Die Geschichte der Globalisierung der Landwirtschaft weist verschiedene Perioden auf. Sie lässt sich weder von Industrialisierungsprozessen noch von geopolitischen Kämpfen um Hegemonie trennen. Etwa Ende des 19. Jahrhunderts entstand das, was man einen »echten Weltmarkt« nennen kann. Das heißt, die Produktion und die Zirkulation von Nahrungsmitteln waren in großen Teilen der Welt von jeweils einheitlichen Weltmarktpreisen wesentlich beeinflusst.
Insgesamt lassen sich drei Phasen von Ernährungsregimen, das heißt stabilen geopolitischen Ordnungen, unterscheiden: eine britisch dominierte (1870er Jahre bis 1914), eine von den USA beherrschte (1940er bis 1970er Jahre) und eine neoliberale Phase (1980er Jahre bis heute), die von der finanzwirtschaftlichen, neoliberalen Hegemonie der Konzerne gekennzeichnet ist.
Im britisch dominierten imperialen Ernährungsregime wurden neben klassischen Kolonialwaren auch Getreide und Vieh aus der Neuen Welt in die hungrige englische Exportindustrie importiert. Nach der Aufhebung der protektionistischen Korngesetze wurde die Produktion der Grundnahrungsmittel zum Ende des 19.Jahrhunderts in die Siedlerkolonien ausgelagert, um die Arbeiterklasse in Europa mit billigen Lebensmitteln zu versorgen und die Lohnkosten zu senken. Die Weizen- und Maisproduktion in den USA verdreifachte sich nahezu – ebenso wie die Zahl der Farmbetriebe – und es entstand ein einheitlicher Weltmarktpreis für Weizen.
Zugleich wurde die auf Expansion drängende Landwirtschaft zur Basis der neuen Siedlerstaaten. Mit dem Aufstieg der USA und dem Bedeutungsverlust Großbritanniens in der Zwischenkriegszeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts veränderten sich auch die Parameter der globalen Landwirtschaft. Die durch integrierte Farm- und Manufaktur-»Sektoren« geprägte Volkswirtschaft nach Vorbild der USA wurde zum idealtypischen Modell der kapitalistischen Entwicklung; ein Modell, das ab Mitte des 20. Jahrhunderts unter US-amerikanischer Hegemonie als Entwicklungsprojekt exportiert wurde und das »Nation Building« im Nachkriegseuropa und den postkolonialen Staaten im globalen Süden anleitete – durch Wirtschafts-, Militär- und vor allem Nahrungsmittelhilfe. Ermöglicht wurde es durch Antirezessionsprogramme zur Preisstabilisierung, die auf die Produktion von Exportüberschüssen an Getreide setzten. Die industrielle Form der Lebensmittelverarbeitung heizte die Kapitalakkumulation an. Es entstanden transnationale Wertschöpfungsketten, ermöglicht durch die Investitionen multinationaler Konzerne und durch Offshore-Banking. Dies führte in den 1970er Jahren zur Deregulierung der Finanzmärkte und zum neoliberalen »Globalisierungsprojekt«, das die Staaten zunehmend in den Dienst des Weltmarkts und der Kapitalmobilität stellte.
Die Abfolge der Ernährungsregime spiegelt diese Veränderungen wider: Das britisch dominierte Ernährungsregime förderte billige Weizen- und Fleischexporte aus der Neuen Welt (Nord- und Südamerika, Australasien), um die Industrialisierung der Metropole zu sichern. Im US-zentrierten Ernährungsregime waren es die Überschüsse der Food-Aid-Programme, die während des Kalten Krieges die Industrialisierung in strategisch wichtigen Dritte-Welt-Ländern fördern sollten. Das darauffolgende konzerndominierte Ernährungsregime schließlich hat den Export von Überschüssen aus den USA und inzwischen auch aus der EU in den globalen Süden verstärkt, befördert durch die Liberalisierung des Welthandels. Zugleich sanken die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel zum Ende des Jahrhunderts auf ein historisches Tief. Mit der Finanzialisierung ging die Ausbreitung der exportorientierten Landwirtschaft einher. Die Folgen waren die Verdrängung von Kleinproduzent*innen und die zunehmende Konzentration des Agrobusiness.
