Das Anthropozän entsteht in Tausenden von Jahren
Die Unterwerfung der Erde unter menschliche Gewalt geschah nicht von heute auf morgen, sie hat sich über »Tausende von Jahrhunderten« (Marx 1867, 535) während des gesamten Holozäns hingezogen. In grober Einteilung kann man vier Etappen unterscheiden:
Die erste beginnt, als sich die Erde erwärmte und sich die Eisdecke in Richtung der Pole zurückzog. Nun konnten die Jäger und Sammler zu sesshaften Bäuer*innen werden und lernen, ihre Lebensmittel unter Nutzung der Sonnenenergie und des Feuers selbst zu produzieren. Das war eine Revolution von Produktions- und Lebensweise, die später als neolithische bezeichnet worden ist. Das Land und dessen Bearbeitung ist die Grundlage der menschlichen Existenz. Die vertiefte Arbeitsteilung resultierte in produktivitätssteigernden ›Produktionsumwegen‹, auf denen der Überschuss gesteigert werden konnte. Dafür war ein Preis zu zahlen: neue Krankheiten wegen der dichteren Siedlung und infolge des Zusammenlebens von Menschen und domestizierten Tieren sowie Konflikte um Land. Es zeigt sich nun auch, dass die Arbeitsteilung immer auch Herrschaftsteilung war und ist. Diese entwickelte sich in vielfältigen Dimensionen, als die von Männern über Frauen, der geistigen über die körperliche Arbeit, der Stadt über das Land, als die des Menschen über die Natur.
Eine zweite Phase beginnt, als die Arbeits- und Herrschaftsteilung in den großen Religionen und Zivilisationen Sinn erhalten und Dauer beanspruchen. Dies materialisiert sich in den großen Reichen der Menschheitsgeschichte. Einige hatten mehrere Hundert Jahre Bestand, sind dann aber untergegangen.
Die dritte Etappe folgte als Projekt der Welteroberung, das von Westeuropa seinen Ausgang nahm und dabei die christliche Religion als missionarisches Versprechen der ökonomischen und politischen Kolonialisierung nutzte. Die modernen Welteroberer stammen alle aus dem europäischen Kulturkreis, sie folgen der von Max Weber so genannten »europäischen Rationalität der Weltbeherrschung« . Die Erde wird seit dem 10. Jahrhundert unserer Zeitrechnung als Globus abgebildet (Muris/Saarmann 1961). Das unbeholfene Ebenbild der Erde wird erst 1968 von den Fotos verdrängt, die Astronauten im Weltraum vom »blauen Planeten« machen.
In der vierten Etappe wird die Welteroberung mit derselben Rationalität wie zuvor fortgesetzt, allerdings mit mächtigeren Mitteln. Diese seit dem 18. Jahrhundert systematisch genutzten Mittel sind die fossilen Energieträger. Die mithilfe geeigneter Maschinen in Arbeitsenergie umgewandelte Primärenergie stammt nicht mehr von der Sonne, sondern aus terrestrischen ›Bordmitteln‹, die aus der Erdkruste extrahiert werden müssen. Kohle und später Öl und Gas ermöglichen die Vervielfachung der Kräfte infolge des hohen Rückflusses investierter Energie (energy return on energy invested – EROEI) fossiler Energieträger.
