Aus Stahl gemacht, durch einen Verbrennungsmotor angetrieben, für vier Personen ausgelegt, im privaten Eigentum und unabhängig voneinander betrieben: Das ist das Modell Auto. Fast ein Jahrhundert lang war es prägend, weltweit. Seine Epoche läuft jetzt unwiederbringlich aus.

Krise und Grenzen

Trotz aktueller Aufschwungsnachrichten ist die zyklische Überproduktionskrise der Automobilindustrie in Nordamerika und Europa keineswegs vorbei. Immer weiter in den Vordergrund tritt jedoch eine langfristig prägende strukturelle Krise: Die fossile Verkehrsordnung, in deren Zentrum »das Auto« steht, stößt zunehmend auf absolute und relative Grenzen. Im stofflichen Zentrum dieser Ordnung steht ein Motor, der fossile Brennstoffe aus der Natur importiert, sie verbrennt und dann Schadstoffe und Treibhausgase in die Natur exportiert. Ungeachtet aller technischen Effizienzsteigerungen gehen die Ressourcen, die dieses Verkehrsmittel verbraucht, zu Ende und seine Belastungen, die es bewirkt, nehmen zu. Die Vorräte verknappen, die Schadstoffe türmen sich auf. Eine Trendumkehr des Energieverbrauchs durch den Verkehr ist nicht ersichtlich. Bis heute wird der durch hohen technologischen Aufwand erreichte geringere spezifische Energieverbrauch durch Mengenwachstum und upsizing der Autos überkompensiert. Die hektischen Aktionen zur Verlängerung des fossilen Endspiels werden letztlich nicht mehr greifen können: Peak Oil ist erreicht, das Alte stirbt schon einen langen Tod. Der Anstieg des Ölpreises wird die Verkehrsordnung erschüttern. Der Chefökonom der Internationalen Energieagentur (IEA) Faith Birol sprach im Sommer 2009 von »dem Äquivalent von vier Saudi Arabien«, die bis 2030 neu entdeckt und entwickelt werden müssen, um den Rückgang der bestehenden Produktionsbasis auszugleichen – und von »sechs Saudi-Arabien«, um das projizierte Nachfragewachstum zu befriedigen (Schindler und Held, 57). Undenkbar. Die Substitute – Erdgas, synthetisches Erdöl aus Teersanden und Schweröl, Kohle, nukleare Energie – sind allesamt keine realistischen Optionen, um diese stoffliche Krise des alten Entwicklungspfades kompensieren zu können. Wollte man in den nächsten 50 Jahren nur die Hälfte des heutigen Erdöleinsatzes durch Kernenergie ersetzen, müsste man zusätzlich zu den ca. 450 in Betrieb befindlichen Kernkraftwerken jede Woche ein bis zwei neue Reaktoren in Betrieb nehmen.

Zum sicheren Ende der fossilen Treibstoffe kommt die empfindliche Verknappung der beanspruchten Ressourcen an speziellen Rohstoffen – ein zweiter wesentlicher, was den Verkehr angeht, aber bislang noch kaum spürbarer Prozess. Präsent dagegen ist drittens der kontinuierlich zunehmende Belastungsfaktor des Flächenverbrauchs, der bis 2030 weltweit von ca. 50 000 qkm auf rund 200 000 qkm zunehmen wird, was etwa der Fläche der alten BRD entspricht. Über ein Jahrhundert nun schon dauert der Aufstieg des Autosystems zur Territorialmacht an. Als erstes spürbar aber sind viertens die klimarelevanten Emissionen des Verkehrs. Etwa ein Viertel aller Treibhausgasemissionen in der EU entfällt auf den Verkehrssektor, der Anteil der Pkws an den Gesamtpersonenkilometern in der EU-27 lag 2007 bei 72 Prozent. Es gibt also eine massive stoffliche Krise des Automobilismus.

