Seit einigen Jahren wird nicht nur die Zuspitzung der sozial-ökologischen Krisen immer deutlicher und gesellschaftlich breit diskutiert. Es gibt auch zunehmend Vorschläge, wie jenseits von Reparaturmaßnahmen mit den Krisen angemessen umgegangen werden kann. Es findet eine intensive Auseinandersetzung darüber statt, inwiefern der Kapitalismus „grüner“ wird, und ob dieses „Grüner“-Werden tendenziell durch autoritäre oder durch demokratische Maßnahmen erreicht werden kann. Entstehen vielleicht sogar Spielräume für post-kapitalistische Formen der Vergesellschaftung? Offen bleibt zurzeit, welche Rolle dabei die Coronakrise und ihre Bearbeitung spielen werden. Sicher ist aber, dass dies in linken Strategiedebatten stärker berücksichtigt werden muss (vgl. etwa Institut für Gesellschaftsanalyse & Friends 2020, Brand 2020, 1. Kapitel).

Grüner Kapitalismus als „passive Revolution“

Von herrschender Seite wird nicht nur ökologisches Klein-Klein geboten, um die schlimmsten Auswirkungen der Krisen im Rahmen zu halten. Die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen präsentierte zu Beginn ihrer Amtszeit einen Europäischen Green Deal (EGD), der markante Ecksteine für eine partielle Ökologisierung des europäischen Kapitalismus beinhaltet. Neben ambitionierten Klimaschutzzielen sind der Aufbau einer Kreislaufwirtschaft, ein sozial-ökologischer Umbau der Industrie, der Ausbau erneuerbarer Energien, nachhaltiges Bauen, Mobilität und Landwirtschaft bzw. Lebensmittel sowie der Erhalt der biologischen Vielfalt und eine schadstofffreie Umwelt zentral. Beim EGD handle es sich „um eine Wachstumsstrategie, mit der die EU zu einer fairen und wohlhabenden Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft werden soll, in der im Jahr 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden und das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt ist.“ (Europäische Kommission 2019, 2) 

Dieses Projekt könnte zu einer Art „passiven Revolution“ (Antonio Gramsci) beitragen, also zu einer partiellen Ökologisierung, bei der allerdings die dominanten wirtschaftlichen und politischen Kräfte den Modus vorgeben. Das ist kein konfliktfreier Prozess, aber – das zeigt der „Kohlekompromiss“ von Ende 2019 – eben einer, in dem mächtige Kapitalgruppen ihre Interessen weitgehend wahren. Auf nationalstaatlicher Ebene könnte solch eine passive Revolution in Ländern wie Deutschland oder Österreich durch schwarz-grüne Regierungskonstellationen abgesichert werden.

Umso wichtiger ist es, ein konturiertes und hegemoniefähiges linkes Projekt zu formulieren. Zuletzt wurden viel beachtete Initiativen vorgelegt. Die britische Labour Party um Jeremy Corbin präsentierte ein ambitioniertes Programm unter dem Label Green New Deal. Denselben Begriff verwendeten die US-amerikanischen Linken um Alexandria Ocasio-Cortez und Ed Markey für ihre Resolution im Repräsentantenhaus, die von circa 20 Prozent der Abgeordneten unterstützt wurde. Bernie Sanders hat die Vorschläge im August 2019 nochmals konkretisiert: 20 Millionen neue und gewerkschaftlich organisierte Arbeitsplätze sollen in klimafreundlichen Branchen, wobei prioritär Arbeiter*innen aus Betrieben eingestellt würden, die auf fossiler Energie basieren und rückgebaut werden. Dazu versprach er mehrjährige Lohnfortzahlung bei Umschulungen sowie ein öffentliches Investitionsprogramm von über 16 Billionen US-Dollar (Überblick und Einschätzung in Smith 2021; vgl. außerdem Rehmann und Häußermann in LuXemburg 3/2019).

Industrielle Konversion als Kernprojekt

Bernd Riexinger schließt in seiner Flugschrift „System Change“ (2020) an die Kernelemente des US-amerikanischen und des britischen Green New Deals an und macht einen Vorschlag mit eigenen Akzenten, um die bundesdeutschen linken Debatten anzufachen. Er entstand in einem intensiven Diskussionsprozess mit Kolleg*innen in und um die Linkspartei herum und gibt einen vorzüglichen Einblick, was an inhaltlichen Vorschlägen bislang vorliegt.

