Die Debatte um Industrie4.0 und das neue Maschinenzeitalter wird meist technizistisch verkürzt geführt. In sozio-technischen Systemen ist nach wie vor menschliche Arbeit die wichtigste Produktivkraft. Ihre Stellung verändert sich jedoch. Marx erahnte in Grundrisse eine Entwicklung, in der der Arbeiter »neben den Produktionsprozess« tritt, »statt sein Hauptagent zu sein« (MEW 42, 601). Er wird zum »Wächter und Regulator« (ebd.).Dies ist ein Prozess der spätestens mit der Entwicklung der Produktivkräfte, veränderter Arbeitsorganisationen und de Transnationalisierung der Produktion seit den 1970er Jahren begann. Er führte zu einer Umwälzung von Arbeitsformen und Tätigkeiten, der Entwicklung neuer Berufe und Branchen, sowie zur Bildung neuer Gruppen von Beschäftigten. Zentral dabei ist: Die Restrukturierung des Verhältnisses von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen im informationellen Kapitalismus macht der fordistischen Zurichtung zum ›dressierten Gorilla‹ (Gramsci, Gef.7, 1499f) als Anhängsel der Maschine ein Ende, setzt stärker auf die Produktionsintelligenz, das informelle Erfahrungswissen, die Kreativität und selbst die Emotionalität der unmittelbaren Produzenten: „Der Arbeiter rückt auf strategischen Posten«(PAQ 1980, 87).

Mit der Debatte um Industrie4.0 und das neue Maschinenzeitalter rückt dieser zentrale Aspekt – die Entwicklung menschlicher Arbeitskraft – aus dem Blick. Produktivkraftentwicklung wird auf die Maschine reduziert und der (Alb-)Traum einer automatischen Fabrik wieder aktualisiert. Tatsächlich verlagern sich die Kosten der Produktion von der Fertigung zur Entwicklung, von der Hardware- zur Software-Produktion, von der industriellen Produktion zu ›Dienstleistungen‹. Die Software, zwischen Maschine und Arbeitenden positioniert, avanciert zum »dominierenden Arbeits- und Produktionsmittel« (Müller 2010, 33). Die Rationalisierung der Arbeit umfasst dabei zunehmen nicht nur Bewegungstätigkeiten, sondern breitet sich in unzählige Bereiche der gesellschaftlichen Produktion aus, erobert v.a. die Büros, bis hin zu intellektuell-kreativer Arbeit. Darin werden allerdings zahlreiche Widersprüche zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen auf neuer, veränderter Basis reproduziert.

Repositionierung des Wissens

Mit der Repositionierung des Wissens und der Subjektivität seit den Anfängen der Automation (vgl. PAQ 1975, 159ff) sowie dem zentralen Produktionsmittel Computer ist eine erweiterte relative Autonomie der Beschäftigten im Arbeitsprozess verbunden. Je höher der Grad an Verwissenschaftlichung der Tätigkeiten, je eher die Tätigkeit auf dem eigenen Computer erbracht wird, desto schwieriger wird es für die Unternehmen eine direkte Kontrolle über den Arbeitsprozess aufrechtzuerhalten. Der genaue Ablauf der Tätigkeiten wird nicht mehr vorgegeben, sondern den Beschäftigten weitgehend selbst überlassen; Hauptsache das vorgegebene Ziel wird erreicht. Flache Hierarchien, individuelle Zielvereinbarung, autonome Gruppen und indirekte Steuerung heißen die Leitbilder. Die Einbindung des Wissens der Beschäftigten und die erweitere Autonomie machen die Tätigkeiten generell interessanter und vielfältiger, die Grenzen zwischen Arbeitszeit und ›disposable time‹ (Marx) verwischen, insbesondere bei Telearbeit, die flexibel zwischen zuhause, unterwegs und Büro changiert: Indem Arbeit intellektuelle Arbeit wird, kann sie hinter „den Fabriktoren und Bürotüren nicht halt machen. Die Probleme werden mit nach Hause genommen. Sie durchsetzen die Freizeit“, wollen gelöst werden. „Solche Praxen verändern das Familienleben, wenn sie allgemein werden.“ (Haug 1996, 75).