Prekärer Pfad

Der Entwicklungspfad des »Verkehrs auf fossiler Basis« stößt weiter auf relative Grenzen. Das ungebrochene quantitative Wachstum der Automenge vor allem in den Newly Motorising Countries (NMCs) mit Brasilien, Russland, Indien und China an der Spitze geht einher mit sinkender Effizienz. In den Autostädten verlangsamen sich die Wegegeschwindigkeiten – auch diejenigen der Fußgänger. Das Auto half, Heim, Arbeit, Geschäft, Bildung, Freizeit, Erholung räumlich zu trennen; um sie wieder miteinander zu verknüpfen, werden und dauern die Wege länger. In Los Angeles etwa, der Autostadt par excellence, ist das Tempo im Schnitt auf 20 Kilometer pro Stunde gesunken. Der Lärmpegel steigt, der Lärmteppich verdichtet sich. Die sozialen Kosten nehmen zu. Hinzu kommen Tote und Verletzte: In diesem Jahr dürften bis zu 1,35 Millionen Menschen auf den Straßen der Welt sterben, davon eine Million in den so genannten niedrigmotorisierten Ländern. Rund 45 Millionen Menschen werden verletzt werden, davon 20 Millionen schwer (Gietinger 2010: 127, 175).

Diese soziale und funktionelle Krise des Automobilismus untergräbt das alte, dynamische, attraktive und progressive Versprechen der Demokratisierung des Raumes durch die Massenmotorisierung der Vielen und der Verallgemeinerung des Selbstfahrens. Noch wirkt die Attraktion Auto – aber ihre Kraft nimmt ab: Apple statt Audi, mobile gadgets statt geile Mobilität sind angesagt. Der bisherige Entwicklungspfad des großtechnischen Systems Automobilität verliert also an Stabilität und wird prekär. Funktionelle, stoffliche, soziale und ökonomische Krisen greifen auf neue Art ineinander, untergraben die alte Normalität und Pfadroutine, bringen neue Akteure ins Spiel und erzwingen letztlich das Einschlagen grundlegend neuer Wege. Grenzen, innere Widersprüche und Folgelasten werden damit zu Treibern einer grundlegenden »großen Transformation« (Henseling) der Mobilitätsordnung. Kurz und bündig: It’s time to say goodbye.

