Seit der fordistisch-keynesianische Klassenkompromiss endgültig aufgekündigt wurde, haben wir es mit einem regellos, aber stetig anwachsenden Strom von Menschen zu tun, die in die dunklen Ecken, Ritzen und Gräben der sich polarisierenden Städte drängen und versuchen, dort heimisch zu werden. Man mag sie als urbanes Prekariat bezeichnen, diese prekären Fraktionen des postindustriellen Proletariats, deren missliche Lage sich in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert hat – technisch betrachtet, sind es diejenigen, die nichts als ihre Arbeitskraft haben, die sie zu Markte tragen können. Während es zahlreiche makroskopische und statistische Untersuchungen gibt, die diese Entwicklung belegen, geht es in Unsichtbar in Austin (2015) um Elemente des Alltagslebens und des Alltagsbewusstseins dieses urbanen Prekariats. Die Diagnose wird damit bestätigt und erhärtet, gleichzeitig ergibt sich ein komplizierteres Bild.

Verschiedene Momente sind charakteristisch: Dies ist zunächst eine grassierende ökonomische Instabilität und anhaltende soziale Unsicherheit, als Ergebnis entwürdigender Beschäftigungsverhältnisse der unteren Klassen. Dies bezieht sich auf die Bezahlung, den Umfang der Arbeitsstunden, die Art der Tätigkeit, die Arbeitsplatzsicherheit und Jobperspektiven. Hinzu kommt für die meisten, dass sie weder Anspruch auf Arbeitslosen- noch auf  Krankenversicherung haben, nicht auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, auf bezahlten Urlaub oder Altersvorsorge. Diese elementaren sozialen Rechte sind in nahezu jedem fortschrittlichen Land arbeitsrechtlich oder tarifvertraglich festgeschrieben, während sie Beschäftigten in den USA entweder als ›Zuschüsse‹ (benefits) gewährt oder gänzlich vorenthalten werden – Letzteres ist immer noch die Regel. Ein weiteres Moment ist eine widersinnige und für die Menschen schwer auszuhaltende Mischung aus Unterbeschäftigung und Überarbeitung, wobei sich Phasen von zu wenig Arbeit ständig mit solchen abwechseln, in denen zu viel oder maßlos viel zu tun ist. Das Problem der chronischen Unterbeschäftigung verschärft sich durch die gängigen Hungerlöhne, die Abhängigkeit von despotischen Arbeitgebern, durch die Unbeständigkeit der Nachfrage sowie durch die Unsicherheit, die an den Menschen nagt: Ständig fragen sie sich, ob sie auch in Zukunft eine Anstellung finden werden.
Ein damit zusammenhängendes drittes Merkmal des Arbeitslebens des urbanen Prekariats ist die völlig Selbstverständlichkeit periodischer Abstiegsbewegungen. Gemeinhin werden diese nicht nur durch die Launen des Marktes, Outsourcing-Strategien der Unternehmen, familiäre Belastungen oder Krisensituationen (wie die Geburt eines Kindes, Scheidung oder der Verlust von Angehörigen) ausgelöst oder forciert, sondern maßgeblich auch durch Unfälle und Verletzungen am Arbeitsplatz und andere arbeitsbedingte Gesundheitsprobleme. Da die Kosten für medizinische Versorgung völlig außer Kontrolle sind, geraten die Working Poor in den US-amerikanischen Städten in einen Teufelskreis. […]

Eine vierte Dimension der Lebensrealität des urbanen Prekariats besteht darin, dass sich die Schwachen auch untereinander ausnutzen und sich gegenseitig bekriegen. Dieses Phänomen ist selbst von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich mit städtischer Armut befassen, bislang wenig untersucht worden. Es widerspricht ihrem Bemühen, gesellschaftlich herabgesetzte Bevölkerungsgruppen ›aufzuwerten‹. Es ist ein Mindestmaß an sozialer Stabilität nötig, um Vertrauen aufzubauen und Solidarität zwischen den Lohnabhängigen zu fördern. Wenn sich dies in Luft auflöst, bleibt den Armen kaum anderes übrig, als sich gegen andere Arme zu richten. Viele meiden das eigene Milieu und versuchen, sich von ihm zu distanzieren, manche verachten diejenigen, die auf der gleichen sozialen Stufe oder knapp darunter stehen, machen sie gar für ihre Situation selbst verantwortlich.