Erst jetzt kann sich die kapitalistische Produktionsweise der systematischen Produktion einer ungeheuren Warensammlung durchsetzen. Mehrwert zu produzieren und dessen Produktion maximal zu steigern, wird zum vorrangigen Ziel. Der gesamte Globus wird in ein Ressourcenlager, ein Arbeitskräftereservoir und eine Deponie für alle möglichen Abfälle verwandelt. Die Ausbeutung von Menschen durch andere Menschen wird ebenso wie der Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur globalisiert. Allerdings funktionieren die Treiber der vielfältigen metabolischen Kreisläufe höchst einfältig kapitalistisch. Der Überschuss wird als Mehrwert ins Verhältnis zum Ursprungswert gesetzt und als Profitrate bestimmt. Das kapitalistische A und O ist es, diese zu optimieren. Natürliche Grenzen sind da unerheblich, weil sie als solche gar nicht erkannt und beachtet oder umgedeutet werden, indem die Natur als Naturkapital interpretiert wird, in der Naturgrenzen durch Verwertungsgrenzen des Kapitals ersetzt werden. Die ökonomischen Regeln der Kapitalverwertung haben aber die Unterbrechung der Energie- und Stoffkreisläufe der Natur zur Folge – mit verheerenden Auswirkungen auf das Leben. Von dem »unheilbaren Riss […] in dem Zusammenhang des gesellschaftlichen und durch die Naturgesetze des Lebens vorgeschriebenen Stoffwechsels« schrieb Marx im 19. Jahrhundert (1894, 821). Dieser metabolische Bruch ist heute tiefer denn je und kaum noch heilbar (Foster 2000; Moore 2016). Er kommt in dem »dramatischsten und weitreichendsten sozialen Wandel in der zweiten Hälfte dieses [des 20.] Jahrhunderts« zum Ausdruck, im »Untergang des Bauerntums. Seit dem neolithischen Zeitalter hatten die meisten Menschen von der Land- und Viehwirtschaft oder als Fischer vom Meer gelebt« (Hobsbawm 1995, 365). Nicht nur, dass seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Mehrzahl der Menschen in Städten und von Indus-trie und Dienstleistungen lebten – der beschleunigte Wandel wurde auch zum Prinzip der persönlichen und gesellschaftlichen Existenz.
Auf die Spitze wird diese Entwicklung in der fünften Etappe getrieben, in der die Nuklearenergie zu einem bedeutenden Energieträger avanciert. Die strahlenden Residuen bleiben Hunderttausende von Jahren radioaktiv. Das spaltbare Material kann genutzt werden, um Arbeitsenergie zum Beispiel zur Elektrizitätserzeugung zu gewinnen. Es kann aber auch eingesetzt werden, um das Leben auf Erden auszulöschen und die Sphären des Planeten nicht nur für ein Menschenzeitalter oder eine historische Epoche, sondern für ein Zehntausende Jahre währendes Erdzeitalter zu verstrahlen. In jedem Fall aber bleibt der strahlende radioaktive Müll für hunderttausend Jahre in den Sphären der Erde erhalten. Der Planet erweist sich auf einmal als in räumlicher und zeitlicher Dimension zu klein für die Reichweite der durch menschliche Aktivitäten in Gang gesetzten Stoff- und Energietransformationen.
Die unübersichtliche Doppelexistenz von Erd- und Gesellschaftsformation
Menschliches Handeln ist zugleich Natur- und Gesellschaftsveränderung, in kleinem Maße ebenso wie in planetarischer Dimension. Das Anthropozän ist daher nicht nur Erdformation, sondern auch Gesellschaftsformation. Der Begriff Anthropozän kann sich daher als eine Falle herausstellen, wenn man sich der Annahme hingibt, dass die Menschen mit technischen Errungenschaften – heute auf planetarischer Ebene – in der Lage wären, die Erdformationen zu ändern und Erdgeschichte zu schreiben, ohne die Formation der Gesellschaft zu verändern.
