Der Transportsektor stellt in Bezug auf Treibhausgasemissionen eine der größten Herausforderungen dar. Seine Emissionen wachsen schneller als in jedem anderen Bereich der Gesellschaft – und das mit immer größerer Geschwindigkeit: weltweit über 120 Prozent in den letzten 30 Jahren mit anhaltend steigender Tendenz. In Europa war das Transport- und Verkehrswesen mit 27 Prozent der Treibhausemissionen im Jahr 2017 das größte Klimaproblem. Auch ist es der einzige Sektor, dessen Emissionen über dem Niveau von 1990 liegen (Transport & Environment 2018). Der individuelle Automobilverkehr hat daran einen beträchtlichen Anteil.

Ein besonders gravierendes Problem ist darin der Gütertransport. Schwere Nutzfahrzeuge verursachen rund ein Fünftel aller Transportemissionen in der EU, und es ist davon auszugehen, dass ihr Anteil noch steigen wird. In Deutschland zeichnet der Gütertransport auf den Straßen sogar für mehr als ein Drittel der CO2-Emissionen im Verkehr verantwortlich. Seit 1970 hat sich sein Anteil am gesamten Güterverkehr mehr als verzehnfacht, nur 19 Prozent erfolgt mit der Bahn.

Der Gütertransport hat in den vergangenen Jahrzehnten weltweit und in Europa tief greifende Veränderungen erfahren, verursacht durch Wirtschaftskrisen und Globalisierung, den schnell wachsenden Welthandel, die Ausweitung integrierter Lieferketten, einschließlich digitalisierter Logistik und Just-in-time-Lieferung, die Entwicklung eines europäischen Binnenmarktes, gefolgt von intensiver Deregulierung. Die durch Freihandelsabkommen erwirkte globale Arbeitsteilung hat den Transportbedarf immens erhöht und damit einen drastischen Wandel der Transportsysteme herbeigeführt. Mit preisgünstigen Transportdiensten wird der Kreislauf der liberalisierten Weltwirtschaft aufrechterhalten. Zwei der wichtigsten Folgen dieser Entwicklung sind stark angestiegene Treibhausgasemissionen und erheblich verschlechterte Arbeitsbedingungen. Beides steht in einem eindeutigen Zusammenhang.

Verschlechterte Arbeitsbedingungen

Vor einigen Jahren erstellte die Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF) eine umfangreiche Studie zu den Arbeitsbedingungen im Straßengüterverkehr. Zwischen 2008 und 2012 interviewte die ETF rund 1.000 Fahrer*innen, die mehrheitlich aus anderen Staaten kommend in westeuropäischen Ländern arbeiten (vgl. ETF 2012). Die alarmierenden Missstände, die das Projekt aufdeckte, spiegeln sich im Titel des Studienberichts wider: «Moderne Sklaverei im modernen Europa». Hier nur einige der Missstände, die die ETF-Studie aufdeckte:

  • Die meisten Fahrer*innen verbringen drei bis zwölf Wochen in den Auslieferungs- und Zielländern ihres Transportes, bevor sie in ihre Heimatländer zurückkehren können.
  • Die überwiegende Mehrheit der Fahrer*innen lebt in den Fahrerkabinen ihrer Lkw, selbst an Wochenenden. Die meisten von ihnen bereiten dort auch ihre Mahlzeiten zu.
  • Es mangelt an Park- und Raststätten. Den Fahrer*innen fehlt zudem häufig das Geld, um bestehende Angebote zu nutzen. Somit haben sie praktisch keinen Zugang zu Toiletten- Duschanlagen.
  • Der Großteil des bereits sehr niedrigen “Gehalts” wird in der Form von Tagegeld ausgezahlt (40 Euro pro Tag). So spart der Arbeitgeber Steuern und Gebühren, während Arbeiter*innen auf Sozialversicherungsschutz verzichten müssen.
  • Die meisten Fahrer*innen lassen die 45-minütige Pause aus, die nach spätestens 4,5 Stunden Fahrt gesetzlich vorgeschrieben ist.

