Die Brandenburger Linkspartei hat die Chance, in der Regierung unmittelbar Energiepolitik zu gestalten. Sie stellt mit den Ministern für Umwelt, Wirtschaft und Finanzen Schlüsselressorts, die sich mit Energiepolitik befassen. Damit ist die Brandenburger Linkspartei allerdings auch direkt der Wucht der Widersprüche ausgesetzt, mit denen linke Politik umzugehen hat. Nicht zuletzt ist sie damit konfrontiert, dass die SPD als der größere Partner in Brandenburg auf längere Kohleverstromung setzt.
Zunächst einige Fakten: Der Anteil der Braunkohle am Primärenergiebedarf betrug im Jahr 2010 im Durchschnitt der Bundesrepublik 10,7 Prozent. In Brandenburg liegt dieser Anteil bei 55 Prozent. Die Brandenburger Kraftwerke Jänschwalde und Schwarze Pumpe gehören zu den klimaschädlichsten in der EU. Über 1400 Zulieferer und Dienstleister mit mehr als einer halben Milliarde Euro Lieferantenumsatz in der Lausitz sind vom Vattenfall-Konzern abhängig. Vattenfall bietet dort direkt und indirekt etwa 17 000 Arbeitsplätze. Brandenburg nimmt unter den Bundesländern einen Spitzenplatz beim Übergang zu erneuerbaren Energien ein (Keppler/Nölting 2011, 99ff) und hat doch aufgrund der Braunkohleverstromung und der geringen Einwohnerzahl eine weit höhere Pro-Kopf-Emission klimarelevanter Gase (25 t CO2 eq pro Einwohner) als im Durchschnitt der Bundesrepublik (12 t CO2 eq). Auf dem Weg zu einem mittelfristigen Ausstieg aus der Braunkohle bis etwa 2040 gibt es bemerkenswerte Erfolge. Das Klimaschutzziel, bis 2020 die CO2-Emissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, war 2010 mit 38,6 Prozent schon fast erreicht. Eine der Ursachen ist allerdings die Deindustrialisierung in Teilen des Landes. Der volle Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bedarf noch eines nachhaltigen Strukturwandels.
Dieser Herausforderung entsprachen die energiepolitischen Versprechungen der Partei Die Linke im Landtagswahlkampf 2009. Die Partei unterstützte das Bürgerbegehren »Keine neuen Tagebaue – für eine zukunftsfähige Energiepolitik«. Sie lehnte die Verpressung von CO2 in die Erde ab, mit deren Hilfe Vattenfall, SPD und CDU die weitere Kohleverstromung legitimieren und durch den Bau neuer Kraftwerke für Jahrzehnte verlängern wollen. Die Partei versprach ferner, mit allen Kräften für den Vorrang erneuerbarer Energien zu wirken.
Aber das Bürgerbegehren scheiterte. Nur rund 25 000 statt der erforderlichen 80 000 Stimmen wurden erreicht. Die Partei konnte sich nicht auf eine starke außerparlamentarische alternative Energie- und Klimabewegung stützen. In der Partei, in ihrer Führung und bei vielen ihrer Mitglieder war zudem die Bedeutung eines zugleich sozialen und ökologischen Umbaus nicht mit aller Konsequenz erfasst. Bewegungs- wie Parteilinke waren ökologisch schwach.
Die Linke entschied sich 2009 für eine Regierungsbeteiligung. Die Führung der Partei sah sich dabei im Zwang, abzuwägen, ob Kompromisslosigkeit in der Braunkohlefrage, die ggf. zur Ablehnung einer Regierungsbeteiligung geführt hätte, höher zu bewerten sei als die Chance, in der Regierung trotz ungünstiger Haushaltslage für die Priorität von Bildung, Sozialem und Wissenschaft, für den Vorrang der erneuerbaren Energien und für öffentlich geförderte Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen zu wirken, zu einer Veränderung des Kräfteverhältnisses im Bundesrat beizutragen und linke Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Die Bürgerinitiativen gegen neue Kohlekraftwerke und gegen CCS fühlten sich im Stich gelassen, als klar wurde, dass Die Linke eine ganze Reihe der genannten Positionen aus dem Wahlkampf bei den Koalitionsgesprächen nicht durchsetzen konnte. Die Partei verlor an Glaubwürdigkeit. Dass Abgeordnete Der Linken in der Fraktion den Koalitionskompromiss mittragen und zugleich in Bürgerinitiativen aktiv sind, die die eigene Fraktion zu kompromissloserer Energie- und Klimapolitik drängen, ist eine Stärke im Umgang mit der widersprüchlichen Lage.
