Dieser Text erscheint als Teil unserer Reihe Regieren? Und wenn ja wie? Hier werden bisherige E­rfahrungen und unterschiedliche Perspektiven auf linke Regierungsbeteiligung diskutiert.

Das Jahr 2021 wird richtungsweisend dafür sein, ob wir es schaffen, als LINKE eine solidarische Antwort auf die multiplen Krisen unserer Zeit zu formulieren. Gelingt es uns, hinter der Forderung »Nicht auf unserem Rü­cken« Mehrheiten zu vereinen? Oder erleben wir eine weitere neoliberale Kürzungswelle, getragen von einer schwarz-grünen Regie­rung? Angesichts der Bundestagswahlen im kommenden Jahr stellt sich die Frage, welche Erzählung die LINKE anbietet und welche Rol­le ein linkes Regierungsprojekt darin spielt. Ich selbst bin in den letzten zwei Jahren insbesondere in der Fridays-for-Future-Bewe­gung und dem Bündnis zur Unterstützung der Tarifrunde Nahverkehr aktiv gewesen. Dabei habe ich die Politisierung einer neuen Generation rund um die Klimafrage miterlebt. Wie die Hoffnungen und die Enttäuschun­gen dieser Bewegung politisch artikuliert werden, ist für die Zukunft entscheidend. Ist mit einer linken Regierungsbeteiligung ein glaubwürdiges politisches Angebot für diese Bewegung verbunden, das den langfristigen Aufbau von Gegenmacht unterstützt – oder weckt sie falsche Hoffnungen, die diesen eher gefährden?

Fridays for future am Scheideweg

Als Erstes möchte ich die Situation und die Stimmung des jungen Bewegungsmilieus be­schreiben, das in Schulen, aber auch ausgehend von Universitäten als Fridays for Future diesen gesellschaftlichen Prozesse in Gang bringt. Da­bei hilft ein kleiner Blick auf die Sozialisierung unserer Generation, die besonders von der Ära Merkel geprägt ist. Viele von uns kennen nur sie als Kanzlerin. Das bedeutet, dass wir auf der einen Seite von der Betonung eines weltoffenen und modernen Deutschlands geprägt sind, für das Merkel als Person gemeinhin steht. »Wir« haben 2006 bei der Fußball-Weltmeisterschaft »Freunde« empfangen, »Wir schaffen das« 2015, »Wir« sind aufgeklärt. Auf der anderen Seite ist meine Generation trotz ihres jungen Alters schon sehr krisenerfahren. Wir haben die Finanzkrise miterlebt, die Umstrukturierungen der Schulen durch G8, die Ökonomisierung der Universitäten durch das Bachelor- und Mastersystem, die sogenannte Flüchtlingskrise, und jetzt erleben wir hautnah die Klimakrise. Damit nicht genug: Mit Anfang 20 befinde ich mich mitten in der Corona-Krise und blicke der größten Weltwirtschaftskrise seit den 1930er Jahren entgegen. Meine Generation bewegt sich zwischen diesen Polen – wir wissen, was Krise bedeutet, wissen, was Protest auf der Straße ist, und wissen, dass es ein Problem mit dem System gibt. »System Change, not Climate Change« – das ist unsere Parole. Aber, und das ist entscheidend: Wir sind immer auch ein bisschen froh, dass es Merkel gibt, wir glauben immer auch ein bisschen an die Fortschritts­erzählung und wir sind sauer, dass nicht auf die Wissenschaft gehört wird und nicht alle nett zueinander sind. Unser »System Change« bedeutet manchmal mehr vegetarische Würst­chen und eine andere Regierung, keine andere Welt. Wir, die »Generation Merkel«, können uns manchmal nicht so ganz entscheiden. 

