Ziel dieses Aufsatzes ist es, eine Reihe von Fragen und Problemen genauer zu bestimmen, die beim Studium rassistisch strukturierter Gesellschaftsformationen auftauchen, und auf neue wichtige Forschungsansätze hinzuweisen. 

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Dafür ist es wichtig, die Brüche zu markieren, die diese neuen Studien im etablierten Forschungsfeld darstellen. Was das Feld angeht, so lässt es sich in zwei große Strömungen unterteilen, die beide eine breite Vielfalt verschiedener Studien und Ansätze hervorgebracht haben. Beide Strömungen können als einander entgegengesetzt oder auch, wie dies bei solchen theoretischen Gegensätzen häufig der Fall ist, als umgekehrte Spiegelbilder vonein­ander verstanden werden. Denn jede Strömung versucht, die Schwäche des gegnerischen Paradigmas durch Betonung des ›vernachlässigten Elements‹ zu überwinden. Dadurch machen beide auf reale Schwächen in der Konzeptualisierung aufmerksam und weisen, wenn auch nur anhand von Symptomen, auf wichtige Ausgangspunkte für adäquatere Theoretisierungen hin. Sie sind jedoch beide, wie ich behaupten möchte, innerhalb des operativen Rahmens ihrer gegenwärtigen Theoretisierung dem Gegenstand nicht angemessen. Der Bruch mit ihnen stellt daher einen – teilweise oder vollständigen – theoretischen Bruch mit jeder der beiden dominanten Tendenzen und den Versuch einer Neustrukturierung des theoretischen Feldes dar, der zum Ausgangspunkt völlig neuartiger Forschungsarbeiten werden könnte.

Die beiden Strömungen möchte ich – grob vereinfachend – die ökonomische und die soziologische nennen. In der ökonomischen Tendenz fasse ich für die Zwecke dieser Studie zusammen: 1. Ansätze der Dualismustheorie (kapitalistischer und Subsistenzsektor), die durch die Klammer einer neoklassischen Ökonomie der ›Entwicklung‹ miteinander verbunden sind, 2. Analysen auf der Basis von Rostows Theorie der ›Stufen des Wachstums‹, die mit einem Modernisierungs- oder Industrialisierungsmodell arbeiten, 3. die Dependenz-Theoretiker der CEPAL-Schule mit ihrer radikalen Theorie einer globalen Unterentwicklung, 4. schließlich Baran und André Gunder Frank, die – wie klassisch auch immer, dies ist Gegenstand einer noch unabgeschlossenen theoretischen Kontroverse – eine marxistische Orientierung entwickelten. Alle diese Ansätze können deshalb als Teil einer einzigen Tendenz gelten, weil sie den ökonomischen Beziehungen eine fast vollständig determinierende Wirkung auf die sozialen Strukturen der Gesellschaftsformationen zuschreiben. Auch solche sozialen Spaltungen, die einen klar erkennbaren ›rassischen‹ oder ethnischen Charakter für sich beanspruchen, könnten danach grundsätzlich unter Bezugnahme auf ökonomische Strukturen und Prozesse beschrieben und erklärt werden. Auch der zweiten – soziologischen – Strömung wird hier der Einfachheit halber eine große Vielfalt von Ansätzen subsumiert: Einige konzentrieren sich auf soziale Beziehungen zwischen verschiedenen ›rassischen‹ oder ethnischen Schichten, andere behandeln ausschließlich kulturelle Differenzen (Ethnizität), von denen ›Rasse‹ nur einen Extremfall darstellt, wieder andere arbeiten mit der von Furnivall, M. G. Smith und anderen dieser Schule abgeleiteten streng pluralen Theorie. Manche sind ausschließlich mit Formen politischer Herrschaft und Diskriminierung befasst, die auf der Ausbeutung von ›Rasse‹-Merkmalen beruhen. In der großen Mehrheit dieser Studien wird ›Rasse‹ als soziale Kategorie behandelt. Demgegenüber haben biologische Rassekonzeptionen an Wichtigkeit deutlich verloren, obwohl sie in keiner Weise vollständig verschwunden sind, wie die Wiederkehr der Soziobiologie und des genetischen Prinzips bei den biologisch geprägten Theorien im neueren Werk von Jensen und Eysenck zeigen. In dieser zweiten Tendenz liegt der Hauptakzent auf ›Rasse‹ oder Ethnizität als spezifischen sozialen und kulturellen Merkmalen der diskutierten Gesellschaftsformationen. Das gemeinsame Kennzeichen aller – allein für den Zweck dieser Studie – unter der soziologischen Schule zusammengefassten Ansätze besteht darin, dass sie, sosehr sie sich auch intern unterscheiden, in der Frage der Autonomie und Nicht-Reduzierbarkeit von ›Rasse‹ und Ethnizität als sozialen Merkmalen übereinstimmen. Für sie weisen ›Rasse‹ und Ethnizität spezifische Formen der Strukturierung und Effekte auf, die weder als bloße Oberflächenformen der Erscheinung ökonomischer Beziehungen wegerklärt, noch durch ihre Reduktion auf die ökonomische Determinationsebene theoretisch adäquat erfasst werden könnten.

Hier zeigt sich, dass beide Paradigmen einander entgegengesetzt sind und doch jeweils die Schwächen ihres Gegenübers korrigieren. Die erste Tendenz, ob marxistisch oder nicht, spricht der ökonomischen Ebene eine umfassende Determinationskraft zu. Sie verleiht damit der zu schwachen Zentrierung der ethnischen Studien einen harten Kern. Auf diese erste Akzentuierung antwortet die zweite Strömung direkt mit der Betonung soziologischer Aspekte. Sie zielt darauf, eine problemadäquate Komplexität in die simplifizierenden Schemata der ökonomischen Erklärung einzuführen und ein Abgleiten in ökonomischen Reduktionismus zu verhindern. Gesellschaftsformationen seien komplexe, aus mehreren verschiedenen, nicht aufeinander reduzierbaren Strukturen zusammengesetzte Ensembles. Erstere tendiert also zur Monokausalität in der Form, während Letztere betont pluralistisch, wenn nicht sogar explizit plural im theoretischen Sinne ist.

Diese Debatte reproduziert im Kleinen die größeren strategischen Auseinandersetzungen, die die Sozialwissenschaften in den letzten Jahren insgesamt kennzeichneten. Entwicklungen in diesem Feld – ob nun rassistisch strukturierte Gesellschaftsformationen ihr spezifischer Untersuchungs­gegenstand sind oder nicht – haben daher theoretische Effekte auf den spezielleren Forschungsbereich und führen zu Brüchen in den Paradigmen der ›soziologischen Rassetheorien‹. Die Debatte ist allerdings nicht ausschließlich eine theoretische. Unterschiede in der theoretischen Analyse und im Ansatz wirken sich auch auf die Strategien der politischen Umgestaltung in solchen Gesellschaften aus. Gibt man der ersten Tendenz weitgehend recht, dann ist das, was oft als ethnische oder ›Rassen‹-Konflikte erfahren und interpretiert wird, nur die Manifestation grundlegender ökonomischer Widersprüche, auf die sich die Politik der Transformation im Wesentlichen beziehen muss. Die zweite Tendenz lenkt dagegen die Aufmerksamkeit auf die aktuellen Formen und die Dynamik politischer Konflikte und sozialer Spannungen in solchen Gesellschaften – mit einem häufig ›rassischen‹ oder ethnischen Charakter. Sie zeigt die empirischen Schwierigkeiten auf, diese den klassischeren ökonomischen Konflikten zu subsumieren. Wenn aber ethnische Beziehungen nicht auf ökonomische reduzierbar sind, werden sie sich nicht notwendigerweise mit den ökonomischen ändern. Sie müssen daher im politischen Kampf in ihrer Spezifik und ihrem eigenen Gewicht als autonome Faktoren berücksichtigt werden.

Obwohl sie für eine Erklärung des spezifischen Werts dieser Theorien nicht ausreichen, stellen politische Verhältnisse eine Existenzbedingung für Theorie dar und wirken sich auf ihre Aneignung und Anwendung aus. Dies lässt sich für Lateinamerika und die Karibik deutlich zeigen: Das Zwei-Sektoren-Modell – basierend auf einem exportorientierten, importsubstituierenden und durch ausländische Investitionen gestützten Typ ökonomischer Entwicklung – stand Pate für eine lange und verheerende Periode nationaler ökonomischer Entwicklung, die in der Region die ökonomische Stellung eines Landes nach dem anderen untergrub. Die Modernisierungstheorie war lange die entwickeltste Konzeption von Strategien eines ›Bündnisses für den Fortschritt‹ auf dem Kontinent. Versionen der Dependenz-Schule förderten unter wieder anderen Bedingungen eine antiimperialistische, national-kapitalistische Entwicklung radikalen Typs. Die Theorien des Gegensatzes von Metropole und Peripherie von Gunder Frank und anderen wurden vor allem im Kontext der kubanischen Revolution und den Strategien der lateinamerikanischen Revolution entwickelt, wie sie von der Organisation Lateinamerikanischer Staaten erarbeitet und z. B. in den Resolutionen der ›Zweiten Erklärung von Havanna‹ (1962) vertreten wurden. Das ganze Feld liefert tatsächlich eine exzellente Fallstudie für die notwendigen Zusammenhänge zwischen Theorie, Politik und Ideologie in den Sozialwissenschaften.

Jede Strömung hat ihren rationalen Kern: Zwar dürfte es nicht möglich sein, ›Rasse‹ allein unter Bezug auf ökonomische Beziehungen zu erklären. Doch hat die erste Tendenz recht, wenn sie darauf insistiert, dass rassistische Strukturen außerhalb des Rahmens eines spezifischen Ensembles ökonomischer Beziehungen nicht adäquat verstanden werden können. Soll ›Rasse‹ nicht wie in einer allgemeinen Theorie des Vorurteils in der menschlichen Natur als einzigartig, einheitlich und transhistorisch verstanden werden, so dass sie, wo und wann auch immer sie erscheint, dieselben autonomen Merkmale aufweist – ein essenzialistisches Argument klassischen Typs –, dann muss ihre Spezifik in der Geschichte der modernen Welt richtig begriffen werden: Es zeigt sich, dass ›Rassen‹-Beziehungen (race relations) direkt mit ökonomischen Prozessen zusammenhängen: historisch mit den Epochen der Eroberung, der Kolonisierung und der merkantilistischen Beherrschung, aktuell mit den Beziehungen eines ›ungleichen Tauschs‹ zwischen den entwickelten Metropolen und den Satelliten-Regio­nen der Weltwirtschaft. Das Problem hier ist aber nicht, ob die ökonomischen Strukturen für ›rassische‹ Spaltungen relevant sind, sondern wie beide theoretisch verknüpft werden. Kann die ökonomische Ebene für die rassistischen Merkmale dieser Gesellschaftsformationen eine angemessene und ausreichende Erklärung liefern?

Hier meldet die zweite Tendenz ihren Vorbehalt an. Sie hat recht, wenn sie die Aufmerksamkeit auf solche Gesellschaftsformationen lenkt, die distinktive ›rassische‹ oder ethnische Charakteristika aufweisen. Das Problem hierbei ist, wie die Entstehung des ›Anderen‹ – die außerökonomischen Faktoren und ihre Stellung in der dynamischen Reproduktion der Gesellschaftsformationen – erklärt wird. Anhand dieser Probleme können wir die Schwächen genauer bestimmen, die durch die Umkehrungen, die jedes Paradigma gegenüber dem anderen vornimmt, verdunkelt werden. Während Ersteres dazu tendiert, alle Differenzen und Besonderheiten im Rahmen einer vereinfachenden ökonomischen Logik beherrschen zu wollen, so bleibt das zweite bei einem Ensemble pluraler Erklärungen stehen, die nicht adäquat theoretisiert, am Ende eher deskriptiv als analytisch sind. Dies ist natürlich eine sehr zugespitzte, vereinfachte Art, die Unterschiede festzuhalten. Es ist daher sinnvoll, das komplexe Terrain und die in diesem einfachen binären Modell eingeschlossenen Argumente genauer zu untersuchen.

Wir können den ersten Aspekt anhand der jüngeren Kontroversen um die Analyse der südafrikanischen Gesellschaftsformation verdeutlichen. Südafrika ist zweifellos ein ›Grenzfall‹ im theoretischen und ein ›Testfall‹ im politischen Sinne. Es ist vielleicht die Gesellschaftsformation, bei der die Bedeutung ›rassischer‹ Merkmale am wenigsten geleugnet werden kann. Ihre rassistischen Strukturen können nicht allein kulturellen oder ethnischen Differenzen zugeschrieben werden: Sie sind fest mit den Formen der politischen und ökonomischen Herrschaft, die sie strukturieren, verwoben. Auch kann es wenig Streit darüber geben, dass in dieser Gesellschaftsformation die kapitalistische Produktionsweise dominant ist: Südafrika ist der Sonderfall einer industriekapitalistischen Gesellschaftsformation, in der ›Rasse‹ ein artikulierendes Prinzip sozialer, politischer und ideologischer Strukturen darstellt und die durch das gleichzeitige Heranziehen von ›freier‹ und ›Zwangsarbeit‹ gestützt wird.

Daher behandelt ein wichtiger Teil der Literatur die rassistischen Aspekte der Gesellschaftsformation Südafrikas als im Wesentlichen durch die herrschenden ökonomischen Verhältnisse verursacht. Diese werden als Klassenverhältnisse im klassischen Sinn charakterisiert. Die Strukturierung der südafrikanischen Arbeiterschaft in schwarze und weiße Schichten wird analog zur ›Fraktionierung‹ der Arbeiterklasse, die man in allen kapitalistischen Gesellschaftsformationen findet, verstanden – mit dem einzigen Unterschied, dass hier ›Rasse‹ der Mechanismus ist, durch den die Stratifizierung der Klasse hervorgebracht wird. Es wird, wie Wolpe beobachtet hat, angenommen, dass die weiße und die schwarze Arbeiterklasse in einer im Wesentlichen identischen Beziehung zum Kapital stehen.

Daher folge die Dynamik der sozialen Beziehungen der Grundlogik des Klassenkampfs, die kapitalistische Produktionsverhältnisse in klassischer Form annehmen. Die ›rassischen‹ Spaltungen laufen auf »nichts anderes [hinaus] als die spezifische Form, die die allen kapitalistischen Produktionsweisen gemeinsame Fraktionierung der Arbeiterklasse in den süd­afrikanischen Gesellschaftsformationen angenommen hat.« (Wolpe 1976, 198)

Solche Analysen – Wolpe bezieht sich auf verschiedene Quellen – gehören tendenziell zu unserem ersten Paradigma. Mit einem solchen Ansatz lässt sich leicht eine unmittelbar entgegengesetzte ›soziologische‹ Analyse konfrontieren: Diese begreift ökonomische Klassenformationen als für die Analyse solcher sozialer und politischer Strukturen weitgehend irrelevant, in denen mehr als die Klasse die ›Rasse‹ den grundlegenden Faktor darstellt, der die Gesellschaft strukturiert und an dem sich soziale Konflikte entzünden (Kuper 1974, Van den Berghe 1965).

Viel bedeutender und auch viel schwerer in einen der beiden Ansätze einzuordnen ist das Werk von John Rex, der selbst Südafrikaner und ausgewiesener Soziologie ist. Rex hat nicht ausführlich an südafrikanischem Material gearbeitet. Aber seine, wenn auch notwendigerweise oft nur programmatischen Schriften repräsentieren den ›soziologischen‹ Ansatz auf besonders reichhaltige und komplexe Weise. Rex’ erster Aufsatz zum Thema South African Society in Comparative Perspective (1973) kritisiert gleich zu Beginn den Mangel sowohl einer strukturell-funktionalistischen als auch einer marxistischen Perspektive bei der Behandlung von ›Rasse‹ und Ethnizität in Südafrika. Ebenso kritisch verfährt er mit der ›pluralen‹ Theorie von Furnivall und Smith, auch wenn er ihr mehr Aufmerksamkeit schenkt. Nach Smith seien die verschiedenen ethnischen Segmente in der karibischen Gesellschaft ›vielfach‹ voneinander getrennt, sie würden nur dadurch zusammengehalten, dass eines der kulturellen Segmente die politische Macht monopolisiere: Dieses Machtmonopol sei die wesentliche Vorbedingung für die Erhaltung der gesamten Gesellschaft in ihrer gegenwärtigen Form. Dagegen argumentiert Rex korrekt, dass »die Dynamik der Gesellschaft darauf beruht, dass Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft in dieselben gesellschaftlichen Institutionen, wie z. B. die Plantagenwirtschaft mit Sklaven, einbezogen werden.« (Rex 1973, 261)

Dasselbe lässt sich über Versuche sagen, die das Paradigma der ›pluralen Gesellschaft‹ auf Südafrika übertragen wollen, ihre größte Aufmerksamkeit auf die kulturelle Segmentierung richten und allein in der Instanz des politischen Monopols einen Kohäsionsfaktor sehen.