„Sechs Säulen“ sind für Riexinger zentral: 1. eine gerechte und funktionsfähige Daseinsvorsorge sowie ein Investitionsprogramm in soziale Infrastruktur (Stichwort Infrastruktursozialismus) und einen klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft; 2. Lohnarbeit soll materiell auskömmlich und sinnvoll sein; 3. die sozialen Sicherungssysteme sollen ausgebaut werden und für alle gelten; 4. die Klimakrise soll mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung, Mobilitäts- und Landwirtschaftswende und energetischer Gebäudesanierung bekämpft werden; 5. die bestehenden industriellen Strukturen sollen mit wirtschaftsdemokratischen Instrumenten ökologisch umgebaut werden – Stichworte hier sind Konversion, Beschäftigungsgarantie und gerechte Übergänge –; und 6. es soll zu einer weitgehenden Umverteilung von Erwerbs- und anderen Arbeiten sowie von Vermögen kommen. 

Die Überlegungen zu industrieller Konversion sind sehr weitreichend und könnten im Sinne der Arbeiten des Instituts für Gesellschaftsanalyse der RLS „Einstiegsprojekte“ sein. Riexinger sieht die Mobilitätswende als Schlüsselkonflikt und spricht sich dabei gegen die E-Automobilität als vermeintliche Zukunft des Mobilitätssektors aus; etwa im Unterschied etwa zum US-amerikanischen Green New Deal von Bernie Sanders. Wirtschaftsdemokratie sollte mit Hilfe von Transformationsräten über die betriebliche Ebene hinaus gehen und auch regional verankert werden, sie sollte mit der Möglichkeit von Belegschaftseigentum verbunden und von einem staatlich aufgelegten Transformationsfonds unterstützt werden. „Der sozial-ökologische Umbau der Industrie ist eine Mammutaufgabe, die nur mit komplexem Wissen, demokratischer Kooperation, effektiver Steuerung und ebenso schnellen wie langfristig ausgerichteten Investitionen gelingen kann. Nur wenn die Investitions- und Produktionsentscheidungen der großen weltmarktführenden Konzerne wie Daimler, VW, Bosch, Siemens, SAP, Bayer u.a. an ökologischen und sozialen Kriterien ausgerichtet werden, entsteht Planungssicherheit.“ (Riexinger 2020, 67) Dafür müssen die Erwartungen der Eigentümer zurückstehen bzw. ganz grundlegend die Eigentumsfrage gestellt und mit demokratischer Rahmenplanung verbunden werden. 

Gleichermaßen wichtig und komplementär zur Transformation der Industrie sind die Vorschläge zu einer umfassenden Absicherung des Lebens durch öffentliche Infrastrukturen, die verbessert oder teilweise erst geschaffen werden müssen. Mitunter wird das als Infrastruktursozialismus diskutiert, der sich am Alltag der Menschen orientiert. Gerade in der Corona-Krise wird deutlich, welche Bedeutung diese Infrastrukturen haben ­– und hier schlägt Riexinger eine Brücke zwischen links-keynesianischen und Postwachstums-Strategien. Insbesondere für die Gewerkschaften sieht er hier eine große Chance zur politischen Offensive (93). 

Daran schließen sich viele andere wegweisende Vorschläge an wie die „kurze Vollzeit“ in Richtung 30-Stunden-Woche, 22-Stunden-Woche als Mindestarbeitszeit plus umfassenden Weiterqualifizierungsmöglichkeiten, das Verbot von Leiharbeit, eine Demokratisierung des Bildungssystems (etwa die Öffnung der Hochschulen für interessierte Berufstätige).

Radikale Transformation als Machtfrage

Erst mit strategischen Überlegungen zur Durchsetzungsfähigkeit kann ein linker Green New Deal jedoch echte Wirkung entfalten – dieser muss schließlich „gegen die geballte Macht von Konzernen, Kapitalverbänden und den Parteien, die deren Interessen vertreten, durchgesetzt werden.“ (91) Riexinger sieht dennoch recht gute Voraussetzungen für einen weitgehenden Umbau, denn einerseits erleben wir massive Proteste und andererseits äußern sich in Umfragen Mehrheiten gegen eine als ungerecht empfundene Wirtschaftsordnung.

