Die Genossenschaftsbewegung1 

entstand zur Zeit der Industriellen Revolution in England als Reaktion auf Versuche des Kapitals, die Arbeiter zu schwächen. Die gesellschaftliche Forderung nach genossenschaftlicher Organisierung wurde v.a. durch zwei Faktoren gestärkt: die Erfindung des Spinnrads und der Dampfmaschine – neue Technologien, die zu einer enormen Steigerung der Textilproduktion führten. Die Löhne sanken und die Arbeitszeit wurde verlängert. Mit dem Beginn der Massenproduktion sank der Bedarf an Fachkräften, und die Zuwanderung in die Städte – und die Armut – nahm zu. Die Konzentration von Arbeitern in den Fabriken führte zur Bildung von Gewerkschaften. Sie zielten auf Arbeitszeitverkürzung, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. Ein Teil der Arbeiter lehnten sie als bürokratisch ab; sie wollten demokratische Beteiligung an grundlegenden Entscheidungsprozessen. Zu diesem Zweck organisierten sie sich innerhalb ihrer ländlichen und städtischen Gemeinden: für demokratische Kontrolle, Mitbestimmung und Eigentum an ihren Betrieben und ein größeres Maß an Sicherheit für ihren Lebensunterhalt. Die Ursprünge der modernen Genossenschaftsbewegung gehen zurück auf die »Rochdaler Prinzipien« aus dem Jahr 1844, verfasst von der Rochdale Equitable Pioneers Society (»Gesellschaft der redlichen Pioniere von Rochdale«). Die Organisationsprinzipien gründen auf der Idee von Arbeiterselbstverwaltung und demokratischer Verwaltung und dienen noch heute als moralische und organisatorische Richtschnur für die Gründung von Kooperativen. Die Pioniere von Rochdale wollten Genossenschaften bilden, die »so bald wie möglich […] Produktionskräfte und Absatz verwalten, Bildungsarbeit und Regierungsverantwortung übernehmen, oder mit anderen Worten, eine auf solidarischer Selbsthilfe beruhende, gemeindewirtschaftliche Organisation mit begrenzter Anteilsverzinsung errichten bzw. andere Gesellschaften bei der Errichtung solcher Organisationen unterstützen«. Genossenschaften für Verbraucher, Hausbewohner, Erzeuger und Arbeiter wuchsen zu einer Bewegung.