Rex gründet seinen eigenen Ansatz auf dem signifikanten historischen Faktum der Differenz. Während der Kapitalismus im ›klassischen‹ Sinn durch die Ausdehnung von Marktbeziehungen auf der Grundlage einer Produktion durch ›freie Arbeit‹ errichtet wurde, wuchs er in Südafrika auf der Basis der Eroberung der Bantu-Völker und ihrer ökonomischen Eingliederung in Form ›unfreier Arbeit‹ »als Teil eines effizienten kapitalistischen Produktionssystems«. Die kapitalistische Produktionsweise sei hier unter sehr verschiedenen historischen ›Voraussetzungen‹ gegenüber denen entstanden, die aus einer allgemeinen, Marx nachgesagten Erklärung abgeleitet worden sind: die typischen Voraussetzungen für ›koloniale‹ Formatio­nen seien Eroberung und Kolonisierung als zentrale Merkmale, in diesen Gesellschaften werde »nicht einfach ein Klassenkampf durch die kapitalistische Entwicklung, sondern ein ›Rassenkrieg‹ durch die koloniale Eroberung ausgelöst« (Rex 1973, 262).

Rex legt viel Wert auf diese Unterscheidungsmerkmale, nämlich die »Fähigkeit der Arbeitgeber, während und nach der kolonialen Periode Zwangs­gewalt zu kommandieren und zu nutzen«, und die Tatsache, dass die »zentrale Institution der Arbeit« nicht klassische freie Arbeit, sondern »Wanderarbeit in ihrer unfreien Form« sei.

Indem Rex diese recht untypische ›zentrale Institution der Arbeit‹ zum Hauptelement seiner Analyse macht, gelingt es ihm, präziser die spezifischen ökonomischen Mechanismen zu umreißen, die der ›Eingliederung‹ der afrikanischen Arbeiterklasse in das kapitalistische System dienten, und zwar in Formen, die ihren segmentären ›rassischen‹ Charakter eher aufrechterhalten, als dass sie ihn vernichten. Die rassistische Struktur der südafrikanischen Gesellschaftsformation erhält dadurch konkrete ökonomische Existenzbedingungen – die Verbindung wird gerade durch ihre ›Eigentümlichkeit‹, ihre Abweichung vom klassischen kapitalistischen Weg nachweisbar. Rex verfolgt historisch die vielfältigen ökonomischen Formen dieser ›Unfreiheit‹: die ländlichen Reservate, das Arbeitslager, die Entstehung des dritten Elements eines Wanderarbeitssystems, die »städtische Ansiedlung der Eingeborenen«.

»Beinahe jede Form der afrikanischen Arbeit weist in gewissem Grad Gemeinsamkeiten mit dem Status des Lagerarbeiters und des Heimarbeiters auf. Alle unterliegen einer Herren-und-Diener-Gesetzgebung, keine ist wirklich frei, obwohl die Entwicklung eines verarbeitenden sekundären Sektors zu größerer Flexibilität der Löhne, längerfristiger Anstellung und daher stärkerer Berücksichtigung der Bedürfnisse des Arbeiters nach Verwandtschaft und Gemeinschaft führen dürfte.« (Rex 1973, 278)

Rex sieht in diesen spezifischen Unterschieden bei der Rekrutierung und im Status der Arbeit der Schwarzen die wesentlichen Operatoren, durch die der Arbeitskräftebedarf für die kapitalistische Industrie gesichert wird. Die ökonomischen Beziehungen seien damit eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für die rassistische Struktur der südafrikanischen Gesellschaftsformation. Diese werde auch durch ein ›nicht-normatives‹ Element – zum Beispiel politische und legale Faktoren – aufrechterhalten, das aus der politischen Herrschaft der weißen kapitalistischen Siedlerklasse und einem tragfähigen Kompromiss zwischen ihr und der weißen Arbeiterklasse herrühre, was dazu führe, dass beide von den Vorteilen profitierten, die eine Beschränkung der Eingeborenen auf einen untergeordneten Status auf dem Arbeitsmarkt mit sich bringt. Ein Kapitalismus, der solche irrationalen Merkmale, anstatt sie abzuschaffen, aufrechterhalte, könne im Kontext der klassischen kapitalistischen Entwicklungslinie nur als ›abweichender Fall‹ gelten.

Hier werden ›soziale‹ Faktoren nicht einfach gegen ›ökonomische‹ gesetzt. Rex ist nicht vorzuwerfen, dass er die Ebene der ökonomischen Beziehungen vernachlässigt habe, wie es viele ›Kulturalisten‹ tun. Gerade sein Interesse an der Formspezifik der ökonomischen Beziehungen im spezifischen Fall Südafrikas ermöglicht es ihm, einige grundlegende Merkmale dieser Gesellschaftsformation zu begreifen, die gleichzeitig klar als ›kapitalistisch‹ identifiziert werden kann und sich dennoch in ihrer Struktur vom ›kapitalistischen Typ‹ der sozialen Entwicklung – wie sie sich mancher Leser der marxistischen Literatur ableitete – deutlich unterscheidet. Sein Interesse an der ›zentralen Einrichtung der Arbeit‹ lässt ihn in den Vordergrund stellen, was Marx in einem anderen Kontext die differentia specifica genannt hat – als Basis für eine, wie er es nannte, ›verständige‹ historisch-spezifische Abstraktion: »Gerade das, was ihre Entwicklung ausmacht, [ist] der Unterschied von diesem Allgemeinen und Gemeinsamen. Die Bestimmungen, die für die Produktion überhaupt gelten, müssen gesondert werden, damit über der Einheit … ihre wesentliche Verschiedenheit nicht vergessen wird.« (MEW 13, 617)

Auch die Klassenbeziehungen und den Klassenkampf vernachlässigt Rex nicht. Er weist den segmentären Zugang des ›Pluralismus‹ besonders deutlich zurück: »Wenn es Spaltungen gibt, so sind diese funktional in das übergreifende Modell des politischen Konflikts integriert, der durch die kapitalistische Entwicklung des Landes seit der Minenfunde von 1867 und 1886 ausgelöst wurde.« (Rex 1973, 282)

Die ›Revision‹ besteht bei Rex eher in der Weigerung, die Klassenkonflikte unter die universelle und einheitliche Form ›kapitalistischer Klassenverhältnisse‹ im Allgemeinen zu subsumieren: »Was hier vorliegt, kann in Begriffen eines universellen marxistischen Gesetzes von Klassenkampf nicht adäquat interpretiert werden; eine spezifische Art des Klassenkampfs gibt es dort jedoch zweifellos. Als Klassen können Gruppen mit unterschiedlichen Rechten bzw. Graden der Rechtlosigkeit gefasst werden, die ihnen früher durch die Eroberung und die Unfreiheit aufgezwungen wurden. Wie im Fall der anderen ehemaligen Kolonialgesellschaften sind in Südafrika Geschichte, Struktur und Formen der sozialen Differenzierung (d. h. ihr rassistischer Charakter, S. Hall) das Resultat einer solchen Eroberung und Unfreiheit.« (Rex 1973, 282)

Als die beiden entscheidenden begrifflichen Instrumentarien organisieren ›Eroberung‹ und ›unfreie Arbeit‹ Rex’ Analyse. Der Ursprung der kapitalistischen Produktionsweise in Bedingungen der Eroberung, gepaart mit den ›eigentümlichen Institutionen‹ der unfreien Arbeit, erhält so, auf der ökonomischen Ebene, die ›rassisch‹ zuschreibbaren Merkmale und verleiht ihnen Dauer. Dies ist ein sehr spezifischer und unterscheidbarer Kapitalismus: »Es gibt eine Reihe verschiedener Beziehungen zu den Produktionsmitteln, die subtiler ist, als sie in Begriffen einer Unterscheidung zwischen Eigentümern und Nicht-Eigentümern verstanden werden könnte« (Rex 1973, 264), jede von ihnen »bringt spezifische Klassensituationen hervor«, »ein ganzes Spektrum von Klassensituationen«. Die Analyse beginnt daher mit der ökonomischen Ebene, aber sie weicht vom klassischen Typus ab.

Daneben gibt es jedoch andere Verhältnisse, die nicht den ›sozialen Produktionsverhältnissen‹ zugeordnet werden können und Unterscheidungen auf der Ebene von Kulturen und Werten einschließen: Diese werden durch die Trennung der ökonomischen von der politischen Macht, die allein die Weißen kontrollieren, hergestellt und durch institutionelle Strukturen wie z. B. das Erziehungssystem und die politischen Strukturen der Bantus aufrechterhalten. Die hieraus resultierenden Gruppenkonflikte unterscheiden sich von Konflikten um ›die Kontrolle über die Produktionsmittel‹. Rex analysiert daher nun die Position verschiedener sozialer Gruppen – der afrikanischen ›Mittelklasse‹, der Cape Coloured, der indischen Händler –, die nicht einfach der vorhergehenden ökonomischen Analyse zugeordnet werden können. Viele Merkmale einer Südafrika zugeschriebenen ›geschlossenen‹ Struktur der sozialen Beziehungen ergeben sich hieraus.

Rex’ Skizze über ethnische Beziehungen in Lateinamerika und der Karibik (1978) beginnt mit einem ähnlichen Abriss »der Grundformen der ökonomischen Ausbeutung, die unter kolonialen Bedingungen« unter Einschluss »anderer möglicher Typen kapitalistischer und nicht kapitalistischer Ausbeutung und Akkumulation« entstehen können. In diesem Beispiel reicht das Spektrum der Formen ›unfreier‹ oder ›halbfreier‹ Arbeit von der encomienda[1]Sklaverei und dem Plantagensystem bis zur Herausbildung einer Schicht ›abhängiger Bauern‹. Ihr entspricht eine vergleichbare Bandbreite der sozialen Schichten – ›Siedler‹, Gruppen von Händlern mit Paria-Status, Zwischenhändler, Kaziken, Missionare und Verwaltungsbeamte. In ihrer allgemeinen Form ähnelt die Argumentation der des südafrikanischen Falls: »Einige dieser Gruppen stehen einander als Klassen im marxschen Sinne gegenüber. Jede bildet jedoch eine relativ geschlossene Gruppe mit ihren eigenen spezifischen kulturellen Merkmalen und sozialen Organisationsformen. Insgesamt erscheint die Überschneidung und wechselseitige Durchdringung der sozialen Gruppen als so groß, dass es nicht gerechtfertigt ist, von einem Kastensystem zu sprechen, gleichzeitig ist aber die soziale Mobilität so stark eingeschränkt, dass wir es auch kein System sozialer Stratifikation nennen können. Das System ist viel zu komplex und schließt einander überlagernde Produktionsweisen ein, als dass es als eine Situation des Klassenkampfs im marxschen Sinne beschreibbar wäre. Alle diese Aspekte müssen uns bewusst sein, wenn wir von einem kolonia­len System sozialer Stratifikation sprechen.« (Rex 1978, 30)

Wenn wir dieses Modell auf einer allgemeinen theoretischen Ebene untersuchen, können wir als seine Basis eine sehr spezifische theoretische Revision erkennen. Ohne unzulässig zu vereinfachen, verbindet es Elemente eines marxistischen und eines weberianischen Ansatzes. Das Terrain der Synthese ist jedoch überwiegend durch Weber bestimmt. Dies nicht deshalb, weil Rex seinen eigenen Ansatz permanent von einer Position abgrenzt, die er als eine inadäquate und vereinfachende Anwendung des ›marxistischen Gesetzes des Klassenkampfes‹ ansieht. Vielmehr möchte ich damit die begriffliche Struktur der Revisionen von Rex charakterisieren. Seine Analyse vollzieht sich theoretisch in zwei verschiedenen, einander ergänzenden Schritten.

Zuerst distanziert er sich von dem, was er als ›klassischen‹ marxistischen Ansatz definiert: Dieses Erklärungsmodell postuliere, dass alle verschiedenen Konfliktfälle unter den Klassenkampf subsumierbar sind und von ihm dominiert werden. Klassen würden durch ihre ökonomische Stellung nach der Unterscheidung zwischen ›Eigentümern und Nicht-Eigentümern‹ der Produktionsmittel recht ungenau definiert. Es seien ökonomische Gruppen ›an sich‹, die zunächst ihre speziellen Klasseninteressen in Situationen des Wettbewerbs auf einem Markt verfolgten, aber mit Hilfe des Klassenkampfs zu ›Klassen für sich‹ organisiert werden könnten. Der marxistische Ansatz wird hier mit einem ganzen Ensemble von Aussagen über die Form, den Weg und die Logik der kapitalistischen Entwicklung gleichgesetzt. In der klassischen Form trete der freie Arbeiter dem Kapitalisten auf dem Arbeitsmarkt gegenüber: »[Kapital] entsteht nur, wo der Besitzer von Produktions- und Lebensmitteln den freien Arbeiter als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf dem Markt vorfindet, und diese eine historische Bedingung umschließt eine Weltgeschichte.« (MEW 23, 184)

Nach dem klassischen Gang der Entwicklung werde dieser Kampf zwischen Besitzern und Nicht-Besitzern zum typischen, dominierenden und determinierenden Beziehungsgefüge in allen kapitalistisch dominierten Gesellschaftsformationen. In der klassischen Logik gewinne schließlich die ›ökonomische Rationalität‹ der kapitalistischen Marktverhältnisse früher oder später über alle Verhältnisse aus früheren und jetzt verdrängten Produktionsweisen die Oberhand und transformiere sie so, dass sie sich in der Macht kapitalistischer Verhältnisse verfangen. Von dieser klassischen Erklärung distanziert sich Rex: Für die entscheidenden Unterschiede in gegenwärtigen Gesellschaftsformationen gebe dieses Modell gerade keine Erklärung. Zwar räumt Rex ein, dass es dort, wo Kapitalismus dominiert, auch ökonomische Kämpfe kapitalistischen Typs – Klassenkämpfe – gibt. Gesellschaftsformationen kolonialen Typs wiesen jedoch andersartige Formen auf, schlügen einen anderen Entwicklungsweg ein und gehorchten einer anderen Logik. Außerdem gebe es in solchen Gesellschaften andere strukturelle Beziehungen, die sich nicht mit den Klassenbeziehungen klassischen kapitalistischen Typs deckten.

Der zweite Schritt besteht in der Wiedereingliederung dieser Probleme im Rahmen eines ›klassischen‹ Weberianismus. Allerdings unterscheidet sich Rex hier unserer Ansicht nach von denen, die Webers Methode nur deshalb gegen Marx reklamieren, um den Blick statt auf ökonomisch-strukturelle Merkmale auf ›Überbau‹-Phänomene richten zu können. Rex geht dagegen von der oft vergessenen Seite in Webers Werk aus, in der ausführlich ökonomische Beziehungen und natürlich – als ein möglicher Typ in diesem Spektrum – der kapitalistische Rassenkonflikt behandelt werden. Diese Akzentuierung ist entscheidend, weil sie Rex erlaubt, die marxsche Analyse der Klassenbeziehungen als einen begrenzten Fall unter ein umfassenderes Spektrum ökonomischer Beziehungen, die als Ensemble von ›Idealtypen‹ definiert werden, zu subsumieren. Um die eigentümlichen Merkmale von Gesellschaftsformationen zu erklären, in denen die von Marx unterstellte klassische kapitalistische Struktur nicht klar hervortritt, lassen sich mit diesem Ansatz auch andere ökonomische Beziehungen begrifflich fassen: Weber beschrieb ökonomische Klassenkonflikte als einen Typus innerhalb eines Spektrums möglicher Marktbeziehungen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass verschiedenartig zusammengesetzte Gruppen miteinander konkurrieren. Für Weber überlagern sich diese verschiedenen Marktbeziehungen jedoch nicht in einer Weise, die es erlauben würde, von einer allgemeinen Form des Klassenkampfs zu sprechen. Gruppen, die im Kampf um Prestige und Status konkurrieren, müssen nicht mit denen identisch sein, die um Macht oder knappe Ressourcen wetteifern. In seiner Arbeit über Einwanderung und Wohnverhältnisse unterscheidet Rex zwischen und innerhalb von Gruppen in Begriffen der Stratifizierung des Wohnungsmarkts; dieser dient ihm als Kriterium zur Bestimmung eines Ensembles verschiedener ›Klassen im Bereich des Wohnens‹ (housing classes). Hieraus folgt, dass die jeweils in einer bestimmten Marktsituation dominierenden Gruppen keinerlei kohärenten Zusammenhang bilden, der mit dem Phänomen einer einzigen herrschenden Klasse im marxschen Sinne vergleichbar wäre. So ergibt sich, ausgehend vom jeweiligen empirischen Fall, ein ganzes Spektrum idealtypischer Marktsituationen, deren Summe die Gesellschaftsformation konstituiert. Dies bedeutet nicht, dass die Analyse die Frage der Ausbeutung ausschließt. Sie ist aber kein allgemeines Merkmal, sondern muss in jedem einzelnen Fall spezifiziert werden. Dieser mit Marx ›korrigierte‹ Weber bildet die theoretische Basis der von Rex vorgeschlagenen Synthese.

Dieser einflussreiche spezifische ›linke Weberianismus‹ wird von vielen als Lösung für die begrenzte und einseitige Form der marxschen Erklärung angesehen. Er beschränkt sich jedoch nicht ausschließlich auf jene, die sich gegen den ›Totalismus‹ der marxschen Erklärungsmodelle wandten. Selbst marxistische Theoretiker greifen auf einen gewissermaßen theoretisch unreflektierten Weberianismus zurück, wenn sie politische und ideologische Strukturen in eine ökonomische Analyse marxistischer Art integrieren (vgl. McLennan 1976 und Schwarz 1978). Dies ist manchmal sogar im Werk eines so eindeutig als Marxist ausgewiesenen Wirtschaftshistorikers wie Maurice Dobb der Fall. Eine solche ›theoretische Konvergenz‹ resultiert aus Argumentationen, deren Ausgangspunkt manchmal der marxsche, manchmal der webersche Pol der Debatte ist.

