Das Wahlergebnis Der Linken bei der Europawahl war ein Desaster. Die Partei hat ihren Stimmenanteil mit 2,7 Prozent bundesweit halbiert, mit 2 Prozent läuft sie im Westen unter Sonstigen. Im Osten waren die Verluste besonders heftig – in allen Flächenbundesländern außer in Thüringen liegt Die Linke unter 5 Prozent, was auch hier vor allem an den weniger katastrophalen Ergebnissen in den Städten liegt. Den Status als Partei des Ostens hat sie bei den Wähler*innen damit zugunsten von BSW verloren. Angesichts dieses Ergebnisses erscheint der Wiedereinzug in den Bundestag im kommenden Jahr mehr als ungewiss.

So vernichtend das Ergebnis, so weit gehen die Schlussfolgerungen aus der Wahlniederlage auseinander. Das liegt auch an fehlenden tiefergehenden Analysen über die Gründe der Wahlniederlage. Um die eigene Existenz zu retten, braucht Die Linke einen klareren Blick auf die Ursachen ihrer Wahlniederlagen. Sie muss verstehen, wer sie warum nicht oder nicht mehr gewählt hat, und wie sich ihre Wähler*innen zu den auf dem Tisch liegenden Handlungsoptionen verhalten. Dem werde ich im Folgenden empirisch anhand von Umfragedaten nachgehen. 

Einseitige Verluste, sinkendes Potenzial

Zunächst lohnt ein genauerer Blick auf die Wähler*innenwanderungen bei der Europawahl.  Gewonnen hat Die Linke gegenüber der Bundestagswahl 2021 unterm Strich lediglich von den Grünen marginale 40 000 Stimmen. Abwanderungen fanden nominell statt an BSW (470 000), Nichtwähler*innen (390 000), Sonstigen (260 000), AfD (150 000) und Union (40 000). Bei genauerem Hinsehen haben diese Abwanderungen aber eine deutliche politische Schlagseite in Richtung konservativer und populistischer Parteien, die in bisherigen Analysen unterschätzt wurde. So haben bei der Europawahl 2019 ebenfalls viele Linke-Wähler*innen wegen der nicht vorhandenen 5-Prozent-Sperrklausel sonstige Parteien gewählt (Tagesschau 2019). Mehr als die Hälfte kehrte aber 2021 zur Linken zurück (Kahrs 2021). Zum anderen sind der Großteil der Nichtwähler*innen gegenüber 2021 keine „echten“ Verluste, sondern auf die geringere Wahlbeteiligung bei der Europawahl zurückführbar.[1] Dadurch stechen die Abwanderungen an BSW, nachrangig an AfD und in geringfügigem Maß an Union und Nichtwähler*innen hervor.

Das Wähler*innenpotenzial Der Linken und alles Folgende analysiere ich mit Online-Erhebungen der deutschen Wahlstudie (GLES 2023ab; 2024ab). Ein einschränkender methodischer Hinweis: Trotz Gewichtung stimmen durch die Erhebung als Quotenstichproben einzelne absolute Werte nicht unbedingt mit denen in der Gesamtbevölkerung überein.[2] Die Daten eignen sich aber für den Vergleich der Haltungen und Parteipräferenzen von Wähler*innen unterschiedlicher Parteien sowie insbesondere für Vergleiche über die Zeit hinweg.

Die Entwicklung des Wähler*innenpotenzials, hier erhoben als Linke-Sympathisant*innen[3], stimmt aus Sicht Der Linken nicht gerade optimistisch. Vor allem seit der Abspaltung ist ihr Potenzial im Sinkflug und seit August 2023 weiter, um fast ein Drittel geschrumpft, was an der Gesamtlänge der Balken in Abbildung 1.1 abgelesen werden kann.[4] Die Linke hat auch keine neuen potenziellen Wähler*innen erschlossen. Über die Breite des Parteienspektrums wendeten sich potenzielle Wähler*innen ab – unabhängig davon, ob sie zurzeit SPD, die Grünen oder sonstige Parteien wählen würden. Je ein Viertel der BSW-Wähler*innen und der Grünen-Wähler*innen sympathisieren prinzipiell (weiterhin) mit Der Linken (Abbildung 1.2). Durch die niedrigeren Umfragewerte im März 2024, auf die hier gewichtet wurde, kann Die Linke in absoluten Zahlen potenziell am meisten Wähler*innen von den Grünen und mit etwas Abstand von der SPD gewinnen, sowie nachfolgend von Nichtwähler*innen, BSW, Union, AfD und Sonstigen. Auf Grund der Methodik und der statistischen Unsicherheit sollten diese Werte sehr vorsichtig interpretiert werden. Dennoch scheint unwahrscheinlich, dass es für Die Linke reicht, auf Wähler*innen einer einzelnen Partei zu zielen, wie ich im letzten Abschnitt begründe.

