Der Anfang April von CDU und SPD vorgestellte Koalitionsvertrag sieht vor, das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent zu sichern, Beschäftigte können nach 45 Berufsjahren wie bisher vorzeitig in Rente gehen und das Rentenalter 67 bleibt erhalten. Neu dazu kommen sollen eine »Frühstart-Rente«, eine »Aktivrente« und bessere Mütterrenten für Frauen mit Geburten vor 1992.


Die Stabilisierung des Rentenniveaus bis 2031 sei einerseits »ein echter Erfolg«, so der Kommentar des DGB (2025), »andererseits ist es nicht der erhoffte ganz große Durchbruch, da die dauerhafte Stabilisierung nicht vereinbart wurde. Gut ist, dass die Mehrkosten steuerfinanziert werden und damit keine Beitragssatzwirkung entfalten.«


Wer aber darauf gehofft hatte, die Koalition schütze die Rente einigermaßen, sieht sich schon jetzt getäuscht. Kaum hatten sich CDU und SPD geeinigt, stellt Thorsten Frei, Chefverhandler auf Seiten der CDU, schon alles in Frage. Er kündigte deutliche Einschnitte für Deutschlands soziales Sicherungssystem an: »Gesundheit, Pflege und Rente, das sind die großen Herausforderungen. Da werden auch unangenehme Entscheidungen getroffen werden müssen«,  so Frei in der Frankfurter Rundschau. Angesichts der erhöhten Verteidigungsausgaben seien Einschnitte bei anderen Ausgaben nötig.

Was kommt mit dem Koalitionsvertrag im Einzelnen?

Frühstartrente – wenig Effekt für die Versicherten und zusätzliche Verdienstmöglichkeiten für Finanzdienstleiter: Bei der sogenannten Frühstartrente hat sich die CDU mit einem Mini-Einstieg ab dem Kindesalter in eine private Vorsorge durchgesetzt. Sie sieht vor, dass vom sechsten bis zum 18. Lebensjahr monatlich zehn Euro in ein individuelles Altersvorsorgedepot eingezahlt werden. Das Depot soll privatwirtschaftlich organisiert und steuerfrei sein. Die Ersparnisse sollen ab dem 18. Lebensjahr durch private Einzahlungen weiter aufgestockt werden können. Die Frühstartrente wird vom DGB heftig kritisiert. Sie koste den Bundeshaushalt etwa eine Milliarde pro Jahr. Aber selbst nach 60 Jahren bringt sie den Versicherten nur bescheidene 30 Euro Rente pro Monat (FR, 13.4.2025). Überall wird gespart, aber die CDU will eine Milliarde nach dem Gießkannenprinzip verteilen. Das sei Symbolpolitik und ohne nachhaltige Wirkung, so die Kritik des DGB. Nachdem Scheitern der von der Ampelregierung geplanten Aktienrente, ist dies als ein weiterer Versuch zu werten, in eine kapitalgedeckte Altersvorsorge einzusteigen. Würde das Projekt tatsächlich 2026 realisiert werden, können die Versicherungskonzerne mit einem Schlag rund acht Millionen neue Verträge abschließen. 


Aktivrente – ein Vorteil für Unternehmen und gut Verdiende: Ebenfalls ab 2026 soll die sogenannte Aktivrente einen Anreiz schaffen, länger zu arbeiten. Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, soll sein Gehalt bis zu 2 000 Euro im Monat steuerfrei erhalten. Angesichts des Fachkräftemangels ist diese Maßnahme vor allem als Angebot an Unternehmer zu werten. Steuerfreies Einkommen für Rentner*innen hört sich zwar gut an. Aber nur 13 Prozent der Rentner*innen arbeiten im Ruhestand. Für geringfügige Jobs ergibt sich kaum ein Einspareffekt. Wer Mindestlohn bekommt, müsste fast Vollzeit arbeiten, um auf 2 000 Euro monatlich zu kommen. Einen Nutzen haben vor allem gesunde,gut ausgebildete Fachkräfte oder Akademiker*innen, also diejenigen, die eher über ein gutes Einkommen verfügen. 