Die Herausbildung dieses – in Anlehnung an Gramsci (Gef., H. 22, § 11) – neuen Arbeiter- und Menschentypus der modernen KybertarierInnen (vgl. HKWM Bd. 8) ist verbunden mit einem „neuen Selbstbewusstsein“ der Arbeitenden, dass „sich auf den Kopf als Produktivorgan stützt“ (PAQ 1987, 95). Die zunehmende Komplexität der Produktion bringt neue Formen der Arbeitsorganisation und -teilung mit sich, die eine relativ aktive Selbstorganisation der Arbeitenden (auch bei eigener Weiterbildung), mehr individuelle Verantwortung, bei gleichzeitig steigendem Bedarf an kooperativer Planung und entsprechender Fähigkeiten erforderlich machen. Die Komplexität erfordert von den Einzelnen eine Spezialisierung und ein Verständnis des Gesamtprodukts. Dabei entwickeln die Arbeitenden potenziell die Perspektive einer „kooperativen Individualität“, die über den gegebenen Zustand hinausweisen kann (PAQ 1978, 135; Müller 2010, 280).

Allerdings: Eingezwängt in fremdbestimmte, betriebliche kontrollierte Grenzen beschränkt sich die Autonomie auf einen engen Bereich des für die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens Förderlichen. Damit sind Beschäftigte gezwungen Flexibilitäts- und Effizienzanschauungen, unternehmerisches Denken in ihre eigenen Denk- und Handlungsmuster zu internalisieren (PAQ 1981, 426ff). „Mehr Druck durch mehr Freiheit“, beschrieben Winfried Glißmann und Klaus Peters (2003) diesen Prozess. Die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapitalverhältnis erreicht eine historisch-qualitativ neue Stufe: Die Ausbeutung abhängiger Arbeitskraft durch das Kapital wird durch erweiterte und zugleich eingegrenzte Spielräume auf das tätige Subjekt in Richtung ^Selbstausbeutung^^ verschoben. Die Grade der ›Selbstausbeutung‹ und Autonomie sind dabei umkämpft. Doch die Arbeitenden bleiben „noch immer von den Kooperationsbedingungen enteignet“ (Müller 2010, 280).

Der Markt wird zum zentralen Kontrollinstrument, in die betriebliche Organisation hinein verlagert: Steuerung über Kennziffern und permanentes Benchmarking, Ergebnisorientierung und Kosteneffizienz, Ausrichtung an Profit-Center-Prinzip in jeder Abteilung eines Unternehmens führen zu Formen der Habitualisierung äußerer Anforderungen in verinnerlichte Praxen. Zusätzlich erhöhen drohende Aus- und Verlagerung den Druck: Unternehmen verlagern vor allem »in der Mitte der Wertschöpfungskette« möglichst viele, leicht standardisierbare Aktivitäten an billigere Standorte (Boes/Kämpf 2011, 132). Die innerbetriebliche und globale Konkurrenz sichert die Nutzung der erweiterten Autonomie für kapitalistische Ziele.

In der Regel verfügen Kybertarier über eine größere berufliche Identität, identifizieren sich stärker mit ihrer Tätigkeit als dies etwa bei den sog. ›Massenarbeitern‹ in Großbetrieben der Fall war. Eigenverantwortung, Effizienzdenken, Fleiß, Motivation gewinnen an Bedeutung und werden eher positiv konnotiert. Der hohe Grad an Autonomie und Selbstorganisation trägt erheblich zur Minderung von Entfremdung der Arbeitenden von ihrer Tätigkeit bei, die Tätigkeit selbst wird zur bestimmenden persönlichen Eigenschaft.