Wie kann aber das kritische Bewusstsein in politische Macht umgesetzt werden? Wie können die mit einem linken Green New Deal einhergehenden Verbesserungen der sozialen und natürlichen Lebensbedingungen den Menschen plausibel werden? Wie können für einen sozial-ökologischen Richtungswechsel insbesondere die Gewerkschaften gewonnen, die sich dabei selbst erneuern müssen, und breite Bündnisse im Sinne einer „verbindenden Klassenpolitik“ gebildet werden? „Es geht um eine neue politische Qualität, um einen Schulterschluss von Gewerkschaften (oder erheblichen Teilen davon), sozialen, ökologischen und demokratischen Bewegungen und Initiativen für eine solidarische Gesellschaft.“ (99)

Die Antwort eines Parteivorsitzenden wundert nicht: Mittels verbindender Klassenpolitik und einer starken Rolle der Linkspartei im Sinne einer Bewegungspartei sollen die Projekte eines linken Green New Deal vorangetrieben werden. Regierung müsse „von einer Hegemonieperspektive aus“ gedacht werden, und die Linkspartei „tritt als treibende Kraft auf, als Motor der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen für einen sozialen und ökologischen Systemwechsel.“ (107) Sie wird zur verbindenden Partei, die organisiert, Orientierung und Lernmöglichkeiten bietet, Forderungen aufgreift und entwickelt, Bündnisse schließt und festigt und emanzipatorische Veränderungen vorantreibt. „Ausgangspunkt sind konkrete Interessen und Probleme, die vielen auf den Nägeln brennen.“ (115) Eine stärker werdende Partei und politische Erfolge – von denen Riexinger viele nennt – verändern den Blick auf linke Strategie- und Handlungsfähigkeit.

Die Vorschläge in Riexigers Flugschrift sind beeindruckend breit und detailliert und stellen auch einen Einsatzpunkt in parteiinternen Auseinandersetzungen um die Ausrichtung der Partei dar. Die Eigentumsfrage wird als diferencia specifica kapitalismuskritischer linker Politik deutlich. Das Denken in gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und in Strategien zu deren Verschiebung macht das Buch spannend. Dass er sich detailliert zu Gewerkschaften, eher allgemein zu sozialen Bewegungen und kaum zu feministischen Themen äußert, entspricht dem konkreten Erfahrungshintergrund Riexingers.

Das Plädoyer für einen linken Green New Deal mit dem optimistischen Untertitel „Wie wir den Kampf für eine sozial- und klimagerechte Zukunft gewinnen können“ ist auch ein Diskussionsangebot für weitergehende Debatten.

Den Sozialismusbegriff prominenter setzen?

Aus meiner Sicht ist die semantische Anlehnung an den historischen New Deal unter Franklin D. Roosevelt für den bundesdeutschen Kontext nicht ganz glücklich. Aber das müssen weitere Diskussionen zeigen. Vor allem drängt sich beim Lesen eine andere Frage hinsichtlich der Begrifflichkeiten auf. Riexinger verwendet die Begriffe Sozialismus bzw. sozialistisch eher beiläufig und diskutiert sie nicht, obwohl er als Parteivorsitzender wahrscheinlich über breite Erfahrungen verfügt, ob und wie diese Semantik – etwa als „grüner“ oder „ökologisch-demokratischer“ Sozialismus – aktuell wirkt bzw. produktive Wirkung entfalten könnte. Die kurze und intensive Debatte um eine Aussage des Jusos-Vorsitzenden Kevin Kühnert in DIE ZEIT im Mai 2019 lässt vermuten, dass in der weiteren Ausarbeitung und Verwendung des Sozialismusbegriffs einiges strategisches und Orientierungspotenzial liegt.

Auch wenn Riexinger den Hegemoniebegriff in der Tradition Antonio Gramscis verwendet, so scheint es ihm um die mehr oder weniger explizite Zustimmung der Menschen zu den bestehenden Verhältnissen und um deren Veränderung zu gehen. Um diese Zustimmung soll mittels guter Argumente, Forderungen und Programme gerungen werden, die sich in politischem Engagement und Wahlverhalten (für die Linkspartei) äußern. Das ist wichtig, zumal er die Forderungen unter anderem aus konkreten sozialen Kämpfen ableitet. Doch es ist auch sehr rationalistisch gedacht. Die Zustimmung zur – in Begriff von Markus Wissen und mir – imperialen Produktions- und Lebensweise ist ungleich komplexer. Wir betonen über die genannten Dimensionen hinaus, dass es im Alltag eine ganz praktisch gelebte Zustimmung zu den Verhältnissen gibt, die sich gar nicht explizit äußert, aber in der Arbeitswelt, im Konsumalltag und anderweitig existiert. Oft hat das überhaupt nichts mit dem Anspruch auf politische Gestaltung, der Wahrnehmung von Auseinandersetzungen oder Wahlverhalten zu tun, sondern kommt oft sogar ausdrücklich „unpolitisch“ daher. Repolitisierung würde hier also zunächst bedeuten, überhaupt wieder zu verdeutlichen, dass es verschiedene Optionen gesellschaftlicher Gestaltung gibt, dass Politik und Gesellschaft etwas mit den Menschen zu tun haben.