Ausweitung der Mütterrente – gerecht aber teuer: Bisher erhalten Mütter von vor 1992 geborenen Kinder weniger Rentenpunkte pro Kind. In Zukunft soll auf Wunsch der CSU das Geburtsjahr des Kindes keine Rolle mehr spielen. Für jedes Kind werden drei Rentenpunkte gutgeschrieben. Der Sozialverband VDK begrüßt dies. Auch aus feministischer Sicht ist es mehr als gerecht, wenn Frauen, die z.B. in der alten Bundesrepublik wenig Kita-Angebote hatten und deswegen weniger Lohnarbeit verrichteten, mit Jüngeren gleichgestellt werden. Diese Gerechtigkeit hat allerdings ihren Preis. Insgesamt rechnet die Deutsche Rentenversicherung mit zusätzlichen 4,5 Milliarden Euro jährlich. Begrüßenswert ist, dass dies durch Steuermittel finanziert werden soll. 

Soziale Lage der Rentner*innen

Wer 45 Beitragsjahre lang das rechnerische »Durchschnittsgehalt« bezogen hat, erhält 1 692 Euro. Nach Abzug der Sozialversicherung bleiben 1 500 Euro. Von diesem Betrag geht am Ende des Jahres noch die Steuer ab. Schon diese rein fiktive »Standardrente« reicht kaum zum Leben. Tatsächlich erhält die Mehrheit aber viel weniger, insbesondere Frauen in den alten Bundesländern.


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Renten in den alten Bundesländern[1] 

Unter 900 €                            29,7 % der Männer und 56,8 % der Frauen

900 € – 1 500 €                       27,4 % der Männer und 33,7 % der Frauen

1 500 € – 1 800 €                    17,1 % der Männer und 5,9 % der Frauen

Über 1 800 €                          25,8 % der Männer und 3,7 % der Frauen

 

Renten in den neuen Bundesländern[2]

Unter 900 €                            15,3 % der Männer und 19,9 % der Frauen

900€ – 1 500 €                        48,6 % der Männer und 59,2 % der Frauen

1500 € – 1.800 €                     18,3 % der Männer und 12,6 % der Frauen

Über 1 800 €                          17,9 % der Männer und 8,3 % der Frauen


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Ein Rentenbescheid allein sagt jedoch noch nichts über die tatsächlichen Einkommensverhältnisse aus. Wer über zusätzliche Einkommen aus betrieblicher Altersrente oder privater Vorsorge, über Wohneigentum, Erspartes oder Ererbtes verfügt oder ein gutes Partnereinkommen mitrechnen kann, kann möglicherweise sehr gut leben.[3] Wer aber im Alter allein auf die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) angewiesen ist, ist im wahrsten Sinne des Wortes arm dran. Das sind nicht nur die Empfänger*innen von Grundsicherung.[4] Auch wer unter 1 500 Euro liegt, ist durch die schleichende Rentenabwertung verbunden mit steigenden Mieten und Lebensmittelpreisen tendenziell von Armut bedroht. Das betrifft schätzungsweise ein Drittel der Rentenbezieher*innen.

Denjenigen, die über die gesetzliche Rente hinaus über ausreichende Versorgungsquellen verfügen, mag die Abwertung der Rente minimal erscheinen. Wer aber allein von einer Rente von unter 1 500 Euro leben muss, wird kaum denken: »Juchhu, meine Rente wird kaum weniger!«

Dazu gehören vor allem Frauen in den alten Bundesländern. Sie haben durchschnittlich kürzer in die Rentenversicherung eingezahlt, öfter in Teilzeit gearbeitet und weniger verdient. Grund dafür war die fordistische Arbeitsteilung in der Bundesrepublik. Frauen waren weniger erwerbstätig als Männer, weil sie Haushalt und Kinder zu betreuen hatten. Wie unsere Gesellschaft die geleistete Sorgearbeit bewertet, dokumentiert der Rentenbescheid deutlich: Über die Hälfte der Frauen aus den alten Bundesländern erhält weniger als 900 Euro Rente. 