Die Naturveränderung ist genauso wichtig wie die Gesellschaftsveränderung, und umgekehrt. Die Widersprüche und Krisen der Gesellschaftsformation des inzwischen globalisierten Kapitalismus sind nur zu begreifen und zu bewältigen, wenn der »dialektische Gesamtzusammenhang« von konkreter und abstrakter Arbeit, von Stoff und Wert, und daher auch von Gesellschaftsformation und Erdformation berücksichtigt wird. Mit der Entwicklung der Produktivkräfte dehnt sich die Reichweite des menschlichen Zugriffs auf die Natur aus, auf deren Ressourcen ebenso wie auf die Senken, in denen die Reststoffe der Transformationsprozesse absorbiert werden. Nun erweist sich die Tragweite der Marx’schen Bezeichnung des Doppelcharakters der Arbeit als »Springpunkt der politischen Ökonomie« (Marx 1867, 53). Jedes ökonomische Handeln in der kapitalistischen Produktionsweise zielt auf Wertbildung und Verwertung des Kapitals und muss zu diesem Zweck Stoffe und Energien transformieren, also die Erdformation ebenso wie die Gesellschaftsformation umbilden. Mit dem Höhenflug des ›Wohlstands der Nationen‹ seit mehr als zwei Jahrhunderten geschieht dies in so großem Stil, dass der Kreislauf des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur gebrochen, zerrissen ist, mehr als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte (Foster 2000). Nun werden in der Atmosphäre, der Lithosphäre, Hydrosphäre und vor allem in der Biosphäre Anpassungen verlangt, die erstens Zeit brauchen. Manchmal sind die natürlichen Fristen dafür zu kurz. Dann bleibt zweitens der metabolic rift (Foster 2015) – eine offene Wunde, und Millionen von Arten verschwinden, wie dies schon mehrfach in der Erdgeschichte geschehen ist (Kolbert 2015).
Die Erdgeschichte verlangt andere Maßstäbe und Begriffe als die Menschen- und Gesellschaftsgeschichte, um ihre Dynamik verstehen zu können. Friedrich Engels schreibt in einem Brief aus dem Jahre 1893 an den späteren Präsidenten der britischen Geological Society George W. Lamplugh, dass »Natur und Geschichte die beiden Komponenten [seien], durch die wir leben, weben und sind« (Engels 1893). Wir machen unsere Geschichte, indem wir die Natur verändern und wir verändern die Natur, wenn wir Geschichte machen. Je ausufernder unsere historischen Taten, desto mehr verändern wir die Natur – bis zur Umgestaltung des Planeten. Engels betont in dem Brief an den Geologen, wie großartig er die Natur finde, »aber die Geschichte scheint mir doch großartiger als die Natur« (ebd.). Er drückt so seine persönliche Präferenz aus. Sie erklärt, warum sich Engels ebenso wie Marx in ihren Schriften vor allem mit den Bewegungsgesetzen der Gesellschaftsformation auseinandergesetzt haben, der Art und Weise zu produzieren, mit politischen Bewegungen und politischer Herrschaft, mit den ökonomischen, sozialen und politischen Bewegungsgesetzen des Kapitals in kapitalistischer Gesellschaft und mit den Klassenkämpfen und den Bedingungen der Transformation und Revolution der kapitalistischen Produktionsweise, und weniger mit deren Naturbedingungen – freilich ohne das Interesse an naturwissenschaftlichen Fragen zu verlieren, wie Engels’ »Dialektik der Natur« (1883), der »Anti-Dühring« (1878) und die naturwissenschaftlichen Exzerpte von Marx (MEGA, IV. Abteilung, Bd. 26) belegen.
Die Richtung der praktischen Betätigung der arbeitenden Menschen ist freilich wegen ihres Doppelcharakters als Natur- und Gesellschaftsveränderung widersprüchlich. In der physischen Natur steigt nämlich in einem irreversiblen Prozess die Entropie, wenn Energie und Stoffe transformiert werden. Sie können also nicht ein zweites Mal genutzt werden, es sei denn, sie werden mit in vielen Fällen (unvertretbar) hohem Energie- und Stoffaufwand rezykliert. Gleichzeitig entsteht in der belebten Natur auf diese Weise ein neues Nahrungsangebot (niedriger Entropie), das für die der Entropiesteigerung entgegenwirkende »syntropische« Evolution der Arten unverzichtbar ist.