Ohne die Regierungsbeteiligung Der Linken hätten SPD und CDU die Braunkohleverstromung und CCS ungehindert vorangetrieben. Die Linke setzte im Koalitionsvertrag mit der SPD die Verpflichtung auf den Vorrang und beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien durch. Neue Braunkohlekraftwerke soll es nach dem Koalitionsvertrag nur unter der Bedingung geben, dass die Reduktionsziele für CO2 um 40 Prozent bis 2020 gegenüber 1990 und um weitere 35 Prozent bis 2030 erreicht werden. Für das laufende Jahrzehnt bedeutet dies de facto allerdings eine Stagnation bei der CO2-Reduktion. Während die Bürgerinitiativen gegen die Endlagerung von CO2 in der Erde, die Grüne Liga als Netzwerk ökologischer Bewegungen und die KlimaaktivistInnen von gegenstromberlin die CCS-Technologie ablehnten und gegen sie mobilisierten, stimmte die Brandenburger Linke der Erprobung und Demonstration dieser Technologie unter bestimmten Bedingungen zu. Diese waren aber Bedingungen, die – belegt durch Expertengutachten – kaum einlösbar sind: »Die Sicherheit der Bevölkerung muss dabei oberste Priorität haben. Die Speicherung von CO2 muss so erfolgen, dass Menschen und ihr Eigentum nicht gefährdet, die persönliche und wirtschaftliche Nutzung ihrer Grundstücke sowie die natürlichen Lebensgrundlagen von Tieren und Pflanzen nicht beeinträchtigt werden.« (Koalitionsvertrag 2009, 25) Zudem lehnte der Parteitag der Brandenburger Linken vom 5. März 2011 eine »Lex Brandenburg«, d.h. eine Verpressung von CO2 allein in Brandenburg im CCS-Gesetzentwurf der Bundesregierung, ab.
Im Dezember 2011 gab Vattenfall mit Verweis auf das Fehlen politischer Akzeptanz eines CCS-Gesetzes die Arbeit an der Planung eines Demonstrationskraftwerks auf CCSBasis in Jänschwalde auf. Die Förderung des Projektes durch die EU war nicht mehr gesichert, weil ein CCS-Gesetz fehlte. Der Widerstand hat zu einem ersten Erfolg geführt. Aber Vattenfall schließt nicht aus, das Verfahren von Unternehmen zu kaufen, die es an anderen EU-Standorten entwickeln, um auf dieser Grundlage nach 2020 doch noch ein neues Kraftwerk in Jänschwalde zu bauen und das CO2 womöglich in Norwegen in die Erde verpressen zu lassen. Der Einsatz von CCS würde die Kohleverstromung in Brandenburg weit über 2040 verlängern. Rund 8000 Menschen würden beim Aufschluss neuer Tagewerke ihre Heimat verlieren. Die Kohlekraftwerkskapazität, deren Auslastung aus Rentabilitätsgründen nicht beliebig hoch- oder heruntergefahren werden kann, würde den Ausbau der Erneuerbaren bremsen und so auf jeden Fall den klimapolitischen Zielen entgegenstehen.
Wachstum mit Braunkohleverstromung oder nachhaltige Entwicklung
Im Januar 2012 hat das brandenburgische Wirtschaftsministerium den Entwurf einer »Energiestrategie 2030 des Landes Brandenburg« vorgelegt. Diese enthält Festlegungen, um die Energieeffizienz zu erhöhen, Energie zu sparen, den Anteil der erneuerbaren Energien am Energieverbrauch zu erhöhen, einen intelligenten Stromnetzausbau zu beschleunigen, die Forschung zu Speichertechnologien zu verstärken, deren Einsatz voranzutreiben und die Akzeptanz von erneuerbaren Energien durch die Bevölkerung zu erhöhen. Brandenburg soll »Modellregion für dezentrale Energieversorgung und Energietechnologie«, eine »Region der Energiewende« werden.
Aber auch in diesem Entwurf rumort ein Widerspruch, der die gesamte Brandenburger Energiepolitik durchzieht. Es ist der Widerspruch zwischen starker Zuwendung zu erneuerbaren Energien und gleichzeitigem Festhalten an der Braunkohleverstromung über einen Zeitrahmen hinaus, den das Brandenburger Umweltamt, der BUND, die Grüne Liga und andere Akteure für erforderlich halten.