Leerstelle internationale Dimension

Das bringt mich zu meinem Hauptpunkt, nämlich einer Leerstelle in Riexingers linkem Green New Deal, die ein sehr strukturelles Dilemma für transformatorische linke Politik darstellt: Die internationale Dimension. 

Das sollte nun nicht nur der Parteiform zugeschrieben werden, die notwendig auf nationalstaatlicher Ebene agiert, hier Programm und Strategien formuliert und diese parlamentarisch oder gar in Regierungen umzusetzen versucht. 

Hinsichtlich der internationalen Dimension wird einleitend von einer bedrohlichen Weltunordnung gesprochen, die fehlende Infragestellung der bestehenden internationalen Arbeitsteilung in neoliberal-grünen Projekten moniert, an einer Stelle die Notwendigkeit einer neuen Weltwirtschaftsordnung, an einer andren die Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen genannt. In einem kurzen Abschnitt wird die globale Dimension angesprochen und der linke Green New Deal als Projekt aus dem globalen Norden, aber gleichwohl als „Vorschlag für einen neuen Internationalismus“ bezeichnet (84). Es bleibt aber bei Allgemeinplätzen auf einer Buchseite und, mehr noch, die vielen anderen konkreten Vorschläge, werden kaum in ihrer internationalen Dimension gedacht. 

Die transnationale Ausrichtung von Riexingers Projekt besteht wesentlich darin, dass in verschiedenen Ländern radikale sozial-ökologische Transformationsprozesse vorangetrieben werden. Das ist wichtig genug, denn ohne radikale emanzipatorische Verschiebungen in den kapitalistischen Zentren USA, Großbritannien und Deutschland sind die Ziele eines linken Green New Deal nicht erreichbar. 

Aufgabe kritischer Analyse und linker Strategieentwicklung wäre aus meiner Sicht ein genaueres Verständnis des transnationalen Charakters der kapitalistisch-imperialen Produktions- und Lebensweise sowie der damit verbundenen Kräfteverhältnisse in Deutschland. Das ist angedeutet: „Wenn wir die Verteilungsverhältnisse und die Weise, wie wir produzieren und über unsere Investitionen entscheiden, verändern und demokratisieren, zerstörerische Formen der Produktion zurückfahren, die Arbeitszeit verkürzen und die soziale Infrastruktur ausbauen, kann sich eine ressourcenschonendere Lebensweise durchsetzen.“ (85) Doch auch das bleibt allgemein.

Machtfragen im transnationalen Kapitalismus

Doch es wäre vor dem Hintergrund dieses Ziels zum einen genauer zu ergründen, inwiefern bei aller existierenden und empfundenen Ungerechtigkeit und postuliertem Wunsch nach Veränderungen es in einem Land wie Deutschland doch ein Wissen und eine Praxis der Menschen gibt, materiell relativ (!) vorteilhaft in die globale politische und wirtschaftliche Ordnung integriert zu werden. Das findet auch durch vielerlei Anrufungen statt, im „Exportweltmeisterland“ Deutschland. Aber es sind eben auch reale Erfahrungen. Radikale sozial-ökologische Alternativen müssen sich dieser sehr ambivalenten Voraussetzungen vergewissern. Nicht in moralisierender Absicht, sondern politisch, als zu verstehende und zu verändernde Konstellation, mit all ihren Dilemmata etwa für die Gewerkschaften. 

Analytisch würden internationale Perspektiven eine ungemütliche Grundeinsicht der Postwachstumsdebatte aufnehmen: Der Produktions- und Reproduktionsapparat in einem Land wie Deutschland muss in verschiedenen Bereichen drastisch rückgebaut werden. Riexinger deutet das am Beispiel der Automobilindustrie an. Und er spricht auf drei Seiten von „mächtigen Gegnern“, nämlich den großen transnational agierenden Energie-, Automobil-, Staatgut- und Chemiekonzernen sowie den Kapital- und Vermögensbesitzer*innen, die ihre ökonomische in politische Macht umzusetzen wissen. Nicos Poulantzas wies uns vor vielen Jahrzehnten in der Krise des Fordismus darauf hin, dass die Klassenkämpfe, zu denen auch linke Parteien auf Seiten der Subalternen gehören, der Form nach national sind, aber ihr Inhalt international ist. Dieser internationale oder besser gesagt notwendig internationalistische Inhalt der Kämpfe spielt bei Riexinger keine systematische Rolle. Und zwar insbesondere die Kämpfe bzw. Handlungsmöglichkeiten der Kapitalseite. Insbesondere unterschätzt er m.E. einen Aspekt, auf den Dieter Klein nicht müde wird hinzuweisen. „Die Machteliten sind noch nicht am Ende ihrer Suche nach zukunftsfähigen Wegen des Kapitalismus. Alarmierte und bewegliche Fraktionen des herrschenden Machtblocks suchen in einer grünen Modernisierung eine neue Wachstumschance als Rettung aus dem Krisengewirr“ (Klein 2019, 118). 