Schwerer Abschied von der Macht

Aber wovon sollen wir uns verabschieden? Wissen wir, wie viele Kilometer wir in unserem Leben im Auto gefahren oder mitgefahren sind, wie viel Zeit – Monate, Jahre, Jahrzehnte – wir im Auto verbracht haben, wie viel Benzin wir verbraucht haben, woher es kam und wie groß unser ökologischer Fußabdruck ist? Wie steht es um unseren automobilen Lebensraum? Wie viele wissen, wie viel Geld sie aufgewandt haben und ob ihnen Kinder oder Großeltern ähnlich teuer sind? Wie hoch die wirklichen Lebenszeitkosten ihrer Mobilität sind, Kredite, Versicherungen, Tourismusmaut, Wertminderung, Unfallkosten, Reparaturen, Verbrauch, Drive-Ins, Staus, Straßenbau und -erhalt, Landund Rohstoffverbrauch, Tankstellen und -lager, Pipelines und Parkraum, Vertriebs- und Serviceeinrichtungen, Ausbildungs-, Trainingsund Testeinrichtungen, ökologische Sanierung, Verkehrs-, Raum- und Unfallmanagement eingerechnet? Wie viele Freunde und Bekannte sie haben, die durch Unfälle verletzt oder getötet wurden? Wie viele Auto-Werbespots sie gesehen haben? In wie vielen ihrer Lieblingsfilme fast and furious Autos und Rennen und feurige Zeitlupenunfälle eine maßgebliche Rolle spielten? Wie sie sich an den unvermeidlichen Preis des Fortschritts gewöhnt haben? Welche Wirkungen ihre Lieblingsmaschine auf ihr Gewicht hatte und auf die Verteilung von Reichtum und Armut in der Weltautogesellschaft? Wie viele Fahrer, die Fußgänger getötet haben, straffrei bleiben? Wie viele und wo gerade Kriege geführt werden, damit das gierige Jahrhundertvehikel sich weiter und profitabel bewegen kann? Und dass 2008 neun der zehn größten Unternehmen auf der Welt zur Öl- und Autoindustrie gehörten? Auf jeden Fall: Dieser Abschied ist aufwendig, voller Überraschungen, komplex, für viele ein schmerzhafter Trennungsakt – aber wenn Mitte Juli 2010 beim »Still-Leben Ruhrschnellweg « auf der Autobahn (A40) fröhlich drei Millionen Menschen flanierten, dann deutet sich unübersehbar an, dass solche Übergänge auch die Seite der Befreiung haben. Die Angst vor Veränderung, vor Aufgabe der alten Verkehrspraxis und einer neuen Zukunft der Mobilität muss überwunden werden. Der Verkehr, wie wir ihn kennen, ist bereits zu Ende – seine Autoren haben es nur noch nicht realisiert. Doch diese Angst und der Konsens, den sie – neben den vielen Attraktionen und Routinen, die eine Jahrhundertmobilitätsordnung bereitstellt – begründet, verschwinden nicht einfach. Diese Ordnung ist zugleich eine Machtordnung jener, die sie organisieren, von ihr profitieren, sie hegen, pflegen und beschützen: Kapital, Staat, die Kräfte der Ordnung, Habitus und die vielen kulturellen Kapitale mit ihren großen Ikonen: Modernität, Enthusiasmus, Hype, Love Affair, Begehren, Obsession, Wünsche, Träume, Spaß, Hagiographie. Nicht die Zahl der Erwerbstätigen – weltweit gerade mal 5 Prozent der Industriebeschäftigten – und Fertigungsstätten oder die Höhe der Umsätze und Profitraten machen die Spezifik des Industriezweiges aus. Besonders ist die Dominanz einer kleinen Gruppe großer, alter Firmen, die frühe und dauerhafte Herstellung eines Weltmarktes für ihr Produkt und die Fähigkeit, sich zahlreiche Traum-, Gewalt-, Produktions- und Lebensräume (von der Stadtarchitektur über die Kriegsmobilität (»Hindukusch«) bis zum Hollywood-Blockbuster) anzueignen. Das Auto ist immer und überall. Seine Präsenz produziert eine Banalität, in der jedes Hinterfragen verhallt. Nach dem Wohneigentum ist es das wichtigste individuelle Konsumgut und hilft immer noch bei der Selbstdarstellung und dem Verfolg von Werten wie Freiheit, des Erwachsenseins, sexuellen Erfolgs, der Vision von Maskulinität und der vorbildlichen Familie, den Verständnissen von Fortschritt, Erfolg, Effizienz, Wirtschaftlichkeit, Selbständigkeit und Individualität oder gar Nonkonformismus und Autonomie. Und endlich, nicht zu vergessen: von Aggression, Kraft und Macht, also power. Fortschritt wird immer noch am verlässlichsten angezeigt durch Neuheit – also Modellwechsel – und Innovation – also Technik. Status und Erfolg wird ausgewiesen durch »demonstrativen Verbrauch« (Veblen), also Markenkult, Premiumklasse, Luxusautos, Rennwagen oder Klassiker. Konsumkompetenz steht für Wirtschaftlichkeit, Markenvielfalt für liberalen Individualismus und Privatheit für Autonomie. Freiheit durch Auto meint neben zweieinhalb Kubikmeter Freiheit, »… dorthin zu fahren wohin wir wollen, wann wir wollen, mit wem wir wollen und zusammen mit den Dingen, die wir brauchen« (Mitchell u.a. 2010, 2). Macht und Disziplinierung endlich vermittelt das Auto, indem es uns die Möglichkeit sichert, ein Instrument für extremes Handeln in extremen Situationen zur Hand zu haben. Das aber operiert im Status des Superlativs: extrem schnell (also Tempo statt Bewegung), sicher, billig, neu, untypisch, groß, luxuriös, bequem, hochtechnisiert, übermotorisiert, katastrophenfest. Das Auto war und ist ein Synonym für Freiheit, Affekt, Sex und thrill – und heute immer mehr ein Hilfsinstrument zur Bewältigung unzähliger Alltagsdrangsale, ein Erholungs- und Rückzugsraum für das Private an uns, ein Rettungsschiff in einem Meer psychosomatischer Zumutungen und Gefahren, eine Rüstung gegen Kriminalität, Unsicherheit, Terrorismus (Lutz 2010, 179). Endlich ist es immer noch eine ästhetische Angelegenheit, die Vertrauen schafft, Sicherheit gibt, jeden Gedanken an tödliche Nebenwirkungen überschreibt, den Kitzel der besonderen, finalen Macht verschweigt: die Fähigkeit der Ortsveränderung zu verbinden mit der Leichtigkeit, über Leben und Tod zu entscheiden. Kunden- und Markenloyalität sind da ein hohes Gut, sie sichern die Serienproduktion des guten Lebens und die Tabuisierung des Todes.