Genossenschaften in den USA

Die Ursprünge der Genossenschaftsbewegung in den USA liegen in Kämpfen der Arbeiterklasse gegen die brutalen Formen des Kapitalismus in den Agrarregionen. Seit dem späten 19. Jahrhundert hat sich die Bewegung auf Teile des städtischen Produktionssektors ausgeweitet. 150 Jahre lang kämpfte die Arbeiterklasse für die Schaffung von Genossenschaften als Antwort auf die räuberische Enteignung durch die Privatwirtschaft und als Mittel zum Widerstand gegen die kapitalistische Unterdrückung durch die Schaffung von sozialistischer Selbstverwaltung und Arbeiterdemokratie. Nach Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges, in den 1870er Jahren, kämpften Kleinbauern gegen die reichen Räuberbarone, die den Warenhandel dominierten. Sie widersetzen sich dem Crop Lien-System, durch das Kleinbauern, die keine erschwinglichen Kredite für Saatgut und andere Betriebsmittel bekommen konnten, in Schuldknechtschaft gedrängt wurden. Das erinnert an heutige Formen des neoliberalen Kapitalismus mit seinen monetären und Finanzinstrumenten, die die Arbeiterklasse durch Enteignung und Schuldknechtschaft unterdrücken. Im 19. Jahrhundert waren Farmer im Süden und Südwesten der USA gezwungen, kommende Ernten gegen Kredite für die Saatzeit zu verpfänden. Sie konnten ihre Waren dadurch nicht anderweitig beziehen oder die Ernte am gewinnbringendsten absetzen. Von dem ausbeuterischen System enttäuscht, schlossen sich die Farmer zu Produktionsgemeinschaften zusammen. So entstanden zum Beispiel die National Grange in den 1870er Jahren und die Farmers Alliance in dem darauf folgenden Jahrzehnt. Ziel waren höhere Rohstoffpreise durch gemeinsames Handeln von unten. In den 1880er Jahren entstand die Arbeiterorganisation Knights of Labor, in der sich Arbeiter zusammenschlossen, um Widerstand zu leisten gegen die Bemühungen des Kapitals, Löhne zu drücken, eine Reservearmee von Arbeitern zu schaffen und die Fähigkeiten und Kenntnisse der Arbeiter zu entwerten. Die Knights of Labor entwickelte sich zur größten Arbeiterorganisation: Sie mobilisierte Fabrikarbeiter und setzte ihre Mittel zur Schaffung von etwa 200 Industriegenossenschaften ein. Am Ende des 19. Jahrhunderts, als das Handels- und Finanzkapital begann, die US-Politik zu bestimmen, scheiterten die Bemühungen der Knights, gemeinsam mit den Farmern einen landesweiten Genossenschaftsverband zu gründen. Auf dem Höhepunkt im Jahr 1887 gingen sie ein Bündnis mit der Farmers Alliance ein. Politische Parteien wurden gegründet, die im Sinne der neuen Genossenschaftsbewegung agieren und deren Interessen vertreten sollten: in den 1880er Jahren etwa die Greenback Labor Party und die Populist Party. Die Bewegung wurde weitgehend durch das »Great Uprising« zerschlagen: den Kampf zwischen Arbeit und Kapital, der sich Ende des 19. Jahrhunderts zuspitzte. Er führte zum Zerfall der Knights und untermauerte die Herrschaft der Konzerne in den USA. Doch die Arbeiter- und Bauernbewegung zeigte, dass organisierte Bewegungen der Arbeiterklasse ein geeignetes Mittel waren, die hegemonialen Machtansprüche eines vom Kapital beherrschten Staates in Frage zu stellen. Die zweigleisige Strategie der Organisierung von Arbeitern am Ort kapitalistischer Produktion und durch Bildung von Genossenschaften und Kooperativen ist noch immer charakteristisch für den Arbeitskampf in den USA: für ein Mehr an Kontrolle und Sicherheit bei der Arbeit und sozialer Reproduktion. Durch den Niedergang der Knights of Labor und die Zerschlagung der Genossenschaftsbewegung durch Regierung und Kapital verschlechterten sich die Aussichten auf eine demokratische Willensbildung in den Betrieben der USA. Utopische Gesellschaften gründeten weiter kleinere Kooperativen, doch der Großteil der Beschäftigten arbeitete machtlos und ohne gewerkschaftliche Organisierung. Mit Beginn der Massenproduktion suchten »Radikale« neue Wege der Arbeiterorganisierung, mit Hilfe rätekommunistischer oder anarchosyndikalistischer Industriegewerkschaften wie der Industrial Workers of the World (IWW). Die IWW und ihre Anhänger setzten auf eine staatenfreie Gesellschaft; das kapitalistische System sollte durch eine sozialistische Gesellschaft ersetzt werden, beruhend auf internationaler Solidarität. Auch Genossenschaften galten ihnen als Alternative zum Lohnsystem. Die Arbeiter erwarteten durchaus, dass demokratische Gewerkschaften der Massenproduktion ein Ende bereiten und eine egalitäre, sozialistische Gesellschaft bringen würden. In den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts konsolidierte sich die kapitalistische Klasse, indem sie die Selbstorganisation der Arbeiter und die Bildung von Gewerkschaften verhinderte. Auch die Experimente mit praktischen Utopien wurden als Gefahr für ihre Machtstellung bekämpft, die Bewegungen zur Stärkung der Arbeiterklasse brutal zerschlagen. Trotzdem existierten im Jahr 1920 laut dem Bureau of Labor Statistics 2600 genossenschaftlich organisierte Geschäfte und Einkäuferverbände, meist in kleinen Städten, zur Versorgung der dortigen Farmergemeinschaften. Nach Ende des Ersten Weltkriegs, zwischen 1920 und 1922, ging die Mehrzahl der Genossenschaftsketten, Großhändler und Vereinigungen bankrott und bis Mitte der 1920er Jahre stellte ein Großteil den Betrieb ein. Durch die Arbeiterbewegung und die Fabrikbesetzungen zwischen 1936 und 1939 dachten viele an eine breitere sozialistische Kontrolle der Produktion als Alternative zur Herrschaft der Privatwirtschaft. Bis 1939 hatten sich der Staat und die Herrschaft des Kapitals jedoch gefestigt und waren weitgehend unangefochten. Zwar hatten die Gewerkschaften in den USA in der Zeit von 1935 bis 1955 einen enormen Zuwachs zu verzeichnen. Der New Deal wies ihnen jedoch eine untergeordnete Position gegenüber den Arbeitgebern zu; diese behielten die endgültigen Machtbefugnisse im Betrieb – wie das Recht, Betriebe zur Steigerung der Rentabilität zu schließen oder zu verlagern. In den 1960er Jahren, zur Zeit der sozialen Unruhen, waren Genossenschaften und Kooperativen Teil der breiteren Bewegung für soziale Gerechtigkeit und gegen den amerikanischen Individualismus und Materialismus. Sie waren Teil der anti-institutionellen Suche nach alternativen Wegen, die Gesellschaft zu organisieren: Gemeinschaftlich und genossenschaftlich organisierte Arbeit, Gleichberechtigung als Grundlage für Demokratie und gemeinsame Verfügung über die Ressourcen wurde als Teil von Selbstermächtigung gesehen. Die Bewegungen wurden durch die neoliberale, marktorientierte Reagan-Regierung abgelöst. In den 1980er Jahren wurden viele Genossenschaften und Kooperativen aufgegeben oder gingen Bankrott. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der Bedeutung von Kooperativen und Genossenschaften und den Zyklen von Rezession, Depression und den Phasen des wirtschaftlichen Aufschwungs. Genossenschaften und Kooperativen sind ebenso anfällig für den Konjunkturverlauf wie private Unternehmen. Dennoch wurden sie in Zeiten des »Aufschwungs« von Medien und Staat diskreditiert, Individualismus und privatwirtschaftliches Eigentum wurden gefördert.