In der kapitalistischen Ökonomie hingegen haben die Transformationen von Werten, also Wertbildung und Verwertung, einen zyklischen und quantitativen Charakter; sie sind reversibel, Kapital kehrt verwertet, also als quantitativ größerer Betrag zu sich zurück. Profite heißen daher in englischer Sprache returns to capital. Zyklen können sich wiederholen, und deshalb ist in der Ökonomie eine ganz andere Zeitvorstellung vorherrschend als in den Naturwissenschaften. Doch in der Regel werden die zyklisch produzierten Profite akkumuliert. Daraus ergibt sich jenseits der Zyklizität eine historische Tendenz: Akkumulation und Wachstum, Zentralisation von Kapital und dessen Konzentration – bis diese Tendenz in einer großen Krise abbricht.
Wertbildung und Verwertung werden systematisch, also mithilfe von Produktionsmitteln, mit Wissenschaft, rationaler Technik und angepasster Qualifikation der Arbeitskräfte, betrieben. Die Produktionsbedingungen werden umgewälzt, um die Produktivität der Arbeit systematisch auf die Spitze zu treiben und so den Überschuss in der Form von »relativem« Mehrwert und Profit zu steigern. Das ist nur möglich, wenn alle Prozesse in der Zeit beschleunigt und wenn dementsprechend die Räume komprimiert und umgestaltet werden. Menschen machen Geschichte, nun aber nicht nur die der Gesellschaftsformation, sondern auch die der Erdformation. Der Kapitalismus ist deshalb heute nicht mehr nur die Gesellschaftsformation der Moderne, sondern Strukturprinzip einer Erdformation, des Anthropozän, das daher angemessener als Kapitalozän zu bezeichnen wäre.
Drei Weisen der Gestaltung des gesellschaftlichen Naturverhältnisses im Kapitalozän
Menschen haben die Freiheit zur Geschichte und sie können die Möglichkeit der Gestaltung des gesellschaftlichen Naturverhältnisses erst wahrnehmen und sich als schöpferische Wesen entfalten, wenn die Produktivität der Arbeit groß genug ist, um mehr als den bloßen Erhalt menschlichen Lebens zuzulassen. Im »Anti-Dühring« schreibt Friedrich Engels: »Alle Entwicklung der menschlichen Gesellschaft über die Stufe tierischer Wildheit hinaus fängt an von dem Tage, wo die Arbeit der Familie mehr Produkte schuf, als zu ihrem Unterhalt notwendig war« (Engels 1878, 180). Der Reichtum der anorganischen und organischen Natur muss groß genug sein, um die gesellschaftliche Arbeitsteilung zur Differenzierung ökonomischer, politischer, kultureller, intellektueller Tätigkeiten möglich werden zu lassen. Dann erst beginnt die Gesellschaftsgeschichte, die in der sehr langen Frist, die über die »longue durée« von Fernand Braudel hinausreicht und sich auch in der Naturgeschichte manifestiert.
»Was ist die Gesellschaft, welches immer auch ihre Form sei?«, fragt Marx in einem Brief an Pawel W. Annenkow vom 28. Dezember 1846 (Marx 1846, 548). Er gibt darauf sogleich eine Antwort, die einerseits an die Ausführungen über den Überschuss anknüpft, andererseits aber – so würden wir heute urteilen – in ›gramscianischem‹ Geist darüber hinausgeht. »Setzen Sie« , so schreibt er in diesem Brief, »einen bestimmten Entwicklungsstand der Produktivkräfte der Menschen voraus, und Sie erhalten eine bestimmte Form des Verkehrs (commerce) und der Konsumtion« (ebd.). Dem entspreche eine bestimmte Struktur von Klassen, Familien, Ständen, also eine bestimmte Gesellschaft société civile. »Setzen Sie eine solche Gesellschaft voraus, und Sie erhalten eine entsprechende politische Ordnung (état politique)« (ebd.). Marx hat also anders, als es ihm heute manchmal vorgeworfen wird, keineswegs die politische Dimension gesellschaftlicher Reproduktion vernachlässigt, ebenso wenig wie die Ökonomie, hier als commerce bezeichnet. Er hat Gramscis Dreigestirn hegemonialer Praxis in Ökonomie, Gesellschaft und Politik vorweggenommen und dieses auf eine solide Grundlage gestellt: einen Mindeststand der Produktivkräfte bei der Bearbeitung der Natur durch die in bestimmter historischer Form, nämlich kapitalistisch, vergesellschafteten Menschen.
