Melinda, du beschäftigst dich mit Reproduktionsarbeit in der globalisierten biomedizinischen Industrie und greifst dabei eine alte feministische Frage auf: Was wird im Kapitalismus eigentlich als »Arbeit« angesehen?

Melinda Cooper: Zusammen mit Catherine Waldby untersuchen wir die biomedizinische Industrie unter dem Aspekt verkörperlichter Arbeit. Dabei geht es um Eizell- und Gewebespenden, künstliche Befruchtung sowie die Teilnahme an medizinischen Experimenten. All das nennen wir klinische Arbeit, weil die in diesem Kontext entstehenden Konflikte beispielsweise um Eigentum von Zellmaterial oder die Zugänglichkeit medizinischer Forschungsergebnisse für uns nur aus der Perspektive von Arbeitsverhältnissen sinnvoll zu analysieren sind. Die Teilnahme an medizinischen Forschungsprojekten, klinischen Studien und an dem, was euphemistisch als Gewebespende bezeichnet wird, stellt heute offenkundig einen informellen Arbeitsmarkt am untersten Ende der Ökonomie dar. Der Verkauf von Körpermaterialien wie Blut, Eizellen und Spermien war zwar auch früher eine Option für Menschen ohne reguläre Einkommen. Bestimmte Entwicklungen lassen sich jedoch erst im Kontext einer Transnationalisierung von Dienstleistungen verstehen. Kommerzieller Keimzell-Tausch und bestimmte Formen klinischer Arbeit sind heute Teil eines globalisierten Handels – dies wurde erst durch die Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs durch GATS (General Agreement on Trade in Services) möglich.

Die Marginalisierung dieser Art von Arbeit reicht bis in die frühen Jahre des Fordismus und gibt Aufschluss über die fordistische Organisation der Produktion selbst. Bereits in der Marxschen Arbeitswerttheorie angelegt, prägen diese Konzepte bis heute die Vorstellungen dessen, was als Arbeit gilt: Im Fordismus wurde nicht nur klar zwischen der häuslichen Sphäre und dem Arbeitsplatz getrennt, sondern auch zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit. Außerdem ging es darum, Arbeitsrisiken einzuhegen – durch Sicherheits- und Gesundheitsvorschriften am Arbeitsplatz, durch gesetzliche Unfallversicherungen und wohlfahrtstaatliche Institutionen. Die beiden Formen von Arbeit, die wir untersuchen, entsprechen in keiner Hinsicht dieser Norm: Arbeit im Bereich assistierter Fortpflanzung umfasst die Produktion und Zirkulation reproduktiver Dienstleistungen außerhalb der häuslichen Sphäre – Vorläufer dieser Praxis finden sich am ehesten im Ammenwesen und in Milchbanken; und die Arbeit im Rahmen klinischer Studien setzt die ArbeiterInnen oder ProbandInnen systematisch den Risiken neuer medizinischer Behandlungen aus, die kaum abgefedert und erst recht nicht versichert werden können. Dass klinische Arbeit weder im konventionellen noch in irgendeinem juristischen Sinne als Arbeit anerkannt wird, wurde so für uns zum Forschungsgegenstand. Wir begannen eine Geschichte informeller oder extra-legaler Formen von Arbeit zu schreiben.

Im Postfordismus hat klinische Arbeit ihren Ausnahmestatus verloren. Die ehemalige Grenze zwischen formaler, produktiver und informeller, reproduktiver Arbeit existiert nicht mehr. Alle Arten reproduktiver Arbeit werden außerhalb der häuslichen Sphäre als Waren gehandelt. Und auch der Umstand, hohen Risiken ausgesetzt zu sein, ist im Postfordismus zur allgemeinen Bedingung von Arbeit geworden: Ein wachsender Teil der Lohnarbeitenden ist nicht mehr durch gesetzliche Sozial-, Kranken- und Unfallversicherung geschützt. Klinische Arbeit bleibt ein extremer Fall, insofern in den biologischen Körper eingegriffen wird, aber in struktureller Hinsicht gleicht sie anderen Formen postfordistischer Arbeit. Wir argumentieren deshalb, dass klinische Arbeit von einem Randphänomen zu einem charakteristischen Beispiel für Arbeit an sich geworden ist.

