Die Ankunft der Geflüchteten, ihre Versorgung und ihr Zugang zu Wohnraum, Bildung oder Arbeit, die Organisation des alltäglichen Zusammenlebens und das Entstehen neuer sozialer Gefüge – all diese Herausforderungen und die Fragen, ob und wie »wir das schaffen« (Angela Merkel) und in welche Richtung sich unsere Gesellschaft dabei verändern wird, haben sich im vergangenen Jahr zuallererst auf der lokalen Ebene gestellt. Dies liegt nicht nur daran, dass sich Handlungschancen und -notwendigkeiten hier unmittelbarer ergeben als auf übergeordneten Ebenen des Politischen. Vielmehr sind die Städte und Gemeinden in ihrer Funktion als Kommunen, als lokaler Staat auch formal für die Bereitstellung weiter Teile der »öffentlichen Daseinsvorsorge« (Ernst Forsthoff) oder des »kollektiven Konsums« (Manuel Castells) verantwortlich. Der Sommer der Migration hat einmal mehr offengelegt, dass diesbezüglich große Lücken bestehen. Vielerorts war und ist die Versorgung der Geflüchteten nur durch das ehrenamtliche Engagement unzähliger Helfer*innen und den Aufbau selbstorganisierter Solidarstrukturen möglich. Gleichzeitig dient diese als »Überforderung« titulierte Krise (lokal-)staatlicher Leistungserbringung den herrschenden Parteien als Legitimation für eine Rückkehr zur Abschottungspolitik. Sie folgen der Argumentation der gesellschaftlichen Rechten, die die offensichtlichen Versorgungsmängel (etwa bei bezahlbarem Wohnraum) nutzt, um alte und neue Bewohner*innen gegeneinander auszuspielen und Geflüchtete für eine real vorhandene Misere verantwortlich zu machen. Gegen solche Deutungen lässt sich anhand der tatsächlichen Handlungsbedingungen lokaler Politik beispielhaft zeigen, dass die Ursache der Probleme nicht in der Ankunft der Geflüchteten, sondern in der neoliberalen Politik der letzten Jahrzehnte liegt. Da wiederum die politischen Spielräume der Städte und Gemeinden maßgeblich über ihre Haushaltssituation bestimmt werden, ist die Entwicklung der Kommunalfinanzen von entscheidender Bedeutung. So wie ein Mangel an finanziellen Ressourcen in der Vergangenheit die materielle Grundlage für die Durchsetzung einer unternehmerischen, neoliberalen Stadt- und Kommunalpolitik bildete, markiert heute ein hartes Regime kommunaler Austerität das Terrain, auf dem sich die aktuellen Kämpfe vollziehen und auf dem eine notwendige sozialpolitische Offensive von links ansetzen könnte.