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Weshalb aber hat Die Linke nun bei der Europawahl verloren, und wie könnte sie welche Wähler*innen (zurück-)gewinnen? Im Folgenden werde ich zunächst auf drei Politikbereiche eingehen, in denen die Wähler*innengruppen, an die Partei verloren hat, ähnliche Haltungen vertreten: zu Migration, sozialen Bewegungen und Außenpolitik. Sie hat diese in der Vergangenheit in verschiedenem Maße bewusst oder unbewusst betont. So hat die Partei bei den ersten beiden Themen recht einseitig Wähler*innen verloren, und bei der Außenpolitik zumindest nichts gewonnen. Gleichzeitig haben die Themen Migration und Außenpolitik die Europawahl generell geprägt. Im Anschluss werfe ich einen Blick auf den ramponierten „Markenkern“ soziale Gerechtigkeit Der Linken und die Abwendung von wirtschaftlich und politisch stark Unzufriedenen. Diese Befunde münden in eine Klassenspezifik ihrer Verluste: Verloren hat sie nach 2022 vor allem in verschiedenen Arbeiter*innenklassenlagen, also unter Personen in Berufen ohne höhere universitäre Qualifikationsanforderungen. Ihre verbliebene Wähler*innenschaft ist damit zwar weiterhin nicht mehrheitlich, aber mehr denn je akademisch geprägt. Abschließend diskutiere ich einige Implikationen.

Verluste unter migrationspolitisch Konservativen

Seit der Gründung der Partei vertrat eigentlich stets ein substanzieller Teil ihrer Wähler*innen konservativere Positionen zum Thema Migration als Die Linke selbst.[5] Auch zuletzt 2022 (Glauch & Köhler 2024) waren ihre Wähler*innen regelrecht gespalten in Fragen zu Migration, während Die Linke den migrationspolitisch liberalen[6] Pol in der Parteienlandschaft besetzt. Durch die deutlich gestiegene Salienz des Themas Migration seit 2023 – also die Wichtigkeit für Wähler*innen – ist es für die Partei generell schwieriger geworden, Wähler*innen anzusprechen bzw. zu halten, die eine Beschränkung von Zuwanderung fordern. Hat sie mit der Gründung von BSW nun also besonders die migrationspolitisch Konservativen verloren?

Abbildung 2.1 zeigt, dass Die Linke seit 2023 besonders diejenigen verloren hat, die sich von der Linken migrationspolitisch nicht hinreichend repräsentiert sahen. Zu sehen ist hier die Entwicklung der migrationspolitischen Distanz von Wähler*innen zur Linken. Diese Distanz beruht auf der Differenz zwischen der eigenenPosition zu Zuwanderung und der wahrgenommenen Position der Linkspartei. Linke-Wähler*innen (violette Linie) haben sich selbst bis Anfang 2023 im Durchschnitt migrationspolitisch konservativer verortet, als sie die Partei Die Linke in diesem Bereich wahrgenommen haben. Viele Linke-Wähler*innen haben also deutlich gegen ihre eigenen migrationspolitischen Haltungen angewählt: Viele wählten sie nicht wegen, sondern trotz ihrer migrationspolitischen Positionen. Seit 2023 hat sich aber ein substanzieller Teil migrationspolitisch Konservativer von Der Linken abgewandt. Die Distanz zur Linken unter Linken-Wähler*innen (violette Linie) hat insbesondere zwischen April und August 2023 deutlich abgenommen. Unmittelbarer Auslöser könnte die durch den Anti-Migrations-Diskurs zunehmende Präsenz des Themas für Wählende und die sich abzeichnende Abspaltung der Wagenknecht-Gruppe gewesen sein. Der Anteil derjenigen unter den Linke-Wähler*innen, die eine (weitere) Beschränkung von Zuwanderung befürworten, ist insbesondere nach der BSW-Abspaltung gesunken (Abbildung 2.2, rechts).

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Der Blick auf die anderen Parteien (Abbildung 2.1) zeigt: Mit Ausnahme der Grünen-Wähler*innen sehen Wähler*innen aller Parteien tendenziell substanzielle migrationspolitische Differenzen, die dagegen sprechen, Die Linke tatsächlich zu wählen. Das gilt besonders für BSW- (und AfD-), aber auch für SPD- und Nichtwähler*innen. Die Linke hat also in der Vergangenheit in Fragen der Zuwanderung an großen Teilen ihres Potenzials ebenso wie an ihren tatsächlichen Wähler*innen vorbeigezielt.