In einem Kapitel des Buches Unsichtbar in Austin begegnen wir dem alten Santos, der von dem Verkäufer in dem Laden um die Ecke, bei dem er täglich seinen Lottoschein kauft, um den Gewinn gebracht wird, weil er wegen seiner Legasthenie leichte Beute ist. Auch Chips Frustration richtet sich mehr und mehr gegen seine Nachbarn in der informellen Siedlung, in der er wegen seines mageren Einkommens lebt, obwohl er seit Jahrzehnten als Servicetechniker für Kopiergeräte von Canon arbeitet – anstatt sich gegen die städtische Regierung zu richten, die es nicht schafft, die Siedlungen an der Peripherie mit grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen zu versorgen, und sich weigert, selbst minimale Wohn- und Bebauungsvorschriften durchzusetzen. Ähnlich verhält sich Raven, von der wir erfahren, dass die ›Exotik-Tänzerinnen‹ aus ihrem Stripteaseclub Kunden aus der Arbeiterklasse wie Automechaniker oder Bauarbeiter nicht ausstehen können und meiden, nicht nur weil diese ihnen weniger Trinkgeld geben, sondern »weil die schwitzen und stinken«. Für die Tänzerinnen sind sie der Bezug zur Welt körperlicher Mühsal, von der sie sich sehnlichst abgrenzen wollen, gerade in dem Maße, wie sie selbst immer weiter in deren düstere Untiefen eintauchen.

Prekarität erzeugt Menschenhass. Sie untergräbt die Bereitschaft, sich mit anderen zu identifizieren und Bindungen einzugehen, und damit die Voraussetzungen für Solidarität. Stattdessen nährt sie unter den Enteigneten ein durchdringendes Gefühl von Demütigung. Da wir in einer Zeit leben, in der die traditionellen Institutionen zur Verteidigung der Lohnabhängigen wie die Gewerkschaften gezielt geschwächt wurden und Schule und Bildung für die Reproduktion der eigenen Arbeitskraft derart an Bedeutung gewonnen haben, dass man von einer Sakralisierung von Bildungsreferenzen als einer Art »zweitem Kapital« (Bourdieu) sprechen kann, gibt es für die Arbeiter am unteren Rand kaum mehr etwas, auf das sie kollektiv stolz sein könnten. So kommt es, dass sie Ihresgleichen und manchmal sogar sich selbst als wertlos erachten. Sie sind nicht nur politisch entbehrlich und kulturell unsichtbar, sondern sie haben auch ihre gesellschaftliche Ehre und Anerkennung verloren. […]

Tagtäglich wird dieses Gefühl der Schmach am Grund der Gesellschaft noch dadurch verstärkt, dass viele Kontakte mit Kunden persönlicher Dienstleistungen mit Kränkungen und Erniedrigungen einhergehen. Ein vielleicht etwas extremes Beispiel sind die ›unzivilisierten‹ Fahrgäste von Kumar, die ihm nachts in sein Taxi kotzen und ihn daraufhin noch anherrschen, es sei nun einmal sein Job, ihren Dreck wegzumachen. Dies verstärkt gesellschaftliche und symbolische Strategien, sich von ›denen da unten‹ zu distanzieren: »Ich möchte als eine Frau gesehen werden, die schwere Zeiten durchmacht, und nicht als jemand, der benachteiligt ist«, insistiert die 60-jährige Kellnerin Clarissa, die illegal in einem Lagerraum schläft, aber Wert darauf legt, sich vom »Pöbel« abzusetzen, auch von den Obdachlosen. Dieses kollektive Gefühl verleiht auf den ersten Blick individualistischen Erzählungen von Not und Elend eine gewisse Plausibilität, bei denen die entscheidende Rolle der Institutionen unberücksichtigt bleibt, die jedoch sowohl objektive Positionen als auch subjektive Dispositionen prägen. Sogar eine Community-Aktivistin wie Ella, von der man meinen könnte, sie müsse es besser wissen, übernimmt eine moralistische Erklärung von Armut, wenn sie behauptet, »die vielen Funktionsstörungen in Familien über Generationen hinweg« resultieren aus deren »unverantwortlichem Verhalten«. Sie seien an ihrem Elend also selber schuld.
