Die Kinder sind im Bett, der Tisch ist vom Abendessen abgeräumt. Paul nimmt sich sein Notebook und setzt sich ins Wohnzimmer, Anna kommt wenige Minuten später dazu und setzt sich mit ihrem Tablet daneben. Sie überfliegt kurz die Beiträge in ihrer Freundinnen-Facebook-Gruppe, schreibt einen aufmunternden Kommentar unter den Beitrag einer gefrusteten Freundin, erinnert sich dann aber, dass sie dringend noch eine E-Mail an eine Kundin zu Ende schreiben muss, die sie nachmittags auf dem Spielplatz angefangen hatte. Zwischendurch checkt sie kurz bei clickworker, ob sie vielleicht einen passenden Auftrag findet und bis zum Ins-Bett-Gehen noch einen kurzen Text schreiben kann. Paul hat derweil die begeisterten Kommentare unter seinem heutigen Blogbeitrag im Social Network seiner Firma gelesen, lehnt sich zufrieden zurück, bevor er mit der Bearbeitung eines Wikipedia-Beitrags über einen Naturwissenschaftler weitermacht.
Historisch betrachtet waren neue Technologien meist eng mit Macht und Männlichkeit verknüpft. Feministische Technikforscherinnen wie Judy Wajcman (1994) haben gleichzeitig darauf hingewiesen, dass jede neue Technologie immer auch Anlass sein kann, Geschlechterverhältnisse neu zu verhandeln sowie Machtverhältnisse, geschlechtsspezifische Rollenzuschreibungen und Arbeitsteilungen aufzuweichen und in Bewegung zu bringen. Digitale Arbeit und die aktuell diskutierten digitalen Technologien erscheinen hingegen kaum als Geschlechterthema. Internet und Handy werden offensichtlich nicht als ›harte‹ Technik wahrgenommen. Deswegen wird in diesem Zusammenhang auch nicht, wie sonst üblich, über weibliche ›Technikferne‹ oder die unterschiedliche Medienkompetenz von Frauen und Männern diskutiert. Ist dies nun ein Fortschritt, weil es endlich gelungen ist, dichotome und stereotype Fortschreibungen von Geschlechterunterschieden in Bezug auf Technik aufzubrechen? Oder haben wir es hier eher mit einem Prozess zu tun, der die Bedeutung von Gender mit Rhetoriken der Modernisierung (Wetterer 2003) unsichtbar macht?
›Vereinbarkeit‹ und Entgrenzung, Sichtbarkeit und Öffentlichkeit
In Mainstream-Diskursen taucht Gender auf, wenn von »besserer Vereinbarkeit« von Erwerbsarbeit und Familie, einer optimierten Work-Life-Balance, durch die Verbreitung digitaler Technologien die Rede ist. Die neuen Technologien versprechen (bereits seit vielen Jahren) flexiblere Möglichkeiten räumlicher und zeitlicher Organisation von Arbeit, die das Verhältnis von Erwerbstätigkeit und anderen Lebensbereichen verändern können. Verschiedene Aufgaben können jenseits des Büros erledigt werden, mit nach Hause genommen oder auf dem Spielplatz per Tablet erledigt werden. Durch Kinderbetreuungszeiten eingeschränkte Anwesenheiten im Büro können dadurch in gewisser Weise ausgeglichen werden. Auf der einen Seite entstehen für Menschen mit Sorgeverpflichtungen, das heißt weiterhin vor allem Frauen, neue Freiräume der Alltagsgestaltung. Auf der anderen Seite wird vollständig entgrenztes Arbeiten ›immer und überall‹ – auf dem Spielplatz, im Hotelzimmer, an der Bushaltestelle, zu Hause, im Urlaub und am Wochenende – zum Normalzustand. Die geforderte Flexibilität und Erreichbarkeit stellen hohe Anforderungen an die zeitliche Selbstorganisation. Da gleichzeitig in den letzten Jahren Anforderungen, Arbeitsdichte und Zeitdruck zugenommen haben, besteht die Gefahr, dass die anderen Lebensbereiche der Erwerbsarbeit untergeordnet werden und dass es zu einer Arbeitszeitverlängerung kommt. Statt neuer Handlungsspielräume und Work-Life-Balance sind fehlende Ruhezeiten, mehr Belastungen, Stress und gesundheitliche Risiken die zu erwartenden Folgen (Carstensen 2015).
