Das Projekt orientiert auf unsere Lebensweise, auf Arbeitsteilung, auf unser Zeitregime und die darin eingebettete eigene Entwicklung, auf politische Einmischung. Indem es dies tut, konfrontiert es die Einzelnen mit ihrer Weise, das Leben zu leben. Zugleich greift es die gesellschaftliche Arbeitsteilung an, die eine zunehmende Ungerechtigkeit hervorbringt. Der durch die Produktivkraftentwicklung enorm gewachsene Reichtum der Arbeit schlägt auf die Arbeitenden als Arbeitslosigkeit zurück, statt dass die Einzelnen freigelassen werden, aus dem Zwang des Acht-Stunden-Tags auszusteigen und die anderen liegen gelassenen oder meist Frauen unentgeltlich übergebenen Bereiche des Lebens zu ergreifen. 4 in 1 ist damit zugleich ein kulturelles Projekt, weil es einen Umbruch in der Lebensweise anzielt, und ein kapitalismuskritisches, weil es die spaltenden Teilungen der Arbeit (in Männer- und Frauenarbeit, Stadt und Land, Kopf und Hand, Arbeit und Nichtarbeit) aufgreift. Anders organisieren und bewusst planen müssen wir auch die Teilung der Produktion in die Sphäre der Güterproduktion, in der die Produktivkräfte entwickelt werden und also Profit gemacht werden kann, und eine zweite Sphäre, in der das Leben selbst ebenso wie die natürlichen Bedingungen nach einer anderen Zeitlogik reproduziert werden, und die nach kapitalistischen Kriterien wenig gilt, weil in ihr nicht so viel Profit gemacht werden kann. Diese Veränderung muss von allen getragen werden. Um die Verantwortlichkeiten neu zu ordnen und also die Mentalitäten zu ändern, braucht es jedoch Zeit. 4 in 1 schaut auf gewordene Strukturen, an denen die Menschen mit ihren Persönlichkeiten beteiligt sind. In diesem Projekt fallen die Veränderung der Umstände und die Selbstveränderung in eins.
Inwiefern verfehlen gegenwärtige Wachstumsstrategien die Integration unterschiedlicher Bereiche gesellschaftlich notwendiger Arbeit und menschlicher Bedürfnisse?
Wenn man sich die Fragen vom Standpunkt des Wachstums stellt, setzt man voraus, dass Kapitalismus ewig währt. Geht man stattdessen von einer Bedarfs- oder bedürfnisorientierten Wirtschaftsweise aus, erscheint Wachstum an sich als eine äußerlich aufgesetzte Größe, als Produktion um der Produktion willen. Nicht um dieses Wachstum kann es gehen, sondern um vorsorgendes Wirtschaften. Kein Produktionsprozess kann so organisiert werden, dass alles, was produziert wird, verbraucht werden kann. Immer müssen zusätzlich zum unmittelbaren Bedarf Ersatz, Vorsorge, Nachhaltigkeit erwirtschaftet werden. Weltweit steigt das Bewusstsein von der Unmöglichkeit der kapitalistischen Produktionsweise: Ressourcen wie Öl sind endlich, der CO2-Ausstoß erschüttert das Klima der Erde, die Arbeitenden leiden unter Überarbeit, viele unter dem Gegenteil. Zerstörerisch sind auch die menschlichen Beziehungen: Gewinn, Leistung, Aufstieg, Konsum sind barbarische Ziele, die die gesellschaftlichen Menschen gegeneinander richten. Die Frage kann keinesfalls lauten, wie können wir Wachstum anfeuern, sondern umgekehrt: Was müssen wir tun, damit die Menschen ihre Verhältnisse mit nüchternen Augen sehen und erkennen, dass alles umgewälzt werden muss – auch die eigene Lebensweise. Dies ist im Übrigen zugleich ein großes Hindernis wie eine Hoffnung, dass Änderung überhaupt möglich ist.
Was muss wachsen, was schrumpfen, wenn wir aus wertförmig bemessenem Wachstum ausbrechen wollen?
»Ökonomie der Zeit, darin löst sich schließlich alle Ökonomie auf« – dieses Diktum von Marx tritt immer deutlicher ins Bewusstsein. Eine linke Politik um Zeit und ihre Aneignung wird heute wesentlicher als je zuvor. Die vorhandenen Arbeiten müssen umverteilt werden auf alle, verbunden mit der Möglichkeit, sich der sorgenden Verantwortung für alle Menschen, die dies brauchen – Kinder, Alte, Kranke, Behinderte –, anzunehmen. In diesem Bereich wird das Fundament gelegt für solidarisches Miteinander statt Konkurrenz und Kampf der Einzelnen um das größte Stück vom Kuchen. Dass dieser Bereich in gesellschaftlichen Verruf kam, minderwertig und also unwichtig zu sein, ist eine welthistorische Niederlage, der wir bewusst die Wertschätzung unserer selbst entgegen halten müssen. Alle haben das Recht, ihre Fähigkeiten nach Möglichkeit zu entwickeln, statt sich auf Konsumenten reduzieren zu lassen. Der Weg solcher Zeitaneignung, das ganze Leben zu ergreifen, ist notwendig verbunden mit politischer Einmischung.
Kann 4 in 1 auch auf die Überschreitung ökologischer Grenzen eine Antwort sein?
