Beim Nachdenken darüber, wie sexuelle und ökonomische Gerechtigkeit zusammenhängen könnten, fragt die empirische Materialistin in mir: Wie und wo begegnen sie sich bereits? Die Suche nach solchen Projekten führt mich zu den globalen Bewegungen für ökonomische Gerechtigkeit, besonders den globalisierungskritischen und Anti-Globalisierungs-Bewegungen, die mit dem Weltsozialforum (WSF) verbunden sind. Meine theoretisch orientierte, aber empirische Beschreibung dortiger Politiken lotet aus, wie nahe sich Marxismus und queere und feministische Theorien stehen, indem ich Geschichte, Orte, Verhältnisse und Praxen materialistisch untersuche.
Bestehende Grenzen
Nach dem Kalten Krieg, als die Kraft sozialistischer Begriffe international geschwächt war, kamen die lebhaftesten Forderungen nach transnationaler ökonomischer Gerechtigkeit unter den Etiketten »globale Gerechtigkeit« oder »Globalisierungsgegner/-kritiker« lose zusammengehalten werden und von denen viele seit 2001 beim WSF zusammenkommen. Das WSF hat mit den Kämpfen gegen den globalen Kapitalismus und Imperialismus einen relativ klar umrissenen Schwerpunkt. Umstritten ist hingegen, wie sich dieser politische Kern zu anderen Themen und Problemen verhält, wie z.B. nationalen Kämpfen, orthodoxen Religionen, NGOs – oder Gender und Sexualität. Dem WSF – wie der globalisierungskritischen Bewegung insgesamt – wurde oftmals vorgeworfen, dass es feministische Beiträge ungleichmäßig, unvollständig oder undurchdacht aufnimmt. Noch unklarer ist das Verhältnis zu sexuellen Politiken. Johanna Brenner zufolge weist das WSF hinsichtlich Abtreibung und sexueller Orientierung »strategische Blindstellen« auf (2004, 32), v.a. weil es die anti-imperialistischen Projekte religiöser Organisationen mit offenen Armen empfängt, die gleichzeitig konservativ gegen- über Gender- und sexuellen Politiken eingestellt sind. Die begrenzte Integration sexueller Politiken ins WSF bestärkt den seit langem bestehenden Verdacht, dass deren Stellenwert in der Linken gering bleibt.
Geographien der Gerechtigkeit
Die Bewegungen für globale Gerechtigkeit und für sexuelle Rechte entstanden unter Bedingungen, die die Basis für radikale Politik neu strukturierten. Obwohl beide ihr politisches Handeln in diesem globalen Kontext verorten, unterscheiden sie sich deutlich hinsichtlich ihrer Einbeziehung der transnationalen Dimension. Teilnehmer des WSF üben üblicherweise Kritik an globalen Formen des Kapitalismus (den sie zuweilen auch als patriarchalen Kapitalismus bezeichnen), die sich auf transnationale Konzerne und den Neoliberalismus beschränkt und sich nicht explizit gegen den Kapitalismus an sich richtet. Das WSF geht davon aus, dass dem globalen Kapitalismus – und anderen großräumigen Unterdrückungssystemen – mit transnationalen Kämpfen begegnet werden muss, die idealerweise im globalen Süden konzentriert sind. Der Kampf für sexuelle Rechte hingegen hat eine paradoxe Eigenschaft hinsichtlich der adressierten Ebenen. Einerseits ist die transnationale Ebene entscheidend: Viele Verfechter/innen sexueller Rechte für Frauen und LGBTQ2 agieren seit mehr als 20 Jahren auf dem internationalen Verhandlungsparkett, indem sie sich in die wachsenden Organisationen für Menschenrechte und den UN-NGO-Prozess einklinkten. Da die öffentliche Meinung für die Kämpfe für sexuelle Rechte von großer Bedeutung ist, nutzen sie internationale Verhandlungsorte auch, um kulturelle Kämpfe für sexuelle Normen zu führen. Andererseits zielen die meisten Aktivitäten für sexuelle Rechte letztlich auf nationale Regierungen, um die Politiken und Stimmungen zu verändern, die alternative sexuelle und geschlechtliche Ausdrucksformen benachteiligen oder bestrafen. Während für das WSF also die transnationale Dimension der Probleme und Kämpfe zentral ist, bedienen sich die meisten Aktivitäten für sexuelle Rechte der transnationalen Ebene nicht programmatisch, sondern instrumentell – als Taktik, um Botschaften zu transportieren, Druck auf nationale Regierungen auszuüben oder solidarische Netzwerke zu knüpfen. Diese unterschiedlichen Geographien sexueller und ökonomischer Politiken schlagen sich in den Texten und Praktiken des WSF nieder.
