Jüngst haben führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neun »Grenzwerte« für unseren Planeten aufgestellt. Drei von ihnen – für Klimawandel, Artenvielfalt und den Stickstoffkreislauf – sind bereits überschritten, während wir uns anderen, etwa für Frischwasserverbrauch und die Übersauerung der Weltmeere, stetig nähern. Ökologisch gesehen hat die Wirtschaft eine unheimliche Größe und Aufdringlichkeit entwickelt. Sie sprengt die planetarischen Grenzwerte und stört die biogeochemischen Kreisläufe des Planeten. In Folge dessen ist das Wirtschaftswachstumsparadigma der Moderne wieder einmal in die Kritik geraten. In Europa ist 2008 eine große intellektuelle Bewegung entstanden, die radikal-grünes Denken wiederbelebt. Bekannt wurde sie als Degrowth Economics (Schrumpfungs-Wirtschaft); sie ist besonders mit den Arbeiten von Serge Latouche verbunden.

Ironischerweise überschneidet sich der kometenhafte Aufstieg von Schrumpfung (engl. degrowth, frz. décroissance) in den letzten drei Jahren mit Wirtschaftskrisen und Stagnation, wie wir sie seit den 1930er Jahren nicht mehr erlebt haben. Die Idee der Schrumpfung zwingt uns zu der Frage, ob eine solche in einer kapitalistischen Wachs-oder-stirbGesellschaft realisierbar ist – und wenn nicht, was das für den Übergang zu einer neuen Gesellschaftsordnung bedeutet.

Laut der Website des europäischen Degrowth-Projekts (www.degrowth.eu) bedeutet Schrumpfung die freiwillige Verkleinerung der Nationalökonomie einschließlich einer Verringerung des Bruttoinlandsproduktes. »Freiwillig« weist hier auf die Bevorzugung von voluntaristischen Lösungen hin – allerdings nicht so individualistisch und ungeplant wie bei der Bewegung der Freiwilligen Einfachheit (Voluntary Simplicity) in den USA, wo (gewöhnlich besserverdienende) Einzelpersonen sich individuell entscheiden, aus dem bestehenden, konsumorientierten Marktmodell auszusteigen. Bei Latouche steht Schrumpfung für einen großen sozialen Wandel: eine radikale Umkehr von Wachstum als Hauptziel der modernen Wirtschaftsweise zu seinem Gegenteil.

Falsche Versprechen

Eine Prämisse der Schrumpfungs-Bewegung ist, dass sich angesichts der planetarischen ökologischen Katastrophe das Versprechen grüner Technologie als falsch erwiesen hat. Das kann dem Jevons-Paradox zugeschrieben werden. Es besagt, dass höhere Effizienz im Energie- und Ressourcenverbrauch nicht zu Umweltschutz, sondern zu größerem Wirtschaftswachstum und damit zu mehr Umweltverschmutzung führt. Die zwangsläufige Schlussfolgerung verschiedenster wirtschaftsund umweltpolitischer Vordenker ist, dass es einer drastischen Veränderung der seit der industriellen Revolution bestehenden Entwicklungstendenz bedarf (etwa Paul Sweezy bereits in den 1980ern, vgl. Monthly Review 6/1989). Dies deckt sich mit den Forderungen des ökologischen Ökonomen Herman Daly, der bereits seit geraumer Zeit die Notwendigkeit eines statischen Wirtschaftsmodells betont – in Rückgriff auf John Stuart Mills Begriff des »Stationären (oder Statischen) Staates«. Wenn sich das Wachstum auf einen Stand einpendelt (wovon Klassische Ökonomen ausgehen), könne die ökonomische Entwicklung der Gesellschaft hin zu den qualitativen Aspekten des Lebens verschoben werden, statt sich nur auf quantitative Expansion zu konzentrieren.

Die Ansicht, dass das Wachstum der überentwickelten Ökonomien zu stoppen oder diese sogar zu schrumpfen sind, geht auf Nicholas Georgescu-Roegen und sein Buch The Entropy Law and the Economic Process (1971) zurück. Schrumpfung als solche wird jedoch selbst von ihren Befürwortern nicht als dauerhafte Lösung angesehen. Sie ist lediglich ein Weg, die Größe einer Volkswirtschaft auf ein Leistungsniveau zu reduzieren, das in einer statischen Wirtschaft dauerhaft gehalten werden kann. Für die großen Volkswirtschaften würde dies bedeuten, dass sie um bis zu ein Drittel des heutigen Niveaus geschrumpft werden müssten.

