Das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung enttäuscht selbst jene, die nichts davon erwartet hatten. Statt dem »großen Wurf« ist es ein unkoordiniertes Bündel an Reförmchen. In der Klimabewegung herrscht Frust und das Gefühl, gegen eine Betonwand zu laufen. Wie viele Kohlegruben müssen noch besetzt werden, wie viele Millionen auf die Straße gehen, bis wir greifbare Fortschritte erleben? Die Ironie des Ganzen: Politiker*innen, die es ganz okay finden, dass die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung nur etwa ein Prozent des Nettovermögens besitzt, entdecken beim Klimathema plötzlich ihr Herz für soziale Gerechtigkeit. Ein imaginärer »kleiner Mann«, der sich weiterhin den Flug nach Barcelona leisten können soll, dient als Ausrede, um entschlossenen Klimaschutz zu vermeiden.

Die gängige Geschichte lautet: Klimaschutz bringt Arbeitslosigkeit, Rezession, Verzicht, gesellschaftliche Spaltung. Wenn Klimabewegungen diesem Narrativ entgegentreten wollen, müssen sie mit der Erzählung einer sozial gerechten und ökologischen Gesellschaft begeistern. Wenn sie allein CO2-Reduktionen und »Klimaneutralität« fordern, bleiben sie angreifbar und lassen zu, dass Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gegeneinander ausgespielt werden.

Wie das gehen kann, zeigt der Blick über den Atlantik. In den USA wird zurzeit ein sehr viel ambitionierterer Plan als der der Bundesregierung diskutiert: ein Green New Deal, der Armut und Klimawandel gleichzeitig bekämpfen soll. Der Vorschlag erkennt an, dass aktuelle Krisen miteinander verknüpft sind und nur zusammen gelöst werden können. Das Konzept wurde nicht nur von einer Partei oder einem Thinktank aufgeschrieben, sondern wird von sozialen Bewegungen getragen und mithilfe von Aktionen des zivilen Ungehorsams eingefordert, allen voran von der Jugendbewegung Sunrise.

Green New Deal: der große Wurf?

Im Herbst vergangenen Jahres erkannte die demokratische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez das Potenzial der Sunrise-Bewegung und ihrer Forderungen. Mit anderen progressiven Demokrat*innen und Sunrise-Vertreter*innen erarbeiteten sie eine Resolution zum Green New Deal, die im Februar 2019 veröffentlicht wurde. Darin fordern sie massive Investitionen in grüne Infrastruktur und gut bezahlte Arbeitsplätze, um die US-amerikanischen Treibhausgasemissionen radikal abzusenken und gleichzeitig soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Durch den Ausbau von erneuerbaren Energien, Hochgeschwindigkeitszügen und öffentlichem Nahverkehr sollen Millionen von Arbeitsplätzen entstehen. Das Programm verspricht allen Menschen in den USA eine Garantie auf einen existenzsichernden Arbeitsplatz mit einer umfangreichen sozialen Absicherung sowie Zugang zu einem hochwertigen Gesundheits- und Bildungssystem, zu bezahlbarem Wohnraum und zu sauberem Wasser und sauberer Luft. Der Green New Deal hat den Anspruch, die Diskriminierung von indigenen und People of Color, Migrant*innen, Menschen mit niedrigem Einkommen und anderen marginalisierten Gruppen zu beenden und Reparationen für die historische Unterdrückung der afroamerikanischen Bevölkerung zu zahlen (vgl. Rehmann in diesem Heft).

Der Titel des Programms ist eine Anlehnung an den New Deal, mit dem die Regierung Franklin D. Roosevelts ab 1929 auf die Weltwirtschaftskrise reagierte. Er ist bis heute tief im kulturellen Gedächtnis verankert, als Geschichte einer erfolgreichen Krisenbewältigung. Gleichzeitig ist der Rückgriff nicht unproblematisch. Roosevelts Wirtschaftsreformen lösten in den 1930er Jahren konjunkturellen Aufschwung, Industrialisierung und eine riesige Konsumwelle aus. Damit der Green New Deal nicht lediglich dazu führt, dass wir »Solarpanele auf Walmart-Dächer klatschen«, müssen wir gegensteuern, schreibt Naomi Klein (2019, 264). Der »Klima-Keynesianismus« brauche Lenkungsmechanismen, die verhindern, dass die Löhne aus den »guten grünen Jobs« in den Konsum von Wegwerfprodukten fließen und den Energieverbrauch anheizen. Denn der Green New Deal kann die Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaftsweise nicht lösen: Menschen müssen weiterhin kaufen, was das Zeug hält, damit das System nicht zusammenbricht; die Wirtschaft muss weiterhin auf Basis endlicher Ressourcen wachsen – das Dilemma, aus dem wir eigentlich rauswollen.