Die enge Verbindung von Integration der Subjektivität der Arbeiter in den Produktionsprozess bei gleichzeitiger Internalisierung unternehmerischen Effizienz- und Leistungsdenkens wird durch neue Formen sozialer Kontrolle ergänzt. Weil die Kontrolle z.T. auf die Beschäftigten übertragen wird und nicht durch äußerliche Funktionsträger aufgezwungen wird, wirkt diese Struktur selbstbestimmter und demokratischer. Die Verinnerlichung der Unternehmensziele lässt allerdings einen starken »Ostraizismus« wirksam werden, einem »Druck, den eine Gruppe kollektiv auf ein Gruppenmitglied ausübt, das sich nicht an die ihm vorgegebenen oder von ihm selbst frei gesetzten Ziele hält« (Coriat 1991, 177). Die Beschäftigten selbst sind es, die abweichendes Verhalten und Nonkonformismus wieder in angepasste Handlungsweisen pressen oder ausgrenzen, gegebenenfalls entfernen.

Autonomie und Kontrolle

Dennoch entstehen zahlreiche Probleme der Kontrolle und Steuerung der Selbstorganisation der Arbeitenden. Komplexe kreative oder Entwicklungsarbeit ist „nicht vollständig zerleg- und planbar“, so dass das Management meist „nur noch einen groben Überblick“ über die (Wissens)Produktion hat (Müller 2010, 281f). Daher der Versuch, kreative Arbeit zunehmend zu standardisieren und Wissen über die Nutzung umfangreicher Dokumentationen und Software-Tools übertragbar zu machen – nicht zuletzt auf selbständig miteinander kommunizierende Maschinen. Mit der wachsenden Standardisierung im Zuge der informatisierten zunehmend globalen Integration von Gesamtarbeitsprozessen geht notwendigerweise das Aufbrechen neuer Fehlerquellen einher, die durch das subjektive Eingreifen der Beschäftigten kompensiert werden müssen (Flecker u.a. 2009, 94). Zum Teil werden entsprechende Möglichkeiten zur Fehlerkorrektur bereits in das System eingelassen, die meisten Fehlerquellen bleiben jedoch unsichtbar. Informelle Arbeitsleistungen müssen das reibungslose Funktionieren des Produktionsprozesses herstellen. V.a. die Weiterentwicklung der Produktivkräfte kann nur zum Teil durch die Institutionalisierung von sog. Verbesserungsvorschlägen vorstrukturiert werden. Ob angestellt oder selbständig, viele Spezialisten empfinden die Standardisierung als „Bedrohung ihrer eigenen Expertise“, lässt sie austauschbar werden (Huws 2010, 3). Nicht nur ist die Übertragung solcher standardisierter Evaluationen schwierig, da jedes Entwicklungsprojekt „in bestimmten Maße innovativ und damit einzigartig“ ist; vielmehr ist die „mangelnde Bereitschaft, Wissen zu teilen die Hauptbarriere“ für eine Übertragung dieses Produzentenwissens auf standardisierte Prozesse (Müller 2010, 288). Daher wird entweder von vornherein größere Autonomie gewährt oder einen Teil der individuellen Arbeitsleistungen wird darauf verwandt, solche Freiräume zu schaffen. Auch bei den KybertarierInnen tritt die Grenze der technischen-organisatorischen Subsumierbarkeit menschlicher Arbeitskraft unters Kapital deutlich zu Tage.

Deshalb wird „das Wissensmanagement“ zur „bestimmenden Form der Unternehmensführung“ (280). „Das Management der Kreativität beinhaltet eine Reihe schwieriger Balance-Akte: den Menschen Freiheit für neue Ideen geben und gleichzeitig sicher stellen, dass sie innerhalb der übergreifenden Struktur arbeiten; eine kraftvolle Unternehmenskultur schaffen und gleichzeitig sicher stellen, dass diese nicht erdrückend wirkt.“ (Economist, 17. Juni 2010) Die kapitalistische Formbestimmung bringt Methoden wie die „Matrixprojektorganisation“ hervor, die zwischen „der Hierarchie in Form der Linienorganisation und der (relativen) Autonomie in Form von Projekten“ vermitteln soll, wobei „die Linie dominiert“ (Müller 2010, 292). Die verbleibende Trennung von Leitung und Ausführung, ohne dass das Management noch über ein ausreichendes Verständnis der weitgehend selbstorganisierten komplexen Produktionsprozesse verfügt, führt zu Ineffizienzen, Stockungen und Fehlern, letztlich zu einem „permanenten Krisenmanagement“ und Überforderung (ebd.).