Der »bestimmte Entwicklungsstand der Produktivkräfte« (ebd.) ist »Produkt früherer Tätigkeit« von vorangegangenen Generationen. Jede neue Generation findet die bereits produzierten Produktivkräfte vor und entwickelt sie weiter. Also hat die historische Entwicklung der Produktivkräfte kumulativen Charakter, folgt einer Tendenz der Höherentwicklung, auch wenn manches Wissen über Produktivkräfte im Zeitverlauf verloren geht und der »moralische Verschleiß« bei der Anwendung der Produktivkräfte – und nicht zuletzt auch die zyklischen Bewegungen von Konjunkturen und Krisen – von Bedeutung für die historischen Bewegungsformen der Widersprüche der Gesellschaft sind.
Dies zeigt sich an den Umschlagspunkten der zyklischen Entwicklung der Produktivkräfte. Sie können zu Destruktivkräften werden, der Fortschritt sich in Rückschritt verwandeln. Die Artefakte des guten Lebens türmen sich zu Trümmerbergen. Menschen verhalten sich so borniert gegenüber der Natur, wie sie sich borniert gegen andere Menschen verhalten, schreiben Marx und Engels in der »deutschen Ideologie« (1845). Das bornierte Verkennen des qualitativen Umschlags fällt auf und besonders ins Gewicht, weil – wie Friedrich Engels in der »Dialektik der Natur« hervorhebt –
»nur der Mensch […] es fertiggebracht [hat], der Natur seinen Stempel aufzudrücken, indem er nicht nur Pflanzen und Tiere versetzte, sondern auch […] das Klima seines Wohnorts, ja die Pflanzen und Tiere selbst so veränderte, dass die Folgen seiner Tätigkeit nur mit dem allgemeinen Absterben des Erdballs verschwinden können.« (Engels 1878, 322f)
Das wäre ein »Marker«, ein einzigartiges Merkzeichen, nach dem Geologen Ausschau halten. Das historisch bestimmte Verhältnis von Mensch, Gesellschaft und Natur charakterisiert also ein Erdzeitalter, nicht allein die Veränderungen der Sedimente in der Erdkruste. Dass dies nicht unwichtig ist, zeigt sich, wenn der Umgang der Menschen in historischer Gesellschaftsformation mit den Problemen, die sich aus den metabolischen Brüchen ergeben, zur Diskussion steht. Im Prinzip können drei Praktiken des Umgangs mit metabolischen Brüchen unterschieden werden.
Die Naturgeschichte des Planeten, so scheint es zunächst, befindet sich außerhalb des Kreises der menschlichen Verantwortung, anders als die Geschichte von Menschen und Gesellschaft. Die Natur war und ist mit ihren Gewalten übermächtig und lässt sich von Menschen nicht von ihrem Evolutionspfad durch Kalt- und Warmphasen, Eiszeiten und Warmzeiten hindurch oder von Kontinentalverschiebungen, evolutionären Sprüngen und Katastrophen abbringen. Die Naturgeschichte kann von Menschen nur beobachtet und eingeordnet, nicht aber beeinflusst und gestaltet werden.
Aus einer anderen Sichtweise auf das gesellschaftliche Naturverhältnis in planetarischen Dimensionen wird der Planet als lebendig, als Mutter Erde, als Gaia verstanden. Alles hängt mit allem zusammen, wie schon die heraklitische Philosophie lehrte. Die lebendige und die nichtlebendige Natur bilden eine Einheit und der Mensch ist darin integriert. Friedrich Engels knüpft mit seinem von Hegel geimpften Begriff des »dialektischen Gesamtzusammenhangs« daran an, wenn er seiner Bewunderung für die altgriechische Philosophie Ausdruck verleiht (Engels 1878, 314ff). Nur als organische Einheit ist homöostatische, eine sich immer wieder selbst korrigierende Entwicklung von lebendiger und nichtlebendiger Natur des Planeten überhaupt vorstellbar.