Bezeichnenderweise stellt Rex an einer Stelle sowohl Marx als auch Weber in Frage – dort, wo beide scheinbar zufällig darin übereinstimmen, dass »freie Arbeit die einzige Form von Arbeit war, die auf lange Sicht mit der Logik des rationalen Kapitalismus vereinbar war.« (Rex 1973, 273)

Rex greift dieses Argument, das in seiner spezifisch idealtypischen Definition der ›kapitalistischen Rationalität‹ auf Weber und in seiner historischen Analyse eines ›typischen‹ Wegs der kapitalistischen Entwicklung auf Marx rekurriert, an beiden Fronten an. In Gesellschaftsformationen ›spezifisch kolonialen Typs‹ ließen sich oft historische Abweichungen von diesem Formtyp finden. Hier erwiesen sich die Eroberung und eine Vielfalt von Formen unfreier Arbeit (die auf offensichtlich irrationalen Formen wie denen von zugeschriebenen Rassenunterschieden beruhen) als mögliche Existenzbedingungen für die Entstehung und Entwicklung einer ›effizienten‹ kapitalistischen Produktionsweise. Dieser analytischen Unterscheidung liegt zweifellos ein Stück Theoriepolitik zugrunde: die Zurückweisung des Eurozentrismus im Marxismus, der für Westeuropa spezifische Entwicklungsformen, -wege und -logiken (besonders natürlich den englischen Fall, der die Grundlage für die Analyse des Kapitals bildet) in illegitimer Weise verallgemeinerte und auf andere Gesellschaftsformationen übertrug.

Mit dieser wichtigen Charakterisierung können wir jetzt die dominante Tendenz dieser Synthese bestimmen: »Ein Problem bei der Übernahme von Ausdrücken wie ›Kaste‹ und ›Stand‹ … ist natürlich, dass bei allen diesen Begriffen scheinbar weggelassen wird, was für die marxistische Definition der Klasse wesentlich ist, nämlich die Beziehungen zu den Produktionsmitteln. Das hier vorgeschlagene Modell entfernt sich jedoch vom einfachen Marxismus in einem doppelten Sinn: Erstens erkennt es an, dass es auf der Ebene der Beziehungen zu den Produktionsmitteln eine größere Zahl möglicher Positionen und Potenziale für eine Klassenbildung gibt, als es der einfache europäische Marxismus zu erlauben scheint; zweitens geht es davon aus, dass oberhalb der gegenwärtig vorhandenen Produktionsmittel und über sie hinaus eine Reihe sozialer Funktionen und Positionen existieren, die durch geschlossene Gruppen angeeignet werden, welche dann eigene Interessen und eine eigene Machtposition gegenüber der Gesellschaft insgesamt entwickeln. Wird diese theoretische Position nach dem Muster ›Marx plus Weber‹ auf die Politik übertragen, ergibt sich ein Argument von der Art ›Marx plus Fanon‹.« (Rex 1978, 23f., 45)

Die hier umrissene Position ist in ihrer Anwendung auf Südafrika kritisiert worden. Wolpe zum Beispiel hebt hervor, dass die Unterscheidung zwischen ›freier‹ und ›Zwangsarbeit‹ keine angemessene Form ist, die Produktionsverhältnisse einer kapitalistischen Gesellschaftsformation begrifflich zu fassen. Schon für Marx sei ›freie Arbeit‹ sogar in ihrer klassischen Form nur in einem sehr speziellen und formalen Sinne frei; sie unterliege dem ökonomischen Zwang, die Arbeitskraft als Ware zu verkaufen. Das Begriffspaar frei/unfrei sei zwar im südafrikanischen Fall ein wirkungsvolles Mittel, um zwischen den verschiedenen Zwängen zu unterscheiden, die die Verfügbarkeit weißer und schwarzer Arbeit auf dem Markt strukturieren, aber theoretisch nicht stark genug, die Beziehung der schwarzen Arbeit zur kapitalistischen Produktion mit einem eigenen Begriff zu fassen: »Jede Arbeitskraft ist in gewisser Weise und in gewissem Grad unfrei, wobei der Typ, die Abstufung oder das Kontinuum der Grade der Unfreiheit ›nur‹ die Intensität der Ausbeutung, aber nicht ihren Modus berühren.« (Wolpe 1976, 203)

Zweitens enthalte diese Unterscheidung nicht mehr das, was für Marx zentral zu den ›Produktionsverhältnissen‹ gehört, nämlich die Art der Aneignung von Mehrarbeit. Drittens trenne ein solcher Zugang den Arbeitsmarkt und seine Zwänge vom System der eigentlichen Produktionsbeziehungen ab, die bei einer marxistischen Analyse im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen müssten. Da viertens eine angemessene Theoretisierung auf der Ebene der Produktionsweise fehle, lasse uns Rex mit einer politischen und ideologischen Klassendefinition zurück, die zu schnell zu einer Gleichsetzung mit den wichtigsten ›rassischen‹ Gruppierungen führe. Eine genaue Analyse der Position der weißen und der schwarzen Arbeiterklasse in Südafrika erlaube es uns nicht, »rassische Gruppen« als »in ihrer Klassenzusammensetzung homogen zu behandeln«, weder hinsichtlich ihrer komplexen Beziehungen zur kapitalistischen Produktion noch in ihren internen Stratifizierungen. Wolpe greift hier auf Carchedis jüngere Arbeit über die Identifizierung der sozialen Klassen zurück, um sogar die ›Funktionen‹ der weißen Arbeiterklasse gegenüber dem Kapital als nicht homogen zu beschreiben. Fünftens könnten politische und ideologische Positionen nicht en bloc den auf der ökonomischen Ebene definierten Klassen zugeschrieben werden: »Eine soziale Klasse, eine Fraktion oder das Stratum einer Klasse können eine Klassenposition einnehmen, die nicht ihren Klasseninteressen entspricht, so wie diese durch ihre Klassenbestimmung und den durch sie abgesteckten Horizont des Klassenkampfes definiert werden.« (Carchedi 1975, 15)

Hieraus entwickelt Wolpe das allgemeinere Argument, dass die Analyse der Klassen und des Klassenkampfs statt von politischen und ideologischen Kriterien von der Ebene der Produktionsverhältnisse ausgehen müsste, auch wenn Politik und Ideologie ihre spezifischen Formen ›relativer Autonomie‹ hätten, die nicht der Stellung einer Klasse oder Klassenfraktion in den Produktionsverhältnissen zugeschrieben werden könnten.

Ich möchte die Verdienste dieser Argumente für den südafrikanischen Fall nicht im Detail beurteilen, sondern anhand dieser Debatte die Grundlage für ein allgemeineres Argument legen. Auch wenn Rex’ Argumente nicht vollständig befriedigen können, sind sie dem, was er ›simplen Marxismus‹ nennt, klar überlegen; dies muss auch Wolpe ihm zugestehen. Gegenüber manchen Schwächen und Lücken in der herrschenden Anwendungsweise des klassischen marxistischen Paradigmas stellen sie wirkliche theoretische Gewinne dar. Diese Gewinne sind auch dann nicht hinfällig, wenn mit Recht darauf hingewiesen wird, dass Rex Marx manchmal falsch und seine tatsächliche theoretische Leistungsfähigkeit mangelhaft darstellt. Zweitens zeigt Wolpes Antwort, dass diese Schwächen nur ›korrigiert‹ werden können, indem die große Linie des marxistischen Ansatzes zwar beibehalten, aber ihre herrschende Anwendungsweise signifikant modifiziert wird: durch einen exakteren und strengeren Rekurs auf die marxsche Methode (die im Lauf der Zeit einer starken theoretischen Vereinfachung und Verarmung unterlag) und unter Einbeziehung von Aspekten und Argumenten, die nicht im Widerspruch zu Marx stehen, aber bei der bisherigen Anwendung seiner Methode auf die eigentümlichen Merkmale von kolonialen und postkolonialen Gesellschaftsformationen kaum berücksichtigt wurden. Genau um eine solche substanziell neue Anwendung der marxistischen Analyseverfahren geht es in diesem Aufsatz. – Wolpe erkennt zumindest an, dass Rex »recht hatte, auf der Notwendigkeit einer umfassenderen und verfeinerten Konzeptualisierung der Klasse zu beharren, als durch den bloßen Hinweis auf Eigentumsverhältnisse erreicht wurde.« (1976, 201)

Dann müsse aber auch die Aufmerksamkeit von den »Marktbeziehungen und den Zwängen des Arbeitsangebots« weg und auf eine vollere Analyse der Produktionsverhältnisse und der ›Produktionsweise‹ gerichtet werden. Er erkennt an, dass sich Rex zu Recht auf die einschlägigen Unterschiede in den Bedingungen konzentrierte, die sich auf das Eintreten der ›schwarzen‹ und der ›weißen‹ Arbeit in den Arbeitsmarkt auswirken. Nur werde die Unterscheidung von freier und unfreier Arbeit zu scharf und einfach angewandt. Er gibt auch zu, dass Rex mit seinem Hinweis auf die Form des »politischen Kompromisses« zwischen weißer Kapitalisten- und weißen Arbeiterklassen und die daraus folgenden »überwachenden und polizeilichen« Funktionen der weißen gegenüber der schwarzen Arbeit einen Aspekt von großem theoretischem Interesse herausgestellt hat. Hieraus folgt, dass einfache politische Rezepte, wie der Appell an die ›weiße‹ und ›schwarze‹ Arbeit, ihre Differenzen ruhen zu lassen und einen gemeinsamen und allgemeinen Klassenkampf gegen das Kapital zu führen, jener berühmte Appell ›zur Einheit und zum Kampf‹, abstrakte politische Forderungen und außerdem theoretisch nicht solide begründet sind, weil sie nicht in angemessener Weise die strukturell verschiedenen Beziehungen begreifen, in denen ›weiße‹ und ›schwarze‹ Arbeit zum Kapital stehen.

Dennoch ist Wolpe wohl nicht weit genug gegangen. Dies führt uns, wenn auch nur implizit, zu einem weiterreichenden Argument: Für Rex zeigt das südafrikanische Gesellschaftssystem keine starken oder ›unausweichlichen‹ Tendenzen in Richtung auf eine Anpassung an die ›rationaleren‹ Formen der ›freien‹ Arbeit, was nach Marx eine notwendige Vorbedingung für die Errichtung und Reproduktion der kapitalistischen Produktionsweise ist. Die ›rassische‹ Fraktionierung der südafrikanischen Arbeiterklassen habe eine wirkliche und substanzielle Grundlage mit entsprechenden Wirkungen auf der ökonomischen, politischen und ideologischen Ebene. Rex weist damit auf die Notwendigkeit hin, die ›kapitalistische Produktionsweise‹ so zu definieren, dass mit ihr auch »andere Typen kapitalistischer und nicht-kapitalistischer Ausbeutung und Akkumulation« adäquat gefasst werden können – ein ›kapitalistisches‹ System also, das recht stabil auf anderen Formen als denen der traditionell freien und mobilen Arbeit gegründet ist. Diese Formulierung mag am Ende als zu deskriptiv kritisiert werden. Sie weicht einer notwendigen genaueren Bestimmung der Artikulationsmechanismen und der Dominanzformen zwischen diesen verschiedenen ›Typen‹ aus. Doch ist es Rex wieder einmal deutlich gelungen, eine Analyse in Frage zu stellen, die einen unbezweifelbaren, allgemeinen und notwendigen klassischen Weg kapitalistischer Entwicklung mit einer klassischen und irreversiblen Abfolge von Entwicklungsschritten behauptete. Damit stellt er eine teleologische und evolutionäre Interpretation in Frage, die die Lektüre von Marx’ Arbeiten über die notwendigen Vorbedingungen für eine optimale Entwicklungslinie der kapitalistischen Produktionsweise bestimmte – beginnend mit der berühmten Formulierung des Kommunistischen Manifests, dass »die Bourgeoisie … alle Nationen bei Strafe des Untergangs zwingt, die bürgerliche Produktionsweise zu übernehmen … sie erschafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde« (MEW 4, 466), bis zur legendären Diskussion über die ›Stufenfolge‹, die oft aus dem Abschnitt über die ›vorkapitalistischen sogenannten Formen‹ (i. O. deutsch) in den Grundrissen abgeleitet wurde. Aufgrund dieser teleologischen Form der Ableitung spielten in den Versionen der marxistischen Theorie, die auf nach-koloniale Gesellschaften angewandt werden, weder das Faktum der Eroberung noch die sehr verschiedenen Bedingungen, in denen soziale Schichten aus der Zeit vor der Eroberung in die kapitalistische Produk­tionsweise eingegliedert wurden, eine zentrale Rolle.

So viel zu den Gewinnen, die die Kritik von Rex an einem allzu vereinfachten Marxismus darstellt. Ich möchte jetzt zeigen, wie gegenwärtige marxistische Theorieansätze durch ihre eigene Kritik an dem, was früher als ›klassischer‹ oder orthodoxer Marxismus galt, einige der Schwächen zu korrigieren begannen, auf die die Kritiker des Reduktionismus zu Recht hinwiesen. Wir beginnen mit den Arbeiten von André Gunder Frank über Lateinamerika und neueren Kritiken an diesen Arbeiten aus einer transformierten marxistischen Perspektive.

[…] André Gunder Frank wandte sich gegen die dominante und prägende Schule der ›Dependenz‹-Theoretiker, die sich um die 1948 gegründete UN-Wirtschafts-Kommission für Lateinamerika (CEPAL) gruppiert hatte. Diese Schule beharrte im Gegensatz zu früheren entwicklungsorientierten Modellen darauf, dass Entwicklung und Unterentwicklung innerhalb eines einzigen Rahmens, nämlich dem des Weltwirtschaftssystems, behandelt werden müssten. Die ›unterentwickelten‹ Länder seien die abhängigen Sektoren einer solchen Weltwirtschaft; die Theorie der Unterentwicklung erweise sich im Wesentlichen als eine Theorie der Abhängigkeit (Furtado 1971). Diesen weltwirtschaftlichen Rahmen als Ausgangspunkt hatten sie mit den Autoren gemeinsam, die moderne Aspekte der kapitalistischen Entwicklung im Weltmaßstab in Begriffen einer ›Imperialismustheorie‹ behandelten (Lenin, Luxemburg, Hilferding und Bucharin). Die CEPAL-Theoretiker schenkten jedoch den Wirkungen dieses Weltsystems auf die Peripherie größere Aufmerksamkeit als die ›Klassiker‹. Sie waren nicht notwendigerweise in irgendeinem anderen Sinn marxistisch. Sie argumentierten, dass durch diese allgemeinen Abhängigkeitsverhältnisse interne Strukturen entstanden seien, die eine, wie sie es nannten, ›abhängige kapitalistische Entwicklung‹ und die Entstehung von Klassen in den Sektoren förderten, die in enger Beziehung zur imperialistischen Kette standen, während sie andere Sektoren, unter ihnen die große Masse der Bevölkerung und besonders die Bauern, marginalisierten. Zur Überwindung dieses von außen eingeführten Ungleichgewichts der Sektoren propagierte die ›Schule‹ allerdings eine Vielfalt verschiedener Strategien – oft eher technisch-ökonomischer als politischer Art.

Frank sieht mit den Dependenztheoretikern die Notwendigkeit, von einem kapitalistischen Weltsystem auszugehen, in dem Entwicklung und Unterentwicklung in einer strukturellen Beziehung stehen. Er argumentiert jedoch explizit gegen ein genuines, endogenes, sozusagen national-bürgerliches Programm ökonomischer Entwicklung als möglichen Weg für Lateinamerika, das Stadium der ökonomischen Abhängigkeit zu überwinden. Er stützt dieses Argument durch eine Ausgangsthese, die uns auf die zuvor gestellten Probleme zurückführt: Lateinamerika sei seit der Periode der Eroberung durch die europäischen Mächte im sechzehnten Jahrhundert vollständig in die kapitalistischen Weltmarktbeziehungen eingegliedert gewesen. Seine Unterentwicklung rühre gerade von dieser abhängigen Form seiner frühen Eingliederung in den kapitalistischen Weltmarkt her. Implizit ist in dieser These die Ansicht enthalten, dass es zwischen den mehr oder weniger entwickelten Sektoren dieser abhängigen Gesellschaftsformationen keine strukturellen Differenzen mehr gibt. ›Abhängigkeit‹ sei in dieser Region kein neueres Phänomen, sondern nur die letzte Form eines langwierigen Prozesses der ›Satellitenbildung‹ der lateinamerikanischen Ökonomien im Rahmen der imperialistischen Wirtschaftsbeziehungen. Diese jahrhundertelange Expansion des kapitalistischen Systems habe sogar die abgelegensten Teile der unterentwickelten Welt wirksam und vollständig durchdrungen (Frank 1969).

