regierten bereits von 2000 bis 2006 und setzten neoliberale Maßnahmen um, etwa den Umbau des Pensionssystems und zahlreiche Privatisierungen. Die damalige Periode war stark von Korruption gekennzeichnet, in der sich ein kleiner Kreis selbst bereicherte. Derzeit läuft in Wien das BUWOG-Verfahren rund um Untreue und Bestechung anlässlich des Verkaufs von Bundeswohnungen – unter anderem gegen den damaligen Finanzminister Grasser –, bei denen die Republik bis zu eine Milliarde Schaden genommen hat. In anderen Fällen wurden seither ein Dutzend Politiker*innen und Berater*innen zu Gefängnisstrafen verurteilt (Metzger 2017). Die FPÖ blieb nach dem Regierungsexperiment gespalten und geschwächt zurück – sie hat daraus gelernt. Die heutige Regierung von Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache funktioniert anders und sie ist viel gefährlicher: Sie hat ein gemeinsames Staatsprojekt. Die Koalition ist kein pragmatisches Bündnis, wie es Koalitionen in Österreich meist waren. Die jetzige Koalition baut Staat und Gesellschaft tiefgreifend um, sichert sich den langfristigen Machterhalt in den Institutionen und bereitet jahre-, vielleicht jahrzehntelange Zusammenarbeit vor. ÖVP und FPÖ sind heute keine politischen Gegnerinnen, sondern zwei Flügel des österreichischen Rechtsextremismus. Symptomatisch für diese Beziehung war bereits die Wahlnacht: Als in den Hochrechnungen nach Platz eins für die ÖVP die FPÖ knapp vor der Sozialdemokratie auf Platz zwei landete, jubelte die Wahlkampfzentrale der ÖVP.
Angst als Basis
Das schwarz-blaue Projekt baut auf einem Gefühl der Verunsicherung der oberen wie unteren Teile der Mittelklasse auf. Es ist offensichtlich, dass es in Zeiten globaler Instabilität, wirtschaftlicher Unsicherheit und der Klimakrise kein »Mehr für alle« geben kann. Stattdessen vermitteln Kurz und Strache glaubhaft, dass sie die österreichische Lebensweise mit Zähnen und Klauen gegen all jene verteidigen werden, die von weiter unten oder draußen auch daran teilhaben wollen. Gleichzeitig – so die Erzählung und der materielle Kern der Regierungspolitik – ist die Verteidigung des Wohlstands nur möglich, wenn alle härter arbeiten und die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt wird. Die Regierung baut Staat und Gesellschaft enorm schnell um und geht dabei höchst taktisch vor. Sie kombiniert Angriffe auf das Sozialsystem und die Arbeitsrechte mit materiellen Zugeständnissen an Teile der Mittelschicht sowie Geschenke für Konzerne mit rassistischen Gemeinheiten. Sie setzt auf technokratisch wirkende Maßnahmen, die in Wirklichkeit die Staatsapparate grundlegend zugunsten von Regierung und Kapital umbauen. Kurz vor dem letzten Sommer verkündete die Regierung etwa die Ausdehnung des maximalen Arbeitstages auf zwölf Stunden und der Arbeitswoche auf 60 Stunden. Auf die vorgesehene parlamentarische Begutachtung wurde verzichtet, auf eine Diskussion mit den Gewerkschaften sowieso. Kurz vor der Abstimmung wurde das Inkrafttreten sogar noch zwei Monate vorgezogen. Da dieser Großangriff auf die Interessen der Lohnarbeitenden wenig populär war, band die Regierung gleichzeitig Besserverdienende ein – etwa durch einen steuerlichen Familienbonus, der erst Menschen mit einem Bruttoeinkommen über 1 700 Euro zugutekommt. Auch die öffentlichen Krankenkassen werden radikal umgebaut. Hatten dort bisher die Vertreter*innen der Arbeitnehmer*innen die Mehrheit, so erhalten nun Unternehmensvertreter*innen die Hälfte oder sogar die Mehrheit der Sitze. Gleichzeitig werden die vielen verschiedenen Sozialversicherungsträger unter dem Vorwand der Kostenersparnis zusammengelegt. Das soll mittelfristig einer Nivellierung nach unten und Privatisierung den Weg ebnen (Wurz 2018). Dieses Jahr will die Regierung im Rahmen einer Steuerreform die Gewinnsteuern für große Unternehmen senken. Die schwarz-blaue Regierung macht eindeutig Politik für die materiellen Interessen der oberen fünf Prozent. Doch es gelingt ihr bislang, auch jene Teile der Arbeiterklasse an sich zu binden, die sich trotz niedrigerer Einkommen qua Nationalität und Hautfarbe vertreten fühlen. Dazu dienen Maßnahmen wie die Kürzung der Mindestsicherung für Menschen mit geringen Deutschkenntnissen, das Kopftuchverbot für Volksschülerinnen, die Senkung des Kindergeldes für osteuropäische Staatsbürger*innen (meist Pflegarbeiterinnen) oder der jüngste Vorschlag des Innenministers Herbert Kickl (FPÖ), Asylbewerber*innen, die als »gefährlich« eingestuft werden, ohne Gerichtsurteil wegzusperren. All das soll deutlich machen: Euch wird es vielleicht nicht besser gehen, aber wenigsten machen wir es für Muslim*innen und Geflüchtete noch schlechter. Diese Maßnahmen sind mehr als reine Ablenkung, denn ihre Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen sind enorm (Stanic 2018). Eine weitere Regierungsstrategie besteht darin, durch Kürzungen und Repression soziale Probleme zu schaffen, die dann weitere Einschränkungen gegenüber Migrant*innen rechtfertigen.