Zugleich kam der New Deal in den 1930er Jahren vor allem weißen Menschen zugute. Darum ist der Passus zu Inklusivität und »Reparationen« in der aktuellen Resolution eine wichtige Abgrenzung zum historischen Vorbild. Er erkennt an, dass die fossile Indus­trialisierung historisch auf der Ausbeutung von Sklaven und Ureinwohner*innen basiert, und positioniert sich gegen rassistische Antworten auf die Klimakrise.

Naomi Klein setzt trotz aller Kritik auf den Green New Deal. In dem von ihr mitgestalteten Video »A Message From the Future« erscheint der Umbau zu einer postfossilen, solidarischen Gesellschaft machbar, ja kinderleicht (siehe Ocasio-Cortez in diesem Heft). Wer den Film sieht, fragt sich: Warum fangen wir nicht einfach an?

Kein Papiertiger – wie der Green New Deal zum Erfolg wurde

Selbst die massiven Gegenkampagnen konnten nicht verhindern, dass die Resolution zum Green New Deal neue Maßstäbe für die Klimapolitik gesetzt hat. Mittlerweile wird sie von der Mehrheit der aussichtsreichsten demokratischen Präsidentschaftskandidat*innen unterstützt, allen voran Bernie Sanders und Elizabeth Warren (vgl. Rehmann in diesem Heft). Dass es überhaupt so weit gekommen ist, ist insbesondere das Verdienst einer entschlossenen Graswurzelbewegung, allen voran der Jugendgruppe Sunrise.

Deren Aktivist*innen beschreiben sich selbst als eine »Armee junger Leute«, die »den Klimawandel aufhalten und dabei Millionen von gutbezahlten Jobs schaffen« will. Im Vorfeld der Kongresswahlen im November 2018 setzten sie gezielt Politiker*innen unter Druck, kein Geld mehr von fossilen Unternehmen anzunehmen und Klimapolitik zur Priorität zu machen. Sie marschierten in Regierungsgebäude und besetzten singend die Büros von Abgeordneten. Unter ihnen sind rhetorisch gewandte junge Erwachsene ebenso wie siebenjährige Kinder. Sie kombinieren ihren Status von Unschuld und Unangreifbarkeit mit hochprofessioneller Medienarbeit.

Im November 2018 blockierten rund 200 Jugendliche das Büro von Nancy Pelosi, der demokratischen Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses. »Wir haben noch zwölf Jahre – was ist Ihr Plan?«, hieß es auf ihren Bannern. Während des Sit-ins vor Pelosis Büro solidarisierte sich die Abgeordnete Ocasio-Cortez vor laufenden Kameras mit der Jugendgruppe. Das Video verbreitete sich viral im Netz, in den 48 Stunden nach der Aktion erschienen rund 4 000 Presseartikel über die Forderungen von Sunrise. Seitdem arbeiten Ocasio-Cortez und Sunrise Hand in Hand für einen Green New Deal. Die Sunrise-Bewegung verbreitet sich schnell in den ganzen USA, mittlerweile gibt es 180 Lokalgruppen. In den TV-Debatten der demokratischen Präsidentschaftskandidat*innen kam keine der Bewerber*innen darum herum, sich zum Green New Deal zu positionieren. Sunrise ist es gelungen, die politische Debatte nach links zu verschieben.

Inside-outside-Allianzen

Der US-amerikanische Aktivist und Autor Jonathan Matthew Smucker untersucht in seinem Buch »Hegemony How-To«, wie es sozialen Bewegungen gelingen kann, politische Kräfteverhältnisse zu verschieben. Wenn Gruppen den Status quo herausfordern wollen, so seine These, müssen sie nicht nur den »symbolic contest«, also die Auseinandersetzung um den gesellschaftlichen Konsens, gewinnen, sondern auch den »institutional contest«, den Kampf in und mit den politischen Institutionen. Die sozialen Bewegungen würden genau diesen Punkt vernachlässigen. Sie lehnen das System als Ganzes ab und sehen es nicht als Vehikel, mit denen ihre Ideale verwirklicht werden können. Mit dem Rückzug aus den Institutionen überlassen sie ihren Gegnern das Terrain, auf dem politische Entscheidungen durchgesetzt werden.