Profitstrategie

Die neu entstehende Profitstrategie der Autokonzerne geht in zwei Richtungen. Nachdem sie in der Krise den Kostendruck stark erhöht hat (Abbau Leiharbeit, Einführung Kurzarbeit verbunden mit starken Einkommenseinbußen bei den Beschäftigten und Nutzung staatlicher Mittel), versucht sie erstens mit höchster Anstrengung zu wechseln von den gesättigten und kritischen Mittelklassenmärkten der nördlichen Industrieländer zu den neoliberal polarisierten Automärkten in den BRIC-Staaten, wo die oberklassengerechten Premiummarken einem explodierenden Markt der niedrigpreisigen Klein- und Mittelwagen gegenüberstehen. VW etwa spielt im einen, Daimler im anderen Autoteilmarkt Chinas die erste Geige. Die Dimensionen sind atemberaubend: 2009 wurden in China 13,6 Mio. Pkws, Busse und Lkws verkauft, doppelt so viele wie 2008. Im Juni dieses Jahres gab es dort 83,37 Mio. Autos (1977: 1 Mio.). VW will seine Jahresproduktion in China bis 2014 auf 3 Mio. Autos steigern. Das VW-Werk in Schanghai gilt nun als größte Autofabrik der Welt. China wird der Welt größter Markt für die weit überdurchschnittlich profitablen Luxuslimousinen sein, deren Produktion immer stärker vor Ort stattfinden wird. Der Markt der low-cost-cars explodiert in Indien und China. Nach konservativen Schätzungen wird 2014 jedes dritte Auto in den BRIC-Staaten abgesetzt werden. Ein derart sich immer stärker spaltender globaler Automobilmarkt verstärkt die hierzulande schon lange vor der aktuellen Finanzkrise begonnene Beschäftigungskrise. Die Schlüsselzentren der Produktion und des Absatzes werden nach Asien verlagert, mit Schwerpunkt Indien und China. Produktion und Beschäftigung auch in den europäischen Kernstandorten wie Frankreich oder Deutschland werden massiv schrumpfen – die deutschen Konzerne werden in Forschung und Produktion ihre überragende Position in Europa dennoch halten. Dies soll nach den gegenwärtig herrschenden Vorstellungen die dominierende Politik bis zur Jahrhundertmitte sein: Optimierung des konventionellen Antriebsstrangs (Verbrennungsmotor), begleitet von Effizienz-Innovationen (Leichtbau, Ablösung Stahl, Verkleinerung der Autos [»ultra small vehicle«], wiederverwendbare Stoffe, Erhöhung der Sicherheit, Elektrifizierung und Vernetzung), Produktion und Absatz auf anderen Märkten, Sicherung und Ausweitung des Kapitalstocks. Dieser Weg schließt auf lange Zeit hin die erweiterte Reproduktion des fixen Auto-Kapitals mit seinen negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt ein. Die »Optimierung des Stoffwechsels mit der Natur« bedeutet die blinde, riskante Fortsetzung des Ressourcenverschleißes, der Umweltzerstörung und der Reduzierung arbeitsintensiver Entwicklung und Fertigung. Zweitens entwickelt die Autoindustrie unter Losungen wie »Das Auto neu erfinden!« oder »Auto 2.0« eine Politik der Transformation des Autos. Sie konzentriert sich im Kern auf seine Elektrifizierung und auf neue Antriebssysteme, eine Digitalisierung der Mobilität (elektronische Konnektivität, ständige GPS- und transpondergestützte Kommunikation zwischen Auto, Straßen, den dort stattfindenden Aktivitäten und der Umgebung, digitale Kontrolle des »intelligenten «, »smarten«, vernetzten Autos) und auf neue Transportpolitiken und Umgebungen (kompakte Stadt mit kurzen Wegen, intelligente Umgebungen, Reduzierung des Landverbrauchs, Integration der Verkehrsmittel etc.). Während die erste strategische Option durch Verlagerung und Aufbau neuer Produktionskapazitäten im Ausland negative beschäftigungspolitische Effekte im Inland erzielt, prognostizieren viele für das »Auto 2.0.« aufgrund des Wegfalls des komplexen Antriebsstrangs (Motor, Getriebe, ca. 1400 Teile, der E-Motor hat ca. 210 Teile) vor allem im Zulieferbereich und direkten Motorenbau technisch bedingte massive Arbeitsplatzverluste (Dispan 2010, 17ff; Strukturstudie 2010, 46f).