Knallharte »Message Control«
Trotz der vielen Angriffe ist die schwarz-blaue Regierung populär und dafür ist auch eine extrem erfolgreiche Kommunikationsstrategie verantwortlich. So arbeiten heute im Bundeskanzleramt mehr Leute für Öffentlichkeitsarbeit als je zuvor. Jeder Moment, jeder Millimeter, den Sebastian Kurz in der Öffentlichkeit zurücklegt, ist perfekt durchgeplant. Die Regierung betreibt außerdem knallharte »Message Control«: An die Medien gehen nur zentral freigegebene Informationen, alle Minister*innen kommunizieren vereinbarte Linien. Das gelingt auch durch die Installation neuer Generalsekretär*innen, einer neuen Verwaltungsebene, an der Spitze der Ministerien (Nowotny 2018). Sie kontrollieren die Mitarbeiter*innen und sorgen dafür, dass die Ministerien gleichgeschaltet werden. Dabei haben die Regierungsparteien eine klare Rollenaufteilung: Die FPÖ hat oft die Aufgabe, das Sagbare – und damit auch das Machbare – zu verschieben. Beide Parteien kritisieren sich nicht gegenseitig.
Proeuropäisch und rechtsextrem
Wie sieht es nun mit der europapolitischen Ausrichtung der schwarz-blauen Regierung aus? Immerhin gab sich die FPÖ in der Vergangenheit als einzige österreichische Partei sehr EU-kritisch und forderte lange ein Austrittsreferendum. Doch mit der Aussicht auf die Regierungsbeteiligung legte sie die ablehnende Haltung rasch ab und bekannte sich im Wahlprogramm zum »Friedensprojekt Europa«. So kommentierte Jean-Claude Juncker Ende 2017 unbesorgt, es handle sich um eine »proeuropäische Regierung« (Ultsch 2017). Proeuropäisch und rechtsextrem, könnte man sagen. Tatsächlich agieren Kurz und seine Regierung in EU-Fragen hoch pragmatisch. Die europäische Ebene ist für sie vor allem dann wichtig, wenn sie innenpolitischen Interessen dient. So nutzte Kurz die österreichische EU-Ratspräsidentschaft 2018 dafür, sich als europäischer Sicherheitskanzler zu inszenieren, der den guten europäischen Normalzustand vor Geflüchteten und Muslim*innen schützt (Attac 2018). Er förderte die massive Ausweitung des Mandats und der Mittel von Frontex, die Errichtung von Anhaltelagern außerhalb der EU-Grenzen und weitere Abkommen mit Drittländern. Gleichzeitig schlug sich Kurz im Budgetstreit Italiens auf die Seite der EU-Kommission und pochte auf die Einhaltung des Fiskalpakts. Anhand dieser Beispiele wird das europapolitische Projekt der Kurz-ÖVP (und in geringerem Maße der FPÖ) deutlich: die neoliberale wirtschaftspolitische Integration – ohne politisches Kapital dafür einzusetzen – sowie eine vertiefte Integration in den Bereichen Grenzregime und Militärpolitik. Die FPÖ hält sich in EU-Fragen tendenziell zurück und begnügt sich mit kleinen Seitenhieben, etwa auf den angeblichen Rausch von Kommissionspräsident Juncker in Wien. Die österreichische Regierung ist mittlerweile für eine ganze Reihe rechter und konservativer Parteien zum Bezugspunkt geworden. Während die CSU Kurz feiert, findet die AFD in der FPÖ ihr Vorbild. Freundschaftliche Treffen zwischen Strache und Salvini, dem italienischen Innenminister, sollen zeigen, dass sie gemeinsam Europa verändern wollen. Der Streit um Italien zeigte aber auch etwas anderes deutlich: Obwohl sich die österreichische Regierung zuvor in der Flüchtlingspolitik um eine Allianz mit Italien bemüht hatte, fielen sie ihren Freunden in Rom nun in den Rücken. Im Zweifelsfall stechen ökonomische Interessen und neoliberale Grundsätze rechte Freundschaften.