Sunrise hat diese Analyse offenbar ernst genommen und gezielt Akteure innerhalb der politischen Institutionen angesprochen: um sie unter Druck zu setzen, aber auch, um sie zu Verbündeten zu machen. Die Strategie der inside-outside politics, also der Allianz zwischen einer visionären parlamentarischen Initiative und dem zivilen Ungehorsam einer Basisbewegung, erwies sich als ungemein erfolgreich.

Sunrise hat begriffen, dass sie Zielgruppen jenseits der üblichen Klimabewegung ansprechen müssen, um gesellschaftliche Mehrheiten zu erreichen. Darum forderten sie von Anfang an nicht nur Klimaschutz, sondern auch existenzsichernde Arbeitsplätze als Antwort auf die Ausgrenzung und Chancenlosigkeit breiter Bevölkerungsgruppen. Damit wappneten sie sich gegen die Mythen der Gegenseite: dass Klimaschutz Arbeitsplätze und Wohlstand vernichte. Ihre Ästhetik erinnert an die Arbeiterbewegungen der 1920er und 1930er Jahre. Nicht zufällig singen die Jugendlichen auch die gewerkschaftliche Hymne »Which Side Are You On?«. Dennoch begegnen viele Gewerkschaften ihnen noch immer skeptisch (vgl. Cohen 2019).

Doch auch in der Klimagerechtigkeitsbewegung können nicht alle die Begeisterung rund um Sunrise und den Green New Deal nachvollziehen. Im Wahlkampf 2008 hatten Menschen große Erwartungen an Obama, die sich nicht erfüllt haben. Sie haben keine Hoffnung mehr, dass von der Demokratischen Partei jemals eine grundlegende Änderung des Status quo ausgeht. Wer öffentliche Auftritte von Sunrise und Bernie Sanders beobachtet, mag den befremdlichen Eindruck haben, dass sich eine Graswurzelbewegung vor den Karren des demokratischen Wahlkampfs spannen lässt. Trotzdem lässt sich von Sunrise und der Green-New-Deal-Bewegung lernen.

Braucht es in Deutschland eine Green-New-Deal-Bewegung?

Seit der Initiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) für einen Global Green New Deal im Jahr 2008 taucht der Begriff auch in der deutschen Debatte immer wieder auf, vor allem bei den Grünen. In den Konzepten geht es hauptsächlich um eine Verschiebung von Investitionen in klimafreundliche Technologien. Zur Europawahl 2019 startete die Bewegung DiEM25 die Initiative für einen Green New Deal in Europa, die sich am US-amerikanischen Vorbild orientiert, sich aber (im Unterschied zu diesem) explizit wachstumskritisch positioniert.

Doch diese Konzepte haben bislang wenig Widerhall gefunden. So kann hierzulande ein Storytelling, das sich positiv auf  die kollektiven Anstrengungen der Ära des New Deal und des Zweiten Weltkriegs bezieht, nicht funktionieren. In der linken Klimagerechtigkeitsbewegung steht der Green New Deal häufig sinnbildlich für grünen Kapitalismus und Scheinlösungen. Eine rege Degrowth-Debatte hat über Rebound-Effekte aufgeklärt und die Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch infrage gestellt. Diese Wachstumskritik spiegelt sich unter anderem im Green-New-Deal-Konzept von DiEM25 wider. Doch es ist fraglich, ob es gelingt, den Begriff neu zu definieren.

Zudem wird die DiEM25-Initiative von Vertreter*innen linker und grüner Parteien wie Yanis Varoufakis oder Caroline Lucas getragen. Eine starke Parteinähe könnte einer Green-New-Deal-Initiative aber hierzulande eher abträglich sein. Generell herrscht in der linken Klimabewegung eine starke Skepsis gegenüber Parteien. Sie werden als Teil eines kapitalistischen Staates gesehen, den es zu überwinden gilt. Zu oft haben Menschen außerdem erlebt, dass Wahlprogramme die Forderungen der Bewegungen nachbuchstabieren, sie aber im Ernstfall für eine »Regierungsfähigkeit« über Bord werfen.