Sexualität und globale Gerechtigkeit
In den ›Manifesten‹ des WSF, d.h. in den Sammlungen diverser Stellungnahmen und Aufrufe, erscheint das Thema Sexualität im Wesentlichen als Anhängsel der Kämpfe für globale Gerechtigkeit. Über etablierte Themen wie Nahrung, globaler Handel oder Palästina wird dort mit weitaus größerer Zuwendung und Klarheit geschrieben als über Sexualität. So bemerkt etwa Ana Elena Obando, dass »die ›allgemeinen‹ Themenfelder wie neoliberale Globalisierung sich z.B. nicht mit der Armut von Transvestiten oder ihrem versperrten Zugang zum formalen Arbeitsmarkt befassen« (2005, 3). Die schwankende bis fehlende Aufmerksamkeit für das Thema Sexualität in den Dokumenten des WSF deutet auf Auseinandersetzungen über den Stellenwert von Sexualität in den Bewegungen für globale Gerechtigkeit hin – einschließlich des Vorwurfs, Sexualität sei ein europäisches oder Mittelklasse-Thema. Es ist offenbar noch immer schwer, die Forderungen nach sexueller Befreiung und ökonomischer Gerechtigkeit in Einklang zu bringen.
Ich möchte nun aber an zwei Beispielen aufzeigen, auf welche Weise Sexualität im quasi-offiziellen »Aufruf der sozialen Bewegungen« des WSF doch berücksichtigt wurde. Dort heißt es 2002: »Wir sind verschieden – Frauen und Männer, Erwachsene und Jugendliche, indigene Völker, Land- und Stadtbewohner, Arbeitende und Arbeitslose, Obdachlose, Alte, Studenten, Migranten, Berufsaktivisten, Menschen jeglichen Glaubens, jeglicher Hautfarbe und sexueller Orientierung. Diese Vielfalt zum Ausdruck zu bringen, ist unsere Stärke und die Grundlage unserer Einheit.« (Leite/Gil 2005, 187) Der »Aufruf der sozialen Bewegungen zur Mobilisierung gegen Krieg, Neoliberalismus, Ausbeutung und Exklusion« von 2005 enthält die Passage: »Wir sehen Diversität hinsichtlich der sexuellen Orientierung als Ausdruck einer alternativen Welt […] und sind dem Kampf gegen Exklusion aufgrund von Identität, Geschlecht und Homophobie verpflichtet. Wir werden vereint unsere Stimme erheben gegen alle Formen des Zur-Ware-Machens des Körpers von Frauen und LGBT.«
Die Anerkennung sexueller Diversität in diesen Texten legt nahe, dass sie von Aktivitäten für sexuelle Gerechtigkeit beeinflusst sind, u.a. von organisierten Sexarbeiter/ innen, LGBTQ-Politiken, Forderungen nach reproduktiven Rechten und feministischen Netzwerken, v.a. solchen im globalen Süden; sie spiegelt aber auch Aspekte globalisierungskritischer Politiken wider. Für Verfechter/ innen sexueller Rechte ist sexuelle Diversität ein politisches Konzept jenseits von Identität oder Rechten, beides sonst gewöhnliche Kategorien bei Forderungen rund um Sexualität. Für Verfechter/innen globaler Gerechtigkeit hingegen wirkt Diversität den neoliberalen und imperialistischen hierarchischen Exklusionen entgegen; sexuelle Diversität wird als »Ausdruck einer alternativen Welt« begrüßt.