Diskrepanzen zwischen den tatsächlichen Arbeitsanforderungen, also den eigentlich erforderlichen Arbeitstätigkeiten, Kundenwünschen und eingeschränkten Möglichkeiten ihrer Verwirklichung durch Vorgaben des Managements (vgl. PAQ 1987, 19ff) führen zu weiterem Stress und einer „Verletzungen des Gebrauchswertstolzes der eigenen Arbeitskraft“: Wenn z.B. der Wunsch kontakariert wird, ein hervorragend programmiertes Produkt mit hohem Gebrauchswert zu produzieren, dies aber unter extrem hohen Zeit- und Kostendruck nicht zu können, gezwungen zu sein, mit Fehlern behaftete Software an die Kunden weiterzugeben, zugleich die Fehler zu kaschieren, und/oder die Anerkennung eigener Leistung versagt zu bekommen – immer unter der Bedrohung, dass ein Jüngerer bereits wartet, der vielleicht entsprechende Leistungen schneller erbringt. Dennoch ist für viele das Unternehmen eine Art ›Solidaritäts- und Wettbewerbsgemeinschaft‹ in der verallgemeinerten globalen Marktkonkurrenz. Aufgrund der Standortkonkurrenz belastet „die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz“ die Kooperation mit ausländischen Kollegen und den Wissenstransfer in transnationalen Produktionsnetzen (Boes/Kämpf 2011, 132) – Rassismen und Standortnationalismus tun ihr übriges dazu. In der Konkurrenz wird versucht, Frauen die technische Kompetenz tendenziell abzusprechen, sie auf untergeordnete Positionen zu verweisen, während zugleich technisch-ausgebildete männliche Fachkräfte sich mit den als ›weiblich‹ geltenden Anforderungen kommunikativer und ›affektiver Arbeit‹ gegenüber Kunden konfrontiert sehen. Überforderung, angesichts des internalisierten, unpersönlichen Drucks des Marktes und widersprüchlicher Anforderungen wird häufig als eigenes Versagen gedeutet, mit dem Gefühl nicht mithalten zu können verbunden, zersetzt das psycho-physische Gleichgewicht.

Hinzukommt die rasante Entwertung des eigenen Wissens durch die beschleunigte Entwicklung der Technologien. Wenn sich z.B. ein Computerprogramm schneller ändert, als es wirklich in seinen umfangreichen Möglichkeiten begriffen und eingeübt werden kann, Technologien sich schneller Entwickeln als individuelle Lernkapazitäten, verlieren Erfahrungen und erworbenes Wissen ihren Wert, ›learning by doing‹ wird zur Unmöglichkeit. Die hohe Fluktuation in der Beschäftigung hochtechnologischer Branchen und die Gleichsetzung von Innovation und Jugend sind Belege dieses Entwertungsprozesses: „Die Erfahrung ist im Kurse gefallen“ (Benjamin 1933, 439), auch da die Unternehmen eine wachsende, zunehmend besser qualifizierte „globale Arbeitskraftreserve anzapfen“ können (Huws 2010, 2). Was wir hoffnungsvoll „lebenslanges Lernen“ genannt haben, wird zum Marathon, in dem die Subjekte ruhelos ihrer immer schneller verfallenden Brauchbarkeit hinterherrennen. Mit dem Aufstieg der globalen Semiperipherie vor allem Indiens (aber auch Mittelamerikas mit Bezug auf Auslagerungen aus den USA) zum „strategischen Ort“ für IT-Dienstleistungen (Boes/Kämpf 2011, 131), ist auch für das hochqualifizierte Kybertariat ein globaler Arbeitsmarkt entstanden, der innerbetrieblich und grenzüberschreitend Konkurrenz verschärft und eine „Erfahrung von Austauschbarkeit“ vermittelt – selbst unbefristete Arbeitsverhältnisse spenden kaum noch ein Gefühl von Sicherheit (203). Doch liegen in diesen Widersprüchen Potenziale einer Organisierung von Solidarität entlang transnationaler Produktionsketten. Zumal im Rahmen von Transnationalisierung und Digitalisierung die vermeintliche schützende ›Wettbewerbsgemeinschaft‹ mehr und mehr aufgelöst wird.