Doch neben diesen beiden Vorstellungen einer getrennten, voneinander unabhängigen Natur- und Menschengeschichte und einer organischen Einheit der Sphären des Planeten Erde und daher der Natur-, Gesellschafts- und Menschengeschichte gerät eine dritte Vision ins Blickfeld: Der Mensch hat nicht nur seine eigene, sondern auch die Entwicklungsgeschichte der Natur des Planeten Erde sicht- und messbar beeinflusst. Der Name Anthropozän gibt der Gestaltungskraft und dem Herrschaftsanspruch des Menschen über die Erde Ausdruck. Dieser ist in den Jahrhunderten seit der Herausbildung des industriell-fossilen Kapitalismus, also seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in planetarischer Größenordnung umgesetzt worden.
Das Bibelwort, dass die Menschen sich die Erde »untertan« machen, gibt es seit Tausenden von Jahren, seine Realisierung aber ist sehr jungen Datums – verwirklicht wurde es erst, als die kapitalistische Form der Vergesellschaftung die Herrschaft des Anthropos über die Natur des Planeten besiegelte: die ökonomischen Gesetze und Sachzwänge, die Rationalität, also Wissenschaft und Technik, das Profitprinzip, die Motivstruktur der wichtigen Akteure. Das Siegel trägt die Imprimatur der Industrialisierung unter Nutzung der fossilen Energieträger, die von der »Kohlenstoffbefreiungsfront« (Wark 2017) zur breitesten Nutzung verfügbar gemacht worden sind. Das Anthropozän ist also, wenn man Implikationen – die Ursprünge ebenso wie die Begleiterscheinungen und Folgen – bedenkt, das Erdzeitalter des Kapitals, das Kapitalozän.
Doch genau dies ist ins Dunkel gerückt, und im Begriff des Anthropozän wird suggeriert, Menschen könnten mit ihren technischen Kompetenzen des Geoengineering und der planetary stewardship das von ihnen angerichtete planetarische Unheil beheben, die metabolische Kluft wieder überbrücken. Daher ist es kein Zufall, dass der Auslöser der Debatte um das Anthropozän, Paul Crutzen, sich für Geoengineering, also für technische Lösungen der Klimakrise, stark macht, so als ob die kapitalistische Gesellschaftsformation, deren Konflikte und Krisen für die Zukunft von Mensch und Gesellschaft auf dem Planeten unerheblich seien (Crutzen 2009; auch Steffen/Persson et al. 2011). Es ist sinnvoll, an den Doppelcharakter allen Agierens in Natur und Gesellschaft zu erinnern und die Romantik von Technikkritik ohne Kapitalismuskritik hinter sich zu lassen.
Technische Lösungen des metabolischen Bruchs durch Maßnahmen des Geoengineering sind mit der Interessenstruktur, den Machtverhältnissen, der Rationalität der kapitalistischen Produktionsweise vollkommen kompatibel. Da braucht der ›stillgestellte‹ Klassenkampf zur Verteidigung der Natur nicht angefacht zu werden. Im Gegenteil werden neue Kapitalanlagen in planetarischen Größenordnungen rentabel, wenn die mächtigen Staaten dieser Erde die politischen Rahmenbedingungen entsprechend setzen. Große global aufgestellte Unternehmen können die Aufgaben des Geoengineering übernehmen, kleinere Unternehmen wären dazu sowieso nicht in der Lage, und die Mehrheit der Menschheit wäre wie alle anderen Lebewesen auch nur Objekt ingenieursmäßiger Bearbeitung der durch den Menschen in kapitalistischen Verhältnissen erzeugten Krisen. Die Naturverhältnisse werden technisch bearbeitet, die Gesellschaft bleibt mit ihren Produktions- und Herrschaftsverhältnissen, mit ihren Geschlechterbeziehungen und Lebensweisen, wie sie ist.