Die Gründung von Briefkastenfirmen in sogenannten Niedrigkostenländern ist ein weiteres großes Problem. Die ETF befand, dass es Transportunternehmen auf diese Weise möglich war, sowohl Bezahlungen wie auch soziale Kosten um bis zu 95 Prozent zu reduzieren. Eine gängige Praxis besteht darin, dass Personalagenturen Lkw-Fahrer*innen im Auftrag von Transportunternehmen vermitteln,  die in anderen Ländern mit niedrigen Steuern- und Abgabenlasten für Arbeitgeber registriert sind. Viele diese Fahrer*innen sind dann wiederum in Drittländern, hauptsächlich in Westeuropa, tätig und das häufig mit gefälschten Papieren.

Obwohl diese Arbeitsbedingungen gegen viele bestehende Gesetze und Richtlinien verstoßen, hat ein Mangel an Kontrollen und Personal zu ihrer Durchsetzung zu Praxen jenseits der Legalität geführt. Diese Entwicklung wirkt sich auch stark auf die Treibhausgasemissionen des Sektors aus. Erstens sind Transportdienste zu billig geworden, was eine Überbeanspruchung mit sich bringt. Dass der Straßengüterverkehr zudem weit davon entfernt ist, seine externen Kosten zu decken, deutet in die gleiche Richtung. Zweitens bewirkt die mit dieser Entwicklung einhergehende Aushöhlung der Gewerkschaften gerade einen Machtverlust derjenigen gesellschaftlichen Kräfte, die für eine Politik gegen den Klimawandel dringend gebraucht werden. Angesichts der Tatsache, dass das Transportsystem dringend einer radikalen Generalüberholung bedarf, ist das eine gravierende Schwäche.

Ein Großteil des Gütertransports ist in globale Lieferketten integriert. Hier besteht Potenzial, Bündnisse zwischen Transport-, Fertigungs- und Lagerarbeiter*innen zu schmieden. So könnte man sich gegen die Chefetagen vieler multinationaler Konzerne erheben, die nicht nur die Löhne und Arbeitsbedingungen erodieren lassen, sondern auch einer dringend benötigen Klimaschutzpolitik im Weg stehen. Dieses Potenzial hat die Gewerkschaftsbewegung bislang jedoch kaum genutzt.

Wie kann der Transportsektor klimafreundlich umgestaltet werden?

Laut Pariser Abkommen zum Klimaschutz können und müssen alle Wirtschaftszweige, einschließlich des Transportwesens, bis spätestens 2050 entkarbonisiert sein, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Vier Jahre nach dem Abkommen steckt der Übergang hin zu sauberer Energie aber immer noch in den Anfängen  ­– vor allem im Gütertransport. Die Emissionen steigen weiter an. Zwar ist das auch in anderen Sektoren der Fall, aber beim Transport gibt es den größten Änderungsbedarf. Das Modell der Internationalen Transportarbeiter-Föderation zur Senkung der Emissionen im Transportsektor mit dem Titel “Reduce – Shift – Improve” (ITF 2010, 20) setzt auf die folgenden drei Strategien:

 

  1. Bessere Technologien und mehr Energieeffizienz (die technologische Lösung), einschließlich der Nutzung anderer Energieformen.
  2. Wechsel von Transportmitteln mit höheren zu solchen mit niedrigeren Emissionen (modale Verlagerung). Der Güterverkehr per Bahn etwa ist gemessen am CO2-Ausstoß etwa um 85 Prozent weniger klimaschädlich als der Straßentransport. In Deutschland wurden erste Schritte in diese Richtung 2018 unternommen, indem die Preise für den Güterschienenverkehr halbiert wurden. Allerdings kann man nicht einfach den gesamten Warenverkehr auf die Schiene verlagern, da es an der entsprechende Infrastruktur fehlt. Es bedarf daher massiver staatlicher Investitionen in ganz Europa, um an Vorreiter wie die Schweiz heranzukommen.
  3. Senkung des Transportbedarfs.

In der Debatte über Klimaschutzmaßnahmen im Transportsektor werden meist die beiden ersten Punkte hervorgehoben, jedoch gibt es keine Anzeichen dafür, dass ihre Umsetzung die Transportemissionen im ausreichenden Maße reduzieren würde. Zusätzlich muss das Transportvolumen deutlich verringert werden. Der Impuls hierfür kann jedoch nicht allein aus dem Transportsektor, sondern muss auch aus anderen Wirtschafts- und Gesellschaftsbereichen kommen. Es bedarf also auf vielen Feldern einer sozialwirtschaftlichen Planung, um Emissionen ausreichend zu reduzieren oder um ganze Sektoren zu entkarbonisieren (“ein gesamtwirtschaftlicher Ansatz”; vgl. ebd., 18).