Globale Streuung, Maschinensysteme und Arbeitsorganisation

Die Arbeitenden sind mit der Transnationalisierung der Produktion immer stärker zerstreut und zugleich über Grenzen hinweg in Kooperationsbeziehungen eingebunden. Die Zahl und Dichte globaler Produktionsnetze nimmt zu. Während die direkt produktiven Aktivitäten zerlegt und dezentralisiert werden, übernehmen die modernen Netzwerkunternehmen die operative Leitung und Vernetzung der vereinzelten Standorte. „Die Verbindung zwischen den Knotenpunkten ist loser; man kann einen Teil entfernen, ohne andere Teile zu zerstören, zumindest in der Theorie. Das System ist fragmentiert.“ (Sennett 2000, 60) Flexibilität wird gerade durch das Management der Inkohärenz erreicht: dauernd wechselnde Kontrollbeziehungen und globale Restrukturierung (Huws 2010, 4) erschweren Zulieferern und v.a. Beschäftigten sich zu positionieren. Die Integration einer Vielzahl von kleinen und größeren Einheiten sowie unterschiedlicher Standorte innerhalb eines transnationalen Netzwerkes erhöht dabei die Komplexität des Produktionsprozesses und erfordert eine stärkere Koordination. So bringt die territoriale Dezentralisierung der Produktion die Notwendigkeit zum Ausbau zentraler Kontrollstrukturen (und damit verbundener spezialisierter Dienstleistungen) hervor. Dabei handelt es sich um einen widersprüchlichen Prozess: der aus dem Zwang zur Beherrschung der enormen Unsicherheiten und Risiken transnationalisierter Produktionen erwachsende Zentralismus der Produktionsplanung und -kontrolle konterkariert die oft proklamierte arbeitsorganisatorische Gestaltungsautonomie vor Ort (Lüthje 1998, 574; ders., 2001).

Mit dem Internet der Dinge, der Verknüpfung von Maschinensystemen über Inter- bzw. Intranetze entwickeln sich Unternehmen perspektivisch betrachtet noch stärker zu globalen, sich selbst organisierenden Produktionsmaschinerien. Dabei werden klassische Unternehmensgrenzen auch von transnationalen Konzernen überschritten und Produktionsstufen integriert, die nicht mehr der klassischen Auslagerung von Vorprodukten und Einzelteilen, auch nicht der Contract-Fertigung entsprechen, sondern direkt Produktionsprozesse vernetzen, die unterschiedliche Eigentümer haben und in Konkurrenz zueinander stehen. Die Grenzen zwischen  innen und außen verschwimmen. Es entwickelt sich eine neue Komplexität von Prozessen, die sicher nicht einfacher zu handhaben sein wird.

Mit der globalen und flexiblen Vernetzung unterschiedlicher Maschinensysteme über Unternehmensgrenzen hinweg kommt es auch zu einer Entbetrieblichung von Arbeit. Die Vergabe von Aufträgen über Online-Plattformen führte zunächst im business-to-business (B2B) für Zulieferer mit sogenannten reverse auctions, bei denen sie sich gegenseitig unterbieten, zu einem Unterbietungswettlauf (Candeias 2000). Online-Plattformen bieten nun auch einzelne, teilweise extrem zergliederte (also taylorisierte) Arbeitsaufgaben an, die Solo-Selbständige – oft für Cent-Beträge – quasi für Stücklohn abarbeiten. Arbeitsaufgaben werden aus Betriebskontexten herausgelöst, klassische Vertretungsstrukturen vor ganz neue Herausforderungen gestellt.

