Friedensforschung als Gesellschaftskritik

In ihren Anfängen war die AFK stark beeinflusst von dem norwegischen Friedensforscher Johan Galtung, der wegen seiner Arbeiten zu »struktureller Gewalt« von Konservativen in die Nähe der Rote-Armee-Fraktion gerückt wurde. Mehrheitlich ging es den Mitgliedern um eine gesellschaftskritische Ausrichtung ihrer Disziplin. ›Kritische Friedensforschung‹ verstanden sie in Anlehnung an die Frankfurter Schule als eine Disziplin, die die Ursachen von Gewalt in den Gesellschaften selbst verortet und untersucht. In Abgrenzung zur traditionellen ›Befriedungsforschung‹ verstanden sich die kritischen FriedensforscherInnen als »wissenschaftliche Parteigänger von Menschen, die durch die ungleiche Verteilung sozialer und ökonomischer Lebenschancen in und zwischen Nationen (d.h. durch strukturelle Gewalt) betroffen sind: von Ausgebeuteten, von sozial Diskriminierten und von unmittelbar in ihrer physischen Existenz Bedrohten« (Wachsmuth 1998, 177). Ihr Friedensbegriff ging über das klassische Verständnis der Untersuchung eines (zwischenstaatlichen) Verhältnisses von Krieg und Frieden hinaus, und eine enge Zusammenarbeit mit der Friedensbewegung war selbstverständlicher Teil der eigenen wissenschaflich-politischen Praxis. In diesem Sinne bezogen die AFK und ihr Vorstand auch politisch Position und gaben Erklärungen zu aktuellen Konflikten ab. Der zu Ende gehende Vietnam-Krieg, die Ostpolitik der Regierung Brandt, aber auch der NATO-Nachrüstungsbeschluss zu Beginn der 1980er Jahre stärkten den ›kritischen‹ Flügel innerhalb der AFK.

Lobbyismus für den Frieden

Eine gewisse Unterstützung erfuhr die AFK zu Beginn ihres Wirkens auch im politischen Betrieb – ausschlaggebend waren hier die politischen Umbrüche des Jahres 1968. Nach der Bundestagswahl im September 1969 bildete Willy Brandt gemeinsam mit der FDP die erste sozialdemokratisch geführte Regierung der Nachkriegszeit. Am 5. März desselben Jahres war Gustav Heinemann zum Bundespräsidenten gewählt worden. Der Spiegel porträtierte ihn folgendermaßen: »Im Bonner Bundestag stellte sich ein Lobbyist vor. Bundespräsident Gustav Heinemann warb in seiner Antrittsrede am 1. Juli um Unterstützung für eine neue Wissenschaft: die Friedensforschung.« Kurz darauf wurde die Deutsche Gesellschaft zur Förderung der Friedensforschung gegründet, um eine unabhängige Finanzierung jenseits des etablierten Systems der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sicherzustellen – damals auch eine zentrale Forderung der AFK. Die DFG und ihr Gutachtersystem waren von den alten Ordinarien besetzt, die Friedensforschung mehrheitlich ablehnten oder gar bekämpften.1 Außerdem entstanden im Laufe der 1970er Jahre eine Reihe von Instituten für Friedensforschung: das Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebens- und Umweltbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt, die Forschungsgemeinschaft der Evangelischen Studiengemeinschaft Heidelberg (FEST), die Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (ISFH) und das Bonn International Center for Conversion (BICC).2 Auch an Universitäten wurde die Friedensforschung verankert, so vor allem an der Freien Universität Berlin, aber auch in Tübingen, Kassel und an anderen Hochschulen. Die Disziplin blieb aber politisch umkämpft. Nachdem Bayern bereits aus der DGFK-Finanzierung ausgestiegen war, wurde diese 1983 von der damaligen CDUFDP-Koalition komplett aufgelöst und die Förderung wieder der DFG zugewiesen. Unter Rot-Grün wurde mit der Deutschen Stiftung Friedensforschung zwar erneut eine DFGunabhängige Forschungsförderung eingerichtet. Ihre Aufgabe steht dem ursprünglichen Ansatz und Selbstverständnis der kritischen Friedensforschung jedoch klar entgegen. Zweck der Stiftung ist es laut Satzung, »die Friedensforschung ihrer außen- und sicherheitspolitischen Bedeutung gemäß insbesondere in Deutschland dauerhaft zu stärken und zu ihrer politischen und finanziellen Unabhängigkeit beizutragen«. Damit wurde eine Engführung finanzierungswürdiger Vorhaben auf die klassische Frage nach Krieg und Frieden festgeschrieben.