Zusätzlich zur Flexibilisierung von Arbeitszeiten und -orten erweitern sich die Möglichkeiten, im Arbeitsumfeld trotz körperlicher Abwesenheit präsent zu sein (Paulitz u.a. 2014, 39). E-Mail- und noch stärker intern genutzte Social-Media-Kanäle werden zu relevanten Informations-, Kommunikations- und damit auch Selbstpräsentationsräumen, die ortsunabhängig die Darstellung der eigenen Arbeit und damit die Profilierung erlauben. Das durch (maskuline) Anwesenheitskulturen hervorgebrachte Problem, dass insbesondere Frauen, die viel von zu Hausearbeiten, weniger sichtbar im Unternehmen sind als ihre männlichen Kollegen, verschwindet nicht von heute auf morgen, aber es kann zu Veränderungen zugunsten der Letzteren kommen. Zugleich steigen hiermit auch die Anforderungen an die einzelnen MitarbeiterInnen: Die Grenzverschiebungen zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre erweisen sich als zentrale Herausforderung. Die Subjekte müssen selbst definieren, wie viel und welche Informationen sie (über sich) veröffentlichen und wie erreichbar sie sich präsentieren wollen (Carstensen u.a. 2014).
Auch wenn einiges darauf hindeutet, dass digitale Technologien ›Vereinbarkeit‹ erleichtern und Menschen mit Sorgeverpflichtungen dabei unterstützen können, ihren Alltag besser zu bewältigen: Derzeit gibt es kaum Hinweise, dass sich durch die Digitalisierung an der geschlechtlichen Arbeitsteilung grundsätzlich etwas ändern würde, auch wenn das Potenzial dazu durchaus besteht (Wischermann/Kirschenbauer 2015). Internet, Social Media und Handy werden vielmehr zu Hilfsmitteln, mit denen gestiegene Anforderungen besser bewältigt und delegiert werden können. Statt Arbeit anders zu verteilen, wird Multitasking zum Dauerzustand, die Zeit mit Kindern wird durch die digitalen Tools gleichzeitig als Arbeitszeit nutzbar. Digitale Technik hilft, ›alles unter einen Hut zu kriegen‹ und den Alltag zu optimieren, ohne dass dabei allerdings grundlegende Logiken und Machtverhältnisse wie zum Beispiel die ungerechte Verteilung von Care-Arbeit oder die Erwerbsarbeitzentrierung infrage gestellt werden.
Prekarisierung 2.0
Zudem erfährt auch die Prekarisierung von Erwerbsarbeit durch digitale Technologien einen zusätzlichen Dynamisierungsschub. Durch digitale Plattformen und globale Vernetzung wird es für Unternehmen leichter, Aufträge für Aufgaben, die vormals im Unternehmen erledigt wurden, auszulagern. Aufgaben können in viele Unteraufgaben zerlegt, atomisiert und digital als Kleinstaufträge etwa über Internet-Plattformen vergeben werden. Bisher dominieren hierbei Text-, Verschlagwortungs- sowie Programmieraufgaben, zum Beispiel auf den Plattformen clickworker oder Amazon Mechnical Turk (vgl. Altenried in diesem Heft). Zunehmend entstehen allerdings für fast alle Branchen Online-Plattformen, die verschiedene Dienstleistungen vermitteln. Die Gefahren liegen auf der Hand: Auflösung abgesicherter Arbeitsverhältnisse, Lohndumping, Fragmentierung von Aufgaben, isoliertes Arbeiten und ein hoher unbezahlter Zeitaufwand für die Organisation der Erwerbsarbeit. Die digitalisierten Dienstleistungen und Aufträge werden zudem meist unter hohem Zeitdruck ausgeführt, fast vergleichbar mit Arbeit im Akkord, wenn ein einigermaßen akzeptables Honorar erreicht werden soll. Einige Crowdworking-Plattformen sind für die geringe und teilweise gar äußerst unzuverlässige Bezahlung ihrer AuftraggeberInnen bekannt.
Gleichzeitig findet sich die Einschätzung, dass mit Crowdwork aus Geschlechterperspektive auch emanzipatorische Potenziale verbunden sind: Die freiberufliche Erledigung von Mikroaufträgen erscheint als Chance für Menschen, die – aufgrund von Sorgeverpflichtungen oder von körperlichen Einschränkungen – das Haus schwer verlassen können oder für die es vorteilhaft ist, anonym zu arbeiten. Es wird beispielsweise vermutet, dass diese Form zu arbeiten unter Hausfrauen in Indien besonders viel genutzt wird (Barth 2015). Geschlechtsspezifische Risiken von Prekarisierung werden durch Crowdwork allerdings massiv verschärft: Diskontinuierliche Erwerbsbiografien, Teilzeitarbeit und schlechte Bezahlung erhöhen die bereits für viele Frauen bestehende Gefahr von geringen Renten und Altersarmut.
Unveränderte Geschlechterverhältnisse?