Widersprüche

Freilich wäre dies im heutigen kapitalistischen Wirtschaftssystem nicht einfach so durchzusetzen. Die für das europäische Degrowth-Projekt einflussreichen Arbeiten Latouches bleiben in diesem Punkt widersprüchlich – nicht aufgrund der Idee der Schrumpfung an sich, sondern wegen des Versuches, das Problem des Kapitalismus zu umgehen. Unter dem Titel »The Globe Downshifted« schreibt Latouche (2006) zum Beispiel: »Eine auf wirtschaftlicher Schrumpfung basierende Gesellschaft kann es im Kapitalismus nicht geben. Jedoch ist Kapitalismus ein irreführend einfaches Wort für eine lange und komplexe Geschichte. Die Kapitalisten loszuwerden, Lohnarbeit und Geld abzuschaffen und den Privatbesitz von Produktionsmitteln zu verbieten, würde die Gesellschaft ins Chaos stürzen. Es würde großangelegten Terrorismus mit sich bringen […] Wir müssen einen anderen Weg aus Entwicklung, Ökonomismus (der Glaube an die Vorrangstellung wirtschaftlicher Faktoren) und Wachstum finden: einen, der nicht die Aufgabe der sozialen Institutionen bedeutet, die die Wirtschaft sich einverleibt hat (Geld, Märkte, sogar Lohn), sondern der diese gemäß anderer Prinzipien neu einbettet.«

Latouche versucht auf diese Weise, einen Graben zwischen dem SchrumpfungsProjekt und der sozialistischen Kritik am Kapitalismus zu ziehen. Nach ihm sei 1. ein umweltverträglicher Kapitalismus zumindest theoretisch denkbar; 2. könnten keynesianische und mit der Sozialdemokratie verbundene »fordistische« Regulierungsansätze den Kapitalismus bändigen und auf den tugendhaften Pfad des Öko-Kapitalismus führen, und 3. sei Schrumpfung nicht darauf ausgerichtet, die Dialektik kapitalistischer Lohnarbeit aufzubrechen oder sich in den Privatbesitz an Produktionsmitteln einzumischen. In anderen Schriften führt Latouche aus, dass Schrumpfung kompatibel mit fortschreitender Inwertsetzung (etwa Steigerung des kapitalistischen Mehrwerts) und materielle Gleichheit unerreichbar sei. Latouche plädiert explizit für etwas, was er als »reformistische Lösung« des Umwelt-Problems bezeichnet, bei der die Internalisierung der externen umweltpolitischen Kosten der kapitalistischen Wirtschaft letztendlich in eine Revolution münden werde. Ironischerweise ist diese Haltung identisch mit derjenigen der neoklassischen Umweltökonomie. Demgegenüber geht die ökologische Ökonomie gerade davon aus, dass eine Internalisierung der ökologischen Kosten in die aktuelle kapitalistische Wirtschaftsweise nicht möglich ist.

Die Klassenfrage

Wie der griechische Philosoph Takis Fotopoulos kritisch feststellt, wird von den Vertretern der Schrumpfungs-Idee die ökologische Krise selbst »als allgemeines Problem beschrieben, mit dem die Menschheit aufgrund des Verfalls der Umwelt konfrontiert ist, ohne zu erwähnen, dass diese Krise für die verschiedenen Klassen sehr unterschiedliche Auswirkungen hat. Zum Beispiel werden die ökonomischen und sozialen Folgen der ökologischen Krise primär mit der Vernichtung von Leben und der Lebensgrundlage der unteren sozialen Schichten – ob in Bangladesh oder in New Orleans – bezahlt und weitaus weniger von den Eliten und der Mittelschicht.« Die Schrumpfungs-Theorie – zumindest bei Latouche und anderen – greift allein das Wirtschaftswachstum an und nicht die Kapitalakkumulation. Es fällt ihren Vertretern schwer, der heute realexistierenden Wirtschaftskrise und -stagnation, die zu Arbeitslosigkeit und einem ökonomischen Verfallsprozess geführt hat, wie es sie seit den 1930er Jahren nicht mehr gegeben hat, ins Auge zu sehen. Die im März 2010 in Barcelona verabschiedete Degrowth Declaration konstatierte dazu lediglich: »Sogenannte Anti-Krisen-Maßnahmen zur Förderung des Wirtschaftswachstums werden die Ungleichheiten und Umweltbedingungen langfristig verschlechtern.«