Scheibchenweise Abwertung der Rente 

Um die Jahrtausendwende wurde in Deutschland das Ziel der Sicherung des Lebensstandards im Rentenalter durch die gesetzliche Rentenversicherung aufgegeben.[5] Um den »Standort Deutschland« zu stärken, wollte die rot-grüne Koalition die Sozialversicherungskosten für Unternehmen senken. Zu diesem Zweck wurde die Rentenanpassungsformel so verändert, dass das Rentenniveau schrittweise sinkt. Die so entstehende Sicherungslücke sollte durch private oder betriebliche Vorsorge geschlossen werden. Durch die Behauptung, an den Finanzmärkten seien höhere Renditen zu erzielen, ließen sich Millionen Menschen dazu verleiten, teure Riester-Versicherungsverträge abzuschließen, die aber mitnichten die erhofften Erträge brachten. Das System der Gesetzlichen Rentenversicherung wurde aber deutlich geschwächt.[6]


Mythos Drei-Säulen-Modell Von Politiker*innen und Finanzdienstleitenden wird gerne verbreitet, die Altersvorsorge beruhe auf dem sogenannten Drei-Säulen-Modell. Dies erweist sich aber für das untere Drittel der Menschen im Ruhestand nur als leeres Versprechen. Das Drei-Säulen-Modell umfasst:

  • Gesetzliche Rentenversicherung: paritätisch finanziert aus Beiträgen von Beschäftigten und Arbeitgebenden; 
  • Betriebliche Altersvorsorge: Altersvorsorge, die Arbeitgebende ihren Mitarbeiter*innen anbieten;
  • Private Altersvorsorge: individuelle Vorsorgemöglichkeiten, wie zum Beispiel Riester-Rente, private Versicherungen oder Anlagemöglichkeiten. 


Das funktioniert wunderbar, sofern man es sich leisten kann. Aber nur die Hälfte der sozialversichert Beschäftigten verfügt über Anwartschaften auf eine betriebliche Altersvorsorge. Zudem haben sich die Unternehmen stetig aus der Finanzierung der betrieblichen Rente herausgezogen. Im Jahr 2001 finanzierte die Arbeitgeberseite noch 54 %, 2015 waren es nur noch 28%. In Branchen wie dem Reinigungsgewerbe oder der Gastronomie gibt es selten eine betriebliche Altersvorsorge. Die daraus entstehende Rentenproblematik betrifft insbesondere Frauen, die sowohl in Kleinbetrieben als auch in den genannten Wirtschaftszweigen häufig tätig sind. Die betriebliche Altersvorsorge erreicht zudem nicht alle Beschäftigten. Dies trifft noch mehr auf die private Altersvorsorge zu. Wer von einem Job an der Mindestlohn-Grenze leben muss, hat selten etwas für die private Vorsorge übrig. Wer einigermaßen gut verdient, kann sich hingegen auch eine private Vorsorge leisten, verfügt eher über Wohneigentum und Kapitaleinkünfte (sozialpolitik-aktuell.de). Die Verschiebung der Verantwortung auf den Einzelnen zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung vergrößert also systematisch die Ungleichheit zwischen Arm und Reich.

Verlockungen und Risiken einer kapitalgedeckten Altersvorsorge

Vor allem von Banken und aus dem Versicherungsgewerbe wird oft behauptet, die kapitalgedeckte Rente bringe den Rentner*innen mehr als die gesetzliche Rentenversicherung.

Die Börse ist aber kein Win-Win-Spiel. Gerade die möglichen Gewinne aus Aktien, seien ein Grund dafür, »warum eine Aktienrente keine gute Idee ist«, so Eva Völpel (2021). Finanzmärkte folgen einer »spekulativen und krisenhaften Logik«, in der es nicht nur Gewinner gibt (ebd.). In jeder Finanzkrise verlieren Beschäftigte Teile ihrer Rentenvorsorge. Beschäftigte in den USA, die nach der Finanzkrise 2008 in Rente gingen, mussten drastische Verluste hinnehmen. Auch die immensen Börsenschwankungen durch Trumps Zollzockerei wird die Vorsorge viele US-Rentner*innen schmälern.