Vor einigen Jahren erstellten Berater von Cambridge Systematics eine aufschlussreiche Studie darüber, wie Transportemissionen gemindert werden können. Sie untersuchten dafür neun Strategien für den Waren- und Personenverkehr, darunter Kurswechsel in der Finanzpolitik und in der Raumplanung, Nachbesserungen im öffentlichen Nahverkehr und die Entwicklung integrierter Transportsysteme (radikalere politische Interventionen in die globale Produktions- und Handelsstruktur wurden allerdings nicht berücksichtigt). Interessanterweise kam die Studie zu dem Schluss, dass Transportemissionen mittels Senkung des Transportaufkommens bis 2050 um 24 Prozent reduziert werden könnten (ebd., 22).

Der Warentransport ist zu billig. Ein wichtiger Ansatzpunkt wäre von daher der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne. Dies – zusammen mit höheren Steuern und strikteren Emissionsgrenzen – könnte dazu beitragen, unnötigen Transport zu verhindern.

Erneuerbare Energien

Transport und Energie sind zwei strategisch bedeutende Sektoren, die schon immer aufeinander angewiesen waren. Elektrifizierung durch erneuerbare Energien scheint mittlerweile der bevorzugte Weg, um große Teile des Transportsektors zu entkarbonisieren. Jedoch scheint es keine Pläne zu geben, die entsprechenden Produktionskapazitäten für sauberer Elektrizität aufzubauen. Zusätzlich scheinen viele Politiker*innen und Klimaaktivist*innen zu glauben, dass es jetzt nur darum ginge, fossile Brennstoffe durch erneuerbare Energiequellen zu ersetzen, während unsere Gesellschaften ansonsten unverändert bleiben. Sie unterschätzen dadurch die enormen strukturellen Herausforderungen, vor denen wir stehen, wenn wir unser Leben und unsere Gesellschaften nachhaltig organisieren wollen.

Nancy Vandycke (2019), Programmleiterin bei Sustainable Mobility for All (SuM4All), gibt zu bedenken: “Technologie ist keine Wunderwaffe. Tatsächlich könnte sie bestehende Transport- und Energiesysteme sogar noch stärken, indem sie sie billiger und effizienter macht.” Das könnte zu mehr Autos auf den Straßen, mehr Überlastung und somit weniger nachhaltigem Transport führen – und zu mehr Straßengüterverkehr. Deshalb kann die Entkarbonisierung des Transportsektors nicht durch Marktmechanismen bewerkstelligt werden. Wir werden mehr staatliche Beteiligung und einen demokratisch regulierten und geplanten Übergang brauchen. Dies zählt auch zu den wichtigen politischen Forderungen des 2012 gegründeten Netzwerks Trade Unions for Energy Democracy, das von immer mehr Gewerkschaften unterstützt wird (TUED 2013).

Einem Bericht von Transport & Environment (2018) zufolge ist es möglich, den Straßengüterverkehr bis 2050 zu entkarbonisieren, doch dafür braucht es einen grundlegenden politischen Richtungswechsel sowie beherztes und vorausschauendes Handeln. Es werden außerdem massive Investitionen, eine Drosselung der Nachfrage sowie ein Umstieg auf sauberere Transportmittel notwendig sein. Der Bericht geht davon aus, dass Elektrizität die einzige Form emissionsfreier Energie ist, die über das Potenzial verfügt, die Transportversorgung flächendeckend zu sichern. Die Entkarbonisierung des Energiesektors ist somit eine Voraussetzung für ein emissionsfreies Transportsystem.

Würden diese Voraussetzungen erfüllt, könnte der Anteil des Schienengüterverkehrs am Warentransport in der EU von 18 auf 23 Prozent und hoffentlich noch mehr erhöht werden. Langstrecken-Lkw könnten auf Elektro-Autobahnen mit erneuerbarer Energie angetrieben werden (mit Oberleitungen und Stromabnehmern wie bei Straßenbahnen). Auch der Einsatz von wasserstoffgetriebenen Lkw ist vorstellbar. In der Stadt könnte die Verteilung von Gütern und Waren von cargoBikes oder E-Transportern übernommen werden.