Konfrontiert mit einer schrumpfenden Wirtschaft in den Jahren 2008/9 und angesichts der ökologischen Notwendigkeit, Wachstum nachhaltig zu reduzieren, schlug der Wirtschaftswissenschaftler Joan Martinez-Alier, der unlängst der DegrowthBewegung beigetreten ist, einen kurzfristigen Keynesianismus oder auch »Green New Deal« vor. Durch staatliche Investitionen in grüne Technologien und Infrastruktur sollen das Wirtschaftswachstum angekurbelt und die steigende Arbeitslosigkeit eingedämmt werden. Dieser Vorschlag wird als kompatibel mit der Idee der Schrumpfung verstanden, solange ein solcher grüner Keynesianismus zur Maßgabe für fortgesetztes Wirtschaftwachstum werde. Anstatt ein Konzept zu entwickeln, wie Arbeitsplätze geschaffen werden, die einer nachhaltigeren Gesellschaft zuträglich sind, ziehen es die SchrumpfungsTheoretiker vor, radikal kürzere Arbeitszeiten zu fordern und das Recht auf Entlohnung von Erwerbstätigkeit zu trennen (indem sie ein garantiertes Grundeinkommen fordern). Dies soll ermöglichen, dass das Wirtschaftssystem schrumpft und parallel alle Familien ein garantiertes Einkommen haben – während gleichzeitig die grundlegende Struktur der Kapitalakkumulation und des kapitalistischen Marktes unangetastet bleibt.

Es ist schwer, sich die Umsetzung von Arbeitszeitverkürzungen und ein Bürgergeld anders vorzustellen denn als Elemente im Übergang zu einer postkapitalistischen (also sozialistischen) Gesellschaft. Wie Marx bereits feststellte, lautet die Regel des Kapitals: »Akkumuliert! Akkumuliert! Das ist Moses und die Propheten!« Um mit dem kapitalistischen Gesetz vom Mehrwert zu brechen oder die Ausbeutung durch Arbeit grundlegend zu hinterfragen (die beide durch eine scharfe Verkürzung der Arbeitszeiten und ein garantiertes Grundeinkommen bedroht wären), muss die größere Frage nach einem Systemwechsel gestellt werden. Doch dies soll anscheinend vermieden werden. Ein sinnvoller Ansatz zur Schaffung einer neuen Gesellschaft müsste im Übrigen nicht nur Einkommen und Freizeit sichern, sondern auch das menschliche Bedürfnis nach einer nützlichen, kreativen, nicht-entfremdeten Arbeit befriedigen.

Schrumpfung und der Süden

Noch problematischer ist die Haltung der Schrumpfungs-Theoretiker gegenüber dem globalen Süden. »Schrumpfung«, schreibt Latouche (2004), »muss für den Süden genauso gelten wie für den Norden, wenn der Versuch eine Chance haben soll, die Gesellschaften des Südens davon abzuhalten, blindlings in die Sackgasse der Wachstumswirtschaft zu rennen. Solange dies noch möglich ist, sollten sie nicht auf Entwicklung zielen, sondern auf Befreiung – und die Hindernisse wegräumen, die sie davon abhalten, sich anders zu entwickeln […] Die Länder des Südens müssen sich aus ihrer ökonomischen und kulturellen Abhängigkeit vom Norden lösen und ihre eigene Geschichte wiederentdecken.« Durch das offensichtliche Fehlen einer adäquaten Imperialismustheorie und in Ermangelung eines Hinweises auf die riesige Kluft an Ungleichheit, die die reichsten von den ärmsten Staaten trennt, reduziert Latouche das immense Problem der Unterentwicklung zu einem Problem der kulturellen Autonomie und der Unterwerfung unter den westlichen Wachstumsfetisch.

