Tene Smith hat drei Jahre auf der Couch ihrer Schwester gelebt, bis sie sich entschlossen hat, mit ihrer Familie in ein Haus zu ziehen, das seit mehr als zwei Jahren leerstand. Mit Hilfe der Organisation Liberate the South Side aus Chicago – einer Organisation, die gezielt leerstehende Häuser sucht und renoviert –, ist sie mit ihren drei Kindern im Januar 2012 eingezogen. Der Einzug wurde mit einer öffentlichen Feier begangen, an der Menschen aus der Nachbarschaft und Pressevertreter teilgenommen haben. »Zuerst hatte ich Angst«, berichtet sie. »Aber nach einigen Tagen kehrte ein Gefühl von Unabhängigkeit zurück, das mir seit langem abhanden gekommen war.« Der Begriff »Hausbesetzer« beschwört Bilder von jungen, urbanen Hipstern herauf, die in vergangenen Jahrzehnten leerstehende Gebäude etwa in New Yorks Lower East Side übernahmen. Doch stehen in den USA fünfmal mehr Häuser leer, als Menschen obdachlos sind; die »Hausbesetzer«, die in zwangsgeräumte Häuser in Chicago, New York oder Minneapolis einziehen, sind Familien wie die Smiths, die von der Krise hart getroffen worden sind, oder junge Aktivisten, denen es um eine politische Aussage geht. Noch kommt die Hausbesetzerbewegung nicht an ihre historischen Vorgänger heran: Die Historiker Richard Boyer und Herbert Morais schätzen, dass Arbeitslosenräte im Jahr 1932 allein in New York City 77000 zwangsgeräumten Familien wieder zum Einzug in ihre Wohnungen verhalfen. Die Occupy-Bewegung hat den Recht-auf-Wohnen-Gruppen Auftrieb verschafft. Mehr als eine Milliarde Menschen leben weltweit in informellen Siedlungen. Durch Hausbesetzungen werden in Entwicklungsländern mit die meisten Wohnmöglichkeiten geschaffen, argumentiert der Journalist Robert Neuwirth. Im Zusammenhang mit der globalen Krise der Zwangsvollstreckungen entsteht quer durch die »entwickelte Welt« eine Hausbesetzerbewegung, die ansonsten freistehende Gebäude zum Wohnen beansprucht. In Spanien haben sich bestehende Netzwerke von Hausbesetzern mit der M-15-Bewegung der Indignados verbunden. »Hausbesetzung wird in Spanien eher mit linksradikaler Politik und den Autonomen verbunden«, erläutert Miguel Ángel Mart’nez, Soziologe an der Universität Madrid. »M-15 hat das aufgegriffen, angesichts der Tragödien, die sich auf den Plätzen abspielten: Menschen auf den Versammlungen baten um Hilfe, sie lebten auf der Straße oder waren von Räumung bedroht.« Seit 2007 hat es in Spanien ca. 350 000 Zwangsräumungen gegeben. Aus der Zusammenarbeit von erfahrenen Besetzern und M-15-Aktivisten sind unter anderem gut funktionierende »Besetzungsbüros« entstanden, die in den wichtigsten Städten Informationen über leerstehende Gebäude weitergeben und Leute beraten, die besetzen wollen. In Irland haben Hausbesetzer aus dem Umfeld der Occupy-Bewegung angefangen, tausende Immobilien zu übernehmen, die die Spekulanten der National Asset Management Agency (NAMA) übergeben hatten – einer staatlichen Bank, die geschaffen wurde, um nach dem Zusammenbruch des Wohnungsmarktes schlechte Immobilienkredite aufzukaufen. In Cork besetzten Aktivisten ein NAMA-Gebäude und wandelten es in ein Community-Center um, mit einer Bibliothek und kostenfreier Beratung. Länder, in denen die Traditionen von Hausbesetzung stärker sind, haben häufig weniger strenge Gesetze und bieten bessere Möglichkeiten, leerstehende Gebäude für die Community zu übernehmen. In vielen Staaten in den USA legen die Gesetze fest, dass wer ein Gebäude länger als 30 Tage besetzt gehalten hat, nur mittels eines formellen Prozesses geräumt werden kann – eine mehrdeutige Formulierung, die für Familien in leerstehenden Häusern durchaus gefährlich werden kann. Nachdem Tene Smith und ihre Familie ihr neues Zuhause länger als einen Monat besetzt hatten, tauchte der frühere Besitzer wieder auf, der 2007 zwangsgeräumt worden war. Smith entschloss sich, das Haus zu verlassen, weil »unser Kampf der Bank und nicht dem Hausbesitzer galt«. Doch das Haus wurde im Februar plötzlich zum Kauf ausgeschrieben und Liberate the South Side hat den Verdacht, dass die Bank of America, die den ursprünglichen Kredit gewährt hatte, dem Hausbesitzer Verhandlungen in Aussicht gestellt hatte, nachdem Smith im Januar eingezogen war. (Die Bank war zu keinem Kommentar bereit.) Die Hausbesetzer-Gruppen haben in den vergangenen zwei Jahren weniger widersprüchliche Siege errungen und konnten Banken zwingen, von den Zwangsversteigerungen abzusehen. Erstmals wird diese Forderung auch von Politikern aufgegriffen. Doch Max Rameau, Organizer bei Take back the Land, meint, es wäre schade, wenn die Bewegungen jetzt in ihren Anstrengungen nachlassen würden. »Das Angebot der Regierung, die Forderungen grundsätzlich zu reduzieren, hilft nur den Kreditnehmern, die noch Arbeit haben. Arme people of color, die am meisten unter der Krise zu leiden hatten, haben nichts von diesen Angeboten. Wenn die Bewegungen darauf anspringen, ist das ein Ausverkauf.« Die Kreditkrise hat einen politischen Raum geschaffen, in dem sich eine Bewegung herausbilden konnte. Letztlich muss es darum gehen, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und den Gemeinden die Kontrolle darüber zu übertragen, wie dieser verwaltet wird. »Unser wichtigstes Ziel ist es nicht, die Banken anzugreifen«, sagt Rameau. Unser Ziel ist es, das Menschenrecht auf Wohnen durchzusetzen.«
Der Beitrag »No Vacancies: Squatters Move In« ist im Mai 2012 in In These Times erschienen. Aus dem Amerikanischen von Christina Kaindl