Das konzerndominierte Ernährungsregime begann in den 1980er Jahren mit den Strukturanpassungsprogrammen von IWF und Weltbank, die die Länder des globalen Südens zum Abbau von Schutzzöllen und zur Ausweitung von Agrarexporten zwangen. In den 1990er Jahren führten multilaterale Handelsabkommen zur Liberalisierung von Agrarhandel und Agrarinvestitionen. Die von der WTO betriebene Förderung des transnationalen Agrobusiness wurde von neoliberaler Seite damit begründet, dass sich nur damit Ernährungssicherheit herstellen und »die Welt satt kriegen« ließe. Die US- und EU-Subventionen führten auf den Weltmärkten zu Dumpingpreisen, mit denen die nun schutzlosen Bäuer*innen des Südens nicht mithalten konnten. Im globalen Süden expandierten riesige Plantagen für den Export von hochwertigem Obst, Gemüse und Meeresfrüchten für die Konsument*innen im Norden. Diese globale landwirtschaftliche Arbeitsteilung hat die Ernährungsabhängigkeit des Südens vertieft und bäuerliche Landwirtschaft weltweit zurückgedrängt. Auf diese Weise hat die Neuordnung der Ernährungsregime im letzten Jahrhundert lokale Ernährungssysteme schrittweise eingehegt und verdrängt: von der Enteignung indigenen Landes und der Aneignung von Rohstoffen über den Einsatz von Nahrungsmittelhilfen und den Technologien der Grünen Revolution bis hin zur Globalisierung der Exportlandwirtschaft und der damit verbundenen Enteignung von Kleinbäuer*innen.
Diese drei Momente entsprechen den drei Phasen des Ernährungsregimes. Die Widersprüche, Krisen und Umbrüche eines Regimes prägen die Strukturen des nachfolgenden. Vereinfacht gesagt wurde in der ersten Phase Europa durch Kommerzialisierung und Expansion in der Neuen Welt mit billiger Nahrung versorgt. In der zweiten Phase versorgte diese Billignahrung über das US-Food-Aid-Programm den »wirtschaftlichen Nationalismus« bestimmter Dritte-Welt-Staaten. Europas Übernahme des US-amerikanischen Agrobusiness-Modells führte zur Globalisierung des Grundnahrungsmittelexports, die die heutige dritte Phase prägt und in Freihandelsabkommen festgeschrieben ist.
Die Neuordnung des konzerngetriebenen Ernährungsregimes
Die Einhegung von Land ist eine Konstante kapitalistischer Entwicklung. Im 20. Jahrhundert hat sie jedoch eine neue Qualität erreicht, die auch das konzerngetriebene Ernährungsregime umstrukturiert. Die jüngeren land grabs sind durch die Finanzialisierung ermöglicht und angetrieben worden (vgl. hierzu do Ventre in diesem Heft).
Zugleich nahm die Landnahme durch Staatsfonds und Staatsunternehmen zu: Einige von Nahrungs- und Ölimporten besonders abhängige Länder setzten aus Sorge über drohende Versorgungskrisen und Hungerrevolten auf einen neuen »Agrosicherheitsmerkantilismus« (McMichael 2013). Mit Land Grabbing im Ausland soll die Ernährung der eigenen Bevölkerung gesichert werden – was gegen das WTO-Prinzip des »freien Marktzugangs« verstößt, auf dem das konzerndominierte Ernährungsregime beruht. Die staatlich betriebene Landnahme scheint ein Phänomen »nachholender Entwicklung« zu sein. Während die Staaten im globalen Norden über die Marktmacht ihrer Konzerne die Lieferketten kontrollieren und damit indirekt auf natürliche Ressourcen zugreifen (die französische Handelskette Carrefour hat zum Beispiel 15 600 Niederlassungen in 34 Ländern), greifen Staaten in Asien, im Mittleren Osten und in Nordafrika mit Staatsfonds und Staatsbetrieben selbst auf auswärtiges Land zu.
Hierdurch wurde der institutionelle Rahmen des gegenwärtigen Ernährungsregimes merklich angegriffen. Mittlerweile haben sich im Agrarsektor neue Exportmächte herausgebildet (Brasilien, Argentinien, Chile, Südostasien, Südafrika, Ukraine), die das Machtkartell Europas und der USA herausfordern und eine multizentrische Welternährungsordnung erschaffen. Vermutlich in Reaktion darauf initiierten die G8-Staaten die New Alliance for Food Security and Nutrition (NAFSN) – bestehend aus der Afrikanischen Union, über 100 Unternehmen (z. B. Monsanto, Cargill, Dupont, Syngenta, Nestlé, Unilever) und verschiedenen afrikanischen Staaten. Zu den Governance-Mechanismen der NAFSN gehört, dass sich afrikanische Staaten dazu verpflichten müssen, den Zugriff der Nahrungsmittelkonzerne auf ihr Agrarland zu erleichtern: durch Datenbanken, Umsiedlungspolitik und die Genehmigung von öffentlich-privaten Partnerschaften.