Genossenschaften in den USA zu Beginn des 21. Jahrhunderts

Heute gibt es in den USA mehr als 29000 Genossenschaften und Kooperativen, die etwa 120 Millionen Mitglieder zählen und mehr als 850000 Menschen beschäftigen. Laut Angaben des National Center for Employee Ownership sind in den USA etwa 13,6 Millionen Beschäftigte Miteigentümer von Betrieben durch ihre Teilnahme an Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen (Employee Stock Ownership Programs, ESOP). Das gesamte in diesen Programmen angelegte Belegschaftsvermögen übersteigt 900 Milliarden US-Dollar. Die Steelworkers Union (USW), Nordamerikas größte Industriegewerkschaft, unterzeichnete kürzlich ein Abkommen mit Mondragón, einer 100000 Mitglieder starken Genossenschaft in Spanien (vgl. den Beitrag von Davidson im Heft): Belegschaften sollen lernen, wie sie Anteile an scheiternden Unternehmen erlangen oder diese in Zusammenarbeit mit der USW übernehmen können. Die Rolle der Gewerkschaft wird hier deutlich ausgeweitet. Seit der globalen Krise werden Genossenschaften wieder beliebter. Unternehmen, Banken und das Finanzsystem haben an Vertrauen eingebüßt. Die Beschäftigten haben stärkeres Interesse an alternativen, auf demokratischer Beteiligung, Selbstverwaltung und Eigentum beruhenden Unternehmensformen. Im Juni 2011 erklärte die UN das Jahr 2012 zum Internationalen Jahr der Kooperativen und rief die Regierungen auf, mit Genossenschaften und Kooperativen zusammen zu arbeiten, um Armut zu mindern und produktivere Gesellschaften zu schaffen. Bedeutet das, dass die Arbeiter in den USA bereit sind, den Kapitalismus zu überwinden? Wahrscheinlich nicht. Aber sie sind bereit, die tyrannischsten Elemente dieses Systems zu verändern und ihre Rechte mit Hilfe von genossenschaftlichem Eigentum zu verteidigen. Genossenschaften sind eine Alternative vor allem für Beschäftigte im Niedriglohnsektor, die keinerlei formale Vertretung haben und in Arbeitsverhältnissen ohne soziale Absicherung und ohne Aussicht auf Aufstiegsmöglichkeiten gefangen sind. Für die prekär Beschäftigten in den USA und Lateinamerika sind Kooperativen und Selbstverwaltung überlebenswichtig geworden. Die Belegschaften bereiten sich auf ihre Rolle als zukünftige Manager, Stakeholder und Eigentümer vor und verbessern die Lebensbedingungen der Menschen in den Kommunen.