Damit dürfte sie auch selbst zu den Abwanderungen und ausbleibenden Zugewinnen beigetragen haben, weil potenzielle und tatsächliche Wähler*innen mit ihren Positionen in diesem hoch-emotionalisierten Thema nicht einverstanden, oder geradezu von ihnen getriggert waren. Das offensichtlichste Beispiel einer solchen Position ist die Forderung „offener Grenzen“, die als Fernziel Teil des Wahlprogramms 2021 war und auch öffentlich wiederholt wurde. Aber auch humanitäre Argumente, etwa in der EU-Plakatkampagne („Wer fliehen muss, muss Schutz finden“) sprechen vor allem zu denen, die sowieso überzeugt sind. Auch die Parteiführung moralisiert oft humanitär, wenn sie „zynische“, „schäbige“ oder „menschenverachtende“ Migrationspolitik anprangert. Gerade im zugespitzt reaktionären Migrationsdiskurs dieser Tage werden diese Argumente unter jenem großen Teil der Bevölkerung Fragezeichen hervorrufen, die keine ideologisch gefestigten Rassist*innen sind, aber Vorbehalte gegenüber bedingungsloser Zuwanderung haben und die Pflicht zur Integration auch bei Migrant*innen sehen. Die Rhetorik Der Linken dürften Wähler*innen auch ohne die verzerrenden Zuschreibungen von Wagenknecht und den eskalierenden innerparteilichen Konflikt nach 2017 wahrgenommen haben, auf die in der Partei oft verwiesen wird.

Triggernde Personalentscheidungen

Die Kandidatur der ehemaligen Seenotretterin Carola Rackete für die Liste Der Linken zum Europaparlament dürfte den migrationspolitischen Positionen noch einmal zusätzliches Gewicht verliehen haben. Aber auch unabhängig schießen beim Gedanken an Migrations- und Klimabewegungsaktivist*innen die Gefühle hoch. Sie sind affektiv polarisiert, wie Steffen Mau und Kollegen im Buch Triggerpunkte (2023, 327–333) für die Haltungen zu Fridays-for-Future-Klimaaktivist*innen gezeigt haben. Recht stark und deutlich stärker als in konkreten Sachfragen ist die Bevölkerung also gespalten in jene, die mit (Klima-)Aktivist*innen sympathisieren, und jene, bei denen sie negative Emotionen wecken. So generierte Presseaufmerksamkeit ist also nicht per sé gut, weil sie auf ein gespaltenes Elektorat trifft, und dieses teilweise befremdet. Generell ersetzt die Öffnung zu sozialen Bewegungen und Zivilgesellschaft keine gesellschaftliche Verankerung (Hildebrandt 2023). Im Gegenteil legen die folgenden Auswertungen nahe, dass die Spitzenkandidatur von Rackete und womöglich auch der erklärte Bewegungskurs der Partei (Riexinger 2023) unter Linke-Wähler*innen polarisiert und nach BSW-Gründung zur Abwendung von der Partei beigetragen hat.

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Dafür sprechen die Veränderungen in den Haltungen der Linke-Wähler*innen zu Klimaschutzgruppen vor und nach BSW-Gründung (Abbildung 3.1, links). Im November 2023 noch lehnte ein substanzieller Teil der Linken-Wähler*innen Klimaschutzgruppen wie Fridays for Future gänzlich ab (dunkelblau). Im März 2024 dagegen ist die Unterstützung für die Linken in dieser Gruppe fast völlig eingebrochen (links, unten). Vermutlich haben sich viele dieser Wähler*innen wegen des veränderten Personaltableaus bzw. der Wahrnehmung, dass Die Linke nun die Partei der Bewegungen sei – und damit nicht mehr ihre – abgewandt. Dafür spricht zum einen, dass bei keinem anderen Parteielektorat eine solche Einstellungsveränderung sichtbar ist (Abbildung 3.2, rechts). Zum anderen machen gerade Wechselwähler*innen ihre Wahlentscheidung oftmals an Spitzenkandidat*innen einer Partei fest, wie eine Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung bereits unter anderem für SPD und Linke gezeigt hat (Lichteblau & Wagner 2019).[7] Auch wenn Rackete ihr Engagement als Seenotretterin im Wahlkampf nicht angesprochen hat (Ehling 2024), lassen sich solche affektive Dynamiken kaum kommunikativ einfangen. Gerade im verunsichernden Augenblick der Abspaltung dürfte Die Linke mit diesem Zeichen einen substanziellen Teil ihrer Wähler*innen vor den Kopf gestoßen und so selbst zu ihren Verlusten beigetragen haben.

Außenpolitische Vielstimmigkeit

Der Einbruch der Umfragewerte (Abbildung A1, Anhang) nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 von 6 auf 4 Prozent legt nahe, dass Die Linke insbesondere unter jenen Wähler*innen verloren hat, die die anlaufenden Waffenlieferungen in die Ukraine unterstützten, Russland nun als Bedrohung der Sicherheit in Europa wahrnahmen oder der Partei hier keine Kompetenz zusprachen. Gleichwohl hat Die Linke im Anschluss nicht nennenswert als Kritikerin des Kurses der Bundesregierung mobilisiert. Das Elektorat war und blieb gespalten (Wurthmann & Wagner 2024, 12 f.).