Zuversichtlich in die EU-Wahlen
ÖVP und FPÖ gehen zuversichtlich in die EU-Wahlen. Die ÖVP hat einen »glühenden Europäer« an der Spitze und setzt auf Wettbewerbsfähigkeit, Sicherheit und den Kampf gegen »EU-Feinde«. Die FPÖ wird sich gewohnt EU-kritisch geben und als einzige Kraft inszenieren, die Missstände offen anspricht. Somit haben die beiden Parteien das politische Terrain für die Wahl ideal unter sich aufgeteilt. Die anderen Parteien haben dem bisher nichts entgegenzusetzen. Die SPÖ will im Wahlkampf vor allem die »EU-Feindlichkeit« der FPÖ attackieren – ein Terrain auf dem es kaum Wähler*innen zu gewinnen gibt. Daneben setzt sie wie immer auf Forderungen nach einem »sozialen Europa«. Die Partei scheint keinerlei Erkenntnisse aus den Entwicklungen der letzten Jahre zu ziehen – denn das Abarbeiten an der FPÖ hat schon immer vor allem dieser genützt. Neben den Grünen, die nach ihrem Rauswurf bei der letzten Wahl ums Überleben kämpfen, kandidiert außerdem die Grünen-Abspaltung Jetzt – Liste Pilz unter dem Namen »1 Europa«. Somit konkurrieren drei Parteien mit ähnlichen liberalen und »proeuropäischen« Positionen, die sich vor allem gegen die FPÖ abgrenzen. Die bisher nicht im Parlament vertretene kommunistische KPÖ Plus geht mit Spitzenkandidatin Katerina Anastasiou in die Wahl, einer Aktivistin ohne österreichische Staatsbürgerschaft, die den sich verschärfenden Rassismus selbst erlebt. Die Kandidatur kann eine wichtige Stimme gegen den rassistischen Mainstream sein, auch wenn die politischen Bedingungen schwierig sind.
Das Elend der Opposition
Die Stärke der österreichischen Bundesregierung ist unter anderem das Ergebnis der Schwäche der politischen und gesellschaftlichen Opposition. Die parlamentarische Opposition liegt darnieder. Die Sozialdemokratie zeigt auch nach 30 Jahren des kontinuierlichen Niedergangs kein Verständnis für den Ernst der Lage. Nach dem Rücktritt von Christian Kern im Herbst 2018, hat die Partei mit Pamela Rendi-Wagner erstmals eine Frau als Vorsitzende. Rendi-Wagner konnte jedoch bislang kein eigenes Profil aufbauen und scheint vor allem damit beschäftigt, die Interessen des rechten und linksliberalen Parteiflügels auszutarieren. Während Hans-Peter Doskozil, Sprachrohr des rechten Flügels, die Regierung für zu wenige Abschiebungen kritisiert (WZ Online 2019), hofft der kleine linke Flügel der SPÖ, den Fokus weg von Rassismus auf die sogenannte soziale Frage zu lenken. Diese Strategie geht jedoch an der Realität einer multiethnischen österreichischen Arbeiterklasse vollkommen vorbei. In der SPÖ herrscht die unrealistische Hoffnung vor, der Lauf der Dinge würde sie bald wieder an die Regierung bringen. Ohne eigenes Projekt, ohne Alternative zu Rassismus und Neoliberalismus wartet sie auf die Rückkehr in die Staatsapparate, ihr eigentliches Zuhause. Links von der Sozialdemokratie gibt es in Österreich nach wie vor keine starke politische Kraft, die der Regierung tatsächliche Alternativen entgegensetzen könnte. Die neben den neoliberalen Neos einzige andere parlamentarische Oppositionspartei ist die bereits erwähnte Jetzt – Liste Pilz. Aus der Abspaltung des Grünen-Mitgründers Peter Pilz hervorgegangen ist dessen Liste mit einer Mischung aus sozialpolitischen Forderungen und antimuslimischen Ressentiments ins Parlament eingezogen (Luksik 2018). Einzelne Abgeordnete der Liste sind progressive Expert*innen für ihre Themenbereiche, bieten aber darüber hinaus keine Perspektive. Pilz selbst trat nach zahlreichen Vorwürfen wegen sexueller Belästigung zurück, kehrte aber nach wenigen Monaten wieder, nachdem die Staatsanwaltschaft kein Verfahren gegen ihn eröffnete. Die österreichischen Grünen stürzten hingegen nach dem Ausschluss ihrer linken Jugendorganisation und der Pilz-Abspaltung bei den letzten Wahlen von 12,4 auf 3,8 Prozent ab und flogen aus dem Parlament. Hochverschuldet und ohne die mediale Aufmerksamkeit einer Parlamentspartei versuchen sie nun, sich neu aufzustellen. Ob das gelingen wird, bleibt offen. Obwohl die Grünen von links zurecht als liberal und post-politisch kritisiert wurden, fehlen sie heute als humanistische Stimme im Parlament.