Fallstudie: Genossenschaften und Kooperativen in Wisconsin

Die ländliche Wirtschaft im US-Bundesstaat Wisconsin profitiert schon lange vom Genossenschaftswesen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die erste städtische gemeinnützige Versicherungsgesellschaft gegründet. Später nahm sich die Grange-Bewegung der wirtschaftlichen Not der Farmer an und trat für genossenschaftliche Organisation von Geschäften, Getreidespeichern und Getreidemühlen ein. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren 46 Prozent der Molkereien und 37 Prozent aller Käsereien in Wisconsin Eigentum der Farmer. Das erste Genossenschaftsgesetz von Wisconsin wurde 1887 erlassen und 1911 überarbeitet. Seitdem haben 16 Bundesstaaten das Wisconsin-Modell übernommen. Das Gesetz wurde 1921, 1955 und 1989 überarbeitet. Es erlaubt die Schaffung von Genossenschaften und Kooperativen zu jedem rechtmäßigen Zweck außer der Eröffnung einer Bank oder einer Versicherung. Die Genossenschaften in Wisconsin sind unterteilt in Vertriebs-, Produktions-, Bezugsund Absatzgenossenschaften. Vertriebsgenossenschaften müssen als Betriebe Eigentum von Mitgliedern sein, die ähnliche Produkte herstellen, und ihren Mitgliedern zugute kommen. Sie bilden ein Netzwerk verschiedener Kooperativen mit einem gemeinsamen Produktangebot. Vertriebsgenossenschaften sind in der Lage, bessere Preise auszuhandeln und verschaffen ihren Mitgliedern Zugang zu größeren Märkten. Sie können Mehrwert schaffen, indem sie Produkte veredeln und damit Preis und Nachfrage anheben. Viele Agrargenossenschaften fallen in diese Kategorie. Zum Beispiel vertreibt die Winsconsin Cranberry Cooperative Moosbeeren, die auf dem Land der Genossenschaftsmitglieder angebaut werden. Die CROPP Cooperative ist Eigentum von fast 750 Biobauern aus allen Bundesstaaten, die ihre Produkte wie Milch, Eier, Käse, Soja, Säfte, Obst und Gemüse unter dem Markennamen Organic Valley Family of Farms sowie Fleischprodukte wie Rind, Schwein und Geflügel unter dem Markennamen Organic Prairie Family of Farms vermarktet. Produktionsgenossenschaften sind Unternehmen in Belegschaftseigentum mit Selbstverwaltung. Die Arbeiter haben direkten Nutzen vom Unternehmen. Der Gewinn wird unter den Arbeitern (relativ gleich) verteilt, auf Grundlage von Faktoren wie Posten, geleistete Arbeitsstunden und Dienstalter. Solche Kooperativen bestehen in vielen Branchen. Union Cab ist ein von der Belegschaft geführtes Taxiunternehmen im Herzen von Madison. Es wurde 1979 von einer Gruppe von Taxifahrern, Disponenten und Mechanikern nach einem erfolglosen Arbeitskampf gegen Checker Cab gegründet. Nachdem die Beschäftigten zum zweiten Mal versucht hatten, vertraglich zugesicherte Rechte gegen den Besitzer geltend zu machen, schloss dieser das Unternehmen. Die Organizer entschieden sich für das Genossenschaftsmodell. Union Cab zählt heute über 200 Mitglieder und besitzt New Yorks größten Fuhrpark. Die Arbeitsbedingungen für Fahrer bei Union Cab zählen branchenweit zu den Besten. Seit Mitte der 1980er Jahre können sich Mitglieder über Union Cab krankenversichern lassen, seit Mitte der 1990er Jahre übernimmt die Genossenschaft einen Anteil des Versicherungsbeitrags. Union Cab wird demokratisch geführt und hält sich an das Prinzip »ein Mitglied – eine Stimme«. Der Vorstand besteht aus einer gewählten Gruppe von Fahrern, Mechanikern und Disponenten, die gemeinsam das Verwaltungsgremium bilden. Weitere Beispiele für Arbeitergenossenschaften sind Isthmus Manufacturing, ein Hersteller von Automationstechnik in Belegschaftseigentum, sowie Cooperative Care, ein Anbieter für häusliche Dienstleistungen, Krankenpflege und Pflegehilfe für ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen. Bezugs- und Absatzgenossenschaften sind die dritte Kategorie. Sie versorgen ihre Mitglieder mit Produkten und Dienstleistungen für den Fachbedarf und bedienen so spezielle Bedürfnisse. Durch Sammelbestellungen können bessere Preise, eine bessere Verfügbarkeit