Im Gegensatz dazu schreibt Herman Daly: »Es ist Zeitverschwendung und moralisch falsch, unterentwickelten Ländern die Heilslehre der statischen Wirtschaft vorzubeten, bevor die überentwickelten Staaten überhaupt Maßnahmen ergriffen haben, ihr Bevölkerungswachstum oder ihren Pro-Kopf-Ressourcenverbrauch einzudämmen. […] Eine wichtige Kraft, die erforderlich ist um überentwickelte Länder in Richtung einer statischen Wirtschaft zu treiben, ist die Empörung der ›Dritten Welt‹ über ihren Überverbrauch […] Der Ansatzpunkt der Entwicklungsökonomie sollte das ›Unmöglichkeitstheorem‹ sein […], dass eine verbrauchsstarke Massenkonsumwirtschaft in Stil der USA für eine Welt mit 4 Milliarden Menschen unmöglich ist, und, selbst wenn sie durch ein Wunder erreicht würde, sie nur von kurzer Dauer wäre.« (1977, Kap.7) Die Annahme, die Schrumpfungs-Idee könne gleichermaßen auf die reichen Staaten des Zentrums und die armen Länder der Peripherie angewendet werden, ist grundverkehrt. Die meisten Länder des Südens können sich mit ihrem geringen Pro-Kopf-Einkommen eine Schrumpfung der Wirtschaft nicht leisten. Sie brauchen eine nachhaltige Entwicklung, die die Grundbedürfnisse, wie Zugang zu Wasser, Nahrung, medizinische Versorgung, Bildung etc., hilft zu befriedigen. Dafür ist eine radikale Veränderung der sozialen Strukturen nötig – weg von den Produktionsverhältnissen des Kapitalismus/Imperialismus.

Co-Revolution

Es ist unbestreitbar, dass das Wirtschaftswachstum hauptverantwortlich für den ökologischen Verfall ist. Seine gesamte Theorie jedoch im Umsturz einer abstrakten Wachstumsgesellschaft zu verankern, bedeutet, jede historische Perspektive zu verlieren und hunderte Jahre Sozialwissenschaft zu verwerfen. So wichtig die SchrumpfungsIdee ökologisch gesehen auch ist – wirklich bedeutungsvoll sein kann sie nur als Teil einer Kritik der Kapitalakkumulation und eines Übergangs zu einer nachhaltigen, egalitären, gemeinschaftlichen Gesellschaftsordnung, in der die vereinigten Produzenten die Beziehung zwischen Natur und Gesellschaft im Interesse nachfolgender Generationen und der Erde selbst regeln.

Was gebraucht wird, ist eine »co-revolutionäre Bewegung« (David Harvey), die die Kritik an umweltfeindlichem Wachstum (nebst zugehöriger Bewegungen) mit traditioneller Kapitalismuskritik und Kritik an Imperialismus, Patriarchat und Rassismus zusammenbringt. In der allgemeinen Krise unserer Zeit ist eine solche übergreifende, co-revolutionäre Bewegung durchaus vorstellbar. Ihr Ziel wäre es, eine Gesellschaftsordnung zu schaffen, in der die Wertsteigerung des Kapitals nicht länger die Gesellschaft beherrscht. »Sozialismus ist nützlich«, schrieb Ernst Friedrich Schumacher in Small is Beautiful, genau weil er die Möglichkeit schafft, »die Religion der Ökonomie« – die »moderne Tendenz zu totaler Quantifizierung auf Kosten einer Würdigung qualitativer Unterschiede« – zu bezwingen (1973, Kap. 17).

In einer nachhaltigen Gesellschaftsordnung müssten die Menschen aus den wohlhabenderen Ökonomien (besonders aus hohen Einkommensschichten) lernen, mit weniger Konsumgütern auszukommen. Gleichzeitig könnten die Befriedigung wirklicher menschlicher Bedürfnisse und die ökologische Nachhaltigkeit grundlegende Prinzipien eines Zusammenlebens werden, das menschliche Gegenseitigkeit und qualitative Verbesserungen, sogar Fülle, mit sich bringt. Eine solche Strategie ist vereinbar mit dem Anspruch, Menschen sinnvolle Arbeit zu bieten, die nicht von blinder Fixierung auf Produktivität dominiert wird. In diesem Sinne muss der ökologische Kampf nicht nur abstrakt auf Schrumpfung, sondern konkreter auf De-Akkumulation ausgerichtet sein – also weg von einem System, das nur auf die endlose Anhäufung von Kapital ausgerichtet ist. An seine Stelle sollte eine neue co-revolutionäre Gesellschaft treten, die sich der Bedürfnisse von Mensch und Umwelt annimmt.

Gekürzte und redaktionell bearbeitete Fassung von »Degrow or Die?«, erschienen in Red Pepper (online), November 2010. Aus dem Englischen von Claudia Taudte