Die Zaubermeister, die den wütenden Besen der Krise von Wert und Natur, von Klima und Finanzen ruhigstellen können, sind bereit. Die Sonne könnte mit der Hilfe des Solar Radiation Management (SRM) verdunkelt werden, Kohlendioxyd könnte wieder aus der Atmosphäre entfernt werden (Carbon Dioxid Removal – CDR), weil sonst die Erde zu warm würde. Handreichungen dazu finden wir bei der American Army oder der Bundeswehr (zum Thema Geoengineering vgl. Planungsamt der Bundeswehr 2012). Die Konzentration ökonomischer Macht könnte fortgesetzt werden. Auch das Militär der großen Mächte könnte ins Spiel kommen, denn die Projekte des Geoengineering sind double-use-projects, die auch militärisch eingesetzt werden können.
Mehr Sinn freilich würde es machen, die Zukunft der Menschheit nicht der technischen Manipulation zu überlassen, sondern die Gesellschaft zu verändern, sich aus dem Strudel von Kapitalverwertung, Wachstum und Machtkonzentration zu befreien, der Alternative des »guten Lebens« zu folgen und die metabolischen Brüche zu vermeiden und zu heilen. Es ist daran zu erinnern, dass es in der gesamten Geschichte des modernen Kapitalismus zwei Linien der sozialen Entwicklung gegeben hat. Auf der einen Linie waren und sind die großen Kapitale und ihre Personifikationen von Rockefeller bis Trump mit ihren wissenschaftlichen Beraterstäben und Medienleuten unterwegs, immer Richtung Kapitalozän. In dem Koordinatensystem ihres Denkens ist nur noch Raum für Geoengineering als planetary stewardship. Diese aber kann sich nur auf die Technik von Stoff- und Energietransformationen beziehen und diese zu modifizieren versuchen.
Doch werden die »planetarischen Steuermänner« nicht umhinkönnen zu lernen, dass auch im Kapitalozän die Krisen technisch mithilfe des Geoengineering nicht zu bewältigen sind. Die dritte Sichtweise auf das planetarische Mensch-Natur-Verhältnis bietet daher tatsächlich Anlass für eine »melancholische Lähmung« (Wark 2017, 19). Dagegen können vielleicht Alternativen wirksam sein, die E.P. Thompson (1980) erwähnt: die Initiativen der moralischen, der solidarischen Ökonomie, die Genossenschaften, die selbstverwalteten Gemeingüter, auch lokale indigene Wirtschaftsformen, die nicht nur durch den Markt, sondern gemeinschaftlich und durch Wirtschaftsplanung reguliert werden. Diese Alternativen hat es im Verlauf der jahrhundertelangen Geschichte des Kapitalismus immer und in einer Vielfalt von Formen gegeben. Sie sind möglicherweise trotz (oder wegen) ihres utopischen Überhangs realistischer als die realpolitischen Lösungen. Es sind dies Wege, auf denen die Dominanz des Kapitalismus zurückgedrängt und möglicherweise überwunden werden kann. Es steht nichts weniger als die Transformation des Gesamtzusammenhangs von Natur und Gesellschaft des Planeten Erde auf der Agenda. Es hat »Tausende von Jahrhunderten« gedauert, in denen sich die »Herrschaft des Menschen über die Natur« durchsetzte, so Marx (1867, 533ff), bis sich Anthropozän und Kapitalozän herausbildeten. Auch die Transformation wird lange dauern, aber die Perspektive der Überwindung der Krise der Gesellschaftsformation und der Erdformation, von Ökonomie, Gesellschaft und Ökologie muss von Anfang an alles Handeln orientieren.