Was genau umfasst diese Art »klinischer Arbeit«?

Melinda Cooper: Anders als bei kommerzieller Spermienproduktion wird bei der Gewinnung von Eizellen extensiv hormonell und klinisch in den Körper der Verkäuferin eingegriffen, um ihre Reproduktionsraten und Zyklen zu verändern. Die Biologie der Verkäuferin wird zugunsten der Biologie der Käuferin verändert, ihr Zyklus auf den der anderen Frau abgestimmt. Zur Stimulation der Eierstöcke beispielsweise muss sich die Verkäuferin täglich einer komplexen hormonellen Behandlung unterziehen. Es geht letzten Endes um eine künstlich herbeigeführte, kurze Menopause, die Hitzewallungen und andere Symptome mit sich bringt. In der nächsten Phase wird ihr circa zwei Wochen lang bis zu zweimal täglich ein Follikel stimulierendes Hormon (FSH) verabreicht. Die Entnahme der Eizellen schließlich wird als ambulante Operation unter Kurznarkose transvaginal vorgenommen. Insgesamt ist es ein riskanter Eingriff und somit hoch riskante Arbeit.

Wie sieht der globale Arbeitsmarkt in diesem Sektor aus?

Melinda Cooper: In vielen Teilen der Welt vermitteln Kliniken für Reproduktionsmedizin assistierte Fortpflanzungsarbeit (Leihmutterschaften und den Verkauf von Oozyten) über nationale Grenzen hinweg. Sie kaufen die Dienste von Frauen an einem Ort und verkaufen diese an ältere oder unfruchtbare Frauen an einem anderen Ort. Die verschiedenen gesetzlichen Regelungen zu assistierter Reproduktion, die »Spenderinnen« involviert, unterscheiden sich stark: von vollständigen Verboten über streng auf Schenkung basierenden Regelungen oder Aufwandsentschädigungsmodellen bis hin zum Fehlen jeglicher Regulierung. Das daraus entstehende Patchwork der verschiedenen nationalen und regionalen Bestimmungen ergibt eine differenzierte Geographie aus Geboten und Verboten. Menschen, die sich ein Kind wünschen, können nationale Beschränkungen umgehen, indem sie in einen Rechtsraum reisen, in dem der Handel mit Oozyten oder Leihmutterschaften legal ist. Die nicht regulierten Märkte in manchen US-Bundesstaaten haben diese zu einem Hauptziel für FruchtbarkeitstouristInnen aus Australien, Kanada und Nordeuropa gemacht. Mittlerweile entstehen jedoch vor allem in Indien und Südeuropa neue Zentren, in denen assistierte Reproduktion ausgelagert wird. Sie stehen oft in direktem Preiswettbewerb mit den US-amerikanischen Einrichtungen, wobei die hohen Kosten auch US-Bürger veranlassen, Kliniken an billigeren Standorten aufzusuchen.

Aufgrund der Geographie des europäischen Oozyten-Marktes reisen Käufer aus dem Norden und Westen in die Kliniken im Süden und Osten. Die Länder mit den restriktivsten Gesetzgebungen zu Eizellenspenden konzentrieren sich in Nordeuropa (Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Schweden), während Spanien und Tschechien und außerhalb der EU auch Russland, die Ukraine und Zypern im Hinblick auf die Zahlung von Aufwandsentschädigungen die liberalsten Regelungen haben.

