Du bist Ende April vom hessischen Landesvorstand der LINKEN als eine von drei Vertrauenspersonen für Fälle von sexualisierter Belästigung gewählt worden. Warum wirst du hier ehrenamtlich tätig?
Wo sonst? Das Thema beschäftigt mich seit über 30 Jahren.
Inwiefern?
Ich war im gewerkschaftlichen Rechtsschutz beschäftigt und habe da auch mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu tun gehabt. Solche Übergriffe haben immer mit Macht zu tun, wenig mit Sexualität. Und Gegenwehr ist immer schwierig, es fehlen erfolgreiche Strategien, erst recht, wenn die Belästigung im Kontext von Hierarchieverhältnissen passiert. Dann fühlen sich viele ohnmächtig.
Du hast ein Buch geschrieben, für das du Hunderte von Gerichtsurteilen zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ausgewertet hast. Zu welchem Ergebnis kommst du?
Das Buch soll Belästigte ermuntern, sich nicht länger zu schämen, weil die Situation so entwürdigend war. Betroffene denken oft, dass sie eine Teilschuld tragen, was natürlich nicht stimmt. Es soll außerdem Strategien aufzuzeigen, was frau im Falle sexueller Belästigung tun kann. Vor allem handelt es aber davon, dass Arbeitgeber sich ihrer gesetzlichen Verantwortung stellen müssen.
Was heißt das?
Der Arbeitgeber ist laut Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Diskriminierung und übergriffiges Verhalten am Arbeitsplatz nicht passieren. Er muss dafür geeignete Strukturen schaffen, etwa Beschwerdestellen einrichten, Schulungen durchführen, Organisationsabläufe auf Gefährdungsmomente hin überprüfen, seine Haltung öffentlich klar vermitteln – und er muss kontrollieren, ob das auch verstanden worden ist. Natürlich muss er auch eingreifen, wenn es Regelverstöße gibt. Dabei geht es nicht in erster Linie um Bestrafung, sondern vor allem um Prävention. Auch das kollegiale Umfeld ist aufgefordert, einzugreifen. Oftmals kriegen Kolleg*innen ja mit, wenn es zu missbräuchlichem Verhalten kommt.
Wer belästigt eigentlich wen? Gibt es da auf empirischer Grundlage ein ›Muster‹?
Das ist streng hierarchisch: Ältere Männer in unbefristeten Arbeitsverhältnissen, die gut vernetzt und angesehen sind, belästigen jüngere Frauen, die befristet und kurz beschäftigt sind. Da belästigt der Vorgesetzte die Untergebene, speziell der Vorstandsvorsitzende die befristet Beschäftigte, der Küchenchef die Cafémitarbeiterin, der Koch die Küchenhilfe, der Niederlassungsleiter die Sekretärin, der Kraftfahrzeugmechaniker die Reinigungskraft, der Verwaltungsangestellte die Leiharbeitnehmerin, der Oberarzt die Assistenzärztin, der Personalleiter die stellvertretende Personalleiterin, der freigestellte Betriebsratsvorsitzende die Sekretärin des Betriebsrats, das männliche Aufsichtsratsmitglied die Managerin mit einem Jahreseinkommen von 110 000 Euro und so weiter. Besonders häufig werden in der Arbeitswelt Auszubildende und Praktikantinnen belästigt, weil sie in der schwächsten Position sind und noch keine unterstützenden Strukturen haben.
Eine Schwierigkeit im Umgang mit sexualisierten Übergriffen ist, dass es häufig keine Zeug*innen gibt. In Teilen der feministischen Diskussion wird deshalb die »Definitionsmacht« der Betroffenen ins Spiel gebracht. Diese wird als einzige Chance gesehen, aus der unwürdigen Situation herauszukommen, dass Betroffenen häufig nicht geglaubt wird. Wie schätzt du das ein?
Wieso keine Zeug*innen? Es gibt immer mindestens eine Zeugin, nämlich die belästigte Person. Vor Gericht ist sie per se erstmal Zeugin, denn im Strafrecht geht es um den Strafauftrag des Staates, die Parteien im Gerichtssaal sind Staatsanwaltschaft und Angeklagter. Die Geschädigte ist in dieser Konstellation eine geeignete Zeugin. Denn es geht ja nicht nur um sie als Person – sexuelle Selbstbestimmung ist ein geschütztes Rechtsgut.