Das beständige Gefühl von prekär Beschäftigten, gedemütigt zu werden, ist sowohl Ursache als auch Konsequenz ihrer augenfälligen Perspektivlosigkeit, was kollektive Aufstiegsmöglichkeiten anbelangt. Im Gegensatz zum Industrieproletariat […], dessen kollektive Identität als stolze Erbauer dieser Welt ihnen nicht nur enormen Zulauf verschaffte, sondern auch Geschlossenheit verlieh, ist das postindustrielle Prekariat eine Art Totgeburt, eine Ansammlung disparater Gruppen, zerrissen und gespalten durch verschiedene zentrifugale Kräfte und Impulse. Jeder sehnt sich danach, ihm zu entfliehen, niemand will Teil davon sein. Kein Wunder also, dass in dem Buch Unsichtbar in Austin die Prekären, die ihre Lage verbessern wollen, durchweg auf persönliches Fortkommen setzen und darauf, soziale Schranken und physische Grenzen individuell zu durchbrechen, auch wenn sie dabei nahestehende Freunde und Familienmitglieder zurücklassen müssen. Sei es vorübergehend oder dauerhaft, wie beispielsweise bei MigrantInnen aus Mexiko, die aufgrund der verstärkten Grenzkontrollen ihre Verwandten nicht länger in die USA bringen oder sie zu Hause besuchen können. Nehmen wir den klassischen Dreiklang von »Exit, Stimme und Loyalität«, mit dem Albert Hirschmann versucht zu fassen, wann sich Menschen gegen die Institutionen, von denen sie im Stich gelassen werden, zur Wehr setzen oder ihnen den Rücken zukehren, in Abhängigkeit davon, wie verbunden sie ihnen waren, dann lässt sich mit Blick auf das urbane Prekariat festhalten: Die Loyalität ist verflogen, die Stimmen sind verstummt, und die Neigung zum Exit, seit jeher tief in die Architektur US-amerikanischer Institutionen eingeschrieben, ist stärker denn je.

All das ist nicht nur der Schwächung der Gewerkschaften geschuldet, sie waren ohnehin nur zeitweilig und in einigen Sektoren und Regionen stark, in Texas haben sie nie eine größere Rolle gespielt. Diese Resignation hängt mit der Schwächung kollektiver Organisationsformen insgesamt zusammen, allen voran der des Staates. Nur sie haben das Potenzial, ein Mindestmaß an Gestaltungsmacht über die Zukunft sicherzustellen, indem sie den Einzelnen vor den Anforderungen des Marktes und der Raubgier der Unternehmen schützen. Im Zentrum der unsichtbaren Stadt zeigt sich also eine eklatante und zugleich oft übersehene Lücke, gerissen durch den organisierten Rückzug des Staates, samt seiner schützenden wie unterstützenden Elemente. Die Zentralregierung hat sich davongestohlen, aber auch auf der lokalen Ebene haben sich die Behörden von einkommensschwachen Vierteln und Bevölkerungsgruppen weitgehend abgewandt, für deren Unterstützung sie sich früher einmal zuständig fühlten. Stattdessen locken sie Firmen und einkommensstarke Haushalte in die Stadt – sie ist zu einem Spielplatz der Reichen und Schönen geworden. In Unsichtbar in Austin stoßen wir lediglich auf einen Bereich, in dem sich die kommunalen und bezirklichen Behörden noch tatkräftig hervortun: die Strafverfolgung und Bevormundung ›missratener‹ Kinder (und derer Eltern), die im Zuge von sogenannten ›Null-Toleranz-Programmen‹ auf Sonderschulen landen, die nur dem Namen nach noch etwas mit Bildung zu tun haben. Es sollte uns daher nicht verwundern, dass die wenigen kollektiven Aktivitäten, von denen im Buch die Rede ist, darauf gerichtet sind, die Auswirkungen extremer Marginalisierung und repressiver Kontrolle von Teenagern aus armen Familien zu mildern, für junge Frauen Putzjobs zu organisieren oder Kindern von MigrantInnen ohne Papiere einen Weg hin zur Staatsbürgerschaft zu eröffnen; also diejenigen zu unterstützen, die sowohl vom Markt als auch vom Staat diskriminiert werden.