Durch das Ende der Ära Merkel steht Fri­days for Future nun vor einer Art Weggabelung. Lassen wir uns einnorden von der Erzählung eines modernen Deutschlands, das nun eine schwarz-grüne Regierung braucht, um grüner und nachhaltiger zu wirtschaften, etwa mit einer Figur wie Markus Söder an der Spitze? Oder verhindern wir eine Neuauflage des ›Mer­kelismus‹ und schlagen eine andere Erzählung vor? Wie erweitern wir den Horizont, um der Hoffnung auf grüne Modernisierung eine sozia­listische Perspektive entgegenzustellen und auf Selbstermächtigung und Selbstorganisierung zu orientieren? Die Partei DIE LINKE muss sich daran messen lassen, ob sie dazu einen substanziellen Beitrag leistet. Der SDS kann, so glaube ich, als Teil der LINKEN den Pfad eines sozialökologischen Systemwechsels anbieten.

Konkrete Veränderungen organisieren

Für diese Herausforderung scheint mir der Entwurf eines linken Green New Deals mit radikalen Reformen äußerst hilfreich. Für den Moment ist es aber noch entscheidender, dass die Möglichkeit größerer Veränderungen über­haupt wieder erfahrbar wird. Dafür müssen wir als Linke konkret zeigen, wie politische Veränderungen von unten und selbstorganisiert durchgesetzt werden können. 

Als SDS haben wir im letzten Jahr die Idee von studentischen Klimavollversammlungen an den Universitäten vorangetrieben. In kurzer Zeit ist es uns durch Methoden des struktur­basierten Organizings gelungen, Mehrheiten dafür zu gewinnen. Um den Aktivist*innen eine Vorstellung davon zu geben, was sich durch eine Orientierung auf Mehrheiten errei­chen lässt, haben wir uns vor eineinhalb Jahren außerdem auf die Vernetzung von Fridays-for-Future-Aktiven mit der Dienstleistungsgesell­schaft ver.di konzentriert, woraus die gemein­same ÖPNV-Kampagne entstanden ist. Die Tarifrunde Nahverkehr bot einen gemeinsamen Anknüpfungspunkt, vor allem aber auch eine Durchsetzungsperspektive – etwas, das Fridays for Future bisher schmerzhaft fehlte. 

Durch unsere stetige Arbeit ist es uns gelungen, innerhalb von Fridays for Future ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie wichtig es ist, sich mit Gewerkschaften zu vernetzen. So entstehen gerade in über 30 Städten in Deutschland kleine Zellen einer gemeinsamen Organisierung von Klimaaktivist*innen und Beschäftigten des öffentlichen Personennahver­kehrs. Für mich ist das ein gelungenes Beispiel einer verbindenden Klassenpolitik. 

Die Erfahrungen aus dieser Kampagne müssen wir verstetigen und auf dieser Basis gemeinsame linke Zukunftsprojekte ent­wickeln. Die Möglichkeit von Veränderung muss sich immer in der konkreten politischen Auseinandersetzung beweisen. Das heißt: Die Messlatte für radikale Reformen und Ziele einer linken Regierungsbeteiligung muss immer sein, inwieweit wir in der Lage sind, dafür eine erfolgreiche Strategie zu entwickeln und den nächsten Schritt vorzuschlagen, um Macht von unten aufzubauen. Das geht oft unter, sollte aber Voraussetzung der Gedan­kenspiele sein.

