Die LINKE hat die Bundestagswahl krachend verloren. Für die nächsten vier Jahre wurde sie auf Bewährungsprobe geschickt. Gelingt es ihr nicht, ihren politischen Gebrauchswert besser deutlich zu machen, hat sich das Projekt LINKE vielleicht erledigt. Wäre das ein Verlust?
Auf jeden Fall. Die Linke ist schließlich im parlamentarischen Feld die einzige Partei, die etwas anders will als die Fortschreibung des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Im Hinblick auf die Klimakrise etwa müssen wir schnellstmöglich die notwendigen ökologischen Maßnahmen treffen, um die Erderwärmung zu stoppen, die Biodiversität zu bewahren und weitere Zerstörung zu verhindern. All das wird nur gehen, wenn wir gleichzeitig die enormen sozialen Ungleichheiten abbauen, Mitsprache ermöglichen und auch international in einer solidarischen Perspektive handeln. Dazu müssen wir dieses Wirtschaftssystem, das auf unbegrenztem Wachstum basiert, grundlegend umbauen. Die Linke ist die einzige Partei, deren Programm zumindest in die richtige Richtung geht.
Ohne die LINKE also kein Ende der Klimakrise?
Wenn es die LINKE nicht mehr gäbe, hätten wir im Parlament jedenfalls nur noch Parteien, die mit Blick auf die Klimakrise den entscheidenden Schritt nicht gehen wollen: Ohne eine Abkehr von einer profitgetriebenen Wachstumsökonomie können wir aus wissenschaftlicher Sicht die Klimakrise nicht bewältigen. Die LINKE ist die einzige Partei, die das auch so offen sagt.
Oft gelingt es ihr nicht so gut, die soziale und ökologische Frage als untrennbar zu kommunizieren. Was tun?
Im politischen Feld werden ständig soziale Maßnahmen gegen Klimafragen ausgespielt. Dabei gilt ja auch andersherum: Keine soziale Gerechtigkeit ohne eine entschlossene Klimapolitik. Soziales Elend, Verwerfungen, Kriege, Flucht werden sich dramatisch verschärfen, wenn wir nicht schnell klimapolitisch handeln. Die Klimakrise trifft auch jetzt schon die Menschen am stärksten, die angesichts der globalen Machtverhältnisse die schlechtesten Lebensbedingungen haben. Auch die Frage internationaler Solidarität wird oft gegen die soziale Frage hier in Deutschland in Anschlag gebracht. Es wird der Eindruck erweckt, als bestünden die größten Interessengegensätze zwischen denjenigen, die weltweit am unteren Ende der sozialen Leiter stehen.
Was bräuchte es stattdessen?
Es fehlt ein breiter Zusammenschluss von alle denen, die die Kosten dieses Systems tragen. Sie sollten sich nicht gegeneinander ausspielen lassen, sondern Allianzen bilden. Nur so können wir gegen die vorgehen, die wirklich die Verantwortung tragen: transnationale Konzerne zum Beispiel.
Ist es dafür wichtig, eine parlamentarische Linke zu haben?
Wir haben nun mal dieses parlamentarische System. Obwohl ich mich selbst außerhalb dieses Systems engagiere, können wir es nicht ignorieren. Wir müssen Veränderung nicht nur von außen, sondern auch von innen voranbringen. Darum brauchen die Bewegungen – die den nötigen Druck aufbauen müssen – Verbündete in den Parlamenten.
Was würdest du dir von der Partei wünschen?
Aufgabe der Linken innerhalb und außerhalb der Parlamente ist es, zu zeigen dass eine andere Gesellschaftsordnung möglich wäre und konkrete Schritte vorzuschlagen, wie wir da hinkommen. Das ist natürlich teilweise ein reformistisches Projekt, das ist klar. Aber ich sehe es als zentrale Aufgabe der LINKEN, in all diesen Fragen gangbare Schritte in die richtige Richtung zu benennen, ganz praktisch mit konkreten Gesetzesvorhaben verbunden. Um Menschen mitzunehmen muss es konkret und verständlich sein.
Wie siehst du die Klimabewegung im Verhältnis dazu?