Dieses Großprojekt ergänzt eine frühere Initiative der Weltbank. Diese hatte beim Welternährungsgipfel 2008 in Rom eingestehen müssen, ein Vierteljahrhundert lang die Interessen von Kleinproduzent*innen vernachlässigt und zur Agrarkrise im globalen Süden beigetragen zu haben. In der Folge zielten die Infrastrukturinvestitionen und Kredite von Staaten und Entwicklungshilfeprogrammen zunehmend darauf, Kleinproduzent*innen in Lieferketten einzubinden. Mit dem offiziellen Ziel, die Produktivität von Kleinbäuer*innen zu steigern, wurde auf dem Welternährungsgipfel 2008 zudem ein Abkommen zur Entwicklung eines kommerziellen Saatgutsektors unterzeichnet. Die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA) sollte die Kleinproduzent*innen in kommerzielle Verträge mit einem Netzwerk von Zehntausenden Agrarhändlern zwingen (vgl. Farelly in LuXemburg Online).
Dies ist eine Form des value grabbing, die die Produktion auf konzernkontrollierte Märkte orientiert, die lokale Nahrungsunsicherheit verstärkt, landwirtschaftliche Kenntnisse monopolisiert, Bäuer*innen proletarisiert und eine Klasse verschuldeter Landwirte schafft, von denen viele ihr Land zur Schuldentilgung abgeben müssen. Dagegen kämpfen Kleinproduzent*innen zunehmend um Autonomie, indem sie in die ökologische Vielfalt ihres Hofs investieren, sich landwirtschaftliches Know-how wieder aneignen und Biodiversität und gesunde Böden erhalten. Dieser Prozess lässt sich als re-peasantization (etwa: Wiederverbäuerlichung) bezeichnen. Es handelt sich hierbei um eine Strategie, bei der das »ökologische Kapital« im Zentrum des landwirtschaftlichen Betriebs steht und die Basis für eine alternative »Wertschöpfung« darstellt. Dies lässt sich zunehmend in Europa und Lateinamerika, in Teilen Südasiens und Afrikas, neuerdings aber auch in Nordamerika beobachten.
Diese »Dekommodifizierung« spiegelt die verschärften Widersprüche eines Ernährungsregimes wider, das auf eine »Landwirtschaft ohne Landwirte« setzt. Für die Landwirte, die durch die Konzentrationsprozesse im Agrobusiness in Verschuldung geraten sind und aufgrund des »biophysischen Übergriffs« (Weis 2007) der industriellen Landwirtschaft vor dem ökologischen Kollaps stehen, ist sie eine neue Überlebensstrategie. Hier zeigt sich ein deutlicher Widerspruch innerhalb des Ernährungsregimes, der zugleich die Möglichkeit eröffnet, Landwirtschaft so zu gestalten, dass sie zur Erhaltung und Regeneration des Ökosystems beiträgt.
Eine bäuerliche Gegenmacht?
Ein weiterer Widerspruch zeigt sich innerhalb der internationalen »bäuerlichen Bewegung«, die sich aus kleinen und mittleren Bäuer*innen, Landlosen, Fischer*innen, Hirt*innen und Sammler*innen zusammensetzt. Es handelt sich um eine vielfältig gespaltene soziale Kraft, in der sich unterschiedliche Klassen-, Geschlechter-, »Race-« und Territorialverhältnisse abbilden. Auf der globalen Ebene wird um gemeinsame Themen und Forderungen dieser sehr unterschiedlichen Interessengruppen gerungen, etwa im UN-Ausschuss für Welternährungssicherheit.