Von Akademisierung und Drittmitteln

Die Mehrheit der WissenschaftlerInnen versteht die Friedens- und Konfliktforschung heute als technizistische Disziplin. Die Friedensforschung zieht sich in den Elfenbeinturm zurück (Strutynski 2002) und kommt dort an, wo ihre KritikerInnen im wissenschaftlichen Establishment sie seit in ihrer Gründungsphase haben wollten. Die Besetzung von Professuren erfolgt nach den Kriterien der (inzwischen wieder) etablierten scheinbar unpolitischen Wissenschaft, kritische Wissenschaft wird als normativ disqualifiziert (Ruf 2009). Neben der Akademisierung waren und sind für diese Entwicklung auch deren spezifische Finanzierungsbedingungen verantwortlich, um die anfangs gestritten worden war. Wissenschaft ist seit den 1990er Jahren fest im Griff des stummen Zwangs der Drittmittelfinanzierung. Die Friedensforschungsinstitute der 1970er Jahre waren überwiegend als sogenannte An-Institute entstanden. Universitäten zugeordnet, waren sie von diesen finanziell unabhängig und auf externe Förderung angewiesen, das heißt an Forschungsprojekte gebundene Gelder, die von sehr wenigen privaten, meist aber staatliche Einrichtungen vergeben werden. Wichtige Akteure sind heute Ministerien, die mit Fragen der Konfliktbearbeitung befasst sind: das Bundesministerium für Verteidigung, das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Leiter der Institute, meist bestallte UniversitätsprofessorInnen, stehen gegenüber ihren MitarbeiterInnen, die in der Regel auf befristeten Projektstellen sitzen, in der sozialen Pflicht und versuchen, deren materielle Existenz durch Anschlussprojekte zu sichern. Hier ergibt sich ein Teufelskreis, der auch das Bewusstsein der Beteiligten prägt: Dies reicht von der Übernahme der Begrifflichkeiten (peace keeping, peace enforcement usw.), die in geradezu fataler Weise jene ›Petersberg-Prinzipien‹3 reproduzieren und in der postbipolaren Welt dem Interventionswillen der EU- und NATO-Staaten Tür und Tor öffneten, bis zur Einwerbung von Projekten, die mit dem Ansatz der kritischen Friedensforschung nichts mehr zu tun haben. Eine weitere Folge der so eingeleiteten Entpolitisierung der Friedensforschung ist das Auseinanderdriften von Friedenswissenschaft und Friedensbewegung: Während die Friedensforschung sich in den 1970er und 1980er Jahren als Mit- und Vordenker der Friedensbewegung verstand und von dieser gefordert wurde, hat der Rückzug in den Elfenbeinturm die fruchtbare Interaktion zwischen beiden beendet. Mit den Produkten der etablierten Friedensforschung weiß die Friedensbewegung nichts mehr anzufangen – und die Friedensforschung bedarf der Friedensbewegung nicht mehr, kommt diese doch als ›Drittmittelgeber‹ nicht infrage. Jedoch scheinen sich jüngst neue Perspektiven zu eröffnen: Die Auseinandersetzungen im wissenschaftlichen Feld, der Kampf gegen die ›Verschlankung‹ der Hochschulen bis hin zur Schließung ganzer Einrichtungen, die Besetzungen von Hochschulen, der Bildungsstreik und der Kampf um Lehrstühle für kritische Wissenschaft oder kritische Tutorien lassen neue Verbindungen zwischen bildungspolitischen und friedenspolitischen Aktivitäten aufscheinen. Etwa wenn es um den Kampf für Zivilklauseln an den Universitäten (vgl. Gohlke in diesem Heft) oder um das Bündnis gegen die Präsenz der Bundeswehr in Schulen geht. Festzustellen ist: Die Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien in Forschung und Lehre hat die Bedingungen der Wissensproduktion nachhaltig verändert: Forschung muss sich über die Einwerbung von Drittmitteln auf dem Markt bewähren. Scheinbar unbemerkt wird so ein neuer Typus von WissenschaftlerIn produziert, die/der sich und ihre/seine Qualität selbst am Erreichten misst: Sitz in Kommissionen und Beratungsgremien, Zahl der Drittmittelprojekte und der dort (auf Zeit) beschäftigten MitarbeiterInnen. Politischer Einfluss auf die – schon immer nur vermeintlich unpolitische – Wissenschaft wird unmittelbarer. Für die Friedensforschung heißt dies, dass sie in ihrer Mehrheit eine Legitimation jener Strukturen betreibt, die zu kritisieren und zu bekämpfen die kritische Friedensforschung einmal angetreten war. Dies mündet geradlinig in den Neusprech von »mehr deutscher Verantwortung«. Dennoch mehren sich die Anzeichen (s. o.), dass der Widerstand gegen die neoliberale Formierung der Wissenschaft wächst und dass gerade die außen- und sicherheitspolitische Wende der deutschen Politik auch der kritischen Friedensforschung wieder Auftrieb gibt.