Insbesondere die ungeregelten Arbeitszeiten stellen für die Mütter ein großes Problem dar. Anna, die in der Kosmetikproduktion arbeitet, wusste nie, wann ihr Arbeitgeber sie anrufen würde. Nicht selten wurde sie telefonisch zur Arbeit gebeten, brachte dann ihre Kinder unter, fuhr an die Arbeitsstelle und erfuhr dort, dass sie inzwischen nicht mehr gebraucht wurde.
Aufgrund der befristeten oder fehlenden Verträge sind insbesondere Frauen ständig von Jobverlust bedroht. Oft reicht eine Schwangerschaft oder längere Krankheit des Kindes für den Verlust des Arbeitsplatzes. Im Grunde wird die Arbeitslosigkeit bloß von kurzfristigen Beschäftigungen für eine Woche, einen Monat, manchmal nur einige Tage unterbrochen.
Obdachlosigkeit, Leerstand und Räumungen
Ein weiterer politischer Missstand trägt zur Instabilität des Lebens der befragten Frauen bei: die Wohnungsproblematik. Aufgrund ihrer prekären Beschäftigungen sind die Teilnehmerinnen der Studie nicht in der Lage, auf dem freien Markt Wohnungen zu kaufen oder angemessene Wohnungen zu mieten. Alle interviewten Frauen und ihre Familien lebten stark beengt in sogenannten Substandardwohnungen; oft bei Freunden oder Bekannten. Jolanta z.B. wohnte mit sieben Personen auf 34 m2. Oft sind die Wohnungen eigentlich unbewohnbar: Türen und Fenster sind undicht, der Putz blättert ab, die Wände schimmeln, im Keller steht Wasser, es existiert keine funktionierende Kanalisation. Da häufig ein Gasanschluss fehlt, kaufen die Frauen zum Kochen teure Gasflaschen. Die Wohnungen besitzen meist keine Bäder oder Toiletten, diese sind eine halbe Treppe tiefer und oft unbenutzbar. In Joannas Haus befand sich die Toilette im Keller, wo das Wasser stand und Ratten lebten. Iwonas Familie benutzt eine Toilette im Nachbarhaus; wenn ihre Tochter nachts dorthin geht, macht sie sich Sorgen. Selbst wenn die Wohnungen zum kommunalen Wohnungsbestand gehören, werden Anträge, Feuchtigkeit zu beseitigen, Fenster zu erneuern oder Gas- und Elektroinstallationen zu reparieren, meist abgelehnt. Seit der Privatisierung der Wohnungsverwaltung sind die Mitarbeiter der MZB angewiesen, Einnahmen zu erhöhen. In Form von Provisionen werden sie an den Gewinnen beteiligt.
Oft übernehmen die Frauen notwendige Ausbesserungen aus eigener Kraft und auf eigene Kosten. Bogna nahm dafür sogar einen Kredit auf. Gleichzeitig war sie bei der MZB verschuldet, weil sie die Miete nicht zahlen konnte. Oft werden die selbst ausgeführten Renovierungen als ungenehmigte Baumaßnahme kriminalisiert.
Aufgrund ihrer Einkommensverhältnisse haben die Frauen einen Anspruch auf Sozialwohnungen. Die Zahl der BewerberInnen übersteigt jedoch den Bestand um ein Vielfaches. Um diesen Missstand zu verwalten, wurde von der Stadt ein Punktsystem eingeführt, das die Bedürftigkeit der BewerberInnen kategorisiert und so die Reihenfolge bei der Vergabe der Wohnungen festlegt: Obdachlosigkeit ist mit zwölf Punkten am höchsten bewertet; sind Kinder mitbetroffen, erhält man sogar 16 Punkte. Für Einkommen unter 75 Prozent des Mindestrentensatzes (800 Zł) werden fünf Punkte veranschlagt, bei beengtem Wohnraum vier, bei schlechtem technischen Zustand der Wohnung ebenfalls vier und für jedes Kind zwei. Jedes Jahr auf der Warteliste wird mit einem Punkt vergütet. Es werden allerdings auch Strafpunkte vergeben: Zehn Minuspunkte erhält man, wenn Sozialamt oder Polizei den Haushalt als unordentlich oder vernachlässigt einstufen oder man mehr als einmal den Bezug einer zugewiesenen Wohnung verweigert hat; fünf Strafpunkte, wenn man drei Monate mit den Mietzahlungen in Verzug ist. Obwohl fast alle in prekären Wohnverhältnissen leben, waren nur zwei offiziell als obdachlos gemeldet, weil anerkannte Obdachlosigkeit mit der Gefahr einher geht, dass einem das Sorgerecht für die Kinder entzogen wird. Zwei Frauen, die vor einem gewalttätigen Partner geflohen und so obdachlos geworden waren, hatten das Sorgerecht für ihre Kinder verloren.
