Grüner Sozialismus. Das riecht nach Malerschweiß und Pinsel; sieht aus wie ein Anstrich in trendigem Format. Das klingt wie politischer Raub. Und das nährt den Verdacht, dass – oberflächlich renoviert – ein brüchiges Gebäude vermietet werden soll, statt es abzureißen. Wer von grünem Sozialismus spricht, muss mit Häme rechnen, mit übler Nachrede und mit dem Sarkasmus des farblichen »Originals«, das sich sein Markenzeichen, eben das Grüne, nicht wird nehmen lassen wollen.

Wäre grüner Sozialismus tatsächlich der Versuch, den alten roten Kern unverändert zu retten und nur das Design ein wenig aufzupeppen, hätte vernichtende Kritik zu Recht ein leichtes Spiel. Der neue grüne kann mit dem alten Sozialismus noch Normen und Werte, wohl auch manche Theoreme gemeinsam haben, aber nicht die verbrauchte Leitidee, dass die vereinigte Front der Arbeitenden das Kapital zur Seite schiebt, die Ökonomie lenkt und leitet, auf dass danach die Eroberung der Natur umso besser und umfassender gelinge.

Aus der schrittweisen Eroberung der »Natur« ist längst ein Feldzug geworden, der kohlenstoffsaure Luft, verdorrte Erde und giftige Gewässer zu hinterlassen droht. Die ökologischen Herausforderungen in ihrer ganzen Wucht zu erkennen, ist folglich der grünen Sozialistin erste Tat. Statt zu beschwichtigen, spricht sie aus, was Beobachtungen und Modellrechnungen belegen: Industrie, Landwirtschaft, Verkehr, Urbanisierung und die fossilen Energien, die all das in Bewegung halten, sind in einer Weise intensiviert worden, dass die Regeneration nahezu aller wichtigen Öko-Systeme gefährdet ist.

Für die Arbeiterbewegung war die Beherrschung der Natur, die ständige Entwicklung der Produktivkräfte der unhinterfragte Motor der Geschichte. Irgendwann, so die Überzeugung, werde diese Kraft so stark, dass sie nicht mehr mit privatwirtschaftlichem Dünkel, sondern nur noch mit gesellschaftlichem Eigentum bewältigt und weiter vorangetrieben werden könne.

Bertolt Brecht konnte noch behaupten, dass die Realität in die Funktionale gerutscht sei. Ob der Hammer der Kunst dient oder zum Werkzeug des Mordes wird, sei dem unschuldigen Hammer nicht anzusehen, sondern nur der ihm vom Menschen zugedachten Funktion zu entnehmen. Heute wissen wir, dass zwar viele Wahrheiten noch immer in der Funktionalen stecken, dass aber gleichzeitig die Wahrheit auch in die Materiale, in die Energie- und Stoffkreisläufe, gerutscht ist. Selbst alltäglicher Konsum ist dem Verdacht des »zu viel«, »zu giftig« und »unverantwortlich« ausgesetzt. Und die Produktion, die dahinter steckt, erscheint wie eine Maschinerie, die bei allem Nützlichen, das sie hervorbringt, eben auch die Lebensgrundlagen zerstört. Folglich gilt für den grünen Sozialismus: Nicht die Produktivkräfte der bürgerlichen Epoche übernehmen und vergesellschaften, sondern grundlegend ändern: Nicht Natur dominieren, sondern ökologische Grenzen respektieren; nicht das Primat der Ökonomie und die permanente Steigerung der Einkommen als Ziel setzen, sondern allgemeine Bedarfsdeckung im Einklang mit der Natur.

Deshalb gehört das Studium des reichhaltigen ökologischen Systemwissens zu den vornehmsten Pflichten. Erst auf dieser Grundlage wird sichtbar, dass grüner Sozialismus keine modische Fassade ist, sondern ein ernsthaftes Konzept werden kann. Wenn nämlich die Aneignung der Natur maßvoll und sanft sein soll, wenn gleichzeitig allen wichtigen Bedürfnissen aller Menschen Geltung zu verschaffen ist, dann erscheint in grünem Licht und in zeitgemäßer Fassung vieles von dem auf der Agenda, was Linke seit langem fordern – vor allem das »magische Viereck« Kooperation, Gleichheit, Planung und Souveränität.

