Muster von Arbeit, Freizeit und Konsum ändern sich nicht über Nacht, wir befinden uns aber seit einem halben Jahrzehnt in einer tiefgreifenden Krise. Ganz offensichtlich hat sich diese massiv auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt, aber sehen Sie Anzeichen für andere dauerhafte Veränderungen?
Einige Trends, die vor dem Crash von Bedeutung waren, haben sich inzwischen abgeschwächt. Ich denke da an das, was ich das Fast-fashion-Modell des Konsums genannt habe: Import preiswerter Fabrikwaren, von denen die Menschen immer mehr in immer kürzeren Zeiträumen erwarben, immer schnellere Modezyklen und Zyklen des Kaufens, Nutzens und Wegwerfens. Offensichtlich ist dies im Bereich der Bekleidung, aber es zeigt sich auch in der Unterhaltungs- und Haushaltselektronik, eigentlich bei fast allen Konsumgütern. Vieles davon wurde über Kredite finanziert oder durch längere Arbeitszeiten, aber die Preise für viele Produkte stürzten zeitweise in den Keller. Man bekam einen DVD-Player für 19 US-Dollar. Aber das war eine besondere Periode. Ich glaube nicht, dass wir das so bald wieder erleben werden. Die andere zentrale Entwicklung ist eine Spaltung des Konsumgütermarktes, die sich schon seit längerer Zeit abzeichnet. Das liegt am wirtschaftlichen Absturz und an der Schrumpfung der Mittelschichten. Wir haben einerseits einen wachsenden Low-end-Sektor mit Ramschläden und Einzelhandelsstrukturen, die selbst Walmart als teuer erscheinen lassen, andererseits die Expansion eines High-end-Luxus-Marktes. Darin spiegeln sich die Entwicklungen beim Einkommen und Vermögen wider. Es gibt eine größere Zurückhaltung beim Schulden machen, sodass der Konsum auf Pump zurückgegangen ist. Haushalte kommen derzeit auch nicht mehr so leicht an Verbraucherkredite. Parallel erleben wir den Aufstieg ›alternativer Konsumptionskulturen‹: Immer mehr Menschen rücken von dominanten Lebensstilen der letzten Jahrzehnte ab, die im Wesentlichen auf Hyperkonsum, Markenfetisch und Massenproduktion basierten. Sie wollen ökologisch bewusster leben und präferieren etwa handwerkliche und selbst gefertigte Produkte.
Was waren aus Ihrer Sicht die Schlüsselfaktoren für das Aufkommen des auf Massenkonsum basierenden Kapitalismus in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg? Es scheint etwas verkürzt, nur auf die Bedeutung der Werbeindustrie abzuheben. Einige betonen die besondere Wirkung von massenmedial verbreiteten Vorbildern von bestimmten Lebensstilen. Der Ökonom James K. Galbraith etwa hat auf den endlosen Strom von neuen Produkten verwiesen, die neue Begehrlichkeiten erzeugen: den sogenannten Abhängigkeitseffekt.
Die alte Vorstellung vom Monopolkapital und die Erzählung von der einflussreichen Marketingindustrie, die zur Belebung der Nachfrage Riesenanstrengungen unternehmen, um die Leute zum Kaufen zu animieren, ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Aber ich finde sie zum großen Teil nicht wirklich überzeugend. Schauen wir uns den Arbeitsmarkt in der Nachkriegszeit an. Damals wurde die steigende Produktivität nicht zur Arbeitszeitverkürzung genutzt. Stattdessen wurde der Produktivitätszuwachs in höhere Einkommen überführt und zur Expansion des output genutzt: Es stiegen also die Löhne und Profite. Produktivität und Reallohnentwicklung wurden sogar explizit aneinandergekoppelt. Das hat die Konsumnachfrage gesteigert, weil nun Geld in die Taschen der Leute floss. Man könnte natürlich fragen, warum diese nicht mehr Geld gespart haben. Dass die Sparquote eher niedrig war, lag meiner Meinung nicht in erster Linie an der Werbung. Hier spielt eine große Rolle, dass wir es mit einer von Konkurrenz und Ungleichheit geprägten Gesellschaft zu tun haben, in der deine Stellung ganz stark davon abhängt, wie du lebst, was du einkaufst und was du vorzuweisen hast. Mit steigenden Einkommen gehen bestimmte (Konsum-)Normen einher, mit denen man mithalten muss, um dazuzugehören. Das wäre auch unabhängig von der Werbung so. Dass der Konsum gestiegen ist, ist eher den Entwicklungen auf der Produktionsseite zuzuschreiben. Hinzu kommt, dass unter Zeitstress die