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Dafür, dass Die Linke nach BSW-Gründung überwiegend Kritiker*innen von Ukraine-Waffenlieferungen und NATO verloren hat, gibt es in den Daten keine Hinweise (Abbildung 4). Die NATO-Kritik hat 2024 im Linke-Elektorat stattdessen noch einmal etwas zugenommen (Abb. 4.2). Zumindest scheinen die Verluste unter Waffenlieferungs- und NATO-Unterstützer*innen also noch ausgeprägter gewesen zu sein. Vielmehr hat die Partei wohl auch durch ihre außenpolitische Vielstimmigkeit in alle Richtungen verloren, worauf wiederum der Rückgang der NATO-Kritik nach der Friedenskundgebung von Wagenknecht im Februar 2023 ein möglicher Hinweis ist (Abb. 4.2). Dass inhaltlicher Streit Wähler*innenstimmen kostet, zeigt auch einschlägige Forschung: Er geht zulasten der Kompetenzwahrnehmung (Greene & Haber 2015) und führt dazu, dass Wähler*innen die Positionen von Parteien als konträr zu ihren eigenen Positionen wahrnehmen (Lehrer & Lin 2020). Darüber hinaus befürworten nur wenige Grünen- und SPD-Wähler*innen das Ende von Waffenlieferungen in die Ukraine. In der Mehrheit haben sie also substanzielle außenpolitische Gründe, Die Linke nicht zu wählen.

Ramponierter Markenkern: Frustrierte, Wütende und Arbeiter*innen wenden sich ab

Über die gesellschafts- und außenpolitische Außenwahrnehmung und Konkurrenz hinaus hat Die Linke in den Augen der Wähler*innen auch den zentralen Wahlgrund für die Partei weitgehend verspielt: das Vertrauen, die Glaubwürdigkeit, sprich die Kompetenz in ihrem „Markenkern“ Soziales, bzw. soziale Gerechtigkeit. 2024 sahen nur noch sechs Prozent der Wähler*innen sie als die in diesen Fragen kompetenteste Partei (2019: 15 Prozent, 2021: 11 Prozent). Das ist auch deswegen dramatisch, weil sich damit eine Kompetenzlücke neben der SPD öffnet, die in den nächsten Jahren neu zu vergeben ist.

Auch die Rolle als Protestpartei scheint Der Linken nach langem Vorlauf mit der Gründung von BSW abhanden gekommen zu sein. Linke-Wähler*innen sind nach BSW-Gründung weniger misstrauisch gegenüber den politischen Institutionen und weniger wütend über die gesellschaftlichen Verhältnisse als noch davor, wie eine Tagesspiegel-Umfrage zeigt (Breher et al.  2024). Starke Unzufriedenheit mit der Ampelregierung gibt es im März 2024 unter ihnen nur noch geringfügig häufiger als selbst unter Wähler*innen der Regierungsparteien SPD und Grünen (Abbildung 5.1). Politisch stark Unzufriedene wählen nun vor allem AfD, BSW, Union, oder gehen gar nicht zur Wahl. Auch Linke-Wähler*innen mit einer starken allgemeinen wirtschaftlichen Krisenwahrnehmung (Abbildung 5.2), und jene, die ihre eigene wirtschaftliche Lage als schlecht bewerten (Abbildung 5.3), scheinen verstärkt zum BSW gewechselt bzw. abgewandert zu sein. Letztere wählen Die Linke nur noch geringfügig häufiger als andere Personen (Tagesschau 2024), im Gegensatz noch zu den 2010er Jahren (Brenke & Kritikos 2017, 603).

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Es ist bekannt, dass gesellschaftliche Wut, ökonomische Deprivation, politische Unzufriedenheit, aber auch restriktive Haltungen zu Migration und ablehnende Haltungen gegenüber Aktivist*innen (Mau et al. 2023) in unteren Klassenlagen stärker als in höheren verbreitet sind. Das legt angesichts der bisherigen Befunde eine Klassenspezifik in den Verlusten nahe.

Die Entwicklung der Linke-Unterstützung in unterschiedlichen Klassenlagen bestätigt das (Abbildung 6, Klassenlagen nach Daniel Oesch, 2006). Nach ersten Verlusten 2022, womöglich durch den Krieg in der Ukraine, ist die Unterstützung Der Linken in der akademischen Mittelklasse bei etwa vier Prozent weitgehend stabil geblieben (Abbildung 6.1). Diese Klassenlage beinhaltet Personen, die in Berufen mit höheren universitären Qualifikationsanforderungen arbeiten oder zuletzt gearbeitet haben, wie Lehrer*innen, Ingenieur*innen oder Jurist*innen. Auch unter Studierenden und anderen Personen in Ausbildung sind keine Verluste zu verzeichnen. Während die Unterstützung Der Linken unter selbsterklärten (Produktions-)arbeitenden 2024 wieder das niedrige Niveau von 2021 erreichte (Abbildung 6.2), haben Dienstleistungsarbeitende (etwa Postbot*innen oder Busfahrer*innen) Der Linken besonders stark den Rücken zugekehrt. Noch stärker hat sie in der sogenannten unteren Dienstklasse verloren, also in der Grenzgruppe der Beschäftigten, die in Berufen mit Qualifikationsanforderungen oberhalb von Berufsausbildungen, aber unterhalb von Diplom- oder Masterabschlüssen arbeiten oder zuletzt gearbeitet haben. Zu ihr gehören etwa Techniker, Meister und Buchhalter*innen.[8]