Globale Öko-Probleme zu bewältigen, verlangt globale Kooperation. So oder ähnlich steht es in allen großen Proklamationen, die sich mit Klimaerwärmung, Überfischung und Vergiftung der Weltmeere, beschleunigtem Artensterben, Bodenerosion, Wasserknappheit, überfüllten Schadstoffsenken und versiegenden Rohstoffquellen befassen. All diese Herausforderungen sind letztlich nicht gegeneinander zu bewältigen, sondern nur in Zusammenarbeit. In den internationalen Beziehungen wird deshalb, soweit es um diese gemeinsamen Aufgaben geht, Kooperation zum Leitstern. Konkurrenz, Zwang, Diktat, Erpressung, angedrohte oder tatsächliche Waffengewalt – diese alten Machtmittel beginnen wirkungslos zu werden, wenn das Ziel die gemeinsamen Lebensgrundlagen sind.

Ökologische Themen mäßigen – je ernster sie genommen werden, umso mehr –die Staatenwelt. Sie sind – das ist noch nicht Realität, aber der Fluchtpunkt der Entwicklung – ein antiimperialistisches Programm. Nicht jeder für sich und alle gegeneinander auf der Jagd nach den Reichtümern dieser Welt. Nicht nach den Maßstäben der Macht erobern und unterdrücken. Nicht grenzenlos profitieren. Sondern überzeugen, aushandeln, Grenzen setzen, auf Kooperation drängen und auf allen Ebenen beispielhafte Projekte verwirklichen – das ist die innere Logik ökologischen Handelns. Mit anderen Worten: Was Linke seit langem im Sinne von Gerechtigkeit und friedlicher Konfliktlösung fordern, wird in ökologischer Hinsicht zu einer praktischen Notwendigkeit.

Viele Linke werden nun sagen: Kooperation – mein Gott, ein nettes, aber harmloses Wort. In der Tat ein Wort ohne Biss, wenn es – wie bislang meistens – beim Verschwenden diplomatischer Tinte bleibt und keine Taten folgen. Der Zwang zu kooperieren kann auch – wie der Kyoto-Prozess zeigt – zur Ausflucht verkommen. Man müsse gemeinsam handeln – aber dabei, so heißt es dann, seien die Langsamsten nun mal diejenigen, die das Tempo bestimmen. Gegen diese teils zynische, teils hilflose Entschuldigung ist um echte und wirkungsvolle Kooperation zu kämpfen. Dass globale Kooperation sich auf die Tagesordnung zu setzen beginnt, hebt Konflikte und Kämpfe nicht, zeigt aber die Richtung an, die gerade Linke aufnehmen und stärken sollten.

Machtgewohnte Herrschaften wissen, dass Kooperation der Gegenpol zur Konkurrenz ist und dass Kooperation eine für sie beängstigende Grundlage hat: Gleichheit. Wer über die Weltökologie spricht und – in einzelnen Themenfeldern – bereits verhandelt, braucht ein Kriterium für das, was gelten soll. Dieses Kriterium kann, solange nicht offen reaktionär oder rassistisch gesprochen wird, solange nicht Pragmatismus das Grundsätzliche vernebelt, nur Gleichheit sein. Gleichheit der Schutzpflichten und Gleichheit der Nutzungsrechte. Am Horizont erscheint ein neues, ökologisches Menschenrecht: Jeder Mensch hat das gleiche Recht auf ein Quantum Umweltraum, das mit der Reproduktion der Natur vereinbar ist. So erhält das demokratische Prinzip – one (wo)man, one vote – seine ökologische Ergänzung: one (wo) man, one piece of nature.