Das spanische Beispiel ist interessant: Spanien ist durch seine liberale Gesetzgebung europäischer Marktführer bei der Beschaffung von Oozyten. Die Anfänge der In-VitroFertilisation Mitte der 1980er Jahre fielen in Spanien mit einer Welle postfrankistischer liberaler Gesetzesreformen zusammen. Es entstanden günstige Bedingungen für eine privatwirtschaftliche Fertilisationsindustrie. Inzwischen gibt es ca. 300 Kliniken in unmittelbarer Nähe touristischer Zentren und Billigflughäfen. Im Grundsatz hält sich Spanien an die europäische Gesetzgebung, die den Handel mit Oozyten verbietet: Keimzellenspenden müssen freiwillig und anonym erfolgen, Spenderinnen dürfen nicht bezahlt, sondern nur entschädigt werden. In der Praxis fallen die »Entschädigungen« jedoch relativ hoch aus. Sie belaufen sich auf 900 bis 1200 Euro, was verglichen mit den in Großbritannien üblichen gut 300 Euro ziemlich viel ist. Verkäuferinnen werden vor allem aus zwei Gruppen rekrutiert: Einerseits sind es spanische und internationale Studentinnen, die so versuchen, ihre Lebenshaltungskosten und Studiengebühren zu decken; andererseits Immigrantinnen aus Lateinamerika und Osteuropa, die in der Landwirtschaft oder als Hausangestellte arbeiten. Der periodische Verkauf von Oozyten ist für diese Frauen ein nicht dokumentierter Zuerwerb. Die Menge junger Frauen aus Osteuropa, die in diesem Sektor arbeiten, ist Beweis für den Zusammenhang zwischen ökonomischer Unsicherheit und der Arbeit im Bereich assistierter Fortpflanzung: Seit dem Ende des Staatssozialismus arbeiten osteuropäische Frauen verstärkt im informellen Sektor – Schuld daran sind die hohe Arbeitslosigkeit, ihr Ausschluss aus den neuen Jobs im wachsenden privaten Sektor und geringe Löhne in den wenigen verbleibenden Stellen im öffentlichen Dienst. Diese wirtschaftliche Unsicherheit drängt viele junge Frauen in Formen der Selbstkapitalisierung wie den Verkauf von Oozyten.

Der europäische Oozyten-Markt ist außerdem Ausdruck einer breiteren Reorganisierung der sozialen Reproduktion – die Beziehungen zwischen Staat, Markt und Haushalt werden neu geordnet. Viele staatliche Leistungen im Bereich der Kinderbetreuung und Gesundheitsversorgung wurden abgeschafft oder privatisiert. In Westeuropa hat die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen außerdem zu einer großen Nachfrage an Unterstützung bei der Kinderbetreuung und Hausarbeit geführt, die durch den Import von Pflegearbeit aus Osteuropa gedeckt wird.

Silvia, neoliberale Verschiebungen im Feld der Reproduktion sind seit langem auch Gegenstand deiner Arbeit. Es wird argumentiert, dass das von dir in den 1970er Jahren mit geprägte Konzept der »reproduktiven Arbeit« für den fordistischen Kapitalismus angemessen war, als die Produktion in der Fabrik und die Reproduktion zuhause stattfand. Im Postfordismus verschwimmen die Grenzen. Wie hat sich der Charakter der Reproduktionsarbeit verändert und ist der Begriff noch sinnvoll?

Silvia Federici: Zweifellos hat der massive Eintritt von Frauen in Erwerbsarbeit die Organisation der Reproduktion entscheidend verändert – obwohl das kein globaler Trend ist: In vielen Teilen der Welt wurden Frauen aus bestehenden Anstellungsverhältnissen entlassen, vor allem in der Dritten Welt und den ehemaligen sozialistischen Staaten. Sicherlich hat der Zugang zu entlohnter Arbeit Frauen mehr Autonomie verliehen, die Geschlechterverhältnisse verändert und eine gewisse Entkopplung der Reproduktionsarbeit vom Geschlecht ermöglicht. Auch politische Kämpfe haben sich gewandelt. Heutzutage übernehmen mehr Männer Reproduktionsarbeit und begreifen dies als politisches Feld. In New York diskutieren wir zum Beispiel die Notwendigkeit »sich selbst reproduzierender Bewegungen«. Bewegungen also, die – wie die feministische – Widerstand nicht von der Transformation unseres Alltagslebens und unserer täglichen Reproduktion trennen wollen. Die zentrale Rolle, die Reproduktion in der Occupy-Bewegung gespielt hat, ist ein gutes Beispiel für diesen Trend.