Der Widerspruch zwischen Schein und Wirklichkeit, zwischen Sehnsüchten und realen Möglichkeiten, zwischen dem, was sich auf und hinter der Bühne abspielt, droht für viele zu einer existenziellen Zerreißprobe zu werden, die kaum mehr auszuhalten ist: hier die bunte Dienstleistungswelt, bevölkert von emsigen Angestellten, die scheinbar ein gewissen Gefallen an unterwürfigem Verhalten haben, dort die Welt der skrupellosen Ausbeutung von Arbeitskraft ohne jede Sozialversicherung und ökonomische Sicherheit. Eine Möglichkeit, mit diesem Widerspruch umzugehen, ist die Flucht in Traumwelten, wobei sich drei wiederkehrende Muster erkennen lassen: erstens exzessiver ›Geltungskonsum‹, zweitens chronischer Drogenmissbrauch, häufig verbunden mit phasenweisen Sauf- und Fressgelagen, drittens Glücksspiel und (was fast auf dasselbe hinausläuft) die Hoffnung auf ökonomische Unabhängigkeit, indem man sich als Unternehmer selbstständig macht. Der übertriebene Optimismus und Glaube vieler der Protagonistinnen und Protagonisten der unsichtbaren Stadt, sich an den eigenen Haaren aus dem Dreck ziehen zu können, trägt fast schon pathologische Züge. Die Sehnsucht, ›ihr eigener Chef‹ zu werden, ist bei genauerer Betrachtung kaum mehr als eine kognitive Strategie zur Bewältigung der seelischen Belastungen, die mit ihrer aussichtslosen Lage einhergehen. Clarissa klammert sich an jeden Hoffnungsschimmer, der etwas Licht in die soziale Düsternis zu bringen verspricht, denn, so ihre Aussage: »Ich habe nicht die Zeit, um lange depressiv zu sein. Es hilft ja nix.« In den USA gibt es eine lange Tradition, auf die sogenannten unwürdigen Armen herabzublicken, die eng mit einer Kultur des positive thinking zusammenhängt. Sie hält Menschen dazu an, nie die Hoffnung aufzugeben, verleitet aber auch zu einer Überschätzung einzelner positiver Ereignisse. Die schwierige Lebenssituation des urbanen Prekariats in den USA hängt aber auch damit zusammen, dass die legalen Instrumente kollektiver Gegenwehr nur schwach ausgebildet sind und sich der Staat rücksichtslos seiner sozialen Verantwortung entledigt hat. So entstand etwas, das man als strukturell bedingten gesellschaftlichen Eskapismus bezeichnen könnte. Die Zähigkeit und Belastbarkeit des urbanen Prekariats ließen sich demnach als inspirierendes Anzeichen menschlicher Tapferkeit deuten oder aber als die sinnlose Täuschung einer Bevölkerungsgruppe, die weitgehend entmutigt und perspektivlos ist.
Die in einem Team durchgeführte Studie Unsichtbar in Austin behandelt das soziale Leid(en) in einer US-amerikanischen Technopole. Angesiedelt zwischen Stadtforschung, Sozialgeschichte und Arbeitssoziologie, liefert sie reichhaltiges Material, das die existenziellen Konturen des gegenwärtigen Prekariats nachzeichnet. Abgesehen von seinem empirischen Gegenstand gibt es mehrere Gründe, warum dieses Buch lesens- und bedenkenswert sowie von seinem Ansatz her vorbildlich ist. Zunächst einmal zeigt es, dass Soziologinnen und Soziologen anschauliche und facettenreiche Darstellungen des gesellschaftlichen Lebens liefern und eine Metropole auf den Seiten eines Buches tatsächlich zum Leben erwecken können. […] Die Soziologie vermag also, belastbare analytische Kategorien mit sich wandelnden popularen Denkweisen zu verschränken, von denen die alltäglichen Lebensrealitäten geprägt sind. Es gelingt ihr, die Eigenheiten persönlicher Lebensumstände auszuloten und sie gleichzeitig auf unpersönliche Zwängen sowie unsichtbare Mechanismen in der Gesellschaft zu beziehen. Darüber hinaus verfügt die Soziologie über narrative Techniken und Begriffe der Geisteswissenschaften, mit denen sich nicht nur strukturelle Konzepte und Ideen mit empirischen Leben füllen lassen, sondern auch umgekehrt sich anhand konkret situierter sozialer Wesen etwas über gesellschaftliche Strukturen erfahren lässt.