Das WSF legt auch auf Diversität innerhalb der fortschrittlichen Bewegung selbst Wert. Als »Bewegung der Bewegungen« soll es ein zentraler Knoten sein für die Koexistenz und Wechselwirkung verschiedener Projekte, ohne dabei auf Abschluss oder Zusammenhalt zu dringen. Nach dem Forum in Afrika 2007 betonte Immanuel Wallerstein die Rolle des WSF als Ort für eine Pluralität politischer Netzwerke: Es gebe dort jetzt auch »ein schlagkräftiges feministisches Netzwerk« und »ein vielversprechendes Netzwerk derer, die alternative Sexualitäten verteidigen (was schwulen und lesbischen Bewegungen aus Kenia eine öffentliche Präsenz erlaubte, die zuvor schwer zu erreichen war)« (2007). Ein anderer führender Theoretiker des WSF, Boaventura de Sousa Santos, schließt Sexualität bei der Diskussion radikaler Alternativen zur globalen Ungerechtigkeit regelmäßig mit ein. Angesichts der sonstigen Unterrepräsentanz des Themas ist es bemerkenswert, dass diese Theoretiker sexuelle Politiken als Teil der Bewegung für globale Gerechtigkeit ansehen.
Diese Integration sexueller Politiken resultiert aus der historischen Situation nach dem Kalten Krieg. Die globalisierungskritische Bewegung entstand im Gefolge von zentralistischen Parteien und enttäuschenden postkolonialen Realitäten. Das WSF kritisiert die ältere Linke ebenso heftig wie das globale Kapital und den nördlichen Imperialismus. Die Bewegungsintellektuellen setzen ihre Politik in Beziehung zum Scheitern der alten und neuen Linken und hoffen so, den »tragischen Utopien des 20. Jahrhunderts« oder leninistischem Avantgardismus zu entgehen. Die Netzwerke für globale Gerechtigkeit bilden, so Eric Lott, »eine soziale Bewegung historisch neuen Typs, die mit den älteren Modellen des Kampfs unvergleichbar ist« (2006). Dieser Unterschied zeigt sich z.B. an dem Wert, den das WSF offenen Räumen, partizipativer Demokratie und horizontalen Netzwerken beimisst – womit es die Mittel und die Zwecke progressiver Politik gleichermaßen betont.
Sexuelle Diversität ist für die Texte des WSF wichtig, weil dadurch der Unterschied zwischen postkommunistischen Konzepten von Bürgerrechten und partizipativer Demokratie und früheren linken Programmen zum Ausdruck gebracht wird. Wenn Texte, die sich in erster Linie mit dem neoliberalen Kapitalismus oder US-Imperialismus befassen, auf sexuelle Diversität verweisen, so ist dies eine stillschweigende Verurteilung der Homophobie, die viele frühere progressive Kämpfe kennzeichnete. Die Betonung sexueller Diversität stellt sich auch gegen Formen des Nationalismus, die »traditionellen« heterosexuellen Normen verhaftet sind. Sexualität ist die Messlatte für eine alternative Linke; sie zeigt an, inwieweit sich die Bewegung zu einer einschließenden Politik bekennt, die auf Übersetzungen und Bündnissen beruht und nicht auf einer kohärenten Plattform mit festgelegten Bedeutungen und Grenzen.
Diese abgrenzende Funktion erklärt, wo und wie Sexualität im Diskurs des WSF in Erscheinung tritt. Wenn das WSF als offener Raum für prozessuale Verfahren und demokratische Differenz verstanden wird, signalisiert der Einschluss von LGBTQ-Gruppen, dass es ein »horizontales« Begegnungsfeld mit sexueller Diversität als Einschlussprinzip ist. Sobald das WSF jedoch als Organisationsplattform für globale Aktivitäten zur Umsetzung alternativer Zukünfte verstanden wird, schwindet die Aufmerksamkeit für Sexualität. Zu klären bleibt, inwiefern sexuelle Orientierung – jenseits von Diversität um der Diversität Willen – ein »Ausdruck einer alternativen Welt« sein könnte. So fordern die Texte des WSF z.B. Solidarität mit bäuerlichen Kämpfen, benennen aber weder queere Bevölkerungsgruppen noch Gruppen, die sich für sexuelle Gerechtigkeit einsetzen. Die Betonung gesellschaftlicher Diversität beschränkt folglich sowohl die Kritik an sexuellen Ungerechtigkeiten als auch die Visionen zur Überwindung gegenwärtiger sexueller Ordnungen. Sexualität verkörpert in den Texten des WSF eher die radikale demokratische Zustimmung zu Diversität, als dass sexuelle Diversität als phantasievoller Horizont für radikale Politik aufscheint.