Entscheidend für das Verständnis dieses kapitalistischen Prozesses der Durchdringung und Untergrabung, der zur strukturellen Koppelung von Entwicklung und Unterentwicklung geführt hatte, war die Vorstellung eines einzigen Kontinuums – der »Polarisierung von Metropole und Satelliten«: »ein und derselbe Prozess der Ausdehnung und Entwicklung des Kapitalismus«, der weiterhin »sowohl wirtschaftliche Entwicklung und strukturelle Unterentwicklung« (Frank 1969, 28) hervorbringe: »Gerade diese ausbeuterische Struktur ist es, die kettengleich den kapitalistischen Konnex zwischen der kapitalistischen Welt und den nationalen Metropolen bis zu den regionalen Zentren … ausdehnt, und von diesen weiter bis zu den lokalen Zentren, und so fort bis zu den Großgrundbesitzern oder Kaufleuten, die das Mehrprodukt von den kleinen Bauern und Pächtern abpressen, und manchmal sogar bis hin zu den landlosen Arbeitern, die wiederum von Letzteren ausgebeutet werden.« (Frank 1969, 26)

Die stärkste Kritik an Franks Arbeit leistet Ernesto Laclau in Feudalismus und Kapitalismus in Lateinamerika (1981). Er wendet sich gegen Franks Behauptung, Lateinamerika sei »von Anfang an kapitalistisch gewesen« – ein einziger Prozess, der für Frank »in allen seinen Aspekten vom sechzehnten bis zum zwanzigsten Jahrhundert identisch« gewesen sei. Laclau kritisiert zunächst Franks Vorstellung von ›Kapitalismus‹. Frank definiere diesen als System der Produktion für einen Markt, dessen treibende Kraft der Profit bilde. Dies weiche fundamental von Marx’ Konzept der Produktionsweise ab, insoweit es mit Marx’ grundsätzlichen Kriterien für die Definition einer Produktionsweise breche – den Produktionsverhältnissen. Dieser ›Irrtum‹ führe Frank zu der Auffassung, dass überall, wo Kapital­akkumulation stattfinde, Marx’ ›Gesetz‹ – die schnelle und unausweichliche Transformation der Gesellschaftsformation durch kapitalistische Beziehungen – folgen müsse. Laclau zeigt jedoch, dass für Marx die Akkumulation des Handelskapitals mit den verschiedenartigsten Produktionsweisen völlig vereinbar ist und dass es in keiner Weise die Existenz einer kapitalistischen Produktionsweise voraussetzt: »Nicht nur der Handel, sondern auch das Handelskapital ist aber älter als die kapitalistische Produktionsweise, ist in der Tat die historisch älteste freie Existenzweise des Kapitals.« (MEW 25, 337)

Dies führt Laclau zu einer weiteren Kritik in Bezug auf Franks Mangel an historischer Spezifik – wenn so verschiedene Ausbeutungsverhältnisse wie die chilenischen inquilinos, die ecuadorianischen huasipungeros[2], karibische Plantagensklaven und Textilarbeiter in Manchester für alle praktischen Absichten unter einer Beziehung zusammengefasst und zu ›kapitalistischen‹ erklärt werden.

Dasselbe lässt sich über den verwickelten Fall der Plantagensklaverei in der Neuen Welt sagen. Diese Debatte zieht sich schon eine Weile hin und ist immer noch ungelöst. Philipps (1969) – der trotz seines offensiven Anti-­Sklaven-Standpunkts Genovese zu Recht für seine richtungweisende Analyse der politischen Ökonomie der Sklaverei lobte – argumentierte vor längerer Zeit, dass die Plantagensklaverei eine Form des Kapitalismus gewesen sei. Hiergegen wandte sich Genovese (1977) mit der These, dass die Sklaverei ein charakteristisches eigenes Ensemble von Ausbeutungsbeziehungen bilde – eine »herrschaftliche Gesellschaft«, die »eine einzigartige Gesellschaft, weder feudal … noch kapitalistisch«, hervorbrachte. Hindess und Hirst (1977) bestimmten die Plantagensklaverei anhand vor allem formaler Kriterien als eine eigene ›Produktionsweise‹. Dagegen konzentrierten sich zuerst Williams (1966), dann neben anderen Genovese (1971) und Banaji (1977) auf die Beziehung zwischen der Plantagensklaverei – was auch immer ihre charakteristische ›Produktionsweise‹ war – und der kapitalistischen Weltwirtschaft. Fogel und Engerman (1974) beschrieben schließlich die Sklaverei als eine profitable Form der »kapitalistischen Landwirtschaft«.

Frank zitiert eine Beobachtung von Marx aus den Theorien über den Mehrwert, in der er die Plantagen als »spekulative Handelsgeschäfte, Zentren der Produktion für den Weltmarkt« beschreibt – als Beweis dafür, dass Marx sie ebenfalls als ›kapitalistisch‹ ansah. Laclau erinnert uns jedoch daran, dass Marx treffend hinzufügte: »wenn auch nur in formeller Weise«. Tatsächlich argumentiert nämlich Marx genau entgegengesetzt zu Frank: Er besteht darauf, dass die Plantagensklaverei nur ›formell‹ kapitalistisch sein konnte, »da die Negersklaverei freie Lohnarbeit, also die Grundlage der kapitalistischen Produktion, ausschließt. Es sind aber Kapitalisten, die das Geschäft mit Negersklaven treiben.« (MEW 26.2, 299)

Wie Beechey (1978) kürzlich argumentierte, setzte Sklaverei gewiss Privateigentum voraus, eine Klasse von Eigentümern und eine besitzlose Klasse. Während aber im Kapitalismus der Arbeiter seine eigene Arbeitskraft besitzt, die er als Ware an den Kapitalisten verkauft, waren die Sklavenhalter gleichzeitig Eigentümer von Arbeitskräften und von Sklaven.

»Ganz so erscheint einem Sklavenhalter, der einen Neger gekauft hat, sein Eigentum an dem Neger nicht durch die Institution der Sklaverei als solche, sondern durch Kauf und Verkauf von Ware erworben.« (Marx 25, 784)

Der Sklavenhandel wurde jedoch ebenso wie die Produktion der durch ihn hergestellten Waren durch das Handelskapital finanziert, sie zirkulierten innerhalb der globalen Kreisläufe des Kapitals. Oder wie Beechey mit großer Klarheit sagt: »Die Sklavenhalter waren gleichzeitig Kaufleute, die mit Kauf und Verkauf von Waren auf dem Weltmarkt handelten, und Sklavenhalter, die ihre Sklaven innerhalb des Plantagensystems ausbeuteten, das sich in der Art einer inneren Kolonie im expandierenden Weltmarkt als spezialisierte landwirtschaftliche Region herausbildete.« (Beechey 1978)

Marx beschreibt also, und unterscheidet sich hierin radikal von Franks Interpretation, eine Artikulation von zwei Produktionsweisen, die eine im vollen Wortsinn, die andere nur ›formell‹ kapitalistisch: beide werden durch ein artikulierendes Prinzip, einen Mechanismus oder eine Konfiguration von Beziehungen verbunden, weil, wie Marx beobachtete, »ihre Nutznießer an einem Weltmarkt beteiligt sind, in dem die dominanten Sektoren bereits kapitalistisch sind«. Der Untersuchungsgegenstand muss also als eine komplex artikulierte Struktur begriffen werden, die selbst »durch eine Dominante strukturiert ist«. Die Eigentümer der Sklavenplantagen hatten Anteil an einer allgemeinen Bewegung des kapitalistischen Weltsystems, aber auf der Basis einer internen Produktionsweise – Sklaverei in ihrer modernen Plantagenform –, die selbst in ihrem Charakter nicht ›kapitalistisch‹ war. Dies ist eine im theoretischen Sinne revolutionäre Aussage, weil sie sich von der teleologischen Marxlektüre löst, die bei Frank zu der unhaltbaren These führte, dass Lateinamerika seit der Eroberung ›kapitalistisch‹ gewesen sei. Im Gegensatz zur These von der ›unaufhaltsamen Transformation‹ vorkapitalistischer Gesellschaften und ihrer Auflösung durch kapitalistische Beziehungen zeichnet sich jetzt die neue theoretische Problematik einer Artikulation zwischen verschiedenen Produktionsweisen ab, die in einer Dominanzbeziehung strukturiert sind (vgl. Althusser und Balibar 1972; Hindess und Hirst 1981; Poulantzas 1974). Sie bildete die Basis für eine reichhaltige und prägende Arbeit vor allem über ›vorkapitalistische Produktionsweisen‹ und richtete sich mit aller Strenge gegen die genau an diesem Punkt auch von Rex zu Recht kritisierte Lesart von Marx, ohne gleichzeitig die systematischen Begriffe der marxistischen Analyse aufzugeben.[3] Sie wirkt sich zum Beispiel entscheidend auf jede Analyse aus, die die Frage behandelt, wie in einer artikulierten Verbindung von Produktionsweisen ökonomische Agenten aus verschiedenen ethnischen Gruppen in bestimmte Gefüge ökonomischer Beziehungen eingeordnet werden. Obwohl diese Gruppen nämlich zu einer komplexen Einheit artikuliert werden, dürfen sie weder als notwendig dieselben begriffen werden noch als solche, die unausweichlich dazu bestimmt sind, einander gleich zu werden.

Es handelt sich bei dieser neuen Problematik vielleicht um die fruchtbarste theoretische Neuentwicklung, die die Analyse von rassistisch strukturierten Gesellschaften betrifft. Ihre Vertreter begründen sie durch eine ›Relektüre‹ der klassischen marxistischen Literatur. Sie ist ein Teil der gewaltigen theoretischen Revolution, jener verfeinerten und differenzierten Rückkehr zum ›Lesen‹ des Kapitals, die in den letzten zehn Jahren einen so prägenden intellektuellen Impuls darstellte. In Laclaus folgender Formulierung wird die Stärke des zentralen Arguments deutlich: »Nun war dieser vorkapitalistische Charakter der herrschenden Produktionsverhältnisse in Lateinamerika nicht nur nicht unvereinbar mit der Produktion für den Weltmarkt, sondern wurde vielmehr durch deren Ausdehnung intensiviert.« (Laclau 1981, 29f.)

In einer im Vergleich mit dem Szenario des Kommunistischen Manifests weniger bekannten Passage schrieb Marx: »Innerhalb seines Zirkulationsprozesses … durchkreuzt sich der Kreislauf des industriellen Kapitals … mit der Warenzirkulation der verschiedensten sozialen Produktionsweisen … Ob die Ware das Produkt der auf Sklaverei gegründeten Produktion, oder von Bauern … oder der Staatsproduktion … oder halbwilder Jägervölker ist, … sie treten dem Geld und den Waren [gegenüber], worin sich das industrielle Kapital darstellt … Der Charakter des Produktionsprozesses, aus dem sie herkommen, ist gleichgültig … zu ihrem Ersatz [ist] ihre Reproduktion nötig, und insofern ist die kapitalistische Produktionsweise bedingt durch außerhalb ihrer Entwicklungsstufe liegende Produktionsweisen.« (MEW 24, 114)

Für Bettelheim, der ansonsten einen eher ›klassischen‹ Standpunkt einnimmt, ist die Tendenz zur Auflösung anderer Produktionsweisen durch die kapitalistische zwar dominant, aber oft mit der sekundären Tendenz einer ›Bewahrung-Auflösung‹ verbunden, bei der »nicht-kapitalistische Produktionsweisen vor ihrem Verschwinden ›restrukturiert‹ (teilweise aufgelöst) sowie den vorherrschenden kapitalistischen Verhältnissen untergeordnet (und so bewahrt) werden.« (1972, 297)[4]

Gewisse Probleme der südafrikanischen Gesellschaftsformation konnten, wie Rex neben anderen zu Recht kritisiert hatte, mit der früheren Lesart nicht zufriedenstellend erklärt werden. Wolpe zeigt, dass sie mit diesen neuen theoretischen Instrumenten einer Klärung zumindest nähergebracht werden können. Die ›rassische‹ Fraktionierung der Klassenbeziehungen in Südafrika erscheint dabei in einem neuen Licht. Dadurch, dass sich der kapitalistische Sektor in Südafrika auf die nicht-kapitalistischen Sektoren in den afrikanischen Regionen stützt, könne die Arbeitskraft unterhalb ihrer Reproduktionskosten bezahlt werden; das Kapital verfüge über ein reichliches Angebot von Arbeitskräften, ohne deren Subsistenzkosten vollständig tragen zu müssen (Wolpe 1972). Wolpe greift sowohl auf die Artikulations‹- wie auf die ›Auflösung-Konservierungs‹-Varianten der These zurück: In Südafrika werde die Tendenz der Kapitalakkumulation, andere Produktions­weisen aufzulösen, durch entgegenwirkende Tendenzen zur Bewahrung der nicht-kapitalistischen Ökonomien durchkreuzt und blockiert, Voraussetzung hierfür sei ihre Artikulation mit der kapitalistischen Produktionsweise in einer untergeordneten Position. Unter solchen Bedingungen »nehmen die Form der politischen Herrschaft und der Inhalt der legitimierenden Ideologien rassistische, ethnische und kulturelle Züge an, und aus denselben Gründen wie im Falle des Imperialismus … erscheint die politische Herrschaft in kolonialer Form … Die Bewahrung nicht-kapitalistischer Produktionsweisen erfordert notwendigerweise die Entwicklung von Ideologien und Politiken, die um die Abtrennung, Bewahrung und Kontrolle der afrikanischen ›Stammes‹-Gesellschaften kreisen.« (Wolpe 1975, 249; Hervorh. U. M.)

Die entstehende Theorie der Artikulation verschiedener Produktionsweisen hat also einschlägige theoretische Effekte für eine Analyse des Rassismus auf der sozialen, politischen und ideologischen Ebene. Sie erreicht dies – und das ist der springende Punkt –, ohne die Analyse ökonomischer Verhältnisse (d. h. der Produktionsweise) aufzugeben. Vielmehr stellt sie diese in ihrer korrekten, komplexen Form dar. Dies ist ein notwendiger, wenn auch kein hinreichender Ausgangspunkt. Insofern dürfte Wolpes Ausdruck ›erfordert‹ zu weit gehen, da er eine notwendige und damit zu funktionalistische Entsprechung zwischen der Struktur der Produktionsweise und den spezifischen Formen der politischen Herrschaft und der ideologischen Legitimation suggeriert. Die Ebene der so neudefinierten ökonomischen Analyse dürfte aus sich heraus keine hinreichenden Bedingungen für eine Erklärung der Entstehung und Funktionsweise des Rassismus geben. Aber sie liefert zumindest einen geeigneteren Ausgangspunkt als solche Ansätze, die die ökonomische Ebene ganz aufgeben und ›zusätzliche Faktoren‹ einführen müssen, um den Ursprung und das Zustandekommen rassistischer Strukturen auf anderen Ebenen der Gesellschaftsformation zu erklären. In dieser Hinsicht zumindest haben die hier kurz skizzierten theoretischen Fortschritte das Verdienst, zwei grundlegende Prinzipien der marxschen Methode zu respektieren: das materialistische – dass die Analyse politischer und ideologischer Strukturen von ihren materiellen Existenzbedingungen ausgehen muss – und das historische – dass die spezifischen Formen dieser Verhältnisse nicht a priori aus der ökonomischen Ebene abgeleitet werden können; dass vielmehr ihre Rekonstruktion durch weitere, ihre differentiae specificae erklärenden Bestimmungen ergänzt und in ihrer historischen Spezifik gefasst werden muss. Beide Prinzipien werden in einer zu Recht berühmten Passage des Kapitals dargestellt:

»Die spezifische ökonomische Form, in der unbezahlte Mehrarbeit aus den unmittelbaren Produzenten ausgepumpt wird, bestimmt das Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnis, wie es unmittelbar aus der Produktion selbst hervorwächst und seinerseits bestimmend auf sie zurückwirkt. Hierauf aber gründet sich die ganze Gestaltung des ökonomischen, aus den Produktionsverhältnissen selbst hervorwachsenden Gemeinwesens und damit zugleich seine spezifische politische Gestalt [das materialistische Prinzip, S. Hall].«

»Dies hindert nicht, dass dieselbe ökonomische Basis – dieselbe den Hauptbedingungen nach – durch zahllos verschiedne empirische Umstände, Naturbedingungen, Racenverhältnisse, von außen wirkende geschichtliche Einflüsse usw., unendliche Variationen und Abstufungen in der Erscheinung zeigen kann, die nur durch Analyse dieser empirisch gegebnen Umstände zu begreifen sind [das historische Prinzip, S. Hall].« (MEW 25, 799-800)

Um die Bedingungen theoretischer Exaktheit zu erfüllen, sind beide Prinzipien erforderlich, jedes für sich allein ist ungenügend: Das erste würde uns direkt in die Sackgasse des ökonomischen Reduktionismus zurückführen; das zweite ließe uns in die Falle des historischen Relativismus tappen. So gibt uns Marx’ Methode, richtig verstanden und angewandt, die Bedingungen – wenn auch nicht die Garantien – für eine theoretische Exaktheit, die beides vermeidet (Johnson et al. 1978; zu einer verdichteten Version der Argumentation Wolpes anhand lateinamerikanischer und karibischer Gesellschaftsformationen vgl. Hall 1977i).

Der Begriff der Artikulation ist komplex, er wird in der hier vorgestellten Literatur unterschiedlich verwendet und definiert. Bisher hat sich noch kein Konsens über seine Definition herausgebildet. Aber er stellt aufgrund seiner Intervention das Feld eines bedeutenden theoretischen Einschnitts (coupure) dar. Diese Intervention ist eng mit dem Werk Althussers und der ›Schule‹ des strukturalistischen Marxismus verbunden. Der Begriff wird in einer ganzen Palette von Kontexten verwendet, in Für Marx (1968) und dem mit Balibar gemeinsam verfassten Das Kapital lesen (1972), obwohl er in dem von Ben Brewster verfassten und von Althusser bestätigten Glossar, das in der englischen Ausgabe beider Bücher enthalten ist, nicht definiert wird. Der Begriff hat über die beiden für diese Studie besonders wichtigen Verwendungsweisen hinaus einen umfassenden theoretischen und methodologischen Bezugsrahmen.