oder Lieferung der Produkte bzw. Bereitstellung der Dienstleistungen für Farmer, Betriebe und Verbraucher gewährleistet werden als normalerweise möglich. Die in Mt. Horeb ansässige Homestead Cooperative versorgt 25 Haushalte von »aktiven Senioren«. Die Ridge Side Co-op in Madison stellt in einem immer teurer werdenden Wohnviertel erschwinglichen Wohnraum für neun Familien bereit. Die Adams-Friendship Cooperative Homes ist eine Gemeinschaft von fünf einzelnen Haushalten, deren Häuser auf genossenschaftlichem Land errichtet wurden. Die Landmark Services Cooperative versorgt ihre Mitglieder auf dem Land und in der Stadt mit Benzin, Dünge- und Futtermittel, Getreide sowie Marketing- und Agronomiedienstleistungen. Zudem betreibt die Genossenschaft Automobil-Einzelhandelsgeschäfte und Lebensmittelläden. Die Viroqua Food Cooperative beliefert ihre Mitglieder mit BioLebensmitteln. Das ländliche Energieversorgungsunternehmen Adams-Columbia Electric Cooperative liefert Strom für seine Eigentümer. Die Independent Pharmacy Cooperative verhandelt mit Großhändlern, um bessere Preise und Dienstleistungen für ihre Mitglieder, die Inhaber solcher Apotheken, zu erzielen. Die UW Credit Union bietet auf ihre Mitglieder speziell zugeschnittene Finanzprodukte und -dienstleistungen an. Genossenschaften und Kooperativen in Wisconsin konnten von technologischen Neuerungen profitieren. Landwirtschaftliche Genossenschaften sind strategische Bündnisse eingegangen, sie sind mit genossenschaftlichen und privaten Unternehmen fusioniert oder haben sie übernommen. Neue landwirtschaftliche Genossenschaften sind entstanden, um Produkte »mit Mehrwert« zu vermarkten, etwa im Bereich von Biotreibstoff oder biologisch-dynamisch erzeugter Milch. Eine der älteren Genossenschaften in Madison ist Nature’s Bakery. Sie wurde 1970 von einer kleinen Gruppe von Frauen gegründet, die in einem großen, vom Edgewood College gespendeten Ofen zu backen begannen. Das Geschäft der Genossenschaft floriert seitdem durch die stetige Verbesserung ihrer Mitgliederverwaltung und Arbeitsorganisation. Dadurch können die Mitglieder in die Bäckerei investieren. Die Community Pharmacy entstand 1972 als eine von der University of Wisconsin in Madison und der Studierendenvertretung von Wisconsin geförderte Apotheke. Studierende und Gemeindemitglieder konnten dort erschwingliche Medikamente und Pflegeartikel bekommen. Daraus entstand ein Geschäft, das von Arbeitern und Apothekern gemeinsam geführt wurde. Nach 20 erfolgreichen Jahren im Zentrum von Madison wurde das Geschäft als Produktionsgenossenschaft zur Förderung der Gesundheit neu eingetragen. Die Community Pharmacy hat die Definition von »Gesundheit« erweitert: sie enthält das Recht auf Nahrung, Wohnung, auf gute Arbeitsbedingungen, auf saubere Umwelt und darauf, sich frei und ohne Angst vor Gewalt oder Unterdrückung bewegen zu können. In Wisconsin haben die etwa 850 Genossenschaften und Kooperativen ca. 425000 Mitglieder, die knapp 4,5 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz zur Wirtschaft beisteuern. Zudem unterhält die University of Wisconsin einen der größten Fachbereiche, der sich der Förderung und Erforschung von Kooperativen und Genossenschaften in den USA widmet. Während in privaten Unternehmen der Gewinn an die Investoren entsprechend den einzelnen Investitionen verteilt wird, geht es bei Genossenschaften darum, erwirtschafteten Gewinn an die Mitglieder zurückzugeben, je nach Inanspruchnahme oder nach individuellem Umsatz. Da die Mitglieder die Genossenschaft in Anspruch nehmen, besteht wenig Anreiz, Gewinne für Investoren auf Kosten der Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen für die Mitglieder zu erhöhen. Genossenschaften und Kooperativen unterscheiden sich zudem dadurch von Unternehmen, dass sie, über Wirtschaftlichkeit hinaus, auf der Grundlage von Prinzipien handeln, die gesellschaftliche Bedürfnisse sowie die Bedürfnisse von Mitgliedern, Belegschaften und Gemeinden widerspiegeln.