Der letzte Ausweg vor Obdachlosigkeit und dem damit verbundenen Sorgerechtsentzug ist oft, illegal leerstehende Wohnungen zu besetzen. In fast jedem Altbau sind Wohnungen unbewohnt. Dieser Schritt ist jedoch stets mit miserablen Wohnverhältnissen und der Angst vor unangekündigten Inspektionen durch Polizei oder Räumung verbunden. Eine Zeitlang hatte die Verwaltung Leerstandsbesetzungen akzeptiert, da die Wohnungen ohnehin als unvermietbar galten. Die BewohnerInnen heizten die Wohnungen, bewahrten sie vor Vandalismus und trugen durch Renovierungen sogar zur Qualitätssteigerung bei. 2008 verabschiedete die Stadt jedoch eine Richtlinie, die den Leerstandsbesetzungen entgegen wirken sollte. Sie erlaubt den Behörden Maßnahmen wie das Abstellen von Strom, Wasser und Gas oder gar die Demontage von Heizkörpern; unter bestimmten Umständen auch die polizeiliche Räumung.
Die aggressive Politik gegen Leerstandsbesetzungen in Wałbrzych ist ein eher neuer Prozess, der mit der neoliberalen Orientierung der Wohnungspolitik begann. Auf die Existenzbedingungen der Frauen wirkte sie sich verheerend aus. Małgorzata beispielsweise lebte drei Jahre lang ohne Wasseranschluss – mit drei kleinen Kindern. Wasser zum Waschen, Trinken und Kochen kaufte sie im Laden; manchmal gab ihr der Nachbar einen Eimer Wasser. Darias Familie wurde nach vier Jahren ohne Ankündigung aus einer besetzten Ein-Zimmer-Wohnung geräumt. »Ich hatte eine Tür gekauft für die Wohnung, auf Raten, und diese Raten zahle ich immer noch ab, obwohl die Tür in der Wohnung geblieben ist. All meine Sachen sind dort geblieben, ich habe nichts zurückbekommen. Ich frage mich, wo sie jetzt sind. Ich hatte alle meine Dokumente im Büffet, alles haben sie weggeschmissen. Als ich eingezogen bin, befand sich nichts in der Wohnung. Viele haben mir geholfen, gaben mir einen Fernseher, Bettwäsche […] Alles habe ich selbst gemacht.«
Mehrere Frauen wurden wegen der illegalen Besetzungen sogar strafrechtlich verurteilt; meistens zu Bewährungsstrafen. Dies verschlechtert nun erneut ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt, da Vorstrafen bei Bewerbungen angegeben werden müssen.
Die Rolle der sozialen Fürsorgeeinrichtungen
Alle interviewten Frauen bezogen finanzielle und materielle Unterstützung vom Sozialamt. Dies können ständige oder zeitweilige Zahlungen sein, zweckgebundene einmalige Leistungen wie die Erstattung von Arzneimittelkosten und Heizkostenzuschuss, Lebensmittelgutscheine für bestimmte Grundnahrungsmittel sowie Gutscheine für Schulessen oder Mittagsmahlzeiten in lokalen Kantinen.
