Gruppen, junge Kunst- und Kulturschaffende, Nachbar*innen – alle hatten unterschiedliche Anliegen und Ideen. Es gab Barabende, Filmvorführungen und politische Vorträge. Ein Umsonstladen wurde eingerichtet, es gab kostenlosen Yoga-Unterricht, Tanz- und Theatergruppen. Es entstand ein offener und pulsierender Ort, bei dem es schwerfiel, über alles den Überblick zu behalten, der aber hervorragend funktionierte, wenn auch nach etwas anderen Regeln als den üblichen.
Nach sechs Tagen kam dann eine Einladung zur Verhandlung mit Vertreter*innen des Landes Hessen, der Goethe-Universität Frankfurt und der Max-Planck-Gesellschaft. Sie stellten den Abriss als alternativlos dar und pochten auf ein Gutachten, das von Architekt*innen und Bauingenieur*innen vielfach kritisiert wurde. Wir einigten uns auf einen zweiten Termin, zu dem es jedoch nie kam. Ohne Vorwarnung beendete ein Sondereinsatzkommando die Besetzung am 10. Juli um sechs Uhr morgens. Zahlreiche lokale und inzwischen auch landesweite Initiativen und Verbände haben sich inzwischen für den Erhalt ausgesprochen. Doch die Max-Planck-Gesellschaft und das Land Hessen halten bisher unbeirrt am Abriss fest.
Wut, Frustration, Erschöpfung
Inzwischen hat sich Erschöpfung bei uns breitgemacht. Sie ergibt sich nicht allein aus dem großen Aufwand für die Organisierung von Aktionen, für ewig lange Plena, Pressetermine und für die Abwehr von Repressionen. Unsere Erschöpfung ist politisch. Sie ergibt sich nicht aus der politischen Arbeit, sondern aus den unhaltbaren Verhältnissen in unserer Gesellschaft, die langfristig krank machen.
Wir empfinden Wut, Frustration und Ohnmacht angesichts der Ignoranz gegenüber sozialen Problemen und der eskalierenden Klimakrise. Es ist zudem aufreibend, sich ständig gegen die Erwartungen von gesellschaftlichen Institutionen, aber auch Eltern, Großeltern und Bekannten wehren zu müssen. Diese Lebensweise, die sie uns aufdrängen wollen, ist nicht nur individuell wenig erstrebenswert, sie trägt dazu bei, den Planeten zu zerstören. Unsere Erschöpfung wird von tagtäglichen Kämpfen hervorgerufen, die man individuell nicht gewinnen kann.
Das schlägt sich in allen Bereichen unseres Lebens nieder: Wie kommen wir durch die Uni, ohne uns vom Leistungsdruck isolieren und blind für die Welt machen zu lassen? Schon seit der Schule wird jede Leistung individuell geprüft, jede Seminararbeit braucht die Erklärung, dass man sie allein geschrieben hat. Vom Arbeitsleben bis in die letzten Winkel unserer sozialen Beziehungen – am Ende steht eine Person für das Endprodukt und alleine für Erfolg und Misserfolg.
Seit wir politisch aktiv sind, ist die Regelstudienzeit in weite Ferne gerückt. Neben der Lohnarbeit schaffen wir manchmal nur ein bis zwei Seminare im Semester. Der Druck ist allgegenwärtig: Kriege ich mit 16 Semestern überhaupt noch einen Job? Wie sollen wir angesichts steigender Mieten und Lebensmittelpreise klarkommen? Dazu kommt der Druck, ständig mobil zu sein: Sollen wir für den Master in eine andere Stadt ziehen, ein Auslandssemester einlegen, uns auf ein schlecht bezahltes Praktikum bewerben, um den Berufseinstieg besser zu schaffen?
Gegen Depression und Vereinzelung
Viele von uns und um uns herum sind durch Prekarität und Perspektivlosigkeit von psychischen Problemen betroffen. Zugleich gibt es gerade in aktivistischen Kreisen die Erwartung an sich und andere, stark zu sein. Die klassische Psychologie rät zum Rückzug. Doch wir möchten nicht entpolitisiert Selfcare betreiben. Wir wollen kollektiv füreinander sorgen und einander in schweren Momenten auffangen. Doch es kostet viel Überwindung, Gefühle der Erschöpfung, Überforderung oder Angst zu teilen. Nicht immer wissen wir, wie wir darauf reagieren sollen. Oft fehlen in politischen Kontexten Zeit, Raum und Erfahrungen, damit umzugehen.
Als Freund*innen und Genoss*innen versuchen wir nicht nur emotional füreinander da zu sein, sondern uns praktisch im Studium, bei der Job- und Wohnungssuche zu unterstützen. Wir schreiben Anträge, um Fördergelder für Projekte zu gewinnen, die einigen das Überleben sichern können, wenn auch nur auf Zeit. Wir versuchen, einander zu bestärken, auch mal etwas nicht zu machen, aber auch Dinge zu tun, die wir uns nie zugetraut hätten: mit Journalist*innen sprechen, einen Artikel schreiben, eine Tür aufflexen. Zu oft scheitern wir aber an unseren Ansprüchen.
Es bleibt die Frage, wie wir über ein anderes Leben schreiben und sprechen können, wenn das Geld am Monatsende nicht reicht. Der zentrale Punkt bleibt der Kampf gegen die kapitalistische Produktionsweise und die damit verbundene Lohnarbeit. Die Krux ist, dass der Kampf gegen ein Leben für die Lohnarbeit oft mit noch mehr Arbeit verbunden ist. Doch es ist eine Arbeit, die uns trotz der Anstrengung nicht einsam und entfremdet zurücklässt.
Kraft aus der kollektiven Praxis schöpfen
Der Rückzug aus kollektiven Strukturen wäre für uns fast das Schlimmste, weil wir damit die Gemeinschaft verlieren, die uns stützt. Nichts gibt uns so viel Kraft wie die Energie unserer Genoss*innen, die oft noch mehr leisten als wir selbst, von denen wir lernen, die uns wertschätzen, unsere Gedanken schärfen, kritisieren und gemeinsam zu Taten werden lassen. Nichts ist so stärkend wie die kollektive Erfahrung, dass Dinge möglich sind, wenn man sie zusammen angeht.
Das gilt auch für die Besetzung der Dondorf-Druckerei, selbst wenn sie mit einer Räumung endete. Wir erinnern uns noch gut an den Morgen, als wir zusehen mussten, wie alle von der Polizei rausgetragen wurden, als wir nur noch funktionierten und sich alles taub anfühlte. Wir sprachen dennoch mit Pressevertreter*innen, schrieben eine Pressemitteilung und riefen zu einer Demo auf. Tausend Menschen protestierten noch am selben Abend gegen die Räumung. In den nächsten Tagen kamen Trauer und Selbstzweifel. Wir fragten uns, ob wir alles gegeben hatten. Aber die Wut der anderen gab uns neue Energie. Irgendwie wurde aus Trauer und Zweifeln wieder Tatendrang. Wir erarbeiteten ein Nutzungskonzept für die Druckerei und machten weiter.
Wir haben einmal mehr gelernt: Leben ist nur in den Widersprüchen unserer Gesellschaft möglich. Das kann belastend sein. Doch die kollektive Erfahrung der Befreiung, die viele von uns immer wieder machen, und sei es nur für kurze Momente, lässt uns nie wieder los. Und wenn es stimmt, was ein Genosse in einer Lokalzeitung sagte, dann hat das nächste Kapitel des Frankfurter Häuserkampfes gerade erst begonnen.