Es bedarf dreier Voraussetzungen, um eine derart lebendige soziologische Beschreibung hervorzubringen, die es den Lesern erlaubt, in einer Art spiralförmiger Bewegung in das Alltagsdasein der Subjekte einzutauchen und nachzuvollziehen, wie sich gesellschaftliche Zwänge in menschlichem Fleisch und in menschlicher Gestalt niederschlagen. Die erste ist eine Landkarte der sozialen Welt, die ihrer Mehrdimensionalität Rechnung trägt und es erlaubt, Menschen in einem Raum von Möglichkeiten zu verorten, die jedoch klar davon abhängen, wie die Ressourcen in den jeweils untersuchten Räumen verteilt sind. Zweitens bedarf es einer hohen Sensibilität gegenüber den Details des Alltagslebens, um die impliziten Kategorien der Wahrnehmung, die dort verankerten Fähigkeiten und die damit verbundenen Sehnsüchte einzufangen, also das, was Bourdieu unter den Begriff des Habitus gefasst hat und dessen dynamisches Zueinander erst konkrete Menschen ausmacht und antreibt. Und drittens sollte man das Handwerk des Schreibens beherrschen, damit der am Ende stehende Text die erlebte Realität, die eingefangen und veranschaulicht werden soll, nicht wieder auslöscht. Javier Auyeros betont: »Es ist wichtig, die Menschen gut kennenzulernen!« Dies wäre zu ergänzen um: »Es ist wichtig, ihr Leben gut darzustellen«.
Aus der Wissens-, Kunst- und Wissenschaftssoziologie ist bekannt, dass Wissensproduktion und Schreiben im Wesentlichen kollektive Tätigkeiten sind. So besteht ein weiteres Verdienst der Studie darin, die Vorzüge von kollektiver Forschung zu dokumentieren. […] Hier zeigt sich, wie hilfreich gegenseitige Unterstützung und Kontrolle an verschiedenen Stellen sein können, wie dadurch das Forschungsdesign aller Mitwirkenden verbessert wurde und ein gemeinsames, kohärentes Buch entstand, das mehr ist als die bloße Summe seiner einzelnen Kapitel. Schließlich bietet Unsichtbar in Austin vielfältige Ansatzpunkte für weiterführende Forschung, aber auch für nachahmende Studien. Es wäre eine Untersuchung denkbar, die uns quer durch den sozialen Raum führt und auch Menschen einbezieht, die die mittleren und oberen Ränge der Gesellschaft bevölkern. So würde das vorhandene Porträt von Austin, das sich auf die gesellschaftlichen Ränder konzentriert, zu einem Triptychon, das die vollständige Klassenstruktur und Textur der Stadt abbilden würde: die Armen, die in der Mitte und die Reichen. Darüber hinaus könnten in einer Art Längsschnittstudie dieselben Personen zusammen mit einer weiteren Untersuchungsgruppe von Menschen mit ähnlichem Hintergrund nach fünf, zehn und zwanzig Jahren erneut zu ihrer Lebenssituation befragt werden, um die Wirkung der Zeit einzufangen. Eine dritte Möglichkeit bestünde darin, den Text mit Audio-, Video- und grafischem Material anzureichern und damit Nutzen aus verschiedenen Analyse- und Darstellungsformen zu ziehen. Am Ende könnte daraus ein sich ständig weiter zu entwickelndes Online-Archiv des Lebens in der texanischen Metropole Austin entstehen. Eine vierte denkbare Weiterführung wären Untersuchungen, die sich mit der Bandbreite geografischer Räume und mit ganz unterschiedlichen Arten von Städten befassen. Ayuero und seine Studierenden haben Bourdieus Studie zum gesellschaftlichen Elend in Frankreich am Ende des 20. Jahrhunderts zum thematischen und methodologischen Ausgangspunkt genommen, um sich mit den Schattenseiten Austins zu beschäftigen. Es wäre zu hoffen, dass Unsichtbar in Austin wiederum andere Soziologinnen und Soziologen dazu anregt, ähnliche kollektive Untersuchungen zu möglichst vielen anderen US-amerikanischen Städte durchzuführen, sodass sich bei entsprechender Anordnung daraus nach und nach ein patchworkähnliches soziologisches Porträt der sich wandelnden Topografie der Städte der Vereinigten Staaten zusammenfügen ließe – von innen heraus und von unten betrachtet.

Leicht gekürzte Fassung des Nachwortes zu dem im September 2015 bei © University of Texas Press erscheinenden Buch »Invisible in Austin. Life and Labor in an American City«, herausgegeben von  Javier Auyero. Aus dem Amerikanischen von Anne Steckner