Um diese Unterstützung zu erhalten, müssen die Frauen einmal im Monat im Sozialamt erscheinen, Dokumente vorlegen und dann »lange Stunden auf 20 Zł warten«, wie Anna es beschrieb. Für Lebensmittelzuschüsse holt man im Sozialamt einen Gutschein, fährt dann in ein Magazin in einen anderen Stadtteil, wartet dort lange, um schließlich die Kartons irgendwie nach Hause zu bringen. Für eine Frau mit zwei kleinen Kindern, die kein Auto hat und sich ein Taxi nicht leisten kaum, ist das kaum zu bewältigen. Krystyna und Daria, die einen gemeinsamen Haushalt führen und drei Kinder versorgen, berichten: »Das Magazin hat erst ab Mai auf, oder ab Juni, bis November, und im Winter, wenn es am schwierigsten ist, geben sie keine Lebensmittel aus. Wenn offen ist, kann man dort Buchweizen, Milch, Nudeln, Marmelade, Käse und Mehl bekommen. Aber nicht immer ist alles erhältlich, man bekommt die Sachen, die gerade da sind. Die Qualität des Essens ist zweifelhaft. Überhaupt ist es schlimm, Lebensmittel zu empfangen. Die Leute dort schlagen sich, sind betrunken, fluchen. Unter diesen Umständen muss man stundenlang in einer Schlange stehen und niemand lässt eine Mutter mit Kindern vor…«
Die Leistungen reichen für den Lebensunterhalt nicht aus, und die ständigen Kontrollen rufen Gefühle von Machtlosigkeit und Abhängigkeit hervor. Es gibt monatliche, oft nicht angekündigte Inspektionen sowie Befragungen von Nachbarn. Schnell sind die Frauen dem Verdacht des Missbrauchs ausgesetzt. Ewa berichtete: »Ich hatte hier eine Bekannte, die hat mir manchmal was gewaschen, weil sie nicht für den Strom zahlen musste. Jemand hat sie bei der Fürsorge angezeigt, dass sie für die Freundin wäscht. Oder als mich mal eine Freundin besucht hat, um mir beim Kochen zu helfen, da sind sie zur Fürsorge gegangen und haben gesagt, wir hätten einen gemeinsamen Haushalt, und haben mir das Geld gestrichen, weil wir angeblich immer zusammen kochen…«
Auch die Haushaltsführung und das Wohlergehen der Kinder werden kontrolliert. Ewa war obdachlos geworen und mit ihren Kindern in der Wohnung einer Bekannten untergekommen. Eines Nachts stürmten zwei Polizisten mit Hund die Wohnung. Alle Schränke, auch die ihrer Bekannten, wurden nach Alkohol und Drogen durchsucht. Ihre Kinder mussten sich vor den Männern ausziehen, um körperlich untersucht zu werden – das war ein Alptraum für die Kinder. »Meine Bekannte wollte während der Durchsuchung die Jüngste mit einer Flasche Milch beruhigen. Die wurde ihr aus den Händen gerissen und nach Drogen untersucht. Erst nach zwei Stunden sind sie wieder gegangen. Die Kinder waren traumatisiert und haben wochenlang nachts geweint. Ich wohne schon seit einem halben Jahr nicht mehr bei dieser Bekannten, weil ich mir wie eine Idiotin vorkomme.«
Hinter all der unzureichenden Hilfe steht ein strukturelles Problem. Soziale Fürsorge wird gering geschätzt, was sich in mangelnder Finanz- und Personalausstattung der Ämter niederschlägt. Im Sozialamt von Wałbrzych arbeiten 58 Frauen und vier Männer. Sie berichten, dass sie oftmals für mehr als 100 Haushalte zuständig sind. Mit der zunehmenden Ausgabenkontrolle, zu der sie verpflichtet seien, weil sie sonst für Missbrauch und Mittelverschwendung verantwortlich gemacht werden, steigt auch die Bürokratie. Hinzu kommen niedrige Bezahlung und gesellschaftliche Geringschätzung. Dies erschwert die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, beispielsweise mit Ärzten.
Dieses Los teilen die Mitarbeiterinnen des Sozialamts mit denen anderer Fürsorgeeinrichtungen sowie mit Krankenschwestern und Altenpflegerinnen. Soziale Arbeit ist feminisiert, unterbezahlt und wird weder in ihrer Bedeutung für bedürftige Menschen wertgeschätzt noch finanziell angemessen gefördert. Fürsorge gilt als nicht produktiver, teurer Überfluss. Dies wird auch in der Sprache deutlich: In offiziellen Verlautbarungen werden menschliche Bedürfnisse stets als »Forderungen« bezeichnet.