Vor dem Hintergrund zunehmender Transnationalisierung und Standardisierung wurden in den letzten Jahren die neue Formen der Arbeitsorganisation zurückgeschraubt, erreichen ihre Grenzen. Ein „Kulturbruch“ in den Unternehmen, der bereits im Zuge der Krise der New Economy eingeleitet wurde, nun aber zu weitreichenden „Verschiebungen der Annerkennungsordnung“ (204) geführt hat: die einst begehrten Spezialisten und Fachleute sind ersetzbar. Ein „System permanenter Bewährung“ hat sich durchgesetzt (Boes/Bultemeier 2008, 201). Von Kapitalseite erfolgt ein Rückbau von Autonomiespielräumen, Verschärfung von Kontrolle, Intensivierung und Prekarisierung der Arbeit sowie Überausbeutung. Auf der Seite der Lohnabhängigen führt dies zu breiter Demotivierung und Kreativitätssperren, sowohl durch die ›Selbstausbeutung‹ in flexiblen, enthierarchisierten Arbeitsverhältnissen, als auch durch die engen Grenzen der betrieblichen Vorgaben und Despotismus, dauernde Unsicherheit oder mangelnde Perspektiven. Dies bedeutet in vielen Fällen Erschöpfung, chronische Erkrankungen, von Depression bis zum Magengeschwür, sowie mangelnde Requalifizierung. Im Ergebnis sinkt die Arbeitsproduktivität in diesen Bereichen. „Die Potenziale der neuen Produktivkräfte lassen sich unter den neoliberalen Produktionsverhältnissen nicht weiter realisieren.“ (Candeias 2010, 8)

Wissensmanagementsysteme versuchen bereits das spezialisierte Wissen der Arbeitenden zu verallgemeinern. Mit der Industrie4.0 soll das Produktionswissen erneut und auf höherer Stufe an die Maschinen(systeme) übertragen werden. „Selbststeuernde Produktionssysteme beruhen darauf, dass die Megamaschine als Organisationsmaschine an Stelle des Menschen nicht nur darüber entscheidet, wie sich die Automaten selbst steuern, sondern auch welche Maschinensysteme zu welchem Produktionsablauf zusammenwirken sollen, zugleich kontrolliert sie den Produktionsablauf und disponiert um, um Störungen vorzubeugen und Sonderkonstellationen vorzubeugen.“ (Ohm/Bürger 2015, 21f) Selbstverständlich bewegt sich die Selbstorganisation in einem „Raum möglicher Problemlösungen, den Menschen mittels mathematischer Modellierung voraus entwerfen“ (22). Selbst beim Einsatz sogenannter künstlicher Intelligenz ist es „normal und erwartbar, dass Menschen Fehler machen – sowohl die Programmierer als auch die Operateure des Systeme“. Daher birgt die Konstruktion „›intelligenter‹, d.h. vermeintlich fehlerfreier Systeme hohe Risiken“ (Weyer 1997, 245). Dies hat sich schon beim alten Traum der automatischen Fabrik bei Fiat als Dialektik der Automation erwiesen. Die maschinelle lernende Fehlerkorrektur kann jedoch die Steuerung auf sehr wenige, ausgewählte menschliche Wächter und Regulatoren des Produktionsprozesses begrenzen. Mit der Produktivkraftrevolution ballt sich ungeheure Kompetenz, sprunghafte Zunahme kollektiver Handlungsfähigkeit bei den Arbeitsteams, die über die 4.0-Produktionssysteme eine internationale einheitliche Sprache sprechen lernen. Auf diesem Weg zur Einheitssprache fällt allerdings ein gigantischer „Aufwand an Standardisierungsarbeit“ an (Ohm/Bürger 2015, 23), der viel Zeit und Milliardensummen kosten wird.

Hirsch-Kreinsen unterscheidet zwei mögliche Modelle der Arbeitsorganisation:

 

  1. die „polarisierte Organisation“: Auf der dispositiven Ebene sind „qualifizierte Experten mit hohen Handlungsspielräumen“ tätig, „Ingenieure, Facharbeiter mit Zusatzqualifikation“, auf einer operativen verrichten „Angelernte einfache Tätigkeiten“ (2015, 94).
  2. „Schwarm Organisation“: Hier gibt es nur eine Ebene. In dieser Organisationsform gibt es „keine definierten Aufgaben für einzelne Beschäftigte…, vielmehr handelt das Arbeitskollektiv selbst organisiert, hoch flexibel und situationsbedingt je nach zu lösenden Problemen im und am technologischen System“ (95)

In jedem Fall ist der Anteil derer, deren Beschäftigung akut von diesem neuen Automatisierungsschub bedroht ist, weit größer als jene für die sich neue Möglichkeiten eröffnen. Auch wenn in anderen Bereichen der Gesellschaft neue Arbeitsmöglichkeiten entstehen, sind es selten die derzeit Beschäftigten die in einem Strukturwandel gute Jobs erlangen, sondern neue Arbeitskräfte. Auch hier stellt sich wieder die Frage der gerechten Übergänge (Candeias 2011). Dennoch verweist die zweite Form der Arbeitsorganisation – noch in einer Nussschale – auf demokratischere Formen, die verallgemeinert werden könnten.