Aktienrente – paradoxe Einbindung von Beschäftigten in die kapitalistische Logik

Während die umlagefinanzierte Rente dem Solidarprinzip folgt, beruht die kapitalgedeckte Rente der Profitlogik. Diejenigen die ihre Altersvorsorge in Aktien anlegen, sind auf möglichst hohe Erträge angewiesen. Sie werden also »gezwungenermaßen zu Kompliz*innen in einem System, in dem das Streben nach hohen Renditen an erster Stelle steht,« so Völpel (ebd.). Beschäftigte sind also in der paradoxen Situation, als Arbeitende Interesse an einem hohen, zumindest auskömmlichen Gehalt zu haben, gleichzeitig aber an Aktienfonds beteiligt zu sein, deren Profitgrundlage auf niedrigen Lohnkosten beruht. Völlig grotesk wird es, wenn Renditen aus der Rüstungsindustrie die Altersvorsorge sichern. Gar nicht weit hergeholt, denn mittlerweile gelten auch Rüstungswerte wie Aktien von Rheinmetall oder Hensoldt als Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung und sind deswegen auch in Nachhaltigkeits-Fonds zugelassen. 

Private Vorsorge – ein gutes Geschäft für Finanzdienstleister

Private Alterssicherung ist vor allem ein Konjunkturprogramm für Finanzdienstleister und ein Sparprogramm für Unternehmen (vgl. Balodis/Hühne 2020).  Bei »Riester« wird fast ein Viertel der eingezahlten Beträge für Gebühren der Versicherungen verwendet. Bei der gesetzlichen Rente betragen die Verwaltungskosten hingegen nur circa drei Prozent. Aus Sicht von Verbraucherschützern ist das Riester-Konzept nach etlichen erfolglosen Reformen gescheitert (Edith Dietrich, 10.9.2023). Die Kosten für private Vorsorge liegen um ein Vielfaches über denen des Non-Profit-Unternehmens Deutsche Rentenversicherung. Zudem unterliegt die GKV nicht dem Risiko schwankender Börsenkurse. Die Teilhabe an der Solidargemeinschaft im bestehenden Umlagesystem ist für Beschäftigte gut »investiertes« Geld (Brosig 2025). 

Die gesetzliche Rentenversicherung ist solidarisch

Im Zentrum einer linken Sozialpolitik steht die Forderung nach einer vergesellschafteten Daseinsvorsorge. Die umlagefinanzierte gesetzliche Rente ist das größte soziale Sicherungssystem in Deutschland und ein wesentlicher Pfeiler des Sozialstaates. Die Gesetzliche Rentenversicherung ist umlagefinanziert, d.h. abhängig von der Lohnhöhe zahlen »Arbeitgeber« und Beschäftigte anteilig in die Rentenkasse ein. Aus diesem Topf werden die Renten ausgezahlt. Im Gegensatz zur privaten Vorsorge funktioniert dieses System ohne Banken. 

In der Zeitschrift Luxemburg wird seit zehn Jahren die Diskussion um Infrastruktursozialismus geführt. Im Kern geht es darum, dass »elementare Bedürfnisse krisenfest abgesichert sein müssen, von der Gesundheitsversorgung über die Bildung bis zum Wohnen« (Candeias u.a. 2020).  Ergänzt werden muss diese Aufzählung um die Altersversorgung. Denn zu den elementaren Bedürfnissen gehört zweifellos eine auskömmliche und sichere Altersrente.

»Soziale Infrastrukturen zielen darauf, weite Teile der Daseinsvorsorge dem Markt (wieder) zu entziehen und unter öffentliche Kontrolle zu stellen. Das bedeutet konkret, soziale Dienste zu dekommodifizieren, ihnen ihre Warenförmigkeit zu nehmen« (ebd., 14). Dekommodifizieren heißt in Bezug auf die Alterssicherung, die gescheiterte Riesterrente dem Markt wieder zu entziehen und in die GRV zu überführen und für die Wiederanhebung der Rente auf ein den Lebensstandard sicherndes Niveau einzutreten, damit private Vorsorge nicht zwingend notwendig ist. 