Zur Funktionsweise der Kommunalfinanzen
Versucht man die Entwicklung der finanziellen Handlungsfähigkeit des lokalen Staates in den letzten Jahrzehnten zu erklären, so ist zunächst offensichtlich, dass diese im Wesentlichen den Konjunkturzyklen folgt. Charakteristisch ist demnach eine wellenförmige Bewegung des Finanzierungssaldos, deren Dynamik von den großen Wirtschaftskrisen sowie den dazwischenliegenden Phasen relativer ökonomischer Prosperität bestimmt wurde. Diese Rückkoppelung ergibt sich unmittelbar aus der Funktionsweise der Kommunalfinanzen (vgl. Reiner 2010). Sowohl einnahmeseitig (Gewerbesteuer und Gemeindeanteil an der Einkommensteuer) als auch ausgabenseitig (Sozialleistungen) werden zentrale Parameter maßgeblich von der wirtschaftlichen Entwicklung beeinflusst. Infolgedessen übersetzen sich Wirtschaftskrisen regelmäßig in Finanzkrisen des lokalen Staates. Ebenso stehen die kommunalen Haushalte dort, wo die ökonomische Entwicklung aufgrund eines Strukturwandels krisenhaft verläuft (etwa im Ruhrgebiet oder in Teilen Ostdeutschlands), dauerhaft unter Druck. Da die grundlegenden Einnahmen- und Ausgabenparameter der Kommunen auf den übergeordneten Ebenen des Staates gesetzlich festgelegt werden, bleiben den Kommunen in Krisensituationen nur geringe Handlungsoptionen. Sie versuchen zum einen, über die Erhöhung lokaler Steuern, Beiträge und Gebühren, die Veräußerung kommunalen Vermögens oder riskante Finanzgeschäfte die Einnahmen kurzfristig zu steigern. Zum anderen erfolgen Kürzungen bei Sachinvestitionen und beim Personal sowie bei all jenen sozialen Infrastrukturen, deren konkreter Leistungsumfang, wie im Fall der Kinder-, Jugend- und Familienarbeit, nicht genau festlegt ist, oder die, wie Schwimmbäder, Stadtteilbibliotheken und Theater, als ›freiwillig‹ gelten – deren Existenz beziehungsweise Zugänglichkeit gleichzeitig aber sehr direkt über die Lebensqualität und die Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten entscheidet. Folgen des neoliberalen Staatsumbaus Diese Funktionsweise der Kommunalfinanzen ist freilich nicht naturgegeben, sondern selbst das Ergebnis politischer Kräfteverhältnisse. Eine angespannte Finanzlage und umfangreiche Leistungseinschränkungen sind in vielen Städten und Gemeinden bereits im Verlauf der 1980er Jahre, spätestens jedoch seit den 1990er Jahren auch über konjunkturelle Schwankungen hinweg zum Normalzustand geworden. Dies lässt sich nicht allein mit der generell sinkenden Wachstumsdynamik seit dem Ende des Fordismus erklären. Vielmehr handelt es sich um ein Resultat der umfassenden Neoliberalisierung staatlicher Politik sowie des damit verbundenen Siegeszugs von Austerität als »politischem Projekt« (Ingo Stützle) – das heißt der Verallgemeinerung und institutionellen Festschreibung des Ideals eines ausgeglichenen Staatshaushalts. Da die Kommunen innerhalb des föderalen Staatsaufbaus am unteren Ende der Hierarchie stehen, aber auch weil sich hier die Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge räumlich konzentrieren, waren und sind sie von dieser Politik und ihren Folgen besonders betroffen. Beispielhaft ist das Feld der Steuerpolitik: Beginnend in den späten 1970er Jahren wurde die Gewerbesteuer schrittweise derart beschnitten, dass sie heute nur mehr auf den Ertrag einiger weniger (Groß-)Unternehmen erhoben wird. Als Konsequenz hat sich die Steuerbelastung für die Wirtschaft verringert, die Konjunkturanfälligkeit der kommunalen Haushalte dagegen massiv erhöht. Aufgrund ihrer prozentualen Beteiligung an den Gemeinschaftssteuern waren die Kommunen gleichzeitig auch direkt von den umfangreichen Steuersenkungen betroffen, die in den letzten Jahrzehnten nicht zuletzt von der rotgrünen Bundesregierung auf nationaler Ebene vollzogen wurden. Diese Entwicklung wiegt besonders schwer, da die parallel vorangetriebenen Reformen der sozialen Sicherungssysteme sowie die Etablierung neuer Leistungen und Standards ohne ausreichende Gegenfinanzierung eine Kostenverschiebung von oben nach unten in Gang gesetzt haben. Zuletzt wurde diese Tendenz durch die Übernahme der Kosten einzelner Sozialleistungen durch den Bund zwar gebremst, nicht jedoch grundsätzlich umgekehrt. Im Ergebnis leiden die Kommunen daher bis heute besonders unter der strukturellen Unterfinanzierung des deutschen (Sozial-)Staates.