Trotz allem sind viele Gender-Hierarchien nach wie vor intakt, der Großteil der Frauen hat die häusliche Sphäre nicht verlassen, auch wenn sie einen zweiten Job haben, und der überwiegende Teil reproduktiver Arbeit bleibt unbezahlt. Neue Studien zeigen, dass Kindererziehung nach wie vor den größten Anteil der weltweit geleisteten Arbeit ausmacht – und dass diese immer noch vor allem von Frauen ohne Entlohnung geleistet wird. Wenn man die Versorgung von Pflegebedürftigen, Alten und Kranken hinzunimmt, wird deutlich, dass die häusliche Sphäre nach wie vor ein zentraler Ort der Produktion von Arbeitskräften ist. Die Globalisierung der Sorgearbeit hat an dieser Tatsache nichts verändert. Hinzu kommt, dass zwar viel Arbeit das Haus verlassen hat, aber mindestens ebensoviel Arbeit ins Haus zurückgekehrt ist. Die Reform der Gesundheitsversorgung und die Finanzkrise haben einen großen Anteil unbezahlter Arbeit wieder in die Haushalte zurückgetragen. Als Folge von Kürzungen im Gesundheitswesen werden in den USA heute Leistungen, die zuvor in Kliniken von geschultem Personal erbracht wurden, zuhause vorgenommen. Es sind auch hier überwiegend Frauen, die solche teils riskanten Tätigkeiten verrichten, für die sie nicht ausgebildet wurden, wie zum Beispiel Katheter legen oder Dialyse durchführen. Die fortgesetzten Desinvestitionen des Staates aus reproduktiven Dienstleistungen beschleunigen diesen Trend.

Die globale Ausweitung informeller Heimarbeit (vom Textil- bis zum Elektrosektor) während der 1980er und 1990er Jahre zeigt auch, dass unbezahlte Arbeit im Haushalt auch andere Arten von atypischer Arbeit anzieht. Erst die Verpflichtung der Frauen, auf ihre Kinder aufzupassen, macht die Ausweitung industrieller Arbeit in die Sphäre des Häuslichen hinein möglich. Entscheidend ist dabei, wie David Staples in No Place like Home (2006) zeigt, dass das Kapital versucht, das Modell der häuslichen Arbeit als Vorbild für eine Reorganisierung der Arbeit zu nehmen. Heimarbeit isoliert die ArbeiterInnen voneinander und ist nicht gewerkschaftlich organisiert, was zu niedrigen Löhnen führt. Selbst wenn Hausarbeit als Dienstleistung erbracht wird, wird sie von Frauen geleistet und unterliegt nach wie vor den Bedingungen von Arbeit in der häuslichen Sphäre. Tatsächlich besteht ein direkter Zusammenhang zwischen den Niedriglohn-Jobs, die Frauen bekommen, wenn sie außerhalb ihres Haushaltes arbeiten, und der riesigen Menge unbezahlter Arbeit, die sie zuhause leisten müssen.

Wir sollten also nicht voreilig behaupten, dass reproduktive Arbeit verschwunden sei oder das Haus verlassen habe. Im Gegenteil: Die Tatsache, dass ein Teil der Hausarbeit heute marktförmig organisiert wird, macht die unbezahlte Arbeit, die Frauen zu Hause leisten, noch unsichtbarer als vorher und lässt sie noch stärker als selbstverständlich und als individuelle Verantwortung erscheinen. Dies stellt die feministische Theorie vor neue Herausforderungen.

In den 1970er Jahren warst du Teil der internationalen Kampagne »Lohn für Hausarbeit«, die ein politischer Ausdruck einer feministischen Kritik an Marx war. Du beziehst dich auch heute auf diese Überlegungen, um die aktuelle Situation im Neoliberalismus zu analysieren. Kannst du diese kurz umreißen?