Hoffnungsschimmer im Widerstand
Linke und soziale Bewegungen in Österreich stehen vor langen Kämpfen und es gibt keine Abkürzung hin zum langfristigen Aufbau vielfältiger Alternativen von unten. Die Bilanz des gesellschaftlichen Widerstands ist bisher gemischt (Molina/Schwarz 2019). Die erste große Konfrontation entstand anlässlich des Zwölf-Stunden-Tags. Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) stellte sich gegen das Gesetz und brachte in Wien 100 000 Menschen zu einer kämpferischen Demonstration auf die Straße. Die Regierung ignorierte das und die Gewerkschaft beließ ihre Gegenwehr schließlich dabei, trotz großer Unterstützung in der Bevölkerung. Sie versuchte stattdessen, in den Lohnrunden finanzielle Zugeständnisse der Unternehmen durchzusetzen. Die Zivilgesellschaft verließ sich auf die Gewerkschaften, statt eigene Initiativen zu entwickeln. Trotz dieser ersten großen Niederlage gibt es neue politische Projekte, die Hoffnung machen. Angesichts der Zentralität, die Rassismus für das schwarz-blaue Projekt einnimmt, ist die Selbstorganisation von Migrant*innen besonders wichtig. So ist etwa die Initiative #Nichtmituns , die sich an rassistischen Polizeikontrollen entzündet hat, ein wichtiger Bezugspunkt geworden, an dem sich muslimische, schwarze und andere von Rassismus betroffene Menschen begegnen und gemeinsam handeln. Ebenfalls ist es Aktivist*innen, etwa von Attac oder System Change not Climate Change, immer wieder gelungen, durch spektakuläre Aktionen die scheinbar perfekte Inszenierung von Kurz zu stören. So störte etwa Julianna Fehlinger mit anderen Aktivist*innen von Attac einen Wandertag von Kurz und seinen Fans und protestierte mit Dirndl gegen den Zwölf-Stunden-Tag (Stajic 2018). Auch sozial-christliche Milieus, die lange auf die ÖVP orientiert waren, gehen zunehmend in offene Opposition zu dieser. Katholische Organisationen spielen eine wichtige Rolle in der Solidarität mit Geflüchteten – durch Kurz und seine Hetze fühlen sich viele ehrenamtliche Aktivist*innen jetzt abgestoßen. Die sicherlich wichtigste neue Entwicklung ist aber das Entstehen von »do! – Es ist wieder Donnerstag«. Inspiriert von den Protesten gegen Schwarz-Blau im Jahr 2000 gehen seit letztem Herbst jeden Donnerstag in Wien (zehn-)tausende Menschen auf die Straße. Anders als vor 19 Jahren, als die Proteste den Sturz der Regierung zum Ziel hatten und schnell kleiner wurden, erkennt do! dieses Mal die eigene Minderheitenposition an. Jeden Donnerstag wird das Motto »Wir sind jetzt zusammen« verwirklicht – es begegnen und stärken sich jene, die noch nicht vom Rechtsrutsch weggerissen wurden. Am Donnerstag stehen bewusst nicht-männliche und nicht-mehrheitsösterreichische Perspektiven im Mittelpunkt, sodass wir trotz und wegen unserer Unterschiede zusammenstehen. Das ist in der aktuellen Situation, in der viele Menschen die Hoffnung verlieren, extrem viel. Eine Stärke ist, dass es do! inzwischen in mehreren Landeshauptstädten gibt und dort mehr und andere Leute auf die Straße gehen als bei sonstigen Protesten. Insgesamt ist die Initiative begrenzt in dem, was sie leisten kann, aber sie ist derzeit der wirksamste Beitrag, um in Österreich einen solidarischen Pol zu etablieren – aus dem vielleicht wieder mehr werden kann.