Nach Foster-Carter stellt er eine Metapher dar, »um für alle möglichen Sachverhalte Beziehungen der Verbindung und Wirksamkeit zwischen verschiedenen Ebenen anzuzeigen«. Dem wäre hinzuzufügen, dass diese Sachverhalte deshalb verbunden werden müssen, weil sie, obwohl miteinander zusammenhängend, nicht dieselben sind. Die Einheit, die sie bilden, ist also nicht eine der Identität, in der eine Struktur eine andere perfekt wiederholt, reproduziert oder sogar ›ausdrückt‹, bei der jede auf die andere reduziert werden kann, durch dieselben Bestimmungen definiert wird oder dieselben Existenzbedingungen hat, schließlich jede sich entsprechend der Wirksamkeit derselben Existenzbedingungen bzw. desselben Widerspruchs entwickelt (wie z. B. der bei ›orthodoxen‹ Marxisten als letzte Garantie aller Argumente so beliebte ›Hauptwiderspruch‹). Die bei dieser Kombination oder Artikulation gebildete Einheit ist notwendigerweise immer eine ›komplexe Struktur‹: eine Struktur, bei der die Sachverhalte genauso sehr durch ihre Unterschiede wie durch ihre Ähnlichkeiten in Beziehung zueinander stehen. Da keine ›notwendige Korrespondenz‹ oder expressive Homologie als gegeben vorausgesetzt werden kann, müssen die Mechanismen, die unterschiedliche Phänomene verbinden, gezeigt werden. Da weiterhin die Kombination eine Struktur, d. h. eine artikulierte und keine zufällige Kombination ist, muss von strukturierten Beziehungen der Dominanz und der Unterordnung zwischen ihren Teilen ausgegangen werden. Sie ist also in Althussers kryptischer Formulierung »eine komplexe, in Dominanz strukturierte Einheit«.

Die verschiedenen Verwendungsweisen des Ausdrucks führen viele klassische Themen der Althusser’schen Intervention zusammen: z. B. sein Argument, dass Marx – im Unterschied zur ›expressiven Einheit‹ bei Hegel keinen essenzialistischen Begriff der ›Einheit‹ hat und seine Dialektik deshalb keine bloße Umkehrung, sondern einen theoretischen Fortschritt gegenüber Hegel darstellt. Diese Kritik an der Auffassung der marxschen Totalität als einer ›expressiven Totalität‹ ist in Althussers früherer Kritik an den Versuchen begründet, Marx’ Werk über den Umweg des Hegelianismus vor dem ›Vulgärmaterialismus‹ zu retten (vgl. den Aufsatz Über die Dialektik bei Marx in Althusser 1968). Sie liegt auch Althussers Kritik an dem Versuch zugrunde, Marx so zu lesen, als ob alle Strukturen der Gesellschaftsformation auf einen ›Ausdruck‹ ihrer ökonomischen Basis reduziert werden könnten bzw. alle Instanzen einer historischen Konjunktur in eine Beziehung direkter Korrespondenz mit den Begriffen des ›Hauptwiderspruchs‹ (der ›Basis‹, zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen) treten würden – diese Kritik am ›ökonomischen Reduktionismus‹ verhält sich zu seiner früheren Kritik am hegelschen Idealismus genau entgegengesetzt. In Marx’ Begriff der ›komplexen Einheit‹ lasse sich nach Althusser weder alles durch etwas anderes ausdrücken, noch korrespondiere es perfekt mit ihm, noch könne alles auf einen Ausdruck des Ökonomischen reduziert werden. Vielmehr operiere der Begriff auf dem Terrain der Artikulation. Was wir in spezifischen historischen Konjunkturen (sein Beispiel in Widerspruch und Überdeterminierung ist Russland 1917) finden, ist nicht die Entfaltung des ›Hauptwiderspruchs‹ auf allen Ebenen der Gesellschaftsformation, sondern der ›Aufbruch‹, der ›Riss‹, die Verdichtung verschiedener Widersprüche, die alle ihre eigene Geschichte und Periodisierung haben, wobei sich, in den Worten Lenins, »völlig verschiedene Ströme, völlig ungleichartige Klasseninteressen, völlig entgegengesetzte politische und soziale Bestrebungen vereinigten, und zwar bemerkenswert ›einmütig‹ vereinigten« (W. I. Lenin, Briefe aus der Ferne, Nr. l, Werke Bd. 23, 326).

Solche Konjunkturen sind nicht so sehr ›determiniert‹ als vielmehr überdeterminiert, das heißt, sie sind das Resultat einer Artikulation nicht direkt aufeinander reduzierbarer Widersprüche.

Althusser und Balibar wenden dieses allgemeine theoretische Konzept in einer Vielfalt unterschiedlicher Kontexte an. So ist für sie eine Gesellschaftsformation aus einer Reihe von jeweils gegenüber den anderen ›relativ autonomen‹ Instanzen zusammengesetzt, zu einer (widersprüchlichen) Einheit artikuliert. Die ökonomische Instanz oder Ebene ist selbst das Resultat einer solchen ›Verbindung‹: der Artikulation von Produktivkräften und Produk­tionsverhältnissen. Vor allem in Perioden des Übergangs können bestimmte Gesellschaftsformationen eine ›artikulierte Verbindung‹ verschiedener Produktionsweisen sein, deren Spezifik sich aus den Verschiebungen in der ­hierarchischen Anordnung dieser Produktionsweisen ergibt.

Der Ausdruck taucht auch in der Althusser’schen Epistemologie auf: Dort wird betont, dass das Wissen und die Produktion von Wissen nicht als eine empiristische direkte Widerspiegelung des Realen ›im Gedanken‹ produziert wird, sondern eine eigene Spezifik und Autonomie hat – obwohl es auf der wirklichen Welt einer gegebenen historischen Gesellschaft aufbaut und mit ihr artikuliert ist (Althusser und Balibar 1972, 52f.). Die wissenschaftliche Analyse jeder besonderen Gesellschaftsformation hängt vom korrekten Begreifen ihres Artikulationsprinzips ab, den ›Verbindungs­stücken‹ zwischen verschiedenen Instanzen, Perioden und Epochen, von den Periodisierungen, das heißt von Zeiten und Geschichten. Dasselbe Prinzip wird, nicht nur synchron zwischen Instanzen und Periodisierungen innerhalb eines ›Moments‹ der Struktur, sondern auch diachron, zwischen verschiedenen ›Momenten‹ angewendet. Dies hängt mit Althussers Ablehnung der Vorstellung einer gegebenen und notwendigen Abfolge von Stufen und eines in diese eingebauten notwendigen Fortschritts zusammen. Mit dem Ausdruck einer »diskontinuierlichen Abfolge von Produktionsweisen« (ebd. 273), deren kombinierte Abfolge – d. h. Artikulation in der Zeit – erst gezeigt werden müsse, betont er eine nicht-teleologische Marxlektüre. In jeder sozia­len Struktur sei Wissenschaftlichkeit selbst mit »dem Problem der Variations- und Artikulationsformen« der Instanzen verknüpft (ebd. 276).

Dasselbe gilt für ihre ökonomischen, politischen und ideologischen Erscheinungsformen. Auch diese werden in Analogie zu einer Artikulation von Strukturen gedacht, die sich weder direkt ausdrücken noch widerspiegeln. Das klassische Problem des Marxismus, das ihn von anderen sozial­wissenschaftlichen Erklärungsmodellen unterscheidet – nämlich das der »Determinierung in letzter Instanz durch das Ökonomische« –, wird also selbst als eines der Artikulation‹ neu definiert. ›Determiniert‹ sind mithin nicht die innere Form und Erscheinung jeder Instanz, sondern die Art und Weise ihrer Verbindung und Positionierung in einer artikulierten Beziehung zu anderen Instanzen. Diese Artikulation der Struktur ist ein Gesamteffekt der Struktur selbst – der Matrix-Effekt der Produktionsweise –, der das Althusser’sche Konzept der Determination als eine strukturelle Kausalität definiert (ebd. 251).

Balibar behandelt die Beziehung zwischen feudaler Grundrente und feudalem Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnis als vereinfachten Fall der Artikulation zweier Instanzen, einer ›ökonomischen‹ und einer ›politischen‹. Ebenso definiert Balibar die Produktionsweise selbst als Resultat einer Kombination von Elementen (Arbeitsgegenstand, Arbeitsmittel, Arbeitskraft). Was sich in jeder Epoche ändere, seien nicht diese Elemente, die im definierten Sinne invariant sind, sondern die Art und Weise ihrer Kombination: ihrer Artikulation. Auch wenn es nicht möglich ist, die Intervention Althussers in ihrer Gesamtheit über einen Begriff wie den der Artikulation zu vermitteln, so ist doch schon jetzt klar geworden, wie weit der Bezugsrahmen des Begriffs in den Arbeiten der strukturalistischen Marxisten gespannt ist.

Ich möchte wenigstens kurz auf zwei wichtige Quellen für die Entstehung des Begriffs hinweisen. Die erste ist die strukturalistische Linguistik, ein Hauptmodell für wesentliche Teile des strukturalistischen Unternehmens. Ihrem Begründer Saussure zufolge sei die Sprache keine Widerspiegelung der Welt, sondern produziere Bedeutung durch die Artikulation linguistischer Systeme auf der Grundlage realer Beziehungen; er insistiert darauf, die Bedeutung »nicht mehr als Korrelation eines Signifikanten und eines Signifikats, sondern vielleicht wesentlicher als einen Akt der simultanen Zerlegung zweier gestaltloser Massen, zweier verschwommener Gebiete [zu konzipieren; U. M.] … die Sprache ist der Bereich der Gliederungen (articulations).« (Barthes 1983, 48)

Noch einschlägiger ist vielleicht der Bezugspunkt, den Althusser und andere in der Einleitung zu den Grundrissen von 1857 fanden, Marx’ ausführlichstem methodologischem Text für eine Theorie der Gesellschaftsformation, die er selbst eine ›artikulierte Hierarchie‹ (Gliederung) genannt hat oder, wie ­Althusser ihn übersetzt, ein »organisches, hierarchisch gegliedertes Ganzes«: »In allen Gesellschaftsformen ist es eine bestimmte Produktion, die allen übrigen, und deren Verhältnisse daher auch allen übrigen Rang und Einfluss anweist.« (MEW 13, 637)

Auch wenn dieser Anhaltspunkt für die Konstruktion des gesamten strukturalistischen Gebäudes etwas dürftig ist, wird doch klar, dass Marx in diesem Text selbst entschieden gegen jede Vorstellung einer einfachen Einheit zwischen verschiedenen Kapitalbeziehungen (Produktion, Zirkulation, Austausch, Konsumtion) Stellung bezieht. Er beschrieb ausführlich die Komplexität der Bestimmungen zwischen diesen Verhältnissen, die ihm dennoch in der Summe ihrer Artikulation ein theoretisch adäquat konstruiertes Untersuchungsobjekt lieferten. Im Kapital gaben sie ihm den Schlüssel zur Aufgliederung der komplexen Natur der Beziehungen zwischen den verschiedenen Kapitalkreisläufen (vgl. Hall 1974a). Der Leitgedanke dieser ausführlichen Kritiken in der Einleitung von 1857 richtet sich gegen ein Vorgehen, das die verschiedenen, die kapitalistische Produktionsweise determinierenden Verhältnisse als einen ›regelmäßigen Syllogismus‹ – eine ›unmittelbare Identität‹ – behandelt: »Die Gesellschaft als ein einziges Objekt betrachten, ist, sie überdem falsch betrachten – spekulativ.« (MEW 13, 625)

»Das Resultat, wozu wir gelangen, ist nicht, dass Produktion, Distribution, Austausch und Konsumtion identisch sind, sondern dass sie alle Glieder einer Totalität bilden, Unterschiede innerhalb einer Einheit.« (Ebd. 630)

Ebenso wird hier deutlich vor jeder einfachen Vorstellung einer evolutionären Folge oder Reihe in dieser Entwicklung gewarnt: »Vielmehr ist ihre Reihenfolge bestimmt durch die Beziehung, die sie in der modernen bürgerlichen Gesellschaft aufeinander haben, und die genau das umgekehrte von dem ist, was als ihre naturgemäße erscheint oder der Reihe der historischen Entwicklung entspricht. Es handelt sich nicht um das Verhältnis, das die ökonomischen Verhältnisse in der Aufeinanderfolge verschiedener Gesellschaftsformen historisch einnehmen.« (Ebd. 638)

Dieser letzte Punkt zeigt an, was wir das dritte, strukturelle Prinzip der marxschen Methode nennen möchten. Es waren vor allem die Anwendung dieses Prinzips in Marx’ späterem, reifem Werk sowie seine Aneignung und Weiterentwicklung durch Althusser und die Strukturalisten, die als theoretisches Resultat das extensiv-intensive Konzept der Artikulation hervorbrachten.

Der Begriff selbst ist keineswegs unproblematisch, denn er gibt nur einen Ansatzpunkt und eine Liste der Probleme, ohne selbst deren theoretische Lösung zu liefern. Er wurde einer weiter forschenden Kritik unterzogen. Der Ausdruck ist ambivalent, er kann ›sich gliedern‹ (wie in den Gliedern des Körpers oder als anatomische Struktur) oder ›ausdrücken‹ bedeuten (vgl. Foster-Carter 1978). Bei Althusser ist vor allem Ersteres gemeint. Zwar kommt auch bei ihm die Vorstellung einer Ausdrucks-Beziehung z. B. zwischen ökonomischen und politischen Strukturen einer Gesellschaft vor, diese wird aber durch andere Ausdrücke wiedergegeben, die mit jeder Restbedeutung einer vollkommenen und notwendigen ›Entsprechung‹ brechen. So gebraucht Althusser, um die Spezifik, die Nicht-Reduzierbarkeit, die ›relative Autonomie‹ jeder Ebene der Gesellschaft zu betonen, auch solche Termini wie ›Verschiebung‹, ›Verrückung‹ und ›Verdichtung‹. Er zeigt damit, dass die Einheit, die diese verschiedenen Beziehungen formen, nicht eindeutig, sondern durch ›Überdeterminierung‹ fehlgeleitet ist.

Einer weiteren Kritik zufolge füge das Konzept der Artikulation zwei Dinge in einer bloß äußerlichen und willkürlichen Zusammenfügung einfach aneinander, was Marx unabhängige, autonome, in ihrer Einheit nicht begriffene Nachbarn nannte. Althusser versucht aber, diese Vorstellung eines bloßen Nebeneinanderstellens dadurch zu überwinden, dass er den Begriff der Überdeterminierung einführt und von hierarchischen und parallelen Beziehungen der Dominanz und Unterordnung spricht (vgl. Marx’ Diskussion des Geldes in verschiedenen historischen Epochen, »keineswegs alle ökonomischen Verhältnisse durchwatend« (MEW 13, 634), sondern danach definiert, wo es eine ›dominante‹ oder ›untergeordnete‹ Rolle spielt).

Das um die Artikulation konstruierte Schema wurde oft und zu Recht als zu formalistisch beschrieben. So determiniert in der voll entfalteten ›strukturalen Kausalität‹ von Das Kapital lesen das ›Ökonomische‹ ›in letzter Instanz‹ nicht substanziell, sondern prinzipiell, indem es der einen oder anderen Instanz den Index der Wirksamkeit in der Struktur zuweist: d. h. in formaler Weise. (Später hat Althusser einige dieser formalistischen Übertreibungen zurückgenommen, vgl. Althusser 1975). Laut dieser Kritik fördere das Modell eine Konzeption von Struktur, die in sich alle Bedingungen für ihr eigenes Funktionieren enthalte und damit selbst eine ›expressive Totalität‹ darstelle, also genau das, was Althusser vermeiden wollte und mit dessen Kritik er seinen nicht-reduktionistischen Ansatz begründet hatte (vgl. Hindess und Hirst 1981; Hirst 1976).

Schließlich wird der theoretische Rahmen deshalb kritisiert, weil er die internen Elemente jeder ›strukturellen Verbindung‹ unverändert lasse, Veränderung und Übergang auf die Variationen (verschiedene Artikulationen) begrenzt seien, durch die ansonsten ›invariante Elemente‹ kombiniert würden. Dadurch werde die Geschichtlichkeit dieses Ansatzes geschwächt und gegen das historische Prinzip des marxschen Werks verstoßen (vgl. Althusser 1975). Die Vorstellung einer Variation zwischen invarianten Elementen resultiert aus einer sehr formalistischen Definition von ›Produk­tionsweise‹ (besonders bei Balibar). Einige der realen Fortschritte, die bei dem Versuch erzielt wurden, die Analyse in einem entwickelteren und differenzierteren Verständnis von Produktionsweisen und ihrer Kombination zu verankern, könnten so durch eine formalistische Jagd auf eine separate ›Produktionsweise‹ nach der anderen wieder zunichtegemacht werden. Dennoch möchten wir den potenziell schöpferischen Wert des Ausdrucks und seiner verwandten Begriffe hervorheben: Sie geben uns einen Ausgangspunkt, um die komplexe Einheit und die differentiae specificae der Gesellschaftsformationen zu denken, ohne in einen naiven oder ›vulgärmaterialistischen‹ Reduktionismus oder eine Form des soziologischen Pluralismus zurückzufallen.