Inwieweit dieses Recht, das in seinen Anfängen nur als vage moralische Norm und diplomatische Floskel auftritt, zu einem durchsetzungsfähigen Lebensanspruch wird, hängt von harten Auseinandersetzungen ab. Denn ökologische Gleichheit im Sinne tatsächlich gleicher Nutzungsrechte und gleicher Schutzpflichten ist ein Fundamentalangriff auf die gewohnte bürgerliche Ordnung. Ökologische Gleichheit definiert den Platz des Menschen nach Maßen verträglicher Naturnutzung. Nicht nach Eigentumstiteln, nicht nach ererbten Positionen, nicht nach dem zufälligen Status, in einem reichen Land geboren zu sein.

Wenn der fällige Umbau zu einer grünen Produktions- und Lebensweise auf demokratische und zivilisierte Art gelingen, wenn das Interesse daran massenwirksam werden soll, dann müssen die Prinzipien von Kooperation und Gleichheit letztlich nicht nur zwischen den Staaten, sondern auch in ihnen gelten. Krasse Ungleichheiten, die bislang nur der sozialen Anklage ausgesetzt sind, werden dann auf umfassende, eben ökologische Weise illegitim. Dann ist nicht mehr akzeptabel, dass der Multimillionär mit seinem Privatjet und seinen weiträumigen Anwesen die Erde tausend Mal mehr in Anspruch nimmt als sein Gärtner oder seine Putzfrau. Sein Lebensstil ist dann nicht nur ein ärgerliches Privileg, sondern ein Verbrechen.

Konsequente Ökologie hatte immer schon starke antikapitalistische Züge. Aber ihre Schwäche ist das Pro, das Andere, das wenigstens in Grundzügen aufscheinen sollte. Die Abteilung Moral will penetrant im Inneren wirken und dort die Seele erweichen. Die Abteilung Technik hat allein das Äußere im Blick und hofft, die Welt der Konsumgüter und Produktionsmittel durchgrünen zu können. So bleibt am Ende fast immer ungenannt, worum es doch eigentlich gehen müsste: Wirtschaft und Gesellschaft inklusive ihrer grundlegenden Institutionen, ihrer Eigentumsrechte und Unternehmensformen, ihrer Gratifikationen und Sanktionen, so einzurichten, dass sie aus eigenem Antrieb naturverträglich werden.

Hier könnte nun – mit dem Rückenwind von Kooperation und Gleichheit – die Stunde eines grünen Sozialismus schlagen. Der Zeitgeist ist nicht mehr abgeneigt, große Würfe zu studieren, wenn sie erhellende Gedanken bieten. Diese Aufgeschlossenheit erklärt sich aus dem Dilemma, das Umfragen immer wieder belegen: Die herrschende Wirtschaftsordnung wird mehrheitlich abgelehnt, aber überzeugende Alternativen sind nicht in Sicht. Die Frage lautet also: Gibt es vor dem Horizont (und nicht dahinter, wo die phantastischen Utopien blühen) neue Phänomene, die schon das Potenzial anderer Verhältnisse enthalten? Es gibt sie – massenhaft, häufig verborgen, bisweilen unüberhörbar. Sie zeigen sich als bunte Vielfalt egalitärer Kooperationen, die stärker werden, wenn die ökologischen Fundamentalprobleme zivilisiert bewältigt werden sollen. Und sie werden kenntlich mit den Begriffen Planung und Souveränität.

Große Systeme, sei es der Energie, des Verkehrs oder der industriellen Massenfertigung, bedurften immer schon der gesellschaftlichen Rahmenplanung. Im Zeitalter der ökologischen Großgefahren und des absehbaren Rohstoffmangels durchdringen der Zwang zur Planung und die Angewiesenheit auf politische Garantien nahezu die gesamte Ökonomie. Die propagandistische Redevom Markt als optimalem Entscheider zieht nicht mehr. In allen wichtigen Ressourcenfragen liegt der Markt falsch. Er sorgt ständig für schlechte Ergebnisse. Übernutzung und Überausbeutung sind seine Hinterlassenschaft. Das ist kein Zufall, weil die Unternehmen und die Wirtschaftswissenschaft, die ihnen zur Seite steht, immer noch zwei Dogmen predigen: Das eine heißt Diskontierung und meint, dass die Zukunft umso wertloser ist, je weiter sie weg liegt. Das andere heißt Substitution und soll bedeuten: Es gibt immer Alternativen zu dem, was zu Grunde geht. Diese Dogmen und die Vernichtungspraxis, die ihnen entspricht, kann sich eine endliche, gefährdete Welt nicht mehr leisten. Planung, Vorausschau und Vorsorge werden wieder zu großen Themen mit positivem Klang.