Silvia Federici: Wir argumentierten, dass die Marxsche Analyse eine beschränkte Perspektive auf die kapitalistische Produktionsweise bietet: Die Produktion wird auf Warenproduktion für den Markt, Arbeit auf Lohnarbeit reduziert. Dies blendet aus, dass die Reproduktion der Arbeitskraft, also die Fähigkeit der ArbeiterInnen zu arbeiten, essenzieller Bestandteil der kapitalistischen Organisation von Arbeit ist. Diese Arbeit wird nicht in Fabriken verrichtet, sondern in der häuslichen Sphäre. In der Geschichte des Kapitalismus wurde und wird diese Form der Arbeit vor allem von Frauen geleistet, sie wurde feminisiert.

In der Kampagne »Lohn für Hausarbeit« artikulierten wir ein neues theoretisches Verständnis von Hausarbeit. Aus einer marxistischen Perspektive verstanden wir darunter alle Tätigkeiten, die die Arbeitskraft produzieren und reproduzieren, also Arbeitskräfte hervorbringen und regenerieren. Mit »Reproduktionsarbeit« bezeichneten wir also nicht nur das, was gewöhnlich mit Hausarbeit assoziiert wird, sondern auch Kinder austragen und gebären, versorgen und erziehen, sexuelle und emotionale Arbeit. Der Begriff soll auf den repetitiven Charakter dieser Tätigkeiten verweisen. Marx denkt die Reproduktion der Arbeitskraft nur innerhalb der Sphäre der Warenproduktion – die ArbeiterInnen reproduzieren sich, indem sie Waren konsumieren, die sie von ihrem Lohn kaufen. Wir weiteten das Konzept aus, auf all die unbezahlte Arbeit, die zuhause, außerhalb der Sphäre der Warenproduktion, zur Reproduktion der ArbeiterInnen notwendig ist. Das war zentral. Der Begriff verweist außerdem auf das Marxsche Konzept der »gesellschaftlichen Reproduktion« – also alle Aktivitäten, durch die der Kapitalismus sich selbst und die Klassenverhältnisse reproduziert. Damit ist die herrschaftliche Dimension von Reproduktionsarbeit angesprochen:

Engels argumentiert, dass geschlechtsspezifische Diskriminierung aus dem Ausschluss von Frauen aus der gesellschaftlich notwendigen Produktion resultiert. Dem hielten wir entgegen, dass die von Frauen geleistete Arbeit, die Produktion der Arbeitskraft, im Kapitalismus die wichtigste Form der Produktion überhaupt ist, da ohne sie keine andere Produktion möglich wäre. Die materielle Grundlage geschlechtlicher Arbeitsteilung und der damit einher gehenden Unterdrü- ckung besteht stattdessen in der Trennung der Sphären, der naturalisierten Zuweisung bestimmter Tätigkeiten als »Frauenarbeit« und vor allem deren Nicht-Entlohnung. Darin liegt die Basis der Unterordnung von Frauen, ihrer ökonomischen Unselbständigkeit und auch der besonderen Stellung, die Frauen dann auch auf dem Arbeitsmarkt zukommt: niedrigere Löhne, geringfügige Beschäftigung, fehlende Anerkennung, Prekarität etc. Auch als Lohnarbeit bleibt Frauenarbeit weitgehend auf Tätigkeitsfelder beschränkt, die eine Fortsetzung der häuslichen Arbeit darstellen und entsprechend gering geschätzt und schlecht entlohnt werden.

Welche neuen Einsichten in die Funktionsweisen des Kapitalismus zeigte eure Reformulierung auf?