Sicher sind Abwehrkämpfe gegen die Erhöhung des Rentenalters oder zum Erhalt des mickrigen Niveaus von 48 Prozent nicht gerade attraktive revolutionäre Ziele. Wenn man aber über den Abwehrkampf hinausdenkt und es gelingt, das Ziel einer solidarischen Erwerbstätigenversicherung der profitorientierten, die soziale Spaltung vergrößernden privaten Aktien-Rente entgegenzusetzen, können es tagespolitische Etappen in einer revolutionäreren Realpolitik sein, wie Rosa Luxemburg sie beschrieb. 


Die bestehende Gesetzliche Rentenversicherung ist so gut und erfolgreich, dass sie unbedingt verteidigt werden muss. Sie hat aber zumindest zwei große Fehler:


Prekäre Beschäftigung und Sorgearbeit bedeutet (fast) keine Rente: Das Rentensystem ist auf Vollzeit-Erwerbstätigkeit und eine lückenlose Erwerbsbiografie ausgerichtet. Das hat zu Folge, dass Menschen, die prekär beschäftigt sind, kaum Aussicht auf Rente haben. Völlig unberücksichtigt bleibt die Arbeit, die z.B. in der Pflege oder bei der Kindererziehung unentgeltlich verrichtet wird. Die marxistische Feministin Frigga Haug nennt das die »Produktion des Lebens«. Dies hat die gleiche Bedeutung wie die »Produktion von Lebensmitteln und Konsumgütern«, die in Lohnarbeit erfolgt und bezahlt wird. Unter Feminist*innen gab und gibt es viele Diskussionsstränge wie Sorgearbeit und Rente gerecht zusammengehen können. Stichworte sind die Debatten um »Lohn für Hausarbeit«, »Lohnersatzleistungen für pflegende Angehörige« (Kemnitz 2022), gerechte Verteilung der Sorgearbeit u.a.

Die feministische Diskussion darum, wie die Rentenversicherung zu verändern ist, um für »die neu zusammengesetzte Arbeiterbewegung des 21. Jahrhunderts attraktiv« zu sein, muss auf jeden Fall weitergeführt werden. Ein erster Schritt, um Menschen, die viel Sorgearbeit leisten und/oder überwiegend prekär beschäftigt sind, nicht völlig abzuhängen, ist eine »Solidarische Mindestrente«, die deutlich über der heutigen Grundsicherung liegt.


Ungerechte Finanzierung: Das große Problem der Rentenversicherung liegt in der ungerechten Finanzierung: Einkommensstarke Erwerbstätigengruppen müssen nicht in die GRV einzahlen wie z.B. Ärzt*innen, Rechtsanwält*innen, Manager*innen, Beamt*innen, Abgeordnete, Unternehmer*innen. Sie haben eigene Sicherungssysteme. Deswegen brauchen wir eine »Solidarische Erwerbstätigenversicherung«, also ein öffentliches Vorsorgesystem, in der alle Pflichtmitglieder sind. Das heißt zusammengefasst folgendes: 


1) Alle Erwerbstätigen (inklusive Selbständige, Beamte und Abgeordnete) zahlen in die Rentenkasse den prozentual gleichen Anteil ihres Verdienstes ein.
2) Die Beitragsbemessungsgrenze[7] wird aufgeboben. 
3) Rentenzahlungen werden nach oben gedeckelt oder abgeflacht.


Zurück zum Koalitionsvertrag: Dieser verspricht, das Rentenniveau bis 2031[8] gesetzlich auf 48 Prozent abzusichern und die Mehrausgaben aus Steuermitteln auszugleichen. (Der Ausgleich aus Steuermitteln entspricht Forderungen aus Gewerkschaften, Sozialverbänden, SPD sowie der Linken und ist ausdrücklich zu begrüßen.) Natürlich sind 48 Prozent nicht genug, aber das eigentlich Katastrophale am Koalitionsvertrag ist, dass er die Frage der nachhaltigen Finanzierung ungelöst lässt. Die Verteilungskämpfe um die Rente werden aber vor allem um die Finanzierungsfrage geführt. Der demografische Wandel ist natürlich eine Herausforderung. Aber der wäre durch eine gerechte Finanzierung lösbar. Deshalb muss von linker Seite die Zweiklassen-Vorsorge skandalisiert werden.