Der neue Hang zu strategischem Handeln ist allerdings kein Garant für ökologische Rationalität. Auch hier gilt: Wer entscheidet in wessen Interesse? Wer erhält Planungssicherheit und wer nicht? Wird der Rohstoffbezug der deutschen Industrie geplant oder eine Wirtschaftsstruktur, die ihren Energie- und Ressourcenverbrauch drastisch reduziert? Werden die nationalen Champions planerisch begleitet, wie etwa die deutsche Autoindustrie, oder kommen neue ökologische Verkehrssysteme zum Zuge, in deren Zentrum öffentliche Anbieter stehen? Die Renaissance der Strukturplanung ist kein emanzipatorischer Selbstläufer, aber eine Einladung ist sie, gerade für Linke, allemal. Erstmals seit Jahrzehnten ist ein Politikfeld wieder offen, das von Marktrhetorik verbarrikadiert worden war: die bewusste, begründungs- und rechenschaftspflichtige Beeinflussung sektoraler Entwicklung. Finanzen und Energie sind Beispiele, die sich einem breiten Diskurs über das »Wozu« und »Wohin« nicht mehr entziehen können.

Mehr Kooperation, Gleichheit als Handlungsmaß und stärkere Planung – in dreifacher Weise präsentiert sich in dem von ökologischen Themen geprägten Zeitalter der Trend als Genosse. Vorsichtiger formuliert: Wenn der Umbau unserer Produktionsweise friedlich und auf demokratische Weise gelingen soll, dann geht das nur mit Antworten im linken Geist. Damit solche Antworten Gehör finden, müssen Sozialistinnen und Sozialisten nicht nur in »ökologischer Sprache« sprechen. Sie sollten auch ein viertes Moment erkennen, das zu einem modernen, grünen Sozialismus passt: die deutliche Forderung nach Souverä- nität über das eigene Leben und mehr direkter Demokratie.

Auf Politik herkömmlicher Art ist kein Verlass. Sie mag fähig sein, Interessen zu moderieren und ein Mindestmaß an Rechtssicherheit und sozialem Ausgleich zu gewährleisten. Aber allzu häufig ist sie überfordert, korruptionsanfällig und erpressbar. Reine Repräsentation, die Überlassung lebenswichtiger Entscheidungen an gewählte Vertretungen und Regierungen, ist deshalb keine zukunftstaugliche Idee. Denn der Wille, das eigene Leben souverän zu gestalten und an wichtigen politischen Entscheidungen unmittelbar teilzunehmen, ist ebenso gewachsen wie die Möglichkeiten, diesen Souveränitätsanspruch mittels passfähiger, dezentral verfügbarer Technologien auch verwirklichen zu können.

Eine neue Qualität von Kooperation, Gleichheit und Planung vorausgesetzt, wäre eine Bürgerschaft, die souverän und maßvoll über elementare Angelegenheiten ihres persönlichen und gesellschaftlichen Lebens selbst entscheidet, keine Utopie, sondern Tagesprogramm. Lauten Streit und harten Kampf wird es auch dann noch geben. Bilder einer großen Harmonie, wie einst vom »sozialistischen Kitsch« gemalt, haben im grünen Sozialismus keinen Platz. Sein Anliegen ist auf revolutionäre Weise konservativ: Wirtschaft und Gesellschaft umfassend zu verändern, damit die Erde als lebenswerter Ort erhalten bleibt.