Die Betonung von Diversität auf dem WSF führt auch zu Widersprüchen. Feministinnen und queere Aktivist/innen kritisieren, dass das WSF antiimperialistische, aber patriarchale religiöse Politiken unter seinem Dach aufnimmt, da diese die Integration von Kämpfen für sexuelle und reproduktive Rechte verhindern. In einem offenen Brief an das WSF, der von über 50 Organisationen unterzeichnet wurde, heißt es: »Da die Kämpfe für die Schaffung einer anderen Welt nur erfolgreich sein können, wenn die Diversität von Identitäten und politischen Subjekten anerkannt wird, bekräftigen wir, dass das WSF ein Prozess ist, der allen offen steht, die diese Diversität anerkennen. Folglich wirken Organisationen und Individuen, die die Marginalisierung, den Ausschluss und die Diskriminierung anderer Menschen vorantreiben, in diesem Prozess wie Fremdkörper« (ABONG u.a. 2008).
Die begrenzte Ökonomie sexueller Rechte
Aktivist/innen für sexuelle Rechte sehen das WSF dennoch als wichtigen Ort, um Gespräche zu ermöglichen und sich untereinander und mit der Bewegung für globale Gerechtigkeit zu vernetzen. Etwa 20 feministische Organisationen, von denen die meisten für sexuelle Rechte von Frauen kämpfen, sind an der Planung und Organisation des WSF beteiligt. Der »LGBT South-South Dialogue«, die einzige queere Organisation im WSF-Rat, hat auf dem WSF Diskussionspodien zu den Verbindungen zwischen Neoliberalismus, Imperialismus, Heteronormativität und den materiellen Bedingungen für Queers im globalen Süden veranstaltet (vgl. León/Mtetwa 2003).
Die Veranstaltung »A Dialogue Between Movements« auf dem WSF in Porto Alegre 2005, organisiert von »Feminist Dialogues«, einem Netzwerk von Frauenorganisationen aus dem globalen Süden, zeigt exemplarisch, wie Konvergenzen zwischen sexuellen und ökonomischen Politiken ausgelotet werden können. Aktivist/innen aus den vier Bereichen Feminismus, LGBTQ, Arbeit und ›Rasse‹/ Kaste diskutierten dort ihre Übereinstimmungen und Differenzen. So räumten etwa LGBTQ-Vertreter/innen ein, dass sie Klasse und ›Rasse‹ zu wenig Beachtung schenken, wiesen aber gleichzeitig darauf hin, dass z.B. die indischen Bewegungen, die Kasten und Arbeiter organisieren, Sexualität nicht in ihre Arbeit einbeziehen.
Über diese wenigen Beispiele hinaus haben die internationalen Organisationen für sexuelle Rechte und LGBTQ-Interessen jedoch kaum operative Netzwerke mit den transnationalen Kämpfen für ökonomische Gerechtigkeit gebildet. Der oben erwähnte offene Brief an das WSF erklärt, dass sexuelle Diversität und sexuelle Emanzipation »Teil derselben Kämpfe sind, in denen das Recht auf Land und das Recht auf freien Ausdruck der Sexualität gleichermaßen zum Aufbau einer radikal demokratischen Zukunft beitragen« (ABONG u.a. 2008). Dieser Aufruf erklärt jedoch nicht, wie sie Teil derselben Kämpfe sind. Verständlicherweise zielt der Aktivismus für sexuelle Rechte auf die Ausgangspunkte offensichtlicher Unterdrückung nicht-normativer Sexualität – auf Staat, Medizin, Religion und öffentliche Kultur. Es gibt aber kaum konzeptionelle Anstrengungen, die die Relevanz sexueller Politiken für die Kritik des globalen Kapitals und für Vorstellungen alternativer Welten aufzuzeigen. Für die Verfechter/innen sexueller Rechte dient die Bewegung für globale Gerechtigkeit eher als Bühne denn als Bezugspunkt für Zusammenarbeit in politischen Projekten.