Keine falschen Hoffnungen

Die weltweit größten 100 Konzerne sind für 70 Prozent der CO2-Emissionen verantwort­lich. Das zeigt, wo der Gegner steht und wie die Kräfteverhältnisse gerade real aussehen. Konzernlobbyist*innen sowie die bürgerliche Politik und Presse machen ordentlich Gegen­wind gegen progressive Kräfte und jede linke Strategie. Das kann massiv einschüchtern und demotivieren, wir müssen dagegen gewappnet sein. Das wurde mir in der Mobilisierung gegen das Klimapaket der Bundesregierung im letzten Herbst besonders deutlich. Viele der jungen Aktivist*innen, die den riesigen Klimastreik auf die Beine gestellt hatten, waren von den Ergeb­nissen des Klimapakets ernsthaft enttäuscht. Hier war und ist eine Menge Aufbau- und Bildungsarbeit vonnöten, damit nicht viele von ihnen frustriert aufgeben. Ein ähnliches Prob­lem zeigte sich in der Tarifrunde Nahverkehr in Leipzig diesen Herbst. Statt kraftvoll zu streiken, waren viele Beschäftigte eher eingeschüchtert und skeptisch, ob der Streik richtig und berech­tigt ist. Die Presse hatte in den Tagen vorher ordentlich Stimmung dagegen gemacht und auch die Reaktion der Fahrgäste war alles an­dere als solidarisch. Auch hier braucht es lange, kontinuierliche Überzeugungsarbeit, damit die Flämmchen des Widerstands nicht erlöschen, sondern ein richtiges Feuer entfachen. 

Diese zwei Beispiele zeigen, worauf wir uns einstellen müssen, sollten wir wirklich irgendwann in der Lage sein, den Herrschen­den wehzutun. Für größere Reformen brauchen wir deutlich mehr organisierte Gegenmacht von unten. Andernfalls können wir die sozial-ökologische Transformation und einen grundlegenden gesellschaftlichen Umbau nicht in Angriff nehmen. Weder die LINKE noch die gesamtgesellschaftliche Linke könnten in ihrer jetzigen Verfassung dem Gegenwind standhalten. Mit dieser Einsicht verbindet sich für mich die Erkenntnis, dass ein linkes Regierungsprojekt 2021 keine realistische und damit auch keine anzustrebende Perspektive ist. Es führt uns eher weg von der Frage, wie wir stärker werden. 

Als Aktivist*innen in der Klimabewegung und im SDS sind wir es gewohnt, permanent vom Regierungshandeln und den Parlamenten enttäuscht zu werden. Obwohl die Welt im buchstäblich in Flammen steht, ernten wir vonseiten der Politik nur leere Versprechungen. In Hessen wird unter einer schwarz-grünen Regierung der Dannenröder Wald für eine Autobahn abgeholzt und Aktivist*innen erleben brutale Polizeimaßnahmen. In Bremen und Berlin wurden unter rot-rot-grünen Landes­regierungen in diesem Jahr die ÖPNV-Preise erhöht. Vor diesem Hintergrund lasse ich große Vorsicht walten, wenn es um das Potenzial einer linken Regierung geht. Ich sehe die Gefahr, dass insbesondere die Grünen durch eine Erzählung von linken Mehrheiten falsche Hoff­nungen wecken. Sie könnten Aktivist*innen eine falsche Abkürzung nahelegen, wenn sie all ihre Hoffnung auf eine grüne Regierung setzen. Um dies zu vermeiden, muss jede Debatte um linkes Regieren die Projekte mit in den Blick nehmen, die versuchen, Macht von unten aufzubauen, und den Regierungsfokus dazu ins Verhältnis setzen. 

Dennoch ist die Frage des Regierens wichtig und auch die Bundestagswahl von großer Bedeutung. Ich bin mir sicher, dass sich Fridays for Future 2021 auf die Bundestagswahl fokussieren wird und die Wahl zur »Klima­wahl« erklären wird. Die LINKE hat hier eine riesige Chance als einzige Partei mit einem klaren antikapitalistischen Profil. Es ist jetzt ihre Aufgabe, glaubhaft für aktiven Klimaschutz einzutreten. Auf diese Weise kann sie unzählige neue, junge Anhänger*innen gewinnen, die in der LINKEN ein langfristiges Zuhause finden. Sie kann zum Motor des antikapitalistischen Pols in der Klimabewegung werden und meine Generation für die Idee eines modernen Sozialismus begeistern – wenn sie keine faulen Kompromisse eingeht.