Bis jetzt habe ich ausschließlich über die Anwendung des Begriffs der Artikulation auf die ökonomische Struktur komplexer Gesellschaftsformationen gesprochen. Die Gesellschaftsformation mit ihren verschiedenen Instanzen kann aber auch selbst als eine ›artikulierte Hierarchie‹ analysiert werden. Wir müssen zwar keine ›notwendige Korrespondenz‹ – keine perfekte Wiederholung oder Homologie der Strukturen, keine ausdrucksförmige Verknüpfung – zwischen diesen verschiedenen Ebenen mehr unterstellen. Dennoch sind wir verpflichtet, die Beziehungen zwischen ihnen als ein ›Ensemble von Beziehungen‹ zu denken, die durch das ›Gesetz der ungleichen Entwicklung‹, wie es aufgrund der Ausführungen Marx’ in der Einleitung zu den Grundrissen definiert wurde, geprägt sind. Wieder müssen wir uns der besonderen Natur ihrer Artikulationen zuwenden. Die detaillierte und analytisch schärfere Aufmerksamkeit für die Natur der Produktionsweisen hilft uns, die anderen Aspekte der Gesellschaftsformation besser auf der Ebene der ökonomischen Strukturen zu verankern (das materialistische Prinzip). Wir können die Verhältnisse und Mechanismen der politischen und ideologischen Strukturen, in denen Phänomene wie Rassismus eine entscheidende Rolle spielen, aber nicht a priori und ausschließlich von der ökonomischen Ebene aus ableiten (Prinzip der Nicht-Reduzierbarkeit). Wir können keine ausdrückliche und notwendige Korrespondenzbeziehung zwischen ihnen annehmen (Prinzip der historischen Spezifik). Sie sind vielmehr, wie Marx es nannte, »ein Produkt historischer Verhältnisse … und [besitzen] ihre Vollgültigkeit nur für und innerhalb dieser Verhältnisse …« (MEW 13, 636)

Diese wichtige, ja kritische Beurteilung verlangt von uns zu zeigen – statt a priori anzunehmen –, welches die Art und der Grad der Korrespondenz in jedem spezifischen historischen Fall sind. Im Rahmen einer solchen theo­retischen Revision können wir den zuvor erwähnten Kritiken aus der Per­spektive der ›soziologischen‹ Erklärungen wirkungsvoll entgegnen.

Innerhalb der allgemeinen Problematik der ›Artikulation‹ sind in dieser Frage jedoch verschiedene Positionen zu unterscheiden. Nach Auffassung einiger Theoretiker können wir jede Ebene und die ›Existenzbedingungen‹, die für ihr Funktionieren erfüllt sein müssen, nur einzeln in ihrer eigenen Spezifik behandeln: So erfordern die ökonomischen Verhältnisse der kapitalistischen Produktionsweise ein gewisses außerökonomisches, juristisches Rahmenwerk als Existenzbedingung, das den ›Vertrag‹ zwischen Käufer und Verkäufer der Arbeitskraft sichert. Die internen Formen und Spezifika der außerökonomischen Ebenen könnten aber weder von der ökonomischen Ebene aus vorgeschrieben, noch aufgrund ihrer formalen Notwendigkeit für das Funktionieren der Ökonomie genau bestimmt werden. Dieses ist eine Theorie der ›Autonomie‹ der verschiedenen Ebenen, nicht der ›relativen Autonomie‹ (Hirst 1976; Cutler et al. 1977). Sie behandelt die Gesellschaftsformation nicht mehr als komplexe Einheit (Marx’ Einheit vieler Bestimmungen).

In anderen Ansätzen gibt es ›tendenzielle Kombinationen‹, die zwar nicht vollständig determiniert sind, aber dennoch durch den realhistorischen Prozess ›bevorzugt‹ und im Lauf der Zeit abgelagert und verfestigt wurden. Der Fall Lateinamerikas zum Beispiel zeigt, dass es keine notwendige Entsprechung zwischen der Entwicklung von Kapitalismus und den politischen Formen parlamentarischer Demokratie gibt. Der Kapitalismus kann aus sehr verschiedenen politischen Grundlagen hervorgehen. Wie Engels zeigte, kann er sehr unterschiedliche juristische Systeme seinen Funktionen anpassen und nutzbar machen. Dies spricht jedoch nicht dagegen, dass die Entstehung des Kapitalismus oft mit der Bildung bürgerlicher und demokratisch-parlamentarischer Regimes einherging, und auch nicht gegen Lenins klarsichtige Beobachtung, dass die parlamentarische Demokratie den bestmöglichen politischen Rahmen für den Kapitalismus liefert. Wir müssen diese Kombinationen jedoch in ihrer historischen Spezifik und nicht als von vornherein determiniert ansehen: als ›Tendenzgesetze‹, die durch ›entgegenwirkende Tendenzen‹ außer Kraft gesetzt werden können. Um ein schlagendes Beispiel zu nehmen: In Europa folgt der Kapitalismus auf die Zerstörung der feudalen Bindungen und die Herausbildung der ›freien Arbeit‹ – der ›Arbeitskraft‹ als einer Ware. Eine kapitalistische Formation, in der keine Arbeitskräfte in der Form ›freier Arbeit‹ für das Kapital verfügbar sind, ist nur schwer vorstellbar. Umgekehrt bedeutet dies: Wie auch immer die besondere juristische Form beschaffen sein mag, die der kapitalistischen Entwicklung ›entspricht‹, entscheidend ist, dass in dieser auch das juristische Konzept des ›Vertrags‹ zwischen ›freien Personen‹ entstehen muss, das auf legale Weise die für die ›freie Arbeit‹ erforderlichen Vertragsformen regulieren kann. Dieses ›Erfordernis‹ ist mehr als eine bloße leere oder formale ›Existenzbedingung‹. Es bedeutet aber nicht, dass die Tendenz zur Kombination des Kapitalismus mit freier Arbeit nicht unter besonderen historischen Bedingungen überlagert oder durch eine entgegenwirkende Tendenz außer Kraft gesetzt werden kann: Der Kapitalismus kann auch durch die Verbindung von freier und unfreier Arbeit oder Zwangsarbeit aufrechterhalten werden. Wenn wir uns von Europa weg und kolonialen oder postkolonialen Gesellschaften zuwenden, wird diese Kombination – freie und unfreie Arbeit auf der Basis einer Kombination verschiedener Produktionsweisen – mehr und mehr der paradigmatische Fall. Damit ist allerdings nur ein erster Schritt getan, um ein besseres Verständnis der ›Bewegungsgesetze‹ dieser kapitalistischen Formationen zu entwickeln.

Natürlich hat dies auch für politische und ideologische Strukturen Konsequenzen. In solchen vom europäischen Paradigma ›abweichenden‹ Gesellschaftsformationen wird es politische Strukturen geben, die Formen der parlamentarischen Demokratie mit anderen Formen der politischen Repräsentation kombinieren oder kombinieren können – und juristische Strukturen, die mehr als eine Form des Staatsbürger-Statuts entwickeln. Die ›Artikulation‹ freier mit unfreier Arbeit, die Kombination ›gleicher‹ und ›beschränkter‹ Bürgerrechte, die Position der Häuptlinge und der ›inneren Kolonien‹ der Bantustans, der unterschiedliche rechtliche Status von ›weißen‹ und ›schwarzen‹ Bürgern, dies alles stellt in der südafrikanischen Gesellschaftsformation in vollkommener Weise die Elemente eines solchen ›variierenden‹ Falles dar, der in keinem Sinne ›nicht-kapitalistisch‹ ist.

Um die Beziehungen zwischen den verschiedenen Ebenen der Gesellschaftsformation zu analysieren, reichen jedoch die für die ökonomische Analyse der Produktionsweise entwickelten Konzepte nicht aus. Die Arbeiten Althussers und der ›Althusserianer‹ – wie z. B. die von Poulantzas über ›den Staat‹ (1974) – müssen hier durch Gramscis wichtigen Beitrag für die Entwicklung eines streng nicht-reduktionistischen Marxismus ergänzt werden (Hall et al. 1977b; Anderson 1977; Mouffe 1979). Dieses Werk liegt nur fragmentarisch vor (vieles wurde in den Gefängnissen Mussolinis unter dem wachsamen Auge des Zensors geschrieben) und ist weit weniger ›theorisiert‹ als das Althussers. Gramsci prägte die Entwicklung der Althusser’schen Problematik, auch wenn die Beziehung zwischen Althusser und Gramsci, der in gewisser Hinsicht ›Historizist‹ blieb, komplex ist (Hall et al. 1977b).

Der zentrale Begriff seines Werks ist der der Hegemonie. Hegemonie ist ein Zustand ›völliger sozialer Autorität‹, die ein bestimmtes Klassenbündnis in einer bestimmten Konstellation durch eine Verbindung von ›Zwang‹ und ›Zustimmung‹ über die gesamte Gesellschaftsformation und die beherrschten Klassen erringt: nicht nur durch ökonomische, sondern auch politische und ideologische Führung, nicht nur im materiellen, sondern auch im zivilen, geistigen und moralischen Leben; nicht nur in und durch die verdichteten Verhältnisse des Staates, sondern auch auf dem Terrain der Zivilgesellschaft. Diese ›Autorität und Führung‹ ist für Gramsci nicht a priori gegeben, sondern ein spezifischer historischer ›Moment‹ außergewöhnlicher sozialer Autorität. Die Hegemonie resultiert aus einer gewissen Überlegenheit im Klassenkampf, aber sie bleibt ihm und den Beziehungen zwischen den gesellschaftlichen Kräften, deren ›instabiles Gleichgewicht‹ nur ein vorläufiges Resultat ist, weiterhin unterworfen. Hegemonie ist ein Stadium des Klassenkampfs, das nur aufrechterhalten werden kann, wenn sie kontinuierlich weiter ausgearbeitet und rekonstruiert wird; sie bleibt eine widersprüchliche Konjunktur. Der entscheidende Punkt für Gramsci ist, dass unter hegemonialen Bedingungen die Organisation der Zustimmung (der beherrschten Klassen zur Führung des herrschenden Klassenbündnisses) gegenüber der Herrschaftsausübung durch Zwang den Vorrang gewinnt, auch wenn dieser nicht beseitigt ist. Klassenkampf nimmt unter solchen Bedingungen nicht die Form eines ›Frontalangriffs‹ auf die Festungen des Staates (›Bewegungskrieg‹), sondern die eines sich hinziehenden, strategischen und taktischen Ringens an, die an einer Vielzahl verschiedener Widersprüche arbeitet und sie ausbeutet (Gramscis ›Stellungskrieg‹). Im Zustand der Hegemonie gelingt es dem herrschenden Klassenbündnis, eine gewaltige Aufgabe zu vollbringen: Sie muss die ›Superstruktur‹ der Gesellschaft in Übereinstimmung mit den langfristigen Erfordernissen für die Entwicklung der Produktionsweise, nämlich der Kapitalakkumulation auf erweiterter Stufenleiter modifizieren, nutzbar machen, sichern und ausarbeiten. Dies beinhaltet auch erzieherische und bildende Aufgaben, die zur Hebung der gesamten Gesellschaftsformation auf eine, wie er es nennt, »neue Stufe der Zivilisation« führen soll, die das erweiterte Regime des Kapitals begünstigt. Die unmittelbare und direkte Aufzwingung von engen, kurzfristigen, ›korporativen‹ Interessen einer einzigen Klasse der Gesellschaft ist dagegen ausgeschlossen. Vielmehr schmiedet sie jene Einheit zwischen ökonomischen, politischen und ideologischen Zielen, »indem sie alle Fragen, um die der Kampf entbrannt ist, auf einer ›universellen‹ und nicht korporativen Ebene stellt und dadurch die Hegemonie einer grundlegenden gesellschaftlichen Gruppe über eine Reihe untergeordneter Gruppen errichtet« (Q 1584, R 329f.).

Dies nennt Gramsci die Bildung eines ›national-populären Willens‹, der auf einer besonderen Verbindung zwischen herrschenden und beherrschten Klassen beruht. Dieser ist nicht von einer vorausgesetzten, notwendigen oder a priori bestehenden Entsprechung zwischen (ökonomischer) Basis und (politischen und ideologischen) Superstrukturen abhängig, sondern von genau den historischen Mechanismen und der konkreten Analyse jener historischen ›Momente‹, durch die eine solche Beziehung zwischen Struktur und Superstrukturen geschaffen wird.

Es ist immer diese Spezifik des ›Basis-Überbau‹-Komplexes als eine historisch konkrete Artikulation, die Gramscis Forschungsobjekt bildet: »Das Problem der Beziehungen von Struktur und Superstrukturen muss exakt gestellt und gelöst werden, um die in einer bestimmten Geschichtsperiode wirksamen Kräfte richtig zu analysieren und ihr Verhältnis zueinander zu bestimmen.« (Q 1578f, R 323)

Dies ist eine rigoros nicht-reduktionistische Konzeption: »[Wie] kann also das gesamte System der Superstrukturen als Unterschiede der Politik begriffen werden, und ist die Einführung des Begriffs des Unterschieds in die Philosophie der Praxis demnach gerechtfertigt? Aber kann man von einer Dialektik der Unterschiede sprechen, und wie kann man den Begriff des Zirkels zwischen den Stufen der Superstruktur verstehen? Konzept des ›historischen Blocks‹, d. h. … Einheit der Gegensätze und Unterschiede. Kann das Kriterium der Unterscheidung auch für die Struktur eingeführt werden?« (Q 1569, R 291)

Gramsci bejaht diese Fragen eindeutig. Er spricht sich besonders scharf gegen jede Form des Vulgärökonomismus aus: »Man muss deshalb nicht allein den Ökonomismus in der Theorie der Historiographie, sondern auch und vor allem in der politischen Theorie und Praxis bekämpfen. Auf diesem Feld kann und muss der Kampf geführt werden, indem man den Hegemoniebegriff entwickelt.« (Q 1595f, R 316)

Gramscis theoretischer Beitrag wurde erst in letzter Zeit entdeckt, obwohl seine Rolle als hervorragender Kämpfer in der italienischen Politik der zwanziger und dreißiger Jahre seit langem anerkannt ist. Er analysiert in einer besonders fruchtbaren und produktiven Weise die großen bürgerlichen Gesellschaftsformationen entwickelten kapitalistischen Typs in Westeuropa, deren tiefgreifende Umwälzungen durch eine reduktionistische ökonomische Analyse natürlich nicht ausreichend erklärt werden können. Vielleicht galt er deshalb als der typische marxistische Theoretiker des ›westlichen Kapitalismus‹. Sein Werk wurde daher kaum auf außereuropäische Formationen angewandt oder bezogen. Es gibt jedoch drei sehr starke Argumente dafür, dass es auch für die Analyse nicht-europäischer Gesellschaftsformationen von Bedeutung sein könnte: Erstens könnte Gramsci dabei helfen, dem überwältigenden Gewicht des (marxistischen und nicht marxistischen) Ökonomismus, der die Analyse der kolonialen und post­kolonialen Gesellschaften prägte, etwas entgegenzusetzen. Weil das Gewicht der imperialistischen Wirtschaftsbeziehungen so deutlich sichtbar war, schien für ein Begreifen dieser Gesellschaften ein auf den ökonomischen Prozess beschränkter Imperialismusbegriff ausreichend. Zweitens stellen diese Gesellschaften Probleme in Bezug auf den ›Basis-Überbau-Komplex‹, die an Komplexität den von Gramsci untersuchten Gesellschaften gleichkommen. Allerdings ist hier keine einfache Übertragung der Begriffe empfehlenswert: Gramsci würde als Erster auf historischer Spezifik und Unterschieden bestehen. Drittens untersuchte Gramsci das Problem der Hegemonie am Beispiel der spezifischen Geschichte der italie­nischen Gesellschaftsformation. Gerade in Italien kam über einen langen Zeitraum hinweg keine Hegemonie zustande: Das an der Macht befindliche Klassenbündnis herrschte eher durch Zwang als durch eine hegemoniale Führung der Klassen. Daher ist sein Werk für Gesellschaften relevant, in denen es, aufgrund des Rhythmus und der Zäsuren des Klassenkampfs, in gleicher Weise eine schwankende Bewegung zwischen Phasen der Zwangsherrschaft und ›hegemonialer Führung der Klassen‹ gegeben hat. Darüber hinaus war Italien eine vom Gesetz der ungleichen Entwicklung brutal gezeichnete Gesellschaft. Dies wirft die Frage auf, wie die Widersprüche der italienischen Gesellschaftsformation durch verschiedene Produktionsweisen (kapitalistisch und feudal) und Klassenallianzen, die Elemente verschiedener sozialer Ordnungen verbanden, artikuliert waren. Das Problem des Staates und die Frage nach strategischen Bündnissen zwischen Proletariat und Bauernschaft, das ›Spiel‹ traditioneller und fortschrittlicher Ideologien und die Schwierigkeiten, die diese bei der Schaffung eines ›national-populären Willens‹ darstellen – all dies verleiht seinen Analysen Italiens auch für koloniale Gesellschaften besondere Bedeutung.