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Damit verschärft sich ein langjähriger Trend. Bereits seit 2017 wird Die Linke bei Bundestagswahlen in Arbeiter*innenklassenlagen nicht mehr überdurchschnittlich gewählt (Braband, i. E; auch Kahrs 2022 und Nachwahlbefragungen). Diese Befunde widersprechen in der Gesamtschau auch Schlussfolgerungen einer Studie von Mario Candeias (2023b) für die Rosa-Luxemburg-Stiftung.[9] Insgesamt ist das Linke-Elektorat 2024 zwar weiterhin nicht mehrheitlich, aber überdurchschnittlich und durch diese Verluste mehr denn je akademisch geprägt.

Dieser auch Klassen-Dealignment[10] genannte Prozess ist aber kein Schicksal. Linke Parteien haben es durch ihr Auftreten substanziell in der Hand, ob sie in der Mittel- oder Arbeiter*innenklasse stärkere Unterstützung erfahren. Vertreten linke Parteien gesellschaftspolitisch liberalere Positionen (und betonen diese), so verschiedene Studien, werden sie eher in Teilen der akademischen Mittelklasse und weniger in der Arbeiter*innenklasse gewählt (Steiner et al. 2024). Sie überlassen Teile der Arbeiter*innenklasse damit der Nichtwahl oder der Umorientierung zu anderen Parteien (Goldberg 2020; Rennwald & Evans 2014).

Auf linke Stärken besinnen

Die elektorale Krise Der Linken resultiert nicht nur aus einem aus der BSW-Abspaltung resultierenden Image-Problem oder mangelnder medialer Aufmerksamkeit. Bewusst oder unbewusst auf Themen zu mobilisieren, in denen Gräben im eigenen (potenziellen) Elektorat bestehen, führt zu elektoralen Trade-offs: Auch wenn man auf der einen Seite Gewinne erzielt, verliert man auf der anderen Seite, weil man dort Wähler*innen Gründe gibt, die Partei nicht zu wählen. Das gilt besonders dann, wenn Wähler*innen diese Themen stark präsent sind und konkurrierende Parteien diese ebenfalls bespielen. Berührt Die Linke darüber hinaus negative Triggerpunkte, irritiert sie Wähler*innen, weil sie tiefliegende „moralische Grunderwartungen“ verletzt bzw. „Selbstverständnisse“ infrage stellt (Mau et al. 2023, 248). Kurzfristig, wie verschiedenerseits angemerkt im Europawahlkampf einen Fokus auf konsensuelle (soziale) Themen zu legen kann solche Dynamiken nicht aufwiegen. Man kann viele zustimmungsfähige Forderungen aufstellen, aber wenn eine weitere negativ triggert, überlagert diese die anderen und trägt zur Abwendung bei. Auf diese Weisen hat Die Linke auch selbst zu ihren Wahlniederlagen beigetragen. Weitere Gründe der Wahlniederlagen sind, dass nur noch für wenige Wähler*innen Die Linke am glaubwürdigsten für soziale Gerechtigkeit streitet, und wirtschaftlich wie politisch Wütende und Frustrierte in ihr keine Partei mehr sehen, die ihrer Sicht Ausdruck verleiht. 

Auch die Akademisierung des Elektorats dürften diese Befunde zumindest in Teilen erklären. Wenn Linke und BSW so weitermachen wie bisher, droht die Spaltung somit die Aussicht auf eine linke Partei mit Klassenverankerung weiter zu verstellen. Verfolgt oder intensiviert Die Linke weiter eine linksliberale Schwerpunktsetzung mit entsprechendem Framing, gibt sie damit den Status als Ost- und als Arbeiter*innenklassenpartei effektiv auf. Nicht, weil irgendjemand das in der Partei fordern würde, sondern weil mit einem solchen Profil die Breite der ehemaligen Linke-Wähler*innen in der Arbeiter*innenklasse und im Osten unter Bedingungen von BSW-Konkurrenz und rechtem Kulturkampf nicht erreichbar ist. 