Im Widerspruch selbst zum Bundesumweltministerium, das bis 2030 außer den im Bau befindlichen Anlagen in Neurath und Boxberg keine neuen Braunkohlekraftwerke in Deutschland vorsieht (Bundesministerium für Umwelt 2011), soll bis 2030 ein Nachfolgebraunkohlekraftwerk in Jänschwalde gebaut werden (Ministerium für Wirtschaft 2012, 33). Das bedeutet Braunkohleverstromung bis etwa 2070! Dass dieses Vorhaben alle fünf Jahre geprüft werden soll, ist keine Garantie für eine Korrektur. Das ursprüngliche Ziel für 2030, die CO2-Emissionen um 75 Prozent auf 22,8 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr zu senken, wird nach der neuen Strategie mit einer Senkung um 72 Prozent knapp verfehlt. 2,2 Millionen Tonnen CO2 mehr als von der rot-schwarzen Regierung ursprünglich vorgesehen würden jährlich in die Atmosphäre geblasen, allerdings auch durch die geplanten notwendigen Gaskraftwerke Premnitz und Wustermark. An CCS soll durch Brandenburgs Engagement für eine europaweite CO2-Transportinfrastruktur festgehalten werden. Eine Senkung der CO2-Emissionen in Brandenburg bis 2030 um 72 Prozent gegenüber 1990 im Vergleich zu einer EU-weiten Zielmarke von 20 Prozent und zu 55 Prozent in der gesamten Bundesrepublik – das sind Maßstäbe einer Modellregion. Aber ein neues Braunkohlekraftwerk Jänschwalde, die Minderung des ursprünglichen Ziels und das Beharren auf CCS – dies sind zu große Abstriche davon.
In den Differenzen des Wirtschaftsministers mit der Fraktion Die Linke und erst recht mit Umweltbewegungen und Bürgerinitiativen spiegeln sich Widersprüche zwischen dem Festhalten unterschiedlicher gesellschaftlicher Kräfte an der Braunkohle als Wertschöpfungssektor und einer nachhaltigen Entwicklung, die mindestens mittelfristig den Rückbau besonders umweltschädlicher Branchen gebietet.
Das unmittelbarste Interesse haben private Unternehmen, die eine Wachstumspolitik vom Wirtschaftsministerium verlangen – nicht zuletzt der Vattenfall-Konzern. Die Steuereinnahmen des Landes sind von den Gewinnen und Löhnen in Brandenburg abhängig. Umwelt- und klimapolitisch engagierte Kräfte erwarten eher vom Ministerium für Umwelt entsprechendes staatliches Handeln, fordern dies aber natürlich auch vom Wirtschaftsministerium. Mit Poulantzas lässt sich das als Verdichtung unterschiedlicher gesellschaftlicher Diskurse in den verschiedenen Staatsapparaten verstehen (2002, 61). In Abhängigkeit von der Bedeutung der in verschiedenen Apparaten und Bürokratien repräsentierten politischen Felder für das gesamte Herrschaftssystem, von den Interessen unterschiedlicher Kapitalfraktionen und alternativer Kräfte, von der Heftigkeit oder Schwäche politischer Kämpfe auf den verschiedenen Feldern und von der Intensität der Betroffenheit der jeweiligen Sachgebiete durch Krisen und andere Probleme sind die einzelnen Apparate (Ministerien, Behörden) im unterschiedlichen Maße für Druck emp- findlich (Bretthauer 2006, 93) und offen für verschiedene Interessengruppen.
Transformation denken trotz Alltagsdruck
Führung und Fraktionsspitze der Linkspartei müssen im Bewusstsein (und trotz) solcher Zusammenhänge »ihre« Minister zu einer stärker koordinierten und radikalen Energie- und Klimapolitik drängen, wenn es um die Entscheidung zwischen pfadabhängigem Wachstum und nachhaltiger Entwicklung geht. Investitionen in erneuerbare Energien und andere Umwelttechnologien können die Folgen des Ausstiegs aus der Braunkohle für Arbeitsplätze und Steuern kompensieren. Eine Atempause bis zu einer wachstumslosen nachhaltigen Entwicklung wird gewonnen, auch für die Zuwendung zu nachhaltigen, umweltschonenden Lebensweisen (vgl. zu Konversion und »gerechten Übergängen« Luxemburg 1/2011). Eine alternative Energiewende könnte mehr als der Abschied vom vorherrschenden fossilistisch-technischen Regime werden. Es bleibt eine Herausforderung für linke Akteure und eine offene Frage für Transformationsforschung und -politik, ob die Ansätze einer Energiewende in Ostdeutschland zum Kern eines sozialökologischen Umbaus, zu einem wesentlichen Teil des Einstiegs in die Überwindung des neoliberalen Kapitalismus werden können und in einen emanzipatorischen Transformationsverlauf einmünden werden. Linke Realpolitik muss stets die Radikalität dieser möglichen Perspektive in ihre Maßstä- be einbeziehen.