Wer will welche Rente? Die politischen Lager

Bevor die Chancen und die Wege zur Durchsetzbarkeit zu diskutieren sind, betrachten wir zunächst, wie sich die politischen Lager zur Rente positionieren. 


Die Rentenkürzer-Lobby – Unternehmen und Finanzwirtschaft: Diese Gruppe verteufelt die angeblich »teuren Rentenpläne« und preist den Vorteil kapitalmarktbasierter Altersvorsorge. Kaum verwunderlich, dass Unternehmen jeden Cent Sozialversicherungsbeitrag beklagen und jede Chance nutzen, die Entsolidarisierung bei der Rente zu fördern. So wird der Mythos, stabile Renten gingen zulasten der Jüngeren, unabhängig von seinem Wahrheitsgehalt, oft und gerne wiederholt. 


Besonders aggressiv tut sich dabei die Junge Union (JU) hervor. Das Schüren der Konkurrenz »Alt gegen Jung« gehört seit Jahrzehnten zu deren DNA. »Es muss Schluss sein mit dem ausbeuterischen Umlagesystem, das nur zu Lasten der Jüngeren in unserem Land geht!”, hieß es in einer Presseerklärung der JU bereits am 8. Juli 2003. Auf ihrem Deutschlandtag im Oktober 2024 beschloss die JU einen Leitantrag, in dem sie massive Änderungen in der Rentenpolitik fordert, um eine Überlastung der jungen Generation zu vermeiden. Sie fordert eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung (!). Dieser Haltung mangelt es zum einen an Empathie gegenüber den eigenen Eltern und Großeltern (es sei denn, diese sind durch Pensionen, Aktien und Immobilieneinahmen ausreichend versorgt) und vor allem an Weitsicht. Wie will denn die CDU-Nachwuchsriege die Rente der eigenen Generation sichern? – Um es noch einmal zu sagen, eine lebensstandardsichernde Rente kommt selbst zum Preis höherer Beitragssätze auch der heute jungen Generation zugute. Ein abgesenktes Rentenniveau hingegen bedeutet, dass die heute Jungen in eine vergleichsweise teure Privatvorsorge investieren müssten. Es bedeutet auch ein weiteres Auseinandergehen der sozialen Schere im Alter, was der JU vermutlich herzlich egal ist. 


Es gibt auch leisere Töne, die dem sogenannten Generationenkonflikt das Wort reden. Irgendwo im Programm der Grünen steht zwar etwas von der »schrittweisen« Entwicklung zur »Bürgerversicherung«, in die auch Abgeordnete sowie »nicht anderweitig abgesicherte Selbstständige unter fairen Bedingungen einzahlen«. Im Wahlkampf blies das grüne Spitzenpersonal aber immer wieder ins Horn des Generationenkonflikts: Die jungen Generationen würden »im Stich gelassen« und es gelte auch, die »Chancen der jungen Generation« zu wahren. Die ehemalige Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang blamierte sich im Januar 2024 bei einer Talkshow, als sie die Durchschnittsrente auf 2 000 Euro schätzte. Einkommensschwache gehören eben einfach nicht zum Klientel der Grünen. Der Grüne Ministerpräsident Kretschmann machte jüngst Schlagzeilen mit der Forderung nach längerer Arbeitszeit. »Solange wir gesund sind, keine Kinder erziehen oder Angehörige pflegen, müssen wir mehr arbeiten.« (Der Spiegel, 9.4.2025) Er selbst sei 76 Jahre alt und arbeite zwölf Stunden am Tag.