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Das gesunkene Potenzial und die außenpolitischen Differenzen könnten die geringen Zugewinne Der Linken erklären. Aus diesen Gründen müsste die Partei für den Wiedereinzug in den Bundestag wohl auch von mehreren Parteien hinzugewinnen. Der Versuch, diese Differenzen durch Positionsänderungen abzuräumen, könnte wiederum mit Verlusten beim aktuellen Elektorat einhergehen. 2,7 Prozent Gesamtergebnis sind zu wenig, aber auch nicht nichts. Auch haben die Mehrheit der Linke-Sympathisierenden unter den Grünen-Wähler*innen im Gegensatz zu jenen unter den SPD-Wähler*innen wenig Gründe, ihrer Partei den Rücken zuzukehren. Sie scheinen mehrheitlich mit der Regierungsleistung der eigenen Partei (sehr) zufrieden zu sein (Abbildung 7.1). Aktuelle SPD-Wähler*innen dagegen sehen die Leistung der SPD in der Ampel kritischer (Abbildung 7.2). Das deckt sich mit den Absetzbewegungen bei der Europawahl von der SPD in Richtung Nichtwahl, während Grünen-Wähler*innen von 2021 überdurchschnittlich stark an der EU-Wahl teilgenommen haben (vgl. Endnote 1). Die Erreichbarkeit von mit Der Linken sympathisierenden BSW-Wähler*innen wiederum wird durch deren im März 2024 starke Sympathie mit Sahra Wagenknecht als Person eingeschränkt (Abbildung 7.3). Um größere Teile dieser (zurück) zu gewinnen, bräuchte Die Linke also wohl auch kompetitives Personal, etwa hinsichtlich von Positionen, Bekanntheit und Glaubwürdigkeit bzw. Kompetenz. Der Gewinnung von SPD-, aber auch von Nicht- und noch deutlicher von BSW-Wähler*innen stehen auch deren migrations- und bewegungspolitische Differenzen entgegen. In diese Richtungen könnte Die Linke in geringerem Ausmaß auch noch weiter verlieren. 

Wie sehr Die Linke von BSW-Wähler*innen zurückgewinnen kann, hängt mittelfristig auch von der Stabilität von BSW als Partei und der ihres Elektorats ab. Zentristische Anti-Establishment-Parteien, die in der „politischen Mitte“ Wähler*innen mobilisieren, sind in anderen Ländern in der Vergangenheit oft wieder in der Versenkung verschwunden, weil es ihnen nicht gelungen ist, ihre Wähler*innen zusammenzuhalten (Braband & Candeias 2024). Das könnte passieren, wenn der Ukraine-Krieg oder der Personen-Faktor Wagenknecht einmal nicht mehr so zentral das Geschehen bestimmen, BSW seine Positionen durch Parlamentsarbeit oder gar Regierungsbeteiligungen schärfen muss oder sich innere Konflikte verschärfen. Freilich ist unklar, ob und wann das passieren wird, und letztlich hängt es auch von Der Linken und ihren Richtungsentscheidungen ab, ob sie dann „zur Stelle“ sein könnte.

So oder so muss sich Die Linke bemühen, anders über Migration und Integration sprechen, um stärker am Common Sense der eigenen Wähler*innenbasis anzudocken. Dazu könnte sie die gesellschaftliche Notwendigkeit von Migration betonen, konkret sprechen (Mau et al. 2023; auch Westheuser 2023 und Ehling 2024), und auf das vielfach verwehrte Recht auf Integration und gleiche Teilhabe für gleiche Leistungen pochen. Das lässt sich auch sozial- und klassenpolitisch wenden: Der rechte Kulturkampf ist auch ein Ablenkungsdiskurs. Wie sehr konkrete Vorschläge, wie die eines Zuwanderungsgesetzes (Goes 2024) die Wählbarkeit Der Linken erhöhen würde, hängt damit auch von ihrer diesbezüglichen Ausformulierung ab. 

Auch in der Klimapolitik spielt die Rahmung von Forderungen eine Rolle: Abstrakte Forderungen, etwa des 1,5°-Ziels, können selbst mit dem Verweis auf notwendige soziale Abfederung negativ triggern. Auch wenn ein breites Bewusstsein über die Notwendigkeit von Klimaschutz besteht, ist insbesondere vielen Arbeiter*innen aus sehr materiellen Gründen das Ende des Monats näher als das Ende der Welt, gerade im Kontext einer Lebenshaltungskosten- und Wirtschaftskrise (Statista 2024). 

Durch seine Präsenz und Wichtigkeit kommt Die Linke schließlich am Thema Außenpolitik nicht vorbei. Hier wäre für sie dringend vonnöten, ein einheitlicheres Bild nach außen abzugeben. Öffentlicher Dissens und Vielstimmigkeit gerade in diesem Thema ist schädlich und konterkariert jeden Beschluss, weil die Partei durch ihn in beide Richtungen verliert. Nahe liegt auch, bei aller Klarheit die konsensuelleren Forderungen nach Diplomatie und gegen ein neues Wettrüsten zu betonen.

Man könnte und sollte das alles noch weiter untersuchen. Um Trade-offs zu verringern und breite Teile des verbliebenen Wahlpotenzials anzusprechen, scheint es für die Partei aber sinnvoll, sich auf ihre „Unique Selling Points“ und linke Stärken zu besinnen. Drei Punkte möchte ich abschließend hervorheben.