Aus einer Perspektive von Hegemonie und möglicher Gegen-Hegemonie ist von Bedeutung, inwieweit die herrschenden ökonomischen und politischen Kräfte in der Lage sind, gesellschaftliche Führungsfähigkeit im Sinne Gramscis herzustellen. Führung bedeutet, dass die wirtschaftlichen grün-kapitalistischen Kräfte fähig wären, ein Wachstumsprojekt zu organisieren und dauerhaft zu machen, das politische Priorität hat und auch andere Kapitalgruppen einbindet oder sie derart schwächt (wie möglicherweise bestimmte Fraktionen der fossilen Industrie), dass ihre Interessen nicht mehr stark vertreten werden. Politische Führung eines solchen grün-kapitalistischen Machtblocks würde sich auch dadurch auszeichnen, dass zentrale Probleme zumindest potenziell innerhalb des gegebenen kapitalistischen Rahmens als lösbar erscheinen: Beispielsweise der Kampf gegen die Klimakrise, die Sicherung der Rohstoffe für eine „grüne“ Ökonomie oder die zumindest partielle Ökologisierung des Mobilitäts- und Landwirtschaftssystems. Und schließlich würden relevante Teile der Lohnabhängigen im globalen Norden sich als integriert empfinden, materiell von solch einer Konstellation durchaus etwas haben oder sich zumindest etwas versprechen. Das ist das Terrain, auf dem sich emanzipatorische Vorschläge und Strategien bewähren müssen.

Internationalismus auf der Höhe der Zeit

Zum anderen wäre ein programmatisch-strategischer Internationalismus auf der Höhe der Zeit zumindest versuchsweise zu formulieren. Es könnte exemplarisch sichtbar gemacht werden, wie meist negativ die Lebensverhältnisse andernorts sich entwickeln, weil Waren aus wirtschaftlich schwächeren Regionen und zu Bedingungen von ungleichem (ökologischen) Tausch in den globalen Norden gebracht werden – und was das konkret hierzulande und in den Herkunftsländern bedeutet. Konkrete internationale Solidarität im 21. Jahrhundert bedeutet eine Infragestellung des transnationalen Kapitalismus in Deutschland, in Europa und in anderen Teilen der Welt. Dazu gilt es politische Fantasie und Initiativen zu entwickeln; im Buch von Bernd Riexinger wird das am ehesten bei den Vorschlägen in Richtung Infrastruktursozialismus und im Abschnitt zu regionalen Wirtschaftskreisläufen (68ff.) deutlich. Doch es müsste auch schärfer formuliert werden: Wie kann linke Politik dazu beitragen, die zerstörerische Dominanz der bundesdeutschen Politik und Wirtschaft in Europa und darüber hinaus ganz praktisch infrage zu stellen? 

Zum Schluss noch eine Anmerkung zur politischen Rhetorik. Klaus Dörre bemängelt in einer Sammelrezension zu linken, strategisch ausgerichteten Publikationen (der Freitag, 19.11.2020), dass Büchern wie dem von Bernd Riexinger „die Dringlichkeit ihrer Botschaft gelegentlich verloren“ gehe, weil es letztendlich um rot-rot-grüne Parlamentsmehrheiten und das Überleben in der eigenen Partei gehe. Thematisch ähnliche Beiträge in anderen Ländern seien überzeugender, diese nutzten „eine Sprache, die vor Überzeugung sprüht und deshalb andere überzeugen kann.“ 

Das ist ein wichtiger Punkt. Doch ich würde dem entgegenhalten, dass die Beiträge von Naomi Klein, die Dörre als Beispiel anführt, analytisch oft naiv wirken und suggerieren, dass die 99 Prozent eigentlich ohnehin eine radikale Veränderung wollten, sie es aber erst nach der Lektüre von Kleins Texten genauer wüssten. Da sind hegemonietheoretisch inspirierte Analysen und Veränderungsperspektiven gewinnbringender. Diese profitieren von den umfassenden Vorschlägen, die Riexinger in seinem Buch unterbreitet.