Industriekämpfe

Der anvisierte relaunch des Autos und eines daran anschließenden soziotechnischen Mobilitätssystems bringt eine Fülle von Unsicherheiten mit sich. Wer das neue Gewinnsystem beherrschen will, muss riesige Kapitalmengen mobilisieren und umschlagen. Wer sich der Systemführerschaft in der anderen Mobilitätsordnung zukünftig bemächtigen wird, ist offen. Die Autoindustrie versucht, in dieser Situation eines langen Übergangs eine ganze Skala von Politiken voranzutreiben (»Fächerstrategie «) – bis klar wird, welche technische Option das Rennen machen wird. Eine solche Politik kann letztlich nur eine Handvoll global agierender Konzerne verfolgen. Manche der Giganten setzen notgedrungen früh und riskant auf eine einzige Option. Die Krise hat das alte Entwicklungsmodell des inkrementellen Fortschritts und der gleichsam gemächlichen Hinzufügung dieser oder jener Neuerung zunächst ad acta gelegt. Dieses Entwicklungsmodell baute auf viel freie Ressourcen, hohe Markenloyalität und geringfügige Verschiebungen von Marktanteilen; es kommt nun ökonomisch unter Druck. Die Probleme sind zu groß; die Situation für die Industrie ist angespannt. Werden die technologischen Optionen in Richtung Wasserstoff und Brennstoffzellentechnologie bzw. batteriegestützte Elektromobilität gehen? Die erste ist technisch revolutionär, institutionell aber eher konservativ und braucht keinen Aufbau einer parallelen institutionellen Struktur. Das »Batterie- Paradigma« dagegen verlangt lange Ladezeiten, Stillstand des Autos etc. und wertet die Energieversorgung über eine (geschrumpfte) öffentliche Infrastruktur ab. Beide Wege generieren extreme Sicherheitsprobleme. Während nur ein halbes Dutzend Unternehmen gegenwärtig die Ressourcen hat, verschiedene Antriebstechnologien zugleich zu verfolgen und das Risiko der Festlegung auf eine Option hinauszuschieben (so z.B. Daimler, GM, Toyota, z.T. VW), verfolgen alle Großkonzerne der Autoindustrie die Option, globale Mobilitätsdienstleister im städtischen Bereich zu werden. Zum allgemeinen Mobilitätsmarkt gehören auch zahlreiche weniger kapitalstarke oder kleinere Marktakteure und andere große Anbieter (Deutsche Bahn, IT- Unternehmen, Banken etc.). Agieren und konkurrieren werden jene Unternehmen, die Ressourcen und Fähigkeiten haben, neue große Systeme zu konzipieren, zu finanzieren, aufzubauen, zu organisieren und zu managen. Diese Fähigkeit zum system building entscheidet über die zukünftige Mobilitätsordnung. Gelingt es, die »gesättigten« Märkte in Europa oder Nordamerika zu halten und die Expansion des Weltmarktes über die vor allem asiatischen Märkte zu sichern, dann sind auch die Chancen für die Automobilindustrie nicht schlecht, sich als dominante Akteure eines greening der Automobilität gegen die Energieunternehmen zu behaupten (Batteriehersteller, Energieversorgungsunternehmen) und auch gegen die vor allem chinesischen Staatsunternehmen, die auf diesem Sektor sich stark positionieren werden.