Menschen zu geldintensivem Freizeitverhalten neigen. Sie fahren für drei Tage in die Karibik oder geben viel aus, um ›den Stress abzuschütteln‹ oder um sich selbst für so viel harte Arbeit zu belohnen. Seit den 1970er Jahren haben sich in den USA die Arbeitszeiten um mehr als einen Monat pro Jahr verlängert – ein dramatischer Anstieg. Hinzu kommt eine Intensivierung der Arbeit. Dies erzeugt ein starkes Gefühl von Unsicherheit und Stress, das vermehrt zu Burn-out und Depressionen führt. Parallel gingen die Löhne zurück. Es gibt permanent Angriffe auf Gewerkschaften von Unternehmensseite und von der Politik, selbst unter der Regierung demokratischer Präsidenten. Die Haushalte versuchen, die sinkenden Einkommen durch Mehrarbeit zu kompensieren beziehungsweise dadurch, dass sich immer mehr Familienmitglieder auf dem Arbeitsmarkt verdingen, der gleichzeitig immer weniger sichere Beschäftigungsverhältnisse bietet. Um den Lebensstandard zu halten und die extrem hohen Gesundheits- und Ausbildungskosten für die Kinder zu bewältigen, nehmen viele Familie Kredite auf, sodass immer größere Anteile der Bevölkerung überschuldet sind.
Wird ein höheres Konsumniveau immer noch angestrebt? Wirkt der Luxuskonsum der Reichen noch als Leitkultur?
Während des Kollapses der Finanzmärkte und ihrer teuren Rettung und kurz danach legten die Reichen eine stärkere Zurückhaltung an den Tag, zumindest, was besonders ostentative Formen des Konsums angeht. Inzwischen wird Reichtum wieder etwas offener zur Schau gestellt. Doch im Allgemeinen frönen die Wohlhabenden ihrem Luxuskonsum außerhalb der Sichtweite der einfachen Leute und der Armen in den abgesonderten Welten ihrer gated communities, Business-Zonen und Clubs. Besonders protzige Fahrzeuge wie etwa der Hummer sind out und werden sozial geächtet, auch weil es ein zunehmendes ökologisches Bewusstsein gibt. Ökologische Fragen werden sehr moralisierend debattiert, sodass ein umweltbewusster Lebensstil, der auf eine Reduzierung von Treibhausgasen abzielt, zunehmend mit gesellschaftlicher Anerkennung verbunden ist, vor allem bei den Hochgebildeten an der Ost- und Westküste. Ein ökologisch sensibler Konsum wird auch im Mainstream zunehmend angestrebt. Aber dann gibt es die vielen Leute, die einfach nur versuchen, über die Runden zu kommen, und die es sich es aus ihrer Sicht nicht leisten können, sich viele Gedanken über die ökologischen Folgen ihres Verhaltens zu machen. Die Ironie daran ist, dass deren ökologischer Fußabdruck aufgrund ihres Einkommens deutlich geringer ausfällt als bei den Wohlhabenden.
Kommen wir noch einmal auf das Thema Werbung zurück. Ob im Internet, im Fernsehen oder in Schulbüchern, sie scheint allgegenwärtig. Und sie ist immer spezialisierter. Wie wirkt sich das aus?
Auch wenn dies etwas kontraintuitiv erscheinen mag: Werbung ist inzwischen auch deshalb so omnipräsent, weil der ehemalige Kern des Werbegeschäfts, nämlich die Fernsehspots, an Bedeutung verloren haben. Die Zuschauer sind nicht mehr gezwungen, sich diese anzusehen, was aus Sicht der Werbung einen Riesenverlust darstellt, denn die 30- oder 60-sekündigen TV-Spots waren viel wirkmächtiger als alles, was sich WerbeexpertInnen seither in Bezug auf die räumliche Ausweitung ausgedacht haben. Werbung im Internet ist weit weniger wirksam. Das ist also eines der Paradoxe der Werbung zum gegenwärtigen Zeitpunkt: Im Moment ihrer Allgegenwart verliert sie an Einfluss. Zum einen fehlt das zentrale Medium, das alle erreicht. Die Vielfalt von Kommunikations- und Informationskanälen macht es kompliziert und teuer, Werbung richtig zu platzieren. Zum anderen lernen die KonsumentInnen, sehr selektiv mit Werbung umzugehen, oder stumpfen ab. Bei Kindern und Jugendlichen ist das allerdings nicht so. Werbung richtet sich immer stärker an sie, da sie noch keinen souveränen Umgang mit Werbung erlernt haben und zugleich als Konsumentengruppe immer wichtiger werden. Hier ist Werbung viel effektiver. Und dennoch: Ich will nicht zu weit gehen, aber aus meiner Sicht ist Werbung zumindest bei Erwachsenen nicht sehr zentral für die Prägung von Konsummustern.