Erfolg und Scheitern der Zusammenarbeit zwischen sexuellen und ökonomischen Bewegungen hängen mit spezifischen politischen Entwicklungen und institutionellen Kontexten zusammen. Der Diskurs zu sexuellen Rechten ist geprägt durch die jahrzehntelange Beteiligung am UN-NGO-Prozess, der seit den 1980er Jahren und bis vor kurzem das Hauptinstrument war, um Themen und Anliegen wie reproduktive Gesundheit, AIDS, sexuelle Gewalt oder Menschenrechte sexueller Minderheiten zu transportieren. Folgen davon sind etwa die Bürokratisierung seiner politischen Sprache durch UN-Akronyme und sein Fokus auf negative Rechte wie z.B. Unversehrtheit durch Frauenhandel und sexuelle Gewalt. Zudem kollaboriert die UN-NGOArena mehr oder weniger mit marktlichen und staatlichen Strukturen. Es wird kritisiert, dass sich Verfechter/innen sexueller Rechte in einem Bezugssystem bewegen – gekennzeichnet v.a. durch liberale Formulierungen sexueller Autonomie und reproduktiver Rechte –, das sie davon abhält, breitere Fragen sozialer Gerechtigkeit wie z.B. ökonomische Umverteilung einzubeziehen.
Das Festhalten dieser NGOs an institutionalisierten politischen Formen, die zwischen ökonomischen und politischen Rechten unterscheiden, hat es erschwert, erstens für die Unteilbarkeit von Rechten einzutreten und zweitens wirksame Institutionen einzufordern, die deren Umsetzung garantieren. In radikalen Kreisen gelten diese NGOs folglich oft als das wohlwollende Gesicht hegemonialer Mächte. Die professionalisierten Formen der Vertretung innerhalb der UN-NGO-Arena haben die Verbindungen der Verfechter/innen sexueller Rechte zur Bewegung für globale Gerechtigkeit geschwächt sowie den früheren Aktivismus für sexuelle Mobilität von Frauen oder queere Befreiung in den Hintergrund gedrängt, dessen Formen und Netzwerke – zumindest im Geiste – stärker mit radikalen linken Politiken verbunden waren.
Gegenwärtige Koexistenz
Beziehungen zwischen verschiedenen politischen Projekten erfordern sowohl soziale als auch konzeptionelle Arbeit; für die politische Praxis ist es entscheidend, Kontakte und Verbindungen innerhalb einer handlungsfähigen Gemeinschaft zu schaffen und zu pflegen. Die unablässige Betonung von Dialog, offenen Räumen und Prozessen auf dem WSF lässt hoffen, dass zwischen denen, die eine gerechtere Welt schaffen wollen, Annäherungen stattfinden und Übereinstimmungen hervortreten. Insbesondere könnten auf diese Weise tragfähige Verbindungen zwischen Queers, Feministinnen und Marxist/innen entstehen. Ein materialistischer Blick auf das WSF mit seinen Praxen, Verhältnissen und Orten erlaubt es, die ungleichmäßige Annäherung zwischen sexueller und ökonomischer Gerechtigkeit nicht als politisches Scheitern zu deuten. Als politisches (und symbolisches) Abgrenzungsmerkmal der Bewegung für globale Gerechtigkeit verweist Sexualität nicht nur auf die Konzepte, sondern auch auf die Formen politischer Praxis, die alternative Verfahren politischer Annäherung nahe legen. Das WSF gründet auf einer Politik der Gemeingüter (gemeinsam benutzte politische Räume und Ressourcen) und einer Vorstellung von Gemeinsamkeit, die Differenz nicht auslöscht oder zur Ware macht, sondern wertschätzt. Die Koexistenz unterschiedlicher politischer Projekte hat räumliche und formale Begleiterscheinungen. Erstens ermöglicht die räumliche Nähe intensivere Annäherungen zwischen ansonsten (weitgehend) autonomen Projekten. Das – wenn auch kurze – Zusammenwohnen unter einem Dach kann so den Boden für eingehende Beziehungen zwischen den Projekten für sexuelle und ökonomische Gerechtigkeit bereiten. Zweitens zeigt das Zusammengehen der Anstrengungen im Namen von sexueller Diversität und ökonomischer Umverteilung auf dem WSF, dass diese Bewegungen einige politische Formen teilen, v.a. Verfahren der einschließenden Partizipation – auch wenn ihre Praxen durch eine unterschiedliche Vorgeschichte geprägt sind. Das WSF schafft jene Bedingungen, unter denen Projekte für sexuelle Gerechtigkeit mit ökonomischen Visionen für eine gerechtere Welt zusammentreffen und schließlich vielleicht zusammenfließen können.
Dieser Aufsatz geht zurück auf Diskussionen beim Kolloquium »Toward a Vision of Sexual and Economic Justice« am Barnard Center for Research on Women in New York. The Scolar & Feminist Online, Ausgabe 7.3, Sommer 2009. Aus dem Amerikanischen von Oliver Walkenhorst