Keine Utopien

Die Ökonomie des Verkehrs ist die Kernstruktur der alten fossilen Ordnung. Die Interessen, die sie repräsentiert, operieren in den Bezügen von Optimierung, Wachstum, Modifikation, Anpassung, Reorganisation, um der drohenden Entwertung des Kapitals entgegenzuarbeiten – schließlich werden zum Beispiel in den USA auf vier Millionen Meilen Straße drei Billionen Meilen zurückgelegt und 180 Milliarden Gallonen Treibstoff verbraucht, der aus 170 000 Tankstellen herausgeholt wird (Mitchell u. a. 2010, 3; 12). Um die Gewinne aus der Maintenance einer Milliarde Autos muss man sich schließlich kümmern! Erst recht um den Mehrwert, den die avisierte zweite Milliarde bringen wird. Ein strategisches Verlassen des Feldes der fossilen Ordnung ist folgerichtig nicht im Blick. Die politische Ökonomie der Optionen des Übergangs zu einer postfossilistischen Mobilität und dieser selbst – so die Ratio der akkumulationsverpflichteten Akteure der Kapitaltransformation und -bewegung und der dazu gehörenden Blickrichtung – wird diesen Referenzen zu folgen suchen. Von langfristigen Zielsetzungen wie »sicheres und unfallfreies Auto«, »emissionsfreies Auto«, »erschwingliches Auto« wird dabei ständig die Rede sein. Zugleich wird versucht, Technikfaszination (Internet! E-Mobilität!), Hochbewertung von Sicherheit und Deregulierung der Märkte zu kombinieren. So plädiert die in Zusammenarbeit mit einer großen Konzeptgruppe von General Motors im MIT entstandene Studie Reinventing the Automobile zwar für einen Übergang von einer Ökonomie des Eigentums zu einer Ökonomie des Zugangs (»Nutzen statt besitzen«), redet aber einer beinhart marktradikalen Organisation der zukünftigen weiterhin vom Auto bestimmten Mobilitätsordnung das Wort, »um Kontrollkapazitäten für die städtischen Mobilitäts- und Energiesysteme bereitzustellen. Das wird erreicht werden durch die Schaffung von Märkten mit dynamischer Preisbildung nicht nur für Strom, sondern auch für Straßen, Parkraum und in manchen Zusammenhängen auch für Carsharing« (Mitchell u.a. 2010, X). Der Übergang zu einem anderen Antriebssystem bedeutet nicht, marktradikale Zuschnitte einer neoliberalen Mobilitätsordnung aufzugeben. Die neue DNA soll keine neue Marktökonomie erfinden, sondern auf neuer stofflicher Grundlage deren technisch-soziale Vergesellschaftung vorantreiben. Die Utopie der besser verdienenden und reichen Freunde des E-Autos will eine alte Wahrheit fortschreiben: Alle Menschen werden irgendwie als gleich mobil geboren – aber sie werden ungleich mobil gemacht. Das Auto ist nicht einfach der große Gleichmacher, indem es alle und jeden den Regeln der Straße unterwirft und Armen, Behinderten, der ländlichen Bevölkerung etc. zur Mobilität verhalf – unbestritten. Viel erfolgreicher war der Gedanke vom Auto, das Unterschiede macht und sozial sortiert. Zwar ist die Zeit vergangen, wo Autos exakt und demonstrativ die Differenzen im Klassen- und Statussystem markierten und repräsentierten. In den 1970ern kam mit dem Neoliberalismus die Politik der Diversität und Nischen und in der Kreditzeit wurde dieser Mechanismus sozialer Äquivalenz noch weiter verwischt. Aber natürlich gilt ungebrochen: Das Autosystem verteilt immer neu Reichtum nach oben und vergrößert die Ungleichheit. Dazu gehören neben den profanen Eigentumsverhältnissen ebenso das System der Steuererleichterungen für die Öl- und Erdgasindustrie wie die staatliche Finanzierung und Organisierung der Infrastruktur der privateigentümlichen Mobilitätsordnung. Die neue Schwemme der Premiummobilität und ihr Unterhalt belasten die Reichenbudgets weitaus weniger als die Gebrauchtwagen und ihre Reparaturen die Armenbudgets. Dort ist man oft gerade mal eine Reparatur, eine Versicherungsrechnung oder ein paar Strafzettel von der Armut ohne Auto entfernt – »die Armen können nicht ohne das Auto leben und sie können nicht mit dem Auto leben« (Lutz 2010, 102). Sie und ihre Probleme kommen in der schönen neuen Welt der digitalen E-Mobilität nicht vor: »Dieses organische digitale System, das in einigen Gesellschaften des reichen ›Nordens‹ zu entstehen beginnt, würde aus vielfältigen, dichten Bewegungsmustern kleiner, ultraleichter, smarter, vermutlich batterie- oder wasserstoffgetriebener, deprivatisierter Vehikel bestehen. Flexibles Fahren würde bedeuten, jederzeit Zugang zu solchen kleinen, leichten und mobilen Geräten zu haben. Elektronische Regler in Laternenpfählen und Vehikeln würden den Zugang regeln, die Preisgestaltung organisieren und die Geschwindigkeit des Vehikels kontrollieren […] Die Rückkehr der Dominanz von Bussen, Zügen, Karossen und Schiffen im öffentlichen Besitz und Management, die nach einem festen Fahrplan unterwegs sind, wäre in diesem Szenario ausgeschlossen. Dieses Modell […] hat verloren, weil es die individuelle Flexibilität, den Komfort und die Sicherheit des individuellen Verkehrs nicht gewährleisten kann.« (Dennis/Urry 2009, 156f) Das E-Auto ist nichts für Arme, aber E-Modelle für Arme werden kommen.