Können Produktions- und Konsumtionsnormen durch bewusstere Kaufentscheidungen entscheidend verändert werden?
Es gibt in der Soziologie und ganz allgemein in den Sozialwissenschaften viele kritische Stimmen zu ethischem, politischem oder grünem Konsum. Manche behaupten, er habe eher nachteilige Auswirkungen, weil er die Menschen dazu verleite, zu denken, dass mit ihrem Kauf- und Konsumverhalten gesellschaftliche Probleme gelöst werden könnten. Und weil er sie davon abhalte, sich mit anderen für gesellschaftliche Lösungen für Umweltprobleme, Konflikte in der Arbeitswelt, Armut und Entwicklung im globalen Süden einzusetzen. Ich habe hierzu eine Studie durchgeführt, wobei wir eine Gruppe von zufällig aus der Bevölkerung ausgewählten Untersuchungspersonen einer Gruppe von Menschen gegenübergestellt haben, die wir als politische oder ethische VerbraucherInnen beziehungsweise als bewusste KonsumentInnen bezeichnet haben. Ein Ergebnis war: Es gibt tatsächlich einen hohen Grad an Überschneidung zwischen Menschen, die individuell gezielte Kaufentscheidungen treffen, und solchen, die sich sozial und politisch engagieren und versuchen, kollektive Lösungen für Umwelt- oder andere gesellschaftliche Probleme zu finden. Wer gegen Sweatshops kämpft, wird keine Kleidung von Unternehmen, die dort produzieren lassen, kaufen; und wer besorgt ist über wachsende Umweltprobleme, wird nicht Dinge erwerben, die im Gegensatz zu den eigenen Werten stehen. Wir haben es also mit Menschen zu tun, die bereits vorher politisch (aktiv) waren, und deren Überzeugungen sich nun auch auf das Kaufverhalten auswirken. Es gibt aber auch solche, bei denen es umgekehrt war. Sie waren zuerst bewusste KonsumentInnen und wurden danach politisch aktiv. Die These, dass bei »grünen KonsumentInnen« die Bereitschaft, sich an kollektiven Formen des politischen Engagements zu beteiligen, geringer ausgeprägt sei als bei anderen, wird von dieser Untersuchung und anderen Studien in keiner Weise belegt. Meiner Auffassung nach ist ein verändertes Konsumverhalten in den Gesellschaften, in denen wir heute leben, ein wichtiger Teil von breiteren politischen Kampagnen, in denen es um ökologische Fragen oder um eine Verbesserung von Arbeitsbedingungen geht. Wir sehen eine Reihe von NGOs, die in Kampagnen involviert sind, die sich auf den Markt konzentrieren und versuchen, dort Veränderungen herbeizuführen – einige von ihnen zählen zu den erfolgreichsten in den letzten Jahren. Die Menschen haben sich vermehrt auch deswegen dem Markt zugewandt, weil er eine Arena darstellt, in der man – so sieht es zumindest aus – wenigstens kurzfristig einige Ziele erreichen kann. Einige der erfolgreichsten politischen Kampagnen versuchten über die Beeinflussung des Kaufverhaltens die betreffenden Unternehmen zu schädigen und unter Druck zu setzen. Die Marktmacht von KonsumentInnen wird mobilisiert, weil damit eine hohe Aufmerksamkeit und auch kurzfristige Erfolge erzielt werden können, während die mühevolle Organisierungsarbeit oder die Durchsetzung tariflicher und/oder gesetzlicher Standards langwierig ist. Können wir durch Änderungen beim Konsum oder durch gerechtes Marktverhaltenden Klimawandel verhindern? Selbstverständlich nicht. Oder können wir allein durch Druck auf die Märkte bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen? Selbstverständlich nicht. Zu meinen, dass dies ausreichen würde, wäre ein großer Fehler. Aber ich bin davon überzeugt, dass die meisten, die in diesem Feld aktiv sind und versuchen, das Verbraucherverhalten nachhaltig zu verändern, nicht so naiv sind, dies zu glauben.