»Ernährungssouveränität« ist die einende politische Strategie dieser bäuerlichen Bewegungen. Sie markiert den Gegenbegriff zu dem neoliberal geprägten Ziel globaler »Ernährungssicherheit«, das von transnationalen Konzernen 1996 auf dem Welternährungsgipfel in Rom formuliert wurde. Unter dem Namen La Vía Campesina (LVC) gründete sich ein Bündnis bäuerlicher Organisationen, in dem inzwischen über 150 Mitgliedsorganisationen in mehr als 70 Ländern aktiv sind, mit insgesamt über 200 Millionen Kleinproduzent*innen und landlosen Bäuer*innen. Der Bezug auf »Bäuerlichkeit« wird als Provokation eingesetzt und richtet sich gegen die kapitalistische Moderne. Zugleich verweist er auf einen Prozess der Erneuerung und Wiederherstellung autonomer und demokratischer ländlicher Kulturen. Es geht um einen »bäuerlichen Weg«, der auf Kooperation, auf der Verfügungsgewalt über den eigenen Grund und Boden und auf einem verantwortlichen Umgang mit dem Ökosystem basiert (Paul Nicholson, zit. in Gaarde 2017, 33). Dieser Fokus von La Via Campesina, bäuerliche Strukturen zu stärken, geht auf Kosten einer expliziten Klassenpolitik – auch wenn vor Ort und auch innerhalb der UN-Institutionen für die Rechte von Landlosen gekämpft wird. La Via Campesina ist »antikapitalistisch, orientiert sich aber an der Vorstellung von einer neuen Art von Moderne, in der die ›mittlere Bauernschaft‹ im Zentrum steht« (vgl. Edelman/Borras 2016).
In dieser Vision wird ein zentraler Widerspruch des Ernährungsregimes aufgegriffen und als Grundkonflikt zwischen verschiedenen Landwirtschaftsmodellen beschrieben: Der kleinbäuerliche Betrieb gilt heute als unmodern. Allein den industriellen Großbetrieben wird zugetraut, die Weltbevölkerung zu ernähren. Genau diese zerstören jedoch die Ökosysteme, emittieren fast ein Drittel aller Treibhausgase, beuten weltweit Landarbeiter*innen aus, ernähren lediglich die kaufkräftigen Konsument*innen und schädigen die Gesundheit vieler Menschen weltweit. Darum fordern die bäuerlichen Bewegungen eine Landumverteilung und die Stärkung lokaler und ökologisch nachhaltiger Ernährungssysteme, die nicht gegen, sondern mit der Natur arbeiten. Der Aufruf von La Via Campesina (2000), dass »die massive Bewegung von Nahrung um den Globus die zunehmende Bewegung des Volkes erzwingt«, politisiert das vom globalen Norden dominierte ungerechte Freihandelsregime, das durch sein Preisdumping die Anbausysteme im globalen Süden bedroht und die Ernährungsunsicherheit verschärft.
Wie die Enteignungen durch das Ernährungsregime operiert auch der Widerstand von La Via Campesina auf verschiedenen institutionellen und politischen Ebenen: ländlichen und städtischen, lokalen und globalen. Die Aufnahme des Internationalen Planungskomitees für Ernährungssouveränität in den UN-Ausschuss für Welternährungssicherheit über den civil society mechanism ist ein bedeutender Schritt. Dadurch wirkt die »Bauernbewegung« in einem Gremium mit, das als einzige UN-Organisation auch Basisinitiativen einbezieht und das Ziel der Ernährungssouveränität thematisiert. Diese Beteiligung auf verschiedenen Ebenen ist ein für soziale Bewegungen einmaliges Modell und zeigt, wie ein flexibler Aktivismus im globalen Maßstab aussehen kann.
Mittlerweile weisen das Konzept und die Bewegungen für »Ernährungssouveränität« über die ursprüngliche Kritik am WTO-Regime hinaus und umfassen vielfältige Ansätze und Praxen: geschachtelte Märkte, die lokale Produzent*innen mit Konsument*innen verbinden und Solidarökonomien schaffen, kleinbäuerliche Netzwerke, die nachhaltige ökologische Landwirtschaft sowie freie Saatgut- und Datenbanken betreiben. Ernährungssouveränität wird bereits heute in den Nischen der formellen Wirtschaft praktisch umgesetzt: in einer Vielzahl lokaler Projekte zur Sicherung und Verbesserung der Ernährung, seien es Gemeinschaftsgärten in der Stadt oder Initiativen von erwerbslosen oder informellen Arbeiter*innen, die »zurück aufs Land« gehen.1 Diese Initiativen stellen lokale Ernährungssysteme wieder her und fordern eine veränderte staatliche Politik, indem sie etwa auf die Stärkung der territorialen Rechte von indigenen Bevölkerungsgruppen drängen.