Radikale Störung

Lassen wir diese fossilen Autoren mitsamt ihren Empfehlungen für Verfahren zur vorteilhaften Ersteigerung optimaler Parkplätze nach dem Vorbild von e-bay allein. Ein deutlich anderes, weiter reichendes Ziel wäre, die reale Möglichkeit zur Mobilität für Alle zu schaffen. Verknüpfen wir den Abschied mit einer stürmischen Begrüßung: Radikale Demokratisierung, materiell, stofflich, kulturell und ökonomisch konfigurierte Teilhabe, zugleich eine Zeit der Konflikte, Evolutionen, Veränderungen, Neuanfänge – ein Bündel von Ereignissen und Prozessen, die sich dereinst vielleicht als substanzielle Momente einer großen Transformation zusammenfassen lassen. Politisch erfordern solche vielfältigen Übergänge lokale/regionale Gravitationsfelder mit neuen Attraktoren für postfossile Mobilität (Transition Towns: nachhaltige, nur auf Basis erneuerbarer Energie existierende Vernetzungen, Städte mit und ohne Autos, Bevorzugung der bislang Schwächeren im alten fossilen Verkehrssystem, also der Kinder, der Behinderten usw.). Was diese Frage der Einstiege in den Umstieg angeht, erlauben wir uns eine Reminiszenz an den unvergleichlichen Friedrich Zimmermann, der bis 1991 Verkehrsminister der bundesdeutschen Republik war: »Der Sozialismus hatte schon von jeher ein gestörtes Verhältnis zum Auto.« (BILD v. 24.2.1990)