Reproduktionsarbeit als blinder Fleck in den sozialen Sicherungssystem
Ein Grund, warum die derzeitige Arbeitsund Sozialpolitik insbesondere Müttern kaum einen Ausstieg aus der Armut bietet, ist die Blindheit der Gesellschaft für die Mühen und Kosten von Reproduktionsarbeit (vgl. Rai et al. in diesem Heft). Ökonomische Analysen fokussieren einseitig auf Lohnarbeit. Dass Reproduktionsarbeit für das Wohlergehen einer Gesellschaft essenziell ist, und dass diese Arbeit vor allem von Frauen geleistet wird, bleibt unsichtbar (vgl. Federici/ Cooper in diesem Heft). Mit Reproduktionsaufgaben belastete alleinstehende Frauen können den ständigen Kampf um ein existenzsicherndes Einkommen nicht gewinnen. Angesichts des deregulierten Arbeitsmarktes bleiben sie in Niedriglohnbranchen mit prekären Arbeitsverhältnissen verbannt. Sie befinden sich in einer Art Armutsfalle.
Strategien in der Prekarität
Zu den Strategien im Umgang mit der Armut gehört nicht zuletzt die penible Planung von Ausgaben. Dies nimmt viel Zeit in Anspruch. Die Frauen sind ständig unterwegs, um Lebensmittel und Kleidung zu Schnäppchenpreisen zu ergattern. Vieles wird in Secondhandshops (»Lumpeks«) und Pfenniggeschäften erworben. Eine Frau berichtet, dass sie manchmal mehrere Tage in der Woche nichts aß, damit die Kinder ausreichend Nahrung hatten. Viele Frauen bieten informelle Dienstleistungen (Kochen, Catering) gegen Lebensmittel oder Geld an.
Die ständige Notsituation führt zu zusätzlichen finanziellen Belastungen. Um Engpässe zu überbrücken, nehmen die Frauen beispielsweise kleinere Bargeldkredite bei zum Teil dubiosen Geldinstitutionen auf. Diese Mikrokredite »in 15 Minuten« sind jedoch extrem hoch verzinst (vgl. Wichterich in diesem Heft). Oder sie verpfänden Einrichtungsgegenstände und Mobiltelefone. Da Handys jedoch notwendig sind, um Kontakt mit der Schule, dem Sozial- oder Arbeitsamt halten zu können, werden die Telefone zu völlig überteuerten Preisen wieder zurückgekauft, sobald wieder Geld da ist.
Zur Bewältigung des Alltags organisieren die Frauen Netzwerke der Solidarität. Fast alle greifen in Fragen der Kinderbetreuung auf familiäre und soziale Netze zurück – ebenso bei Wohnungsverlust. Die Frauen helfen sich beim Kochen, Waschen und Renovieren, mit Lebensmitteln und Kleidung. Solche von der Basis ausgehenden Netze der Selbsthilfe formen neue Bindungen, die nicht nur materielle, sondern auch emotionale Unterstützung bieten. Institutionell konnte die Selbstorganisation der Frauen am ehesten in den kommunalen Stadtteilzentren (Rada Wspólnot Samorządowych) verankert werden. Die überwiegend ehrenamtlich tätigen MitarbeiterInnen dieser städtischen Einrichtungen organisieren Lebensmittel-, Kleider- und Mö- belsammlungen sowie kulturelle Veranstaltungen. Sie helfen beim Ausfüllen von Anträ- gen und stellen den Frauen Räumlichkeiten für die Selbstorganisation zur Verfügung. All das entwickelte sich insbesondere nach dem Hungerstreik von 2008. Der Schritt, politisch Einfluss auf eine nachhaltige Veränderung der Lebensverhältnisse zu nehmen, bleibt unter diesen Bedingungen schwierig.
Aus dem Polnischen von Andrea Rudorf