Erstens scheint es gerade als Kleinpartei mit geringer öffentlicher Aufmerksamkeit sinnvoll, Themenfelder zu reduzieren (Glauch & Köhler 2024; Möller & Schenker 2024). Sozial-, wirtschafts-, umverteilungs- oder auch mietenpolitischen Positionen sollten dabei im Zentrum stehen, um in diesen Feldern (wieder) stärker Kompetenz und Glaubwürdigkeit aufzubauen. Hier würde Die Linke nach wie vor nicht nur Alltagssorgen, sondern insgesamt auch als solche durch die Menschen politisierte Themen adressieren (Statista 2024). Eine geschwächte SPD und andere Parteien könnten diese Themen durch ihre kommenden Bundestagswahlkampagnen nochmals stärker auf die Agenda setzen und sie so zu wahl(mit-)entscheidenden machen. Das könnte auch von Nutzen für die Partei sein. Aber auch hier ist kommunikativ Vorsicht vor negativen Triggerpunkten geboten, etwa vor der in der Arbeiter*innenklasse verbreiteten Abgrenzung nach unten, beispielsweise gegenüber Bürgergeldbezieher*innen (Mau et al. 2023). Andere Themen könnten von diesen Feldern her bearbeitet werden.

Glaubwürdigkeit gewinnen Parteien auch mit übergeordneten, wiedererkennbaren Ansprachen und Narrativen, die im Alltagsbewusstsein von Menschen widerhallen. Zweitens wäre daher eine klassenpolitische Rahmung sinnvoll, die auch die Effektivität einer Schwerpunktsetzung verstärken würde. Die Linke müsste also deutlich machen, dass sie Arbeiter*innen ins Zentrum ihrer Politik stellt, und für die Ausweitung ihrer kollektiven Rechte und die Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse streitet. Daraus, dass sie den eigentlichen Wohlstand dieser Gesellschaft produzieren und den Laden am Laufen halten, Kinder betreuen und Eltern pflegen, leiten sich gleiche, aber zahlreich verletzte Ansprüche für alle ab: auf Wohlstand und soziale Sicherheit, Anerkennung und politische Mitbestimmung.[11] Allerlei Schwesterparteien Der Linken „heben die arbeitenden Leute in die Höhe“ (Elke Kahr, 2023; auch 2021), in unterschiedlichem Ausmaß und Spielarten: Die belgische PTB-PVDA und die KPÖ, aber auch das finnische Linksbündnis Vasemmistoliitto und La France Insoumise. Dass diese Ansprache in der Arbeiter*innenklasse „verfängt“, ohne in der Mittelklasse zu „schaden“, ist gut belegt (Robison et al. 2021). Auch überzeugen Parteien Arbeiter*innen so messbar stärker von ihren Positionen (Huber et al. 2024).

Drittens könnten diese verletzten Ansprüche, Wut, Frust und Krisenerfahrungen, das Gefühl das Nachsehen zu haben oder vor den Bus geworfen zu werfen durch ein linkspopulistisches Narrativ angesprochen werden. Linkspopulismus zeichnet das Narrativ einer ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen (Repräsentations-)krise, und macht Eliten in Politik und Wirtschaft für diese verantwortlich. Dabei spitzt er den (Interessen-)konflikt zwischen ihnen und dem Volk (den Arbeitenden) moralisch zu und macht in ihrem Namen Politik (Hawkins & Rovira Kaltwasser 2018). Diese Krise muss nicht groß herbeigeredet werden: Dass die Union- und SPD-geführten Regierungen Politik im Interesse von Reichen, Energie- und Wohnungskonzernen machen und öffentliche Infrastruktur den Bach runter gehen lassen ist nichts Neues. Indem linker Populismus auch die emotionale und politische Seite von Klassenerfahrungen adressiert und Triggerpunkte von einem umfassenderen Narrativ her bespielt, mobilisiert er auch Wähler:innen weiter in der Mitte der Gesellschaft (van Hauwaert & van Kessel 2018). Auf diese Weise ist er keine Alternative zu (sozialistischer) Klassenpolitik, sondern eine klassenpolitische Strategie (Venizelos & Stavrakakis 2020).

All das ist keine Abkürzung zu langfristiger Klassenverankerung, und ob Die Linke es 2025 wieder in den Bundestag schafft, scheint zurzeit ungewiss. Dadurch kann sie sich vielleicht aber auch frei machen, politische Entscheidungen darüber treffen, wer sie nun eigentlich sein will. Davon ausgehend müsste sie dann einen potenziell gangbaren Weg einschlagen.

 

 

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[1] Die nominellen Abgänge zu Nichtwähler*innen in den Wählerwanderungen von Infratest sind erst dann aussagekräftig, wenn man von ihnen die durch die geringere Wahlbeteiligung erwartbare Anzahl an zuhause gebliebenen abzieht. So bereinigt ergeben sich dann in der Summe marginale 36 400 Abgänge an die Nichtwähler*innen von Der Linken, aber substanzielle 63 4000 Abwandernde von der SPD zu den Nichtwähler*innen. Von den Grünen-Wähler*innen 2021 sind sogar 498 000 Wähler*innen mehr bei der Europawahl zur Wahl gegangen, als bei der allgemein niedrigeren Wahlbeteiligung zu erwarten gewesen wäre. Die 2,8 Prozent Verlust der Grünen bei der Europawahl 2024 gegenüber der Bundestagswahl 2021 sind also vor allem auf Abgänge zur Union und zu Sonstigen, sowie nachrangig an BSW und andere zurückzuführen. Eine Schwachstelle an der „linken Flanke“ der Grünen lässt sich daran keinesfalls ablesen.