Luft- und Schifffahrt stellen weitere große ökologische Herausforderungen dar. Bis jetzt wurden diese Verkehrsträger von den Luft- und Schifffahrtsagenturen der Vereinten Nationen, der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) und der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) angewiesen, ihre Treibhausemissionen zu reduzieren. Wie abzusehen war, ist jedoch sehr wenig auf freiwilliger Grundlage passiert. In diesen Bereichen werden in Zukunft Unmengen an wasserstoffbasierten und synthetischen Kraftstoffen gebraucht – und diese werden äußert kostspielig sein. Eine deutliche Reduktion des Transportaufkommens ist daher unverzichtbar.

Akteure der Veränderung

Um die dramatischen Klimaherausforderungen, vor denen wir stehen, zu bewältigen, müssen wir uns eingestehen, dass neoliberale, marktbezogene Maßnahmen weitestgehend gescheitert sind – und wohl auch weiterhin scheitern werden, wenn es keinen tief greifenden strukturellen Wandel gibt. Hier geht es nicht nur um das, was oft als “Mangel an politischem Willen” beschrieben wird. Wir stehen vor einem systemischen Problem – einer von Wachstum, Profit, Wettbewerb und kommerzieller Massenkonsumption getriebenen Wirtschaft (Sweeney/Treat 2017).

Das Versagen der üblichen Lösungsansätze verlangt nach einer programmatischen Neuorientierung der internationalen Gewerkschaftsbewegung: weg vom Modell marktorientierten “grünen Wachstums” hin zur Forderung nach (Rück-)Überführung des Energiesektors unter die Kontrolle der öffentlichen Hand (Wahl 2019). Der Wandel der Produktions- und Konsumptionssysteme erfordert die demokratische Steuerung der Wirtschaft. Solche weitreichenden Veränderungen können in der gegenwärtigen Lage nur mithilfe von Massenmobilisierungen errungen werden. Die Gewerkschaftsbewegung ist insofern für diesen Kampf entscheidend, als sie der Organisation derjenigen dient, die durch ihre Arbeit gesellschaftlichen Wert erzeugen. Aufgrund ihrer strategisch wichtigen Rolle ist sie für den anstehenden gesellschaftlichen Kampf daher unentbehrlich (Wahl 2016).

Aber Gewerkschaften befinden sich weltweit in der Defensive und werden von mächtigen wirtschaftlichen und politischen Kräften immens unter Druck gesetzt. Und trotz der enormen Machtverschiebungen zugunsten kapitalistischer Interessen hält ein Großteil der Gewerkschaftsbewegung weiterhin an der Ideologie der Sozialpartnerschaft fest – mit Gesellschaftsvertrag und Sozialdialog (sprich: Klassenkompromiss) als wichtigsten Einflussmöglichkeiten –, was in der momentanen Situation jedoch eher kontraproduktiv ist.

Dies wurde im vergangenen Dezember sehr deutlich, als der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) anlässlich der COP25 (UN-Klimakonferenz 2019) in Madrid ein Papier vorlegte. Darin heißt es: “Es gibt eine Klimakrise. Eine emissionsfreie Wirtschaft, die an das Konzept der ‘Just Transition’ anknüpft, ist unsere einzige Überlebenschance.” Doch zugleich gab er seiner Überzeugung Ausdruck: “Ohne einen breiten Sozialdialog, der bei diesem Thema notwendig ist, um Fortschritte zu erzielen, können die Folgen für die Wirtschaft nur noch schlimmer werden.” Doch wie wir schon seit einigen Jahren sehen, können sich die Folgen für die Wirtschaft auch mit Sozialdialog verschlimmern. Es zeigt sich, dass große Teile der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung in einer tief greifenden politischen und ideologischen Krise stecken. Je länger es dauert, bis sich die Gewerkschaftsbewegung und die organisierte Linke aus der politischen Krise und vom Konzept der Sozialpartnerschaft befreien und sich in den Kampfmodus begeben, umso näher kommen wir der Klimakatastrophe.