Spätestens seit die Europäische Kommission von einem »Green Deal for Europe« spricht, ist der Begriff zudem aus linker Perspektive verbrannt. Gleichzeitig ist klar, dass prägnante und ganzheitliche Vorschläge zur Bewältigung der Klimakrise dringend notwendig sind. Es gibt unzählige kluge Fachbücher, Studien und Manifeste, die aber in Regalen und auf Festplatten keine politische Wirkung entfalten. Umgekehrt sind die aktuellen Bewegungen, die mit ihren Aktionen hohe Medienaufmerksamkeit erzielen, kaum sprechfähig, wenn es um konkrete Einstiegsprojekte in ein anderes System geht. Das Anti-Kohle-Bündnis »Ende Gelände« hat mit spektakulären Blockaden viel dazu beigetragen, den diskursiven Sieg in der Auseinandersetzung um den Kohleausstieg zu erringen. Doch in der theory of change des Bündnisses kommt parlamentarische Politik nicht vor. Es bleibt schleierhaft, wie die Ausstiegsforderung praktisch umgesetzt werden soll. Soll jedes einzelne Kraftwerk »per Hand« abgeschaltet werden? Große Teile der linken Klimagerechtigkeitsbewegung wissen, dass ein Systemwandel notwendig ist. Sie gehen allerdings nicht davon aus, dass Parteien oder staatliche Institutionen dafür Lösungen liefern können. Andererseits können sie nicht überzeugend erklären, wie eine so tief greifende Transformation ohne Gesetze und staatliche Lenkung umgesetzt werden soll.

Neue kraftvolle Akteure wie Extinction Rebellion und Fridays for Future fordern Klimaneutralität, also »Netto-Null-Emissionen« bis zum Jahr 2025 oder 2035. Extinction Rebellion will ausdrücklich keine Lösungen vorschreiben, sondern diese in Bürgerversammlungen erarbeiten. Beide Bewegungen möchten sich nicht politisch »links« verorten und haben keine Forderungen zu sozialer Gerechtigkeit oder system change. Möglicherweise steckt dahinter das Anliegen, sich von ideologischem Ballast zu befreien und offen für Menschen jenseits der linken Nische zu sein. Bislang hat die Strategie Erfolg: Die Schulstreiks genießen einen enormen Rückhalt in der Bevölkerung und Extinction Rebellion kann andere Kreise für zivilen Ungehorsam begeistern, als es »Ende Gelände« und Co. bisher konnten.

Tatsächlich geht uns der Klimawandel alle an, unabhängig von Weltanschauung oder Parteizugehörigkeit. Extinction Rebellion und Fridays for Future haben viel dafür getan, mithilfe wissenschaftlicher Fakten das Problembewusstsein zu steigern. »United behind the science« ist mit verschiedensten Überzeugungen möglich. Aber wenn wir über Lösungen sprechen, müssen wir zwangsläufig Position beziehen: Setzen wir auf Marktmechanismen oder auf staatliche Ordnungspolitik? Wollen wir offene Grenzen? Oder wollen wir uns abschotten und die begrenzten Ressourcen in der »deutschen Volksgemeinschaft« aufteilen? Die Bewegungen brauchen dringend einen überzeugenden Plan, wie wir der Klimakrise begegnen. Es wäre großartig, wenn es Fachleuten, Wissenschaftler*innen und sozialen Bewegungen gemeinsam gelänge, prägnante und kampagnenfähige Sofortmaßnahmen herauszuarbeiten und gemeinsam ein Programm zu schreiben, das visionär genug ist, um zu begeistern, und realistisch genug, um es morgen umzusetzen. Ein Programm, das die ersten Schritte in Richtung system change aufzeigt.

Dieses Programm sollte von einer breiten Allianz zivilgesellschaftlicher Akteure und progressiver Politiker*innen getragen werden, die politischen Druck aufbaut. Dazu braucht es eine entschlossene und sympathische Gruppe, die mit konfrontativen Aktionen für Wirbel sorgt und die Entscheidungsträger vor sich hertreibt. Dieses Programm sollte aber hierzulande nicht Green New Deal heißen. Und: Die Initiative muss »von unten«, außerhalb der staatlichen Institutionen entstehen. Mit Spannung ist das Ergebnis der Initiative »Gerechte 1,5 Grad« zu erwarten, die derzeit in einem breit getragenen partizipativen Schreibprozess einen »Klimaplan von unten« erarbeitet.1

Die Klimabewegung braucht eine begeisternde Geschichte über eine gerechte Gesellschaft ohne Armut und Ausgrenzung und über ein Leben mit mehr Zeit in autofreien, ruhigen Städten und intakter Natur. Diese Geschichte muss auch vermitteln, dass nicht der Klimaschutz, sondern unser Wirtschaftssystem die gesellschaftliche Spaltung hervorbringt. Und vor allem muss sie uns davon überzeugen, dass wir gewinnen können.

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