Neben Crowdwork hat noch ein weiteres Phänomen an Bedeutung gewonnen, nämlich unbezahlte Arbeit im Web. Projekte wie Open Source, Open Software oder Wikipedia werden durch Unmengen unbezahlter Arbeit von technikaffinen oder politisch motivierten InternetnutzerInnen getragen. Die sozialen Netzwerke werden unentwegt und unentgeltlich mit Texten und Fotos versorgt, hinzu kommt die Crowdwork, die UserInnen freiwillig für Unternehmen leisten, indem sie Produkte bewerten, weiterentwickeln etc. Aus linker Perspektive wird diskutiert, inwiefern dies ausgebeutete Arbeit ist, weil hier Menschen Arbeit leisten, die Wertschöpfung (z.B. für Facebook) generiert, aber nicht bezahlt wird (vgl. u.a. Terranova 2013). Bemerkenswert ist aus Geschlechterperspektive, dass vor allem in den technikaffinen Communities sehr viel unbezahlte Arbeit von Männern geleistet wird und diese Entwicklung mit ihren gesellschaftlichen Auswirkungen bislang kaum reflektiert worden ist.
Gleichzeitig hat sich in bestimmten Szenen in sozialen Netzwerken, auf Twitter und in Blogs eine ›Kultur der Sorge‹ etabliert, die den NutzerInnen emotionale Unterstützung und Beratung bietet. Lose Netzwerke von Menschen mit ähnlichen Interessen können so zu unterstützenden und solidarischen Strukturen werden, die gerade für Frauen in prekären oder isolierten Lebens- und Arbeitsverhältnissen eine Chance sein können.
Mit den digitalen Technologien entstehen ferner neue Berufe, Tätigkeiten und Aufgaben, die neu definiert und verteilt werden müssen. Dies könnte dazu genutzt werden, auch zu einer Neubewertung und Neuverhandlung der geschlechtlichen Arbeitsteilung, unter anderem des Verhältnisses von bezahlten und unbezahlten Tätigkeiten, zu kommen. Bislang zeichnet sich allerdings eine ernsthafte gesellschaftliche Auseinandersetzung in diese Richtung noch nicht ab. Das Versprechen der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt auf mehr Autonomie und bessere Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und anderen Lebensbereichen hat sich bislang nur für wenige erfüllt. Gerade Menschen mit Sorgeverpflichtungen leiden unter Stress und Überforderung infolge von Arbeitsverdichtung und zunehmendem Zeitdruck. Die weitgehend unveränderte hierarchische Arbeitsteilung, ungleiche Entlohnung sowie eine Zuspitzung von Prekarisierungstendenzen durch die Ausweitung von Crowdwork betreffen darüber hinaus weiterhin deutlich mehr Frauen als Männer. Eine US-amerikanische Untersuchung hat zudem festgestellt, dass insbesondere für Frauen der Stress bei der Social-MediaNutzung stärker ist, wenn sie viel in »digitale Care-Arbeit« verwickelt sind, das heißt, wenn sie über soziale Medien an anstrengenden und belastenden Situationen anderer – enger FreundInnen oder auch entfernterer Bekannter – teilhaben (Hampton u.a. 2015).
Insgesamt ist es durch die fortschreitende Digitalisierung bisher kaum zu einer Hinterfragung von bestehenden Geschlechterverhältnissen gekommen, vielmehr zeichnen sich vor allem Tendenzen der Vereinbarkeitsoptimierung ab, die sich Anforderungen der Erwerbswelt unterordnen. Zeitdruck, Arbeitsbelastungen und Prekarisierungserfahrungen nehmen nicht ab, sondern eher noch zu. Einiges spricht dafür, dass mit der Digitalisierung nicht nur eine Flexibilisierung von Arbeit, sondern auch eine Intensivierung, Verdichtung und Beschleunigung einhergehen – und damit die Autonomiespielräume und Chancen auf Neuverhandlungen von Arbeitsteilungen und Geschlechterverhältnissen wieder kleiner werden oder sogar verschwinden.
Wie wir bereits wussten: Technik allein löst keine sozialen Probleme, vielmehr können und müssen neue Technologien genutzt werden, um (alte) Forderungen (erneut) vorzubringen (vgl. Morozov in diesem Heft). Fragen nach Geschlechterverhältnissen in Bezug auf Technik haben sich keineswegs erledigt. Aus feministischer Sicht stellen sich mit der Digitalisierung der Arbeitswelt vor allem Fragen nach Arbeitsteilungen und Möglichkeiten der Umverteilung von Sorgearbeit. Weitere Themen sind, wie Mechanismen zum Schutz vor wachsendem Stress und zunehmenden Arbeitsbelastungen sowie Alternativen zur Vereinbarkeitsoptimierung aussehen könnten. Eine weitere Aufgabe bestünde darin, verschiedene Formen digitaler Arbeit in Bezug auf ihre Entlohnung, gesellschaftliche Anerkennung und Absicherung hin genauer zu untersuchen und Verschärfungen sozialer Ungleichheiten zu verhindern. Dabei geht es weniger um die Gestaltung der Technik, sondern vor allem um altbekannte Themen feministischer Kritik an Arbeit.