[2] Das liegt daran, dass sie nicht auf klassischen Zufallsstichproben aus amtlichen Melderegistern beruhen, sondern für jede Erhebung anhand soziodemografischer Quoten (Alter, Bildungsabschluss, Geschlecht, Wohnort in West- & Ostdeutschland) zufällig Teilnehmende aus dem Pool eines Online-Panels ausgewählt werden. Die Ausschöpfung dieser Quoten wird zusätzlich gegen den Mikrozensus gewichtet. Diese Gewichtung habe ich zusätzlich erweitert auf eine Gewichtung auf die Sonntagsfrage-Umfragetrends von Dawum.de (2024), damit Wahlabsichten und Potenzialanteile verlässlicher repräsentiert werden.

[3] Diese Operationalisierung des Wahlpotenzials habe ich mangels anderer Alternativen in verfügbaren aktuellen Datensätzen gewählt. Sie ist aber nicht optimal, weil nicht alle Sympathisant:innen einer Partei in Erwägung ziehen, diese zu wählen.

[4] Das zuletzt in einer repräsentativen Erhebung im November 2023 auf 15% taxierte Wahlpotenzial (Candeias 2023) dürfte damit noch einmal weiter geschwunden sein.

[5]Bis 2013 waren die Linke-Wähler:innen sogar noch mehrheitlich eher für die Beschränkung von Zuwanderung (Wurthmann 2022, 271). Seit 2017 kam es bereits zu einem damit in Zusammenhang stehenden beachtlichen Wähler:innenaustausch bzw. 2021 einem Wähler:innenverlust. Das Linke-Elektorat ist seit 2017 zuwanderungspolitisch bereits deutlich progressiver geworden   (siehe Abbildung A1 und Anmerkungen im Anhang). 2021 hat die Linke damit mehr Befürworter:innen einer restriktiven Zuwanderungspolitik verloren, als sie progressive Wähler:innen gewinnen konnte.

[6] Ich verwende die Beschreibung liberal hier analytisch als eine Seite in gesellschaftspolitischen Konflikten. Damit bzw. mit der Beschreibung linksliberal impliziere ich nichts über die Empfänglichkeit dieser Wähler:innen für (sozialistische) Klassenpolitik. 

[7]Ob der Zuwachs unter stark zuneigenden (dunkelgrün) auf neue Wähler:innen oder Veränderungen in den Haltungen der Linken-Wählenden zurückzuführen sind, kann hier nicht geklärt werden. Er ist aber deutlich kleiner als die Verluste unter stark ablehnenden Wähler:innen, was für eine insgesamt negative Bilanz der Personalentscheidung spricht. Außerdem hat sich die Anzahl der eher oder stark Klimaschutzgruppen zugeneigten Linke-Wähler:innen aber nicht verändert, was auch für Veränderungen der Haltungen der Linke-Wähler:innen spricht.

[8]Auch Sozialarbeiter:innen, Krankenpfleger:innen und Erzieher:innen sind der unteren Dienstklasse zugeordnet. Deskriptiv scheinen die Verluste innerhalb der unteren Dienstklasse aber auf Verluste in technischen und administrativen Berufen zurückzugehen.

[9]Antworten auf die Studie haben berechtigterweise darauf hingewiesen, dass lediglich das Linke-Potenzial, nicht aber tatsächliches Linke-Wahlverhalten untersucht wurde (Glauch & Köhler 2024; Eifler 2024; auch Candeias 2024). Darüber hinaus impliziert der Verlust von Arbeiter:innen eine zeitliche Dimension, die die Studie mit ihrer einmaligen Erhebung nicht erfasste. Auch sagt der unterdurchschnittliche Arbeiteranteil nach beruflicher Stellung in der Studie weiterhin etwas über Klassenwahlverhalten aus, auch wenn sie nicht sonderlich gut zum Zielgruppen-Targeting taugt. Als Arbeiter:innen beschreiben sich die meisten Produktionsarbeitenden, ein Teil der Dienstleistungsarbeitenden und in der übergroßen Mehrheit Personen in Berufen mit nichtakademischen Qualifikationsanforderungen (eigene Auswertungen). Schließlich ist auch das der Studie zu entnehmende unterdurchschnittliche Linke-Wahlpotenzial in Industrie und Handwerk ein Hinweis auf geringere Mobilisierungsfähigkeit unter Produktionsarbeitenden.

[10] Vergleiche auch den lesenswerten Überblick über die innerlinke Debatte zu Klassen-Dealignment im US-Kontext von Jared Abbott (2022).

[11] Vergleiche Linda Beck und Linus Westheuser (2022) für eine empirische Rekonstruktion dieser drei Spielarten von verletzten Ansprüchen an Verteilungs-, Anerkennungs- und Repräsentationsgerechtigkeit unter Produktionsarbeitenden.

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