Das Regime kommunaler Austerität
Das Fehlen finanzieller Ressourcen wirkt sich vor allem deshalb unmittelbar auf die politische Handlungsfähigkeit von Städten und Gemeinden aus, weil sie nur sehr begrenzt Haushaltsengpässe durch Kreditaufnahme ausgleichen können. Vermittelt über die Gemeindeordnung und die Kommunalaufsicht der Länder sind sie einer vergleichsweise strengen Haushaltsdisziplin unterworfen. Obwohl die kommunalen Verbindlichkeiten weniger als zehn Prozent der staatlichen Gesamtverschuldung ausmachen, wurden diese Regelungen in den letzten 30 Jahren weiter verschärft. Damit wurde auf Ebene der Kommunen eine Institutionalisierung von Austerität vorweggenommen, die für Bund und Länder erst mit der Einführung der Schuldenbremse Realität geworden ist. Exemplarisch ist hierfür das »Haushaltssicherungskonzept« zur Überwachung der kommunalen Haushaltsführung, das in den meisten Bundesländern zur Anwendung kommt. Mit der in den 2000er Jahren aus der Privatwirtschaft übernommenen doppelten Buchführung ›Doppik‹ wird die Rationalität einer permanenten finanziellen Knappheit auch dort als handlungsleitende Maxime verankert, wo die Haushaltssituation de facto politische Handlungsspielräume eröffnen könnte. Demgegenüber zielen sogenannte Sparkommissare, die von den Ländern vereinzelt eingesetzt werden, um vor Ort auch gegen den Willen der gewählten Gemeindevertreter*innen Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung durchzusetzen, auf besonders stark verschuldete Städte. Gleiches gilt auch für die kommunalen ›Rettungsschirme‹, die unter anderem als Reaktion auf die Einführung der Schuldenbremse aufgelegt wurden. Da die darin enthaltenen Finanzhilfen vielerorts lediglich die zuvor erfolgten Kürzungen von Landeszuweisungen kompensieren und in ihrem Umfang begrenzt sind, erscheinen diese Programme kaum geeignet, die finanzielle Situation der Städte und Gemeinden dauerhaft zu verbessern. Stattdessen reihen sich die harten Konsolidierungsmaßnahmen, zu denen sich die teilnehmenden Kommunen vertraglich verpflichten, in die Kürzungspolitik der letzten Jahrzehnte ein, während gleichzeitig die lokale Demokratie und die verfassungsrechtlich garantierte kommunale Selbstverwaltung weiter eingeschränkt werden (vgl. für Hessen Eicker-Wolf 2015).
Zeiten und Räume kommunaler Austerität
Angesichts der beschriebenen Entwicklungen lässt sich konstatieren, dass das Regime kommunaler Austerität eine zentrale Form ist, in der die Dynamiken und Widersprüche der neoliberalen Entwicklungsweise in der Bundesrepublik gegenwärtig ihren Ausdruck finden. Auf die offenkundigen Parallelen zum Modus der Krisenbearbeitung auf europäischer Ebene verweist – wenn auch unfreiwillig – die Parole »Wir sind Griechenland«, mit der einzelne Ruhrgebietskommunen in der jüngsten Krise versucht haben, auf ihre dramatische finanzielle Situation aufmerksam zu machen. Neben dem Umfang der Kürzungsmaßnahmen besteht eine wichtige Differenz gegenüber der europäischen Austeritätspolitik jedoch in der Geschwindigkeit der Prozesse: Hierzulande erfolgte die Durchsetzung kommunaler Austerität weniger im Rahmen einer kurzfristigen, offen autoritären politischen Offensive, einer sogenannten ›Schock-Strategie‹ (Naomi Klein). Vielmehr handelt es sich um einen langfristigeren Prozess, der ‚scheibchenweise‘ und ungleichzeitig über einen Zeitraum von 30 bis 40 Jahren verlief.1