Soziale und ökologische Probleme werden oft in einen Gegensatz gebracht. Gibt es Möglichkeiten, die Probleme der überarbeiteten, überschuldeten und verunsicherten 99 Prozent und der wachsenden Ungleichheit und der Überausbeutung der Natur gemeinsam anzugehen?
Ich sehe keinerlei positive Zukunft, solange wir keine wirksame Antwort auf die Klima-krise finden. In meinem letzten Buch Wahrer Wohlstand beschäftigte ich mich mit der Frage, was zu tun ist. Ganz offensichtlich müssen wir uns in Richtung eines Systems erneuerbarer Energien bewegen. Wir brauchen – das ist allgemein anerkannt – eine CO2-Steuer oder eine schärfere Regulation von Treibhausgasen. Was allerdings weniger anerkannt ist, ist der Umstand, dass wir niemals in der Lage sein werden, den Klimawandel mit einem Modell in den Griff zu bekommen, das weiterhin auf die Ausweitung des wirtschaftlichen Wachstums setzt. Daher müssen wir uns dringend der Frage der Arbeitszeitverkürzung annehmen, weil dies der einzige Weg ist, die Expansion der Wirtschaft auf vernünftige Weise zu stoppen. Im Kern unserer Bemühungen sollte stehen, auf einen Pfad zurückzukehren, der uns dazu bringt, steigende Produktivität wieder zur Verkürzung von Arbeitszeit zu nutzen. Dies würde uns die großartige Möglichkeit eröffnen, den Arbeitsmarkt wieder in ein Gleichgewicht zu bringen, Erwerbslose zu integrieren und die Arbeit gerechter zu verteilen. Es wird viel über die Verteilung von Einkommen geredet, aber nicht über die Verteilung von Arbeitsstunden, die doch eine wesentliche Grundlage der Einkommensverteilung ist. Aufgrund der reduzierten Arbeitsstunden würde das Einkommen der Menschen tendenziell stagnieren, sodass die unteren Einkommen angehoben und die oberen abgesenkt werden müssten. Es geht also um eine gerechtere Art, den Zugang zu und die Verteilung von Arbeit zu regeln, darum, mehr freie Zeit zu haben und größere gesellschaftliche Anstrengungen zu unternehmen, um grundlegende menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, vor allem auf der lokalen und Nachbarschaftsebene. Für die Grundversorgung der Bevölkerung wären zum Beispiel kommunale Versorgungsbetriebe in öffentlicher Hand zu schaffen, die Energie und Wärme zu vernünftigen Preisen bereitstellen, es wäre das öffentliche Verkehrswesen auszubauen sowie die öffentliche Nahrungsversorgung. Es gibt einige sehr interessante Ansätze im globalen Süden, die BäuerInnen und KonsumentInnen in lokalen Nahrungsmittelökonomien zusammenbringen und bei denen es nicht um hochpreisige Biokost für wenige geht, wie bei uns, sondern um erschwingliche Lebensmittel, mit der die Versorgung der einfachen Leute sichergestellt werden kann. Also kürzere Arbeitszeiten, erfüllte Grundbedürfnisse – hierzu gehören eine angemessene Unterkunft, eine gute Bildung und Gesundheitsversorgung – das ist die Richtung, in die wir uns bewegen sollten. Der Kampf gegen den Klimawandel und der Kampf für eine soziale Grundversorgung gehen für mich Hand in Hand. Zentral ist dabei der Umgang mit Zeit. Ich bin davon überzeugt, dass das Ergebnis einer gesellschaftlichen Transformation, die auf stabile Einkommen und mehr freie Zeit für alle setzt, eine grundlegend gewandelte Verbraucherkultur ist. Bei dieser neuen Kultur geht es nicht mehr länger darum, alles Neue auf dem Markt zu erwerben, das Muster »Arbeite hart und gib viel aus«, wie ich es einmal genannt habe, hätte ausgedient, genauso wie die weit verbreitete Wegwerfmentalität. Es wäre eine Kultur, die nicht länger von den Medien bestimmt ist, sie wäre ›wahrhaft materialistisch‹ in dem Sinne, dass man den Dingen, die man hat, wirkliche Aufmerksamkeit schenkt. Und es wäre eine Kultur des Konsums, die mehr den Bedürfnissen der Erde entspricht.
Dies ist eine gekürzte Fassung eines Interviews aus Dollars & Sense. Aus dem Englischen von Corinna Trogisch und Mario Candeias.