Althusser entwickelt Gramsci in Ideologie und ideologische Staats­apparate (1977) in strukturalistischer Weise weiter. Er unterscheidet sich von Gramsci, insofern er das Problem in Begriffen der Reproduktion stellt. Dennoch liegt beiden Ansätzen ein gemeinsames Interesse zugrunde: Die ökonomischen Produktionsverhältnisse müssen selbst nicht nur ökonomisch, sondern auch sozial, technisch und vor allem ideologisch reproduziert werden. Dies ist nur eine andere Fassung der Beobachtung Gramscis, wonach die sozialen Verhältnisse im Kapitalismus zu ihrer vollständigen Entwicklung darauf angewiesen sind, dass eine moralische, intellektuelle und ideologische Führung sie auf den nicht-ökonomischen Ebenen der Politik, der Zivilgesellschaft und der Kultur ausarbeitet und mit ihnen verbindet. Weiterhin teilt Althusser mit Gramsci das klassische Interesse daran, wie sich die Hegemonie der herrschenden Klasse auf diesen anderen Ebenen herstellt: durch eine bildende und erzieherische Führung der Klassen und die Autorität über die Gesellschaftsformation insgesamt. Diese erweiterte und ausgedehnte Hegemonie ist nach Auffassung beider für die Institutionen, Apparate und Verhältnisse der sogenannten ›Überbauten‹ von Staat und Zivilgesellschaft spezifisch. Beide insistieren darauf, dass die Ideologie als zugleich widersprüchliches Kampffeld und Einsatz des Klassenkampfs eine spezifische Funktion bei der Sicherung der erweiterten Reproduktionsbedingungen des Kapitals hat. Es ist von daher eine fortdauernde und deutlich von anderen unterschiedene Ebene des Kampfes, wobei die Mechanismen und Felder dieses Kampfes ›relativ autonom‹ sind. Beide sehen in der Ideologie kein falsches Bewusstsein, das durch ein Ensemble von Mythen und bloß falschen Vorstellungen in den Köpfen erklärt werden kann. Vielmehr benötigten alle Gesellschaften besondere Ideologien mit ihren Bedeutungs-, Kategorien- und Vorstellungssystemen, die der Welt einen Sinn geben und durch die die Menschen (wenn auch unbewusst und über eine Reihe von ›Verkennungen‹) ihre Beziehung zu ihren wirklichen, materiellen Existenzbedingungen, die für sie nur über Bewusstseinsformen in und durch Ideologie erfahrbar sind, auf imaginäre Weise ›leben‹ können. Während Althusser manchmal zu der zu funktionalistischen Vorstellung neigt, dass Ideologie nur die Herrschaft der herrschenden Klasse sichert, als ob per definitionem jede Ideologie im Horizont der ›herrschenden Ideen‹ der herrschenden Klasse wirke, denkt Gramsci Ideologien auf widersprüchlichere Weise – als Schauplätze und Einsätze des Klassenkampfs. Gramsci interessiert, wie die vorhandenen Ideologien – der ›Alltagsverstand‹ der Hauptklassen –, die selbst das komplexe Resultat früherer Momente und Lösungen im ideologischen Klassenkampf sind, so bearbeitet werden können, dass sie zur Basis eines bewussteren Kampfes und Eingreifens in den historischen Prozess transformiert werden. Beide betonen jedoch, dass Ideologien nicht einfach ›im Kopf sind, sondern materielle Verhältnisse – was Lenin ideologische soziale Verhältnisse nannte –, die sozialen Handlungen ihre Form geben, über konkrete Institutionen und Apparate funktionieren und in Praktiken materialisiert sind. Gramsci hebt den Prozess hervor, der diese großen ›praktischen Ideologien‹ der sozialen Hauptklassen transformiert. Althusser seinerseits fügt hinzu, dass die Ideologien dadurch wirken, dass sie konkrete Individuen als soziale Subjekte ideologischer Diskurse konstituieren – ein Prozess, den er die Anrufung der Subjekte nennt.

Diese Themen wurden kürzlich in Laclaus Aufsätzen über Populismus und Faschismus weiterentwickelt (1981). Laclau argumentiert, dass die einzelnen Elemente dieser Ideologien (z. B. Nationalismus, Militarismus, Rassismus, das Volk etc.) in sich keine notwendige Klassenzugehörigkeit oder ›Klassen-Konnotation‹ haben. Wir können nicht a priori annehmen, dass diese Elemente zu einer bestimmten Klasse ›gehören‹ oder dass eine Klasse als homogene Einheit eine einzige einheitliche und unwidersprüchliche Weltanschauung hat, die sie, wie Poulantzas sagt, »wie ein Nummernschild auf ihrem Rücken« mit sich durch die Geschichte trägt (1974). Als konkrete Diskursformationen stellen Ideologien eine spezifische, ihnen eigene ›Einheit‹ dar. Diese Einheit resultiert aus einem Prozess, den Laclau ›Verdichtung‹ nennt und bei dem jedes Element fähig ist, »Verdichtungen mit den anderen Elementen herzustellen. Wenn eine familiale Anrufung zum Beispiel eine politische Anrufung oder eine ästhetische Anrufung auslöst und wenn jede dieser isolierten Anrufungen als ein Symbol der anderen wirkt, dann haben wir einen relativ einheitlichen ideologischen Diskurs.« (Laclau 1981, 90)

O’Shea definierte dies als eine durch den Prozess der konnotativen Verdichtung hergestellte »ideologische Einheit« (1978). Zweitens wird die Einheit durch »die spezifische Anrufung gebildet …, die die Achse und das organisierende Prinzip jeder Ideologie darstellt … Wenn wir versuchen, die ideologische Ebene einer bestimmten Gesellschaftsform zu analysieren, muss unsere erste Aufgabe sein, die sie konstituierenden Anrufungsstrukturen zu rekonstruieren.« (Laclau 1981, 89)

Wenn getrennte ideologische Elemente keine notwendige Klassenzugehörigkeit und Klassen keine paradigmatischen Ideologien haben, die ihnen zugewiesen oder zugeschrieben werden können, welches ist dann die Beziehung zwischen Klassen und Ideologien? Diese Beziehung könnte in der Weise verstanden werden, dass der Klassenkampf die verschiedenen ideologischen Diskurse artikuliert. »Artikulation setzt die Existenz klassenunspezifischer Inhalte (Anrufungen und Widersprüche) voraus, die das Rohmaterial abgeben, mit dem die ideologischen Klassenpraktiken operieren … Die Ideologie der herrschenden Klasse ruft, gerade weil sie herrschend ist, nicht nur die Mitglieder ihrer eigenen, sondern auch die der beherrschten Klassen an.« (Ebd. 140)

Sie ist erfolgreich in dem Maß, wie sie »verschiedene Ideologien durch die Eliminierung ihres antagonistischen Charak­ters mit ihrem hegemonialen Projekt [artikuliert]« (Laclau 1981, 141; Laclau 1977, 161f.; eig. Übers.)

Ideologien werden daher »durch den Klassenkampf, der durch die Produktion von Subjekten und die Artikulation/Desartikulation von Diskursen bewerkstelligt wird« (Laclau 1981, 95), transformiert. Dies folgt Gramscis Generallinie, für den Ideologien nicht auf durchsichtige, kohärente ›Klasseninteressen‹ ihrer Klassen-Subjekte reduziert und nicht dadurch transformiert werden können, dass eine Klasse ihre Weltsicht allen anderen Klassen aufzwingt, sondern durch einen »Prozess der Unterscheidung und der Veränderung im relativen Gewicht, das die Elemente in der alten Ideologie besaßen …. Was zweitrangig und untergeordnet war, erhält erste Wichtigkeit, es wird zum Kern eines neuen doktrinären und ideologischen Ensembles.« (Mouffe 1979, 191f.)

Es gibt Probleme mit Laclaus tastenden Formulierungen: Was sind zum Beispiel ›Klassenpraktiken‹, die Ideologien transformieren können, ohne selbst spezifische ideologische Elemente zu enthalten, die ihnen ›gehören‹? Trotz dieser Schwierigkeiten geben uns diese Theoretiker Anhaltspunkte, mit deren Hilfe wir eine nicht-reduktionistische Theorie der superstrukturellen und außer-ökonomischen Aspekte der Gesellschaftsformationen konstruieren können – wieder unterstützt durch den Begriff der Artikulation. Es ist noch kaum damit begonnen worden, diese Problematik auf rassistisch strukturierte Gesellschaftsformationen anzuwenden. Ich möchte daher mit der kurzen Skizze wenigstens einiger der theoretischen Verfahren schließen, die eine derartige Forschung meiner Ansicht nach notwendigerweise leiten müssten.

Diese müsste von einer strengen Anwendung des Prinzips der historischen Spezifik ausgehen. Es gibt keinen Rassismus als allgemeines Merkmal menschlicher Gesellschaften, nur historisch-spezifische Rassismen. Wir unterstellen daher zunächst Differenz und Spezifik, keine einheitliche, transhistorische oder universale ›Struktur‹. Damit leugnen wir nicht, dass dennoch einige Merkmale herausgefunden werden können, die allen als ›rassistisch strukturiert‹ bezeichneten Gesellschaftssystemen gemeinsam sind. Doch eine solche allgemeine Definition des Rassismus ist, da sie ausschließlich von der Ebene des Allgemeinen ausgeht, deren Abstraktionen nach Marx »chaotische Vorstellungen« (MEW 13, 631) sind, nicht die geeignetste Quelle für theoretische Entwicklung und Forschung: »… allein, wenn die entwickeltsten Sprachen Gesetze und Bestimmungen mit den unentwickeltsten gemeinsam haben, so ist gerade das, was ihre Entwicklung ausmacht, der Unterschied von diesem Allgemeinen und Gemeinsamen. Die Bestimmungen … müssen gerade gesondert werden … damit über der Einheit … die wesentliche Verschiedenheit nicht vergessen wird.« (MEW 13, 617)

Rassismus im Allgemeinen ist eine »verständige Abstraktion, sofern sie wirklich das Gemeinsame hervorhebt, fixiert und uns daher die Wiederholung erspart.« (Ebd.)

Sie mag dabei helfen, diejenigen sozialen Phänomene, die auf der Basis rassistischer (biologischer oder sozialer) Zuschreibungen verschiedene soziale Gruppen und Klassen positionieren, von anderen Systemen mit ähnlicher sozialer Funktion zu unterscheiden. Doch: »Einiges davon gehört allen Epochen; anderes einigen gemeinsam. Einige Bestimmungen werden der modernsten Epoche mit der Ältesten gemeinsam sein.« (Ebd.)

Diese Warnung richtet sich gegen jede Übertragung einer gemeinsamen und universellen Struktur auf den Rassismus, die unterstellt, dass er außerhalb einer spezifisch historischen Lokalisierung wesentlich derselbe bleibe. Nur dadurch, dass die verschiedenen Rassismen historisch in ihrer Differenz spezifiziert werden, können sie richtig als »ein Produkt historischer Verhältnisse« verstanden werden, die »ihre Vollgültigkeit nur für und innerhalb dieser Verhältnisse besitzen« (MEW 13, 636). Einiges könnte aus der Unterscheidung dessen, was im Alltagsverstand nur als Varianten ein und derselben Sache erscheint, gelernt werden: z. B. wäre der Rassismus der Sklaverei in den Südstaaten von dem Rassismus zu unterscheiden, der nach dem Bürgerkrieg in den Nordstaaten mit der Eingliederung der Schwarzen in die Formen ›freier Arbeit‹ einherging; oder der Rassismus der karibischen Sklavenhaltergesellschaften von dem Rassismus metropolitaner Gesellschaften wie Britannien, die gezwungen waren, schwarze Arbeiter/in­nen in die industrielle Produktion des 20. Jahrhunderts zu integrieren.

Dies ist teilweise deshalb nötig, weil der Rassismus nicht unter Ab­straktion von anderen sozialen Verhältnissen erklärbar ist – selbst wenn er, umgekehrt, auch nicht auf diese Verhältnisse reduziert werden kann. In vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen soll es voll entfaltete Rassismen gegeben haben. Bei der Behandlung neuerer Gesellschaftsformationen muss daher gezeigt werden, wie der Rassismus umfassend reorganisiert und mit den Verhältnissen neuer Produktionsweisen artikuliert wurde. Die spezifische Wirksamkeit von Stellung, Funktion, Mittel und Mechanismen des Rassismus in der Sklaverei der Plantagenwirtschaft während der merkantilistischen Entwicklungsphase des Weltkapitalismus kann nur oberflächlich erklärt werden, wenn der Begriff aus diesem spezifischen historischen Kontext in andere, hiervon völlig verschiedene übertragen wird. Nach Finley (1969), Davis (1969, 1970) und anderen wurde die Sklaverei im Altertum mit herabwürdigenden Klassifizierungen zwischen versklavten und versklavenden Völkern artikuliert. Sie führte nicht notwendigerweise zum Gebrauch speziell rassistischer Kategorien, wie dies die Plantagen­sklaverei beinahe überall tat. Es kann daher kein unterstelltes und notwendiges Zusammentreffen zwischen Rassismus und Sklaverei als solcher geben. Gerade die Unterschiede in der Rolle, die die Sklaverei in diesen sehr verschiedenen Epochen und Gesellschaftsformen spielte, zwingen uns, die Grundlage genauer zu bestimmen, auf der dieses spezielle Zusammentreffen von Rassismus und Sklaverei hergestellt wurde. Wo beides zusammen auftritt, müssen Mechanismus und Wirksamkeit ihres Funktionierens sowie ihrer Artikulation mit anderen Verhältnissen erst gezeigt und dürfen nicht unterstellt werden.

Auch dass es Einstellungen rassischer Überlegenheit gewesen seien, die die Einführung der Plantagensklaverei angetrieben hätten, ist zu bestreiten. Stattdessen wäre genau am entgegengesetzten Ende mit einer Untersuchung darüber zu beginnen, inwiefern die Sklaverei als Resultat des Arbeitskräftemangels und der Organisation der Plantagenwirtschaft – zunächst nicht mit Hilfe von schwarzen, sondern von eingeborenen und danach von weißen per Vertrag angeheuerten Arbeitskräften – jene Formen des juristischen Rassismus erst hervorbrachte, die die Epoche der Plantagensklaverei auszeichnen. Für die Ausarbeitung der Rechts- und Eigentumsform der Sklaverei als eines Ensembles von Enklaven innerhalb einer Gesellschaft, die auf anderen Rechts- und Eigentumsformen beruhte, war eine besondere und differenzierte ideologische Arbeit nötig – wofür die Geschichte der Sklaverei ebenso wie die ihrer Abschaffung beredt Zeugnis ablegt.

Dasselbe Argument gilt für all jene Erklärungen, die den Rassismus im Allgemeinen auf eine universelle Funktionsweise der individuellen Psychologie als ›rassistisches Gelüst‹ oder ›Rasse-Instinkt‹ zurückführen oder die seine Entstehung in Begriffen einer allgemeinen Psychologie des Vorurteils erklären. Die Frage ist nicht, ob Menschen im Allgemeinen Unterschiede in der Wahrnehmung zwischen Gruppen mit verschiedenen ›rassischen‹ oder ethnischen Charakteristika machen, sondern, welches die spezifischen Bedingungen sind, die dieser Form der Unterscheidung soziale Bedeutung und historische Wirksamkeit verleihen. Was gibt der abstrakten menschlichen Möglichkeit ihre Wirksamkeit, ihre materielle Gewalt? Aus Britanniens langfristiger imperialer Hegemonie und der engen Verbindung zwischen kapitalistischer Entwicklung zu Hause und kolonialen Eroberungen in Übersee ließen sich leicht die Züge eines aktiven Rassismus im britischen Volksbewusstsein entwickeln. Dennoch erklärt dies allein weder die Form und Funktion, die der Rassismus in der Periode des populären Imperialismus auf dem Höhepunkt der imperialistischen Rivalität gegen Ende des 19. Jahrhunderts annahm, noch die davon sehr verschiedenen Formen eines endogenen Rassismus, der tief in die Arbeiterklasse selbst eindrang und unter den Bedingungen der Nachkriegsmigration im Zuge des Kontakts zwischen schwarzen und weißen Arbeiter/innen in Erscheinung trat. Die Geschichten all dieser verschiedenen Rassismen können nicht als eine ›allgemeine Geschichte‹ geschrieben werden (Hall et al. 1978b). Appelle an die ›menschliche Natur‹ sind keine Erklärungen, sondern ein Alibi.

Daher muss zunächst die konkrete historische Arbeit‹ untersucht werden, die der Rassismus – als ein Ensemble klar unterschiedener ökonomischer, politischer und ideologischer Praktiken, die konkret mit anderen Praktiken in einer Gesellschaftsformation artikuliert sind – unter spezifischen historischen Bedingungen leistet. Durch diese Praktiken werden verschiedene soziale Gruppen in Beziehung zueinander und in Bezug auf die elementaren Strukturen der Gesellschaft positioniert und fixiert; diese Positionierungen werden in weitergehenden sozialen Praktiken festgeschrieben und schließlich legitimiert. Es sind Praktiken, die die Hegemonie einer dominanten Gruppe über eine Reihe von untergeordneten Gruppen in einer für die langfristige Entwicklung der produktiven Grundlage der gesamten Gesellschaftsformation günstigen Weise sichern. Obwohl die ökonomischen Aspekte als ein Ansatzpunkt entscheidend sind, lässt sich diese Form der Hegemonie nicht aus dem bloßen Wirken des ökonomischen Zwangs heraus begreifen. Ein auf dieser Ebene – ›dem ökonomischen Kern‹, wo nach Gramsci die Hegemonie zuerst gesichert werden muss – bereits wirksamer Rassismus wird ausgearbeitete Verhältnisse in den anderen – politischen, kulturellen und ideologischen – Instanzen haben oder nach sich ziehen. Doch auch in dieser, wenngleich korrekten Formulierung ist die Behauptung immer noch zu ­apriorisch formuliert. Wie genau arbeiten diese Mechanismen? Welche weiteren Bestimmungen müssen hinzugefügt werden? Rassismus ist nicht in derselben Form und in demselben Ausmaß in allen kapitalistischen Formationen präsent: Er ist nicht notwendig für das konkrete Funktionieren aller Kapitalismen. Es muss gezeigt werden, wie und warum Rassismus speziell mit gewissen Kapitalismen an bestimmten Stufen ihrer Entwicklung artikuliert und durch sie überdeterminiert wurde. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass diese Entwicklung eine einzige Form annehmen, einer notwendigen Reihe oder Entwicklungslogik folgen muss.