Sie ist auch in großen Teilen reformistisch. Wir haben zwar diese Slogans wie „System Change statt Climate Change“, aber erstens sind es eher die Ränder der Bewegung, die das wirklich ernst meinen und zweitens sind die Vorstellungen davon, wie das gehen kann, viel zu unkonkret. Das Maximum ist, dass man sich gegen irgendwelche einzelnen Maßnahmen oder Akteure wendet. Die Klimabewegung ist noch weit davon entfernt, eine umfassende antikapitalistische Vision zu entwickeln und sich mit anderen Bewegungen wie der migrantischen zu verbinden – für etwas Größeres. Meist bleibt sie auf die technischen Fragen des Klimaproblems fokussiert und hat keine Idee für den Weg in eine andere Gesellschaft. Da könnte und müsste die LINKE eine viel stärkere Rolle spielen. Sie müsste diese anti-kapitalistische Richtung politisch begründen helfen, und – wie gesagt – den Weg dahin greifbar machen.
Wie könnte das gehen?
Sie müsste die Scheinargumente des „grünen Wachstums“ viel stärker angreifen und entkräften. Viele halten sich an dem Strohalm fest, dass es eine rein technologische Lösung der ökologischen Krise geben kann. Wenn sich alle fürchten, das Wort ‚Kapitalismus’ auch nur auszusprechen – wie sollen wir jemals die entscheidenden Dinge ändern? Gerade in der neuen Konstellation mit der Ampel muss die LINKE klar zeigen, warum deren Lösungsvorschläge nicht ausreichen. Sie ist die einzige Partei, die noch eine parlamentarisches Korrektiv sein kann.
Hätte sie dafür genug Bündnispartner*innen?
Es gibt in der Gesellschaft eigentlich viel Unterstützung. Viele Menschen haben eine diffuse Ahnung, dass es mit ein bisschen CO2-Preis hier und bisschen Wasserstoff dort nicht gehen wird. Progressive Mehrheiten gibt es potenziell auch in der Migrationsfrage – auch da gibt es viele Menschen, die eine solidarische Migrationspolitik befürworten. Eigentlich wäre jetzt der Moment, wo die LINKE mutig vorausgehen müsste. Stattdessen wirkt es oft so, als hätte sie Angst, sich damit ins Off zu stellen. Stattdessen muss sie die treibende Kraft sein und den Leuten die Angst nehmen.
Gibt es etwas, das sie vielleicht eher lassen sollte?
Naja, auf jeden Fall muss sie aufhören, die Leute abzuschrecken, die eigentlich Teil dieser Idee sein wollen, indem sie z.B. als „Lifestyle-Linke“ beschimpft werden. Die Partei darf sich an dem Projekt der Spaltung nicht beteiligen. Das schreckt viele Leute ab.
Was genau meinst du?
Beispielsweise die Spaltung zwischen vermeintlich deutscher und migrantischer Arbeiter*innenklasse, die aus dieser Richtung kommt. Oder die nun geplante Berufung von Klaus Ernst als Vorsitzenden des Klimaausschusses. Das wirkt abschreckend für die Klimabewegung. Oder die wissenschaftskeptischen Positionen in der Impfdebatte. Es sind zwar nur kleine Teile der Partei, die das tun, aber sie sind eben sehr prominent hörbar. Das schreckt extrem viele Leute ab und wir verlieren Verbündete, auf die wir nicht verzichten können!
Wie sollte die Partei öffentlich auftreten?
Im öffentlichen Diskurs wird die Partei eigentlich kaum wahrgenommen. Das ist ein Problem. Und wenn sie wahrgenommen wird, dann eher mit Einzelpositionen, die ihr eigentliches Anliegen gar nicht vertreten. Sie stehen häufig im Gegensatz zu den Positionen, die innerhalb der Partei demokratisch beschlossen wurde. Das halte ich für ein riesiges Problem. Für mich persönlich ist es dadurch oft schwer, mich öffentlich auf die Seite der LINKEN zu stellen – das geht vielen so. Das ist natürlich auch ein Problem der Medien, das ist klar. Aber das Resultat ist extrem schädigend für die vielen wichtigen Positionen der Partei, die dadurch kaum durchdringen.
Das Gespräch führte Barbara Fried