Neue genossenschaftliche Entwicklungen und Initiativen

Mit dem Begriff worker ownership, Belegschaftseigentum, kann eine Reihe verschiedener Unternehmensstrukturen beschrieben werden. Das Kooperativenmodell unterscheidet sich von anderen Unternehmensformen, weil die Vorstellung, das Kapital könnte die Kontrolle zurückerhalten, abgelehnt wird. Deshalb ist das Modell für Wall StreetInvestoren nicht interessant. Seit langem gilt, dass Genossenschaften nur selten in kapitalintensiven Branchen vorkommen, da die Beschäftigten im Allgemeinen nicht über Kapital verfügen, das sie investieren können. Sie sind daher eher in arbeitsintensiven Dienstleistungsbranchen, für die keine teuren Werkzeuge nötig sind, zu finden. Betrachtet man die aktuellen Branchen, in denen Kooperativen stark vertreten sind, sind einige tatsächlich in arbeitsintensiven Dienstleistungsbereichen tätig, wie beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Einzelhandel. Doch die Genossenschaften verbindet heute vor allem der Einsatz für eine nachhaltige Produktionsweise. Sie zeigen das Misstrauen gegenüber privatwirtschaftlichen Produktionsweisen mit ihrem Einsatz von schädlichen Pestiziden und anderen gefährlichen Chemikalien, mit denen die Produktion gesteigert und die Kosten gesenkt werden sollen. Misstrauen gegen gentechnisch veränderte Nahrungsmittel und den Einsatz von Chemikalien stärkt den Trend zu Bioproduktion in den Genossenschaften. Zudem gibt es im Bereich der Produktion alternativer Energien wie Biokraftstoffen, Windkraft und Solarenergie immer mehr genossenschaftliche Unternehmen. Das in Massachusetts ansässige PV Squared ist ein Unternehmen in Belegschaftseigentum, das Komplettlösungen für erneuerbare Energiesystemanlagen für Haushalte, Unternehmen, Gemeinden und Institutionen anbietet. Das Unternehmen hat sich der Förderung einer nachhaltigen Gesellschaft verschrieben. Ziel ist es, natürliche Systeme nicht zu schädigen, sondern sie zu erhalten und wiederherzustellen. Eine Reihe von Kooperativen übernehmen Kurier- und Transportdienste, die ohne die Verbrennung fossiler Brennstoffe auskommen. Die in Northampton, Massachusetts, ansässige Pedal People Cooperative transportiert alles bis zu einem Gewicht von 150 kg mit dem Fahrrad.