Wir müssen vielmehr umgekehrt die Artikulation des Rassismus mit den verschiedenen Strukturen der Gesellschaftsformation zeigen. So wurde zum Beispiel der Sklave in der Plantagen-Gesellschaft vor der Emanzipation nicht ausschließlich durch die ›Rasse‹ in seiner Position festgehalten, vielmehr leisteten dies die spezifischen und unterscheidbaren Produktionsverhältnisse der auf Sklaverei basierenden Landwirtschaft, der Eigentumsstatus des Sklaven (als einer Ware) und der Arbeitskraft des Sklaven (die er zwar verausgabte, die aber nicht sein ›Eigentum‹ war), gekoppelt mit rechtlichen, politischen und ideologischen Systemen, die dieses Verhältnis durch eine rassistische Zuschreibung verankerten. Diese Koppelung mag die gebrauchsfertige Erklärung und den Rahmen für jene Strukturen eines ›informellen Rassismus‹ geliefert haben, der wirksam wurde, als die ›befreite‹ schwarze Arbeit in den Norden der Vereinigten Staaten wanderte oder, nach der Emanzipation in der Karibik, in das ›freie‹ Dorf. Aber diese Koppelung funktionierte auf neue Weise, und sie verlangte nach einer eigenen ideologischen Arbeit – wie z. B. in der ›Jim Crow‹-Gesetzgebung der 1880er und 1890er Jahre (Vann Woodward 1957). Der niedere und spezifische Status der schwarzen Arbeit als einer Fraktion der ›freien arbeitenden‹ Klassen des Industriekapitalismus wurde zwar mit Hilfe eines transformierten Rassismus reproduziert, aber auch durch andere Mechanismen, die die Schwarzen auf neue Weise und in Bezug auf neue Formen des Kapitals strukturell positionierten. Daraus entwickelten sich spezifische Kämpfe, die die Lücken zwischen rassistischer Zuschreibung und den offiziellen Ideologien der ›gleichen Chancen‹ ausbeuteten oder direkt an deren Widersprüchen ansetzten, wie sie für schwarze Sklaven in einem Plantagensystem einfach nicht vorstellbar waren (Myrdal 1962).

Wir behandeln diese Unterschiede zu unserem eigenen Schaden als ›im Wesentlichen dasselbe‹. Wir können aber auch nicht, weil der entwickelte Kapitalismus überwiegend auf ›freier Arbeit‹ beruht, die ›rassischen‹ Aspekte der sozialen Verhältnisse immer und für alle praktischen Zwecke mit ihren typischen Klassenverhältnissen gleichsetzen, wie es Cox (1970) tat. Die ›Rasse‹ differenziert weiter zwischen den verschiedenen Fraktionen der Arbeiterklassen im Verhältnis zum Kapital, sie schafft spezifische Formen der Spaltung und Fraktionierung, die für die Art, wie diese Formen die Klassenverhältnisse durchschneiden, ebenso wichtig sind, da sie so den Klassenkampf intern aufspalten, wie sie bloßer Ausdruck‹ einer allgemeinen Form eben dieses Klassenkampfs sind. Es ist historisch zutreffender, die Beziehungen zwischen Klasse und ›Rasse‹ im Politischen und Kulturellen als ungleich und kombiniert statt als eine einfache Entsprechung aufzufassen.

Auf der ökonomischen Ebene muss der ›Rasse‹ als besonderem Merkmal eine spezifische und ›relativ autonome‹ Wirksamkeit zugestanden werden. Deshalb ist aber das Ökonomische für eine Erklärung dessen, wie diese Verhältnisse konkret funktionieren, nicht ausreichend. Wir müssen wissen, wie verschiedene ›rassische‹ und ethnische Gruppen historisch eingegliedert wurden, wie die ursprünglichen Verhältnisse allmählich erodierten und sich transformierten bzw. wie sie diese Unterscheidung über lange Zeit hinweg am Leben erhielten – nicht einfach als Rückstände und Spuren vergangener Produktionsweisen, sondern als aktiv strukturierende Prinzipien der gegenwärtigen Gesellschaftsorganisation. ›Rassische‹ Kategorien allein reichen dafür nicht: Welches sind die verschiedenen Formen und Verhältnisse, in denen diese ›rassischen‹ Fraktionierungen unter dem Kapital kombiniert wurden? Nehmen sie in signifikanter Weise unterschiedliche Positionen zum Kapital ein? Treten sie innerhalb einer Artikulation verschiedener Produktionsweisen auf? Wie funktioniert die ›Rasse‹ bei der Erhaltung und Entwicklung dieser Artikulationen? Welche Funktionen erfüllen die dominierten Produktionsweisen für die Reproduktion der dominanten? Sind sie mit ihr über die häusliche Reproduktion der Arbeitskraft ›unter ihrem Wert‹, die Versorgung mit billiger Arbeit oder die Regulierung der ›industriellen Reservearmee‹, über die Rohstoffzufuhr, die ländliche Subsistenzwirtschaft oder die verborgenen Kosten der sozialen Reproduktion verbunden? Die einheimischen ›Naturökonomien‹ Lateinamerikas und die für die karibischen Gesellschaften charakteristischen Formen der halb-häuslichen Produktion unterscheiden sich in dieser Hinsicht signifikant voneinander. Dasselbe gilt sogar dort, wo verschiedene ethnische Fraktionen in denselben Beziehungen zum Kapital stehen. Die Position der schwarzen Arbeit im industrialisierten Norden der USA und die schwarze Einwanderung im Nachkriegsbritannien zeigen zum Beispiel höchst verschiedene Modellierungen entlang ›rassischer‹ Linien, auch wenn beide Konstellationen ohne das Konzept der industriellen Reserve­armee nicht erklärbar sind. Allerdings stellen die Schwarzen nicht die einzige Spaltung innerhalb der Reserve­armee dar: Ihre Größe und Zusammensetzung wird nicht allein durch den Mechanismus der ›Rasse‹ reguliert. In den USA stellten Weiße, und zwar vor allem europäische und mexikanische Einwanderer, sowie Frauen ein weiteres bedeutsames Element dar, in Britannien waren dies sowohl Frauen als auch Iren (vgl. Braverman 1975; Castles und Kosack 1973).

Die Alternativen eines Entweder/Oder, die im Einleitungsteil dieses Papiers vorgestellt wurden, sind für diese Fragen als theoretische Modelle äußerst ungeeignet, unabhängig davon, ob es sich bei der Analyse um ›metropolitane‹ oder ›periphere‹ Formationen, um historische oder zeitgenössische Formen handelt. Die Strukturen, durch die die schwarze Arbeit reproduziert wird – die für das Kapital auf einer bestimmten Entwicklungsstufe allgemein gelten können, wie auch immer die ›rassische‹ Zusammensetzung der Arbeit ist –, sind nicht einfach durch die Rasse ›gefärbt‹: sie werden erst über die ›Rasse‹ ins Werk gesetzt (Hall et al. 1978b). Die kapitalistischen Verhältnisse können als eine – für jede Ebene oder Instanz der Gesellschaftsformation jeweils unterschiedliche – Artikulation von Klassen begriffen werden: ökonomisch, politisch und ideologisch. Aufgrund der zwischen diesen Ebenen wirksamen relativen Autonomie sind in ihnen die jeweiligen ›Effekte‹ der Strukturen der modernen kapitalistischen Produktion notwendigerweise verschoben. Denn jede Ebene verlangt nach ihren eigenen unabhängigen ›Repräsentationsmitteln‹ – durch die die klassenförmig strukturierte Gesellschaftsformation erscheint und im ökonomischen, politischen und ideologischen Klassenkampf wirksam wird. ›Rasse‹ ist untrennbar mit der Art und Weise verbunden, wie die schwarze Arbeiterklasse auf jeder dieser Ebenen komplex konstituiert wird: Sie wirkt sich auf die Art der Verteilung der schwarzen Arbeiter/innen als ökonomische Akteure auf die ökonomischen Tätigkeiten und die daraus resultierenden Klassenkämpfe aus; und auf die Art und Weise, wie die Fraktionen der schwarzen Arbeiterklasse durch die Mittel der politischen Vertretung (Parteien, Organisationen, kommunale Aktionszentren, Publikationen und Kampagnen) als Kräfte auf der ›politischen Bühne‹ rekonstituiert werden – und auf die politischen Kämpfe, die daraus hervorgehen; schließlich auf die Art und Weise, in der die Mitglieder der Klasse als kollektive und individuelle ›Subjekte‹ von sich herausbildenden Ideologien artikuliert werden – und auf die Kämpfe um Ideologie, Kultur und Bewusstsein, die daraus hervorgehen.

Dadurch erhalten Thema und Dimension der ›Rasse‹ – und damit der Rassismus – eine praktisch wie theoretisch zentrale Stellung bei all den Verhältnissen, die die schwarze Arbeit betreffen. Die Konstituierung dieser Fraktion als einer Klasse, und die Klassenverhältnisse, die ihr zugeschrieben werden, funktionieren als race relations. ›Rasse‹ ist also die Modalität, in der Klasse ›gelebt‹ wird, das Medium, in dem Klassenverhältnisse erfahren, die Form, in der sie angeeignet und ›durchgekämpft‹ werden. Dies hat Konsequenzen für die Klasse insgesamt, nicht nur für ihr ›rassistisch definiertes‹ Segment – Konsequenzen im Sinne einer inneren Fraktionierung und Spaltung der Arbeiterklasse, die unter anderem auch durch die ›Rasse‹ artikuliert ist.

Dies ist keine bloße rassistische Verschwörung von oben. Denn Rassismus ist auch eines der dominanten Medien, durch das die weißen Fraktio­nen der Klasse ihre Beziehungen zu anderen Fraktionen und damit zum Kapital selbst ›leben‹. Bei der Desartikulation einiger der noch existierenden (wenn auch korporatistischen und sozial-reformerischen) syntaktischen Formen des Klassenkampfs kommt den Kräften eine Schlüsselstellung zu, die die Klassenerfahrung durch die verdichteten Anrufungen einer rassistischen ideologischen Syntax reartikulieren. Der ideologische Klassenkampf ist gerade dort am wirkungsvollsten, wo er die internen Widersprüche der Klassenerfahrung mit dem Rassismus artikuliert und so die beherrschten Klassen für das Kapital nutzbar macht. In Britannien hat dieser Prozess Ende der siebziger Jahre einen seltenen Höhepunkt erreicht. Diese Kräfte sind aber nicht erfolgreich, weil sie geschickt die Dämonen beschwören, Hakenkreuzfahnen schwenken oder Mein Kampf lesen, sondern in dem Maße, wie sie reale Widersprüche zwischen und innerhalb der Klasse behandeln und damit an wirklichen Effekten der Struktur arbeiten, auch wenn diese durch den Rassismus ›verkannt‹ werden.

Rassismus ist daher nicht nur das Problem der Schwarzen, die seine Opfer sind. Er ist schon gar nicht nur ein Problem für die Teile der weißen Arbeiterklasse und Organisationen, die sein Schandmal tragen. Noch kann er, wie ein allgemeiner Virus im Gesellschaftskörper, durch eine starke Dosis Liberalismus unschädlich gemacht werden. Das Kapital reproduziert die Klasse mit ihren internen Widersprüchen, die als ganze durch die ›Rasse‹ strukturiert ist. Es dominiert die geteilte Klasse teilweise durch jene internen Spaltungen, die Rassismus als einen ihrer Effekte haben. Es begrenzt und schwächt repräsentative Klasseninstitutionen, indem es sie neutralisiert – sie auf Strategien und Kämpfe einengt, die ›rassen‹spezifisch sind und deren Grenzen und Schranken nicht übersteigen. Mit Hilfe des Rassismus kann es alle die Versuche niederschlagen, alternative Repräsentationsformen zu schaffen, die die Klasse insgesamt besser repräsentieren könnten oder als deren Resultat die Einheit der Klasse entstehen könnte – gegen den Kapitalismus und den Rassismus. Die durch die ›Rasse‹ artikulierten Fraktionskämpfe scheinen dagegen weiterhin als Defensivstrategien einer in sich gespaltenen Klasse notwendig, die direkt mit dem Kapital konfrontiert ist. Sie sind so der Schauplatz der fortwirkenden Hegemonie des Kapitals über sie. Aber der Rassismus ist eben nicht auf irgendeine simple Weise als Produkt eines ideologischen Tricks zu verstehen.

Eine solche Analyse müsste durch die der spezifischen Formen, die der Rassismus in seiner ideologischen Funktionsweise annimmt, ergänzt werden. Hier müssten wir zunächst erforschen, auf welche Weise rassistische Ideologien konstruiert und unter welchen historischen Bedingungen sie eingesetzt wurden: die Rassismen der merkantilistischen Theorie und der Sklaverei der ›beweglichen Habe‹; die der Eroberung und des Kolonialismus; des Handels und des ›Hochimperialismus‹; die des ›populären Imperialismus‹ und des sogenannten ›Post-Imperialismus‹. In jedem Fall wurde der Rassismus als eine ideologische Konfiguration in jeweils bestimmten Gesellschaftsformationen und dominanten Klassenverhältnissen rekonstruiert und umfassend umgearbeitet. Ob er für die gesamte Gesellschaftsformation die Funktion einer zementierenden Ideologie unter einer herrschenden Klasse übernahm oder in Differenz zu anderen hegemonialen Ideologien stand, muss in allen Details festgestellt werden.

Der Rassismus ist besonders mächtig und seine Wirkung auf das Alltagsbewusstsein besonders prägend, weil er in solchen ›Rasse‹-Merkmalen wie Hautfarbe, ethnische Herkunft, geografische Position etc. etwas entdeckt, was andere Ideologien erst aufbauen müssen: eine offenbar ›natürliche‹ oder universelle Basis in der Natur selbst. Aber trotz dieser offensichtlichen Begründung in biologischen Gegebenheiten hat der Rassismus, der als eine Ideologie außerhalb der Geschichte erscheint, eine Wirkung auf andere ideologische Formationen innerhalb derselben Gesellschaft, und sein Auftreten ruft eine Veränderung des gesamten ideologischen Feldes hervor, in dem er wirksam geworden ist. Er kann in dieser Weise – durch den zuvor diskutierten Mechanismus der konnotativen Verdichtung – andere ideologische Diskurse für sich nutzbar machen: so artikuliert er sich fest mit der Wir/Sie-Struktur des korporativen Klassenbewusstseins. Seine Wirkungen sind denen anderer Ideologien ähnlich: Rassismen enthistorisieren – sie übersetzen historisch spezifische Strukturen in die zeitlose Sprache der Natur; sie zerlegen die Klassen in Individuen und setzen diese disaggregierten Individuen wieder zu rekonstruierten Einheiten zusammen, großen kohärenten Gebilden, neuen ideologischen ›Subjekten‹: sie übersetzen ›Klassen‹ in ›Schwarze‹ und ›Weiße‹, ökonomische Gruppen in ›Völker‹, feste Kräfte in ›Rassen‹. Diesen Prozess der Bildung neuer ›historischer Subjekte‹ für ideologische Diskurse haben wir vorher als die Bildung neuer Anrufungsstrukturen kennengelernt. Er produziert das naturalisierte ›rassistische Subjekt‹ als den natürlichen und gegebenen Autor einer spontanen Form der rassistischen Wahrnehmung.

Der Rassismus ist nicht nur ›von außen‹ gegen die gerichtet, die er disponiert und desartikuliert (zum Schweigen bringt). Er ist auch innerhalb der dominierten Subjekte wirksam – jenen untergeordneten ethnischen Gruppen oder ›Rassen‹, die ihre Beziehung zu ihren realen Existenz­bedingungen und ihr Beherrschtsein durch die herrschenden Klassen in und durch die imaginären Vorstellungen der rassistischen Anrufung erleben und die dazu gebracht werden, sich selbst als ›die Minderwertigen‹, les autres, zu erfahren. Und doch sind diese Prozesse selbst nie vom ideologischen Klassenkampf ausgenommen. Die rassistischen Anrufungen können selbst zu Orten und Einsätzen im ideologischen Kampf, als elementare Formen einer oppositionellen Formierung besetzt und umdefiniert werden – dort zum Beispiel, wo weißer Rassismus durch die symbolische Umkehrung der black power angegriffen wird. Die Ideologien des Rassismus bleiben widersprüchliche Strukturen, die zugleich als Vehikel für die Durchsetzung dominanter Ideologien und als elementare Formen von Kulturen des Widerstands dienen können. Jeder Versuch zur Beschreibung der Politiken und Ideologien des Rassismus, der diese konstanten Merkmale des Kampfs und Widerspruchs weglässt, fällt bei seinem Erklärungsversuch auf einen untauglichen Reduktionismus zurück.

Übersetzt von Ulrich Mehlem, wieder veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Argument Verlag. Zuerst erschienen in: Hall Stuart, Rassismus und kulturelle Identität, Bd 2, Hamburg 1994.