Und wo steht die SPD? Sie steht für die Beibehaltung der gesetzlichen umlagefinanzierten Rente. Innerparteilich gibt es starke Stimmen für eine Erwerbstätigenversicherung, in die auch Abgeordnete, Freiberufler*innen und Selbständige und perspektivisch auch Beamte einzahlen. Die SPD kann für sich in Anspruch nehmen, den Rentenkompromiss durchgesetzt zu haben. Immer vorausgesetzt, der Koalitionsvertrag wird in den nächsten vier Jahren tatsächlich Bestand haben. Da sich die Partei aber an einer Regierung unter Bundeskanzler Merz beteiligt, ist zu befürchten, dass sie ähnlich wie zu den Zeiten von Bundeskanzler Schröder (»Agenda 2010») die Funktion übernimmt, Gewerkschaften und Sozialverbände einzubinden. 


Für eine sichere und ausreichende Rente: Gewerkschaften, Sozialverbände und Die Linke: Eine Solidarische Erwerbstätigenversicherung wird von den DGB-Gewerkschaften, Sozialverbänden wie dem Sozialverband VdK, dem SoVD (Sozialverband Deutschland) und dem Paritätischen sowie der Linken gefordert. Wünschenswert ist, dass diese ein starkes Bündnis bilden, das nicht nur die zu erwartenden Angriffe auf die gesetzliche Rente abwehrt, sondern auch in der Lage ist, die Forderung nach einer wirklich gerechten Finanzierung hegemonial zu machen. Eine starke Mobilisierung für eine gute sichere Rente dürfte allerdings auch deshalb schwierig sein, weil die befürchteten Verschlechterungen bei der Rente ausgeblieben sind. In Gewerkschaften und an der Basis der SPD ist zwar niemand begeistert, aber erst einmal kann verhalten aufgeatmet werden. 


Entscheidend ist, wie die Debatten innerhalb der Gewerkschaften weiter verlaufen. Lassen sie sich wie in Zeiten unter Bundeskanzler Schröder einbinden? Damals beteiligten sich DGB-Gewerkschaften konstruktiv an der Debatte um die Gestaltung der »Agenda 2010«. Man glaubte Schlimmeres verhindern zu können, nahm sich aber die Gestaltungsmacht. In den Gewerkschaften prallen verschiedene Interessen aufeinander: Auf der einen Seite die Loyalität gegenüber der SPD, die mit der Merz-CDU einen Rentenkompromiss ausgehandelt hat und vielen als letzte Garantie gegenüber einer Regierungsbeteiligung der AfD gilt; bzw. Loyalität einer Regierung gegenüber, die antritt, um den »Standortort Deutschland« und damit – so wird gehofft – Gute Arbeit zu sichern. Auf der anderen Seite die Enttäuschung und Wut der Gewerkschaftsbasis gegenüber Deregulierung und Austeritätspolitik. 

»Der Linken ist es gelungen, das Thema »Mieten« und »Mietendeckel« auf die Tagesordnung zu setzen. Warum sollte es ihr nicht auch gelingen, die »Solidarische Erwerbstätigenversicherung« voranzubringen?«

Die Linke ist die einzige Partei im Bundestag, die für eine »Solidarische Erwerbstätigenversicherung« eintritt. Insofern macht es Hoffnung, dass sie – unterstützt von einer regelrechten Wahlbewegung – mit einem unerwartet guten Ergebnis wieder ins Parlament einzog. Das gelang auch deshalb, weil sie selbstbewusst eigene Themen setzte und sich von SPD und Grünen absetzte. Allerdings hatte Die Linke 2025 auch erstmals ein unproportional niedriges Wahlergebnis bei der Altersgruppe Ü60. Sie kann das ändern, wenn sie ihr Parteien-Alleinstellungsmerkmal »Solidarische Erwerbstätigenversicherung« in ihrer Kampagnenpolitik positioniert und aktiv Bündnisse dafür anstrebt. Das Thema Rente sollte zum Repertoire der Haustürgespräche werden. Umfragen zeigen, dass viele Altersarmut befürchten und dass allen Unkenrufen zum Trotz, die Mehrheit für die Stärkung der gesetzlichen Rente ist. Der Linken ist es gelungen, das Thema »Mieten« und »Mietendeckel« auf die Tagesordnung zu setzen. Warum sollte es ihr nicht auch gelingen, die »Solidarische Erwerbstätigenversicherung« voranzubringen? Statt Konkurrenz der Generationen: Jung und Alt gegen diejenigen, die sich der sozialen Verantwortung entziehen. 