4 in 1 setzt als Projekt der Gesellschaftsveränderung Hegemonie voraus. Gesellschaftsveränderung wird möglich, wenn die Vielen beim Verändern politische Gestaltungsfähigkeit erlangen und ihre Bedürfnisse verändern. Sowie die Erwerbszeit verkürzt ist, ändert sich auch ihr Gewicht für das Leben und die Identität der Einzelnen. Hierzu gehört das Verhältnis zu den natürlichen Bedingungen unseres Lebens. Von oben den Einzelnen zu befehlen, ab sofort den eigenen Energieverbrauch zu halbieren, nur Produkte aus schonendem Anbau zu verwenden, das Auto abzuschaffen und stattdessen Fahrrad zu fahren, ist unmöglich. Die Menschen müssen sich selbst überzeugen. Die Erkenntnis, dass die Abschiebung in den Konsumbereich keine Perspektive ist, sondern die politische Gestaltung ersetzen soll, wird das Verlangen nach Waren und noch mehr Waren wenden in das Verlangen nach Einmischung, was ja bereits in Ansätzen bei den Bürgerprotesten wie Stuttgart 21 oder den Atomprotesten sichtbar wird. Es wachsen aus der Zivilgesellschaft Projekte mit einer nachhaltigeren Orientierung des Lebens. Die 4 in 1-Perspektive gehört dazu.
Wie kann der Übergang organisiert werden? Was wären Einstiegsprojekte, wer sind die konkreten Akteure oder Bündnispartner?
Einstiegsprojekte und Losungen sind nicht einfach ableitbar aus den vier Bereichen, sondern müssen die Menschen experimentell verwickeln. Solche Laboratorien für die Zukunft sind selbst positive Aktionsprogramme und können in allen Bereichen des Lebens und der Tätigkeiten eröffnet werden. Ich denke etwa an Gruppen zur Erinnerungsarbeit oder eine Ausschreibung, in der die Einzelnen aufgefordert werden, sich die 4 in 1-Lebensweise anzupassen und zu schreiben, welche Blockierungen sie sehen, welche Hindernisse dem entgegenstehen. In den Antworten sind einzelne Barrieren auffindbar und können verallgemeinert zu neuen Projekten führen; es sind aber auch die institutionellen Hindernisse für alle sichtbar gegen ein Projekt, das sie sich beim Schreiben aneignen wie die Zeit, um die es geht, kurz: Der Anspruch nach einem Leben in dieser vierfältigen Perspektive wächst ebenso wie die Empörung gegen die Vorenthaltung. Wichtig wäre es darüber hinaus, eine Forschung anzuregen, wie viel Zeit die notwendige Arbeit beim heutigen Produktivkraftstand tatsächlich in Anspruch nimmt, und dies zugleich zu verbinden mit der Ausfüllung der möglichen freien Zeit in den anderen drei Bereichen. Zentral ist bei allen Vorschlägen, die Bereiche in gesellschaftliche Verknüpfung zur Diskussion zu stellen, nicht einen allein. Die aktuelle Aufregung um die Rentenreform könnte zudem genutzt werden für den Vorschlag, dass alle Menschen ab sechzig das vierfältige Leben als selbst gewähltes alternatives Mosaik ausfüllen, also ihr Leben ändern durch Entfaltung am alten Arbeitsplatz oder in einem anderen Beruf, in der Politik, im Gemeinwesen, im Mensch- Mensch-Bereich, ohne dass dies ihren Rentenanspruch mindern würde. Die Gesellschaft ist seit langem reich genug dafür. Die Einzelnen, üblicherweise ins Politische bestenfalls als Zuschauer von Talkrunden passiv involviert, müssen vielfältig und experimentell in die Gestaltung von Gesellschaft einbezogen werden – so, als säßen sie selbst an der Regierung. Politische Bildungswerkstätten sind nötig, in denen Zukunftsträume ebenso erfragt und bearbeitet werden können wie die Verwandlung von Konsumenten in bewusste Gestalter ihres Lebens und ihrer Lebensbedingungen.
4 in 1 greift ein bei den Vorstellungen von Arbeit, von anständigem Leben, von Geschlechterverhältnissen, von der Verantwortung für sich selbst und bei der Gestaltung der Gesellschaft. Entsprechend gibt es ebenso begeisterte Zustimmung bei denjenigen, die arbeitsteilig die vier Bereiche bewohnen, und zornige Abwehr durch jene, die in den alten Teilungen Vorteile hatten und Privilegien behalten möchten. In allen Gruppierungen und Organisationen, die verändernd eingreifen wollen, finden sich viele Bündnispartner: Attac, Grüne, NGOs, Sozialforen, Seniorengruppen, bildungspolitisch Engagierte, Gewerkschaften, Lehrerverbände, kirchliche Bildungsarbeit und Die Linke. Je näher sich diese Zusammenschlüsse den Gewerkschaften fühlen, desto schwerer fällt ihnen der Abschied von einem starren Arbeitsbegriff, der auf Vollbeschäftigung und Sicherung von immer weniger Arbeitsplätzen für immer weniger Menschen orientiert ist. Dabei wäre gerade für diese Organisationen eine Welt zu gewinnen, wenn das Recht auf einen vierstündigen Erwerbsarbeitsplatz für alle als Menschenrecht gälte.
Starke Unterstützung hat das Projekt bei Frauen. Sie haben im Durchschnitt am meisten zu gewinnen. Von ihrem Standpunkt her ist klarer sichtbar, dass die Aufwertung und Gleichverteilung des Reproduktionssektors nicht nur mehr Menschlichkeit ins Leben aller bringt, sondern ihnen selbst überhaupt erst ermöglicht, das Leben mit beiden Händen zu ergreifen.
4 in 1 als Projekt bezieht Position im »Stellungskrieg« (Gramsci) und setzt an beim zentralen Herrschaftsknoten, der unsere kapitalistischen Gesellschaften zusammenhält: der Klassenfrage, der Geschlechterfrage, der politischen Regelung und der Entwicklung der Einzelnen. Es geht um den Umbau der Zivilgesellschaft. Das ist nicht ohne Beteiligung vieler machbar.