Kooperative Kreativität und Open Source

Die neuen Produktivkräfte ermöglichen die „Emanzipation der Arbeiter von der Fessel, für die Ausführung einer Teilfunktion eine beschränkte und damit einschränkende Kompetenz ausbilden zu müssen“. Doch die „Privatproduktion wird diese Möglichkeit kaum zur friedlichen Entfaltung treiben“; „die Herrschaftskräfte werden nicht freiwillig eine Anordnung mit zerstören, in der sie die ›Köpfe‹ repräsentieren, die das Werk der ›Hände‹ regulieren“ (PAQ 1987, 58). Erst in „ihrer demokratischen Form, als Kooperative Individualität“, kann eine neue Form der Arbeitsteilung ihre Potenziale entfalten (Müller 2010, 312).

Einen Vorgriff auf solche Formen versuchen Open-Source-Produktionen und Freie-Software-Bewegung in den Nischen des Kapitalismus zu realisieren. Sie zielen nicht nur auf andere Produktionsverhältnisse, sondern verweisen auch auf eine höhere Produktivität, etwa die Nachteile, die Störanfälligkeit und Inflexibilität von privat-kapitalistisch konzipierten Programmen (z.B. von Microsoft) gegenüber offenen Systemen wie Linux als Ausdruck kombinierter „Massenintellektualität“ (Ohm 2000, 738).

An die Produktionsform letzterer anknüpfend werden Geschäftsmodelle entwickelt, die versuchen, offene Formen der Wissensproduktion mit kapitalistischen Praktiken der Verwertung zusammen zu bringen. Allerdings verlegen diese alternativen Formen der Verwertung die für „die für die Warenzirkulation notwendige Knappheit [nur] auf eine andere Ebene“ (Nuss 2002a, 23): Teile des Gesamtprodukts werden offen zugänglich nicht nur zur Nutzung, sondern auch zur kollektivistischen Weiterentwicklung angeboten. Die Ergebnisse letzterer und das Gesamtprodukt aber bleiben weiterhin unter privater Verfügung. Während in der Internetökonomie immer mehr Teilprodukte umsonst angeboten werden, werden der Zugang (Access), die Dienstleistungen um ein Produkt herum etc., also das Gesamtprodukt, kommerzialisiert (Nuss 2002b, 653ff). Die massenhafte, häufig outgesourcte und auf Initiative solo-selbständiger Entwickler setzenden App-Produktion und das Crowdworking verweisen auf eine neue Stufe der Integration der offenen Community-Produktion.

Dennoch: Die Herausbildung „kooperativer Kreativität“ komplexer Arbeit im Prozess der Informatisierung und Computerisierung bildet den Kern der neuen Produktivkräfte. Er verweist auf „eine neue Stufe der Vergesellschaftung“ (Müller 2010, 285), deren Realisierung durch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse vorerst verstellt bleibt. Grundlage der Entfaltung kooperativer Kreativität ist Demokratisierung von Arbeitsorganisation wie der Entscheidungen über den Zweck der Produktion und damit die bereits angelegte Überwindung der unproduktiven Grenzen des Privateigentums. Jenseits der Nische wird schließlich auch die Vernetzung nicht-kapitalistischer (digitaler wie stofflicher) Produktion über die flexible Verbindung entsprechender Maschinensysteme möglich. Es gilt die kooperative Kreativität den einzwängenden Imperativen von Konkurrenz und Profit zu entwinden. Wie das geht, erfahren wir vielleicht in den Beiträgen von Christoph Spehr, Bernd Riexinger oder Markus Euskirchen in diesem Heft…