Die Umsetzung des argentinischen ­Genossenschaftsmodells in den USA

Arbeitergenossenschaften in den USA profitieren heute von länderübergreifender Zusammenarbeit. Eines der ehrgeizigsten Kooperationsprojekte trägt den Namen The Working World (TWW). Die Genossenschaft wurde in Buenos Aires gegründet und machte im April 2011 ihr drittes Büro, gleichzeitig das erste in den USA, in New York City auf. Sie nahm sofort Verbindungen zur lokalen Genossenschaftsbewegung auf und suchte viele Partner für gemeinsame Initiativen der Arbeiterselbstverwaltung. TWW will damit zeigen, dass sich der Erfolg von Argentinien und Nicaragua – wo sie ebenfalls vertreten ist –, in New Yorks Stadtteilen der Armen, Arbeiter und ethnisch Unterdrückten wiederholen lässt. TWW arbeitet mit Genossenschaften und Kooperativen, um diese zu unterstützen: etwa mit dem Brooklyn’s Center for Family Life, das erfolgreiche Kooperativen von marginalisierten und migrantischen Arbeitern organisiert. TWW arbeitet auch mit den Bronx Green Workers Cooperatives und Mitgliedern des verwandten Green Workers Roundtable, mit der Art for Change-Gründerin und HarlemCommunity-Organizerin Eliana Godoy, der Anlaufstelle in Sachen Einwanderung bei The Door, und dem Lower East Side Community Board #3 zusammen. Die TWW bringt ihre Erfahrungen aus Argentinien und Nicaragua ein: bei Community-Organisationen vor Ort, Akademikern, Studierenden und ehrenamtlichen Fachleuten, die die Genossenschaftsbewegung in der reichsten Stadt der USA mit der größten Einkommensungleichheit ausweiten wollen. TWW will so im Raum New York eine alternative Wirtschaftsstruktur und tragfähige Partnerschaften schaffen. gfähige Partnerschaften schaffen. TWW unterstützt die Erweiterung einer erfolgreichen Kooperative, die Reinigungsdienstleistungen anbietet. Si se Puede und BeyondCare sind zwei Kooperativen für Kindertagesbetreuung und Hausdienstleistungen in Sunset Park in Brooklyn; sie werden vom Center for Family Life unterstützt. Und TWW plant zwei neue Projekte: Fujian Chinese tea house and sweet shop, ein Betrieb geführt von jungen Frauen, die Opfer von Menschenhandel waren und sich nur schwer von jahrelanger Schuldknechtschaft und schrecklichen Arbeitsbedingungen erholen. Die offizielle Arbeitslosenrate in New York liegt bei 10 Prozent (inoffiziell eher 20 Prozent). Immer mehr Arbeiter müssen länger für weniger Lohn und unter schlechteren Bedingungen arbeiten. Daher konzentriert sich TWW auf Arbeiter, die dem ökonomischen Druck überproportional ausgesetzt sind: Frauen, Afroamerikaner, Latinos und Migranten. TWW bietet Dienstleistungen für Belegschaftsbetriebe und Kooperativen an, um deren wirtschaftliche Leistung und Zukunftsfähigkeit zu verbessern. »Erfolg« wird daran gemessen, welchen Umsatz die unterstützten Investitionen erwirtschaften. Die von TWW finanzierten Initiativen in Argentinien und Nicaragua haben 95 Prozent ihrer Projekte erfolgreich abgeschlossen. New York ist ein hartes Pflaster. Mehr als die Hälfte der Unternehmen scheitern, es gab keine genossenschaftliche Tradition. »Wir erwarten bei unseren Investitionen keine Erfolgsquote von 95 Prozent«, so Earle, Sprecher von TWW. »Aber wir werden zeigen, dass stärker auf Gleichheit beruhende Produktionsformen Marktvorteile haben können.« Die amerikanischen Arbeiter arbeiten für immer niedrigere Löhne in autoritären Unternehmen. Ihre Gemeinden werden von Unternehmen beherrscht, die eine »Aneignung durch Enteignung« (David Harvey) betreiben. Harvey sieht den modernen Kapitalismus und seinen folgsamen und unterstützenden Staat auf vorkapitalistische Formen der Enteignung von essenziellen Ressourcen zurückgreifen. Die Arbeiterklasse verliert nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihr Zuhause, das Recht auf Gesundheitsversorgung, Bildung sowie das Recht auf ein gesichertes Auskommen. Diese Verhältnisse schaffen den Raum, in dem Volksversammlungen, Genossenschaften und Kooperativen entstehen, die auf die Unterstützung von Kommunen ausgerichtet sind. 

Aus dem Amerikanischen von Stefan Schade

1 Mit der englischen Bezeichnung cooperative kann sowohl die Genossenschaft als auch die Kooperative gemeint sein. In diesem Text wird oft die Bezeichnung Genossenschaft verwendet. Sie kann dann, entsprechend der englischen Bezeichnung, die Kooperative einschließen, auch wenn diese nicht immer (mit)genannt wird.

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