Gegen den ausbleibenden Inflationsausgleich für Rentner*innen hat sich im vergangenen Jahr Protest entwickelt. Noch ist diese Mobilisierung verhalten. Es wurden jedoch Hunderttausende von Unterschriften gesammelt und bei einer Demonstration in Berlin im November 2024 überreicht (SoVD 2024). In Karlsruhe demonstrierte ein von ver.di und dem Sozialverband VdK getragenes Bündnis eine Woche vor der Bundestagswahl unter dem Motto »Wer Rentner*innen quält, wird nicht gewählt.« (VDK 2025) 


Außerhalb der Bundesrepublik gibt es viele Beispiele von Protesten gegen die Angriffe auf die Altersvorsorge: In Frankreich überstrahlten die Streiks und Proteste gegen die geplante Rentenreform im Jahre 2023 aufgrund ihrer Länge und Intensität selbst die Gelbwestenbewegung. In Belgien haben unsoziale Reformpläne eine beispiellose Streikwelle hervorgerufen, die sich u.a. gegen die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre und die Kürzung von Pensionen richtet. Seit Anfang des Jahres 2025 brachten mehrere Generalstreiks das öffentliche Leben zum Erliegen, Flüge und Züge wurden gestrichen, Supermärkte blieben geschlossen, Beschäftigte der Müllabfuhr, von Gefängnissen, der Polizei und von Schulen beteiligten sich. Seit Machtantritt des Präsidenten Javier Milei finden in Argentinien jeden Mittwoch Rentenmärsche statt. Sie werden breit unterstützt und sind mittlerweile zu einer Herausforderung für Mileis ultrakapitalistischen Kurs geworden. Mehr davon – auch hierzulande!

[1] www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Experten/Zahlen-und-Fakten/Statistiken-und-Berichte/statistiken-und-berichte_node.html, 31.12.2023.

[2] Bei der Bewertung dieser Zahlen ist zu beachten: In den neuen Bundesländern sind viele der besserverdienenden Berufsgruppen im Rentenversicherungssystem eingebunden, während in den alten Bundesländern z.B. die Beamten eigene Versorgungsysteme mit deutlich höheren Bezügen haben. Männliche Beamte in Pension beziehen beispielsweise im Schnitt fast 3 300 Euro.

[3] Ausführliche Erläuterung der Einkommensverhältnisse von Rentnern unter:  

www.bpb.de/themen/soziale-lage/rentenpolitik/288826/hoehe-und-verteilung-der-gesamteinkommen-im-alter/.

[4] Anspruch auf Grundsicherung hat man, wenn das gesamte Einkommen (nicht nur die Rente) unter 1 062 Euro liegt. Im Juni 2024 lag die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger bei 728 990, was einen neuen Höchstwert darstellt.

[5] Allgemein gilt eine Rente von 53 Prozent als lebensstandardsichernd.

[6] Im Gegensatz zu Deutschland hat das Nachbarland Österreich das Ziel der Lebensstandardsicherung nie aufgegeben. Die Renten sind dort erheblich höher. Auch das bedarfsabhängige steuerfinanzierte Mindesteinkommen für Rentner*innen ist erheblich höher als die deutsche Grundsicherung. Im österreichischen Rentenversicherungssystem sind die meisten Selbständigen Pflichtmitglieder. Und es gibt eine langfristige Angleichung der Beamtenpensionen an die Bestimmungen der Rentenversicherung. www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2016/heft/4/beitrag/oesterreichs-alterssicherung-vorbild-fuer-deutschland.html.

[7] Die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung für 2025 beträgt bundesweit 8 050 Euro monatlich. D.h. auch Angestellte, die das Zehnfache verdienen, zahlen nur bis zu diesem Betrag RV.

[8] Die Ampelregierung hatte noch einen Entwurf vorgelegt, der zumindest eine Rentenabsicherung bis 2040 vorsah.

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