Silvia Federici: Unser theoretischer Ansatz half uns nicht nur, die Stellung der Frau im Kapitalismus klarer zu verstehen, sondern auch das Spezifikum kapitalistischer Verkehrsverhältnisse. Die Abwertung von Reproduktion ist nicht kontingent, sondern ein strukturelles Merkmal des Kapitalismus. Im Laufe seiner Geschichte wurde diese Abwertung kontinuierlich aktualisiert, um die Kosten der Arbeitskraft niedrig zu halten. Notwendige Voraussetzung für das Entstehen des Kapitalismus war entsprechend nicht nur die Trennung der ArbeiterInnen von den Produktionsmitteln, sondern auch die Trennung der Sphäre der Warenproduktion von der der Reproduktion der Arbeitskraft. Letztere wurde als »nicht ökonomische Tätigkeiten«, als Nicht-Arbeit, als »Liebesarbeit« oder eben als »Frauenarbeit« bezeichnet.

Sexismus ist also, wie Rassismus auch, ein strukturelles Merkmal des Kapitalismus. Diese Analyse verdeutlicht, dass der Kapitalismus an sich nicht nachhaltig ist, da er offensichtlich strukturell auf die Abwertung von uns Menschen und den entsprechenden Tätigkeiten angelegt ist. Es ist unmöglich, die Produktion der Arbeitskraft zu entwerten, ohne gleichzeitig die Individuen zu entwerten, die ihr Träger sind. Reproduktionsarbeit ist somit ein strategischer Angriffspunkt auf die Art und Weise, wie sich der Kapitalismus selbst reproduziert: Durch die Lohnverhältnisse wird unbezahlte Arbeit ausgebeutet, ganze Bereiche von Ausbeutung verschleiert und die Arbeiterklasse gespalten. Durch den Lohn wird auch Macht über die nicht entlohnten Arbeitskräfte an die entlohnten Arbeitskräfte delegiert, also eine Spaltung geschaffen. Diese Macht beginnt mit der Kontrolle und Beaufsichtigung der weiblichen Körper und ihrer Arbeit.

Unsere Perspektive erweiterte außerdem den Begriff des Klassenkampfes. Ort des Klassenkampfes ist für Marx die Fabrik oder allgemeiner der entlohnte Arbeitsplatz. Aber mit der Erweiterung des Arbeitsbegriffs erweitern sich auch die Orte potenzieller Arbeitsverweigerung. Wir hatten Klassenkampf in den Schlafzimmern und Küchen vor Augen und gaben dem Konzept »das Private ist politisch« eine neue Bedeutung. Den Einbruch der Geburtenraten interpretierten wir z.B. als Verweigerung von Frauen, Reproduktionsarbeit zu leisten.

Verändert sich durch diese Analyse auch der Stellenwert der Reproduktion in den politischen Kämpfen?

Silvia Federici: Gerade in diesem historischen Moment scheint es mir entscheidend, die Frage der Reproduktionsarbeit in den Fokus zu rücken: Die globale Krise des Kapitalismus gefährdet unsere grundlegendsten Formen und Mittel der Reproduktion. Gleichzeitig ist die Frage der Reproduktionsarbeit im Zentrum politischer Diskurse und Organisierungsprozesse angekommen, wie die Erfahrungen der »Bewegungen der Plätze«, der Occupy-Bewegung und das wachsende Interesse an der Frage der Commons zeigen.

Der Neoliberalismus hat zwei wichtige Veränderungen in der Organisierung der gesellschaftlichen Reproduktion herbeigeführt. Erstens wurde eine Deinvestition des Staates aus der Reproduktion der Arbeiterklasse vollzogen (gemeinhin als Ende des Wohlfahrtsstaates bezeichnet). Dies wird zweitens begleitet von einer zunehmenden »Finanzialisierung der Reproduktion«, die jeden Bereich gesellschaftlicher Reproduktion unmittelbar in einen Akt der Akkumulation zu verwandeln sucht.

Es ist wichtig, diese Verschiebungen vor dem Hintergrund der Kämpfe der 1960er Jahre zu sehen, die nicht nur in den Fabriken, sondern auch in den Schulen, auf den Feldern und in den Küchen und Schlafzimmern dieser Welt geführt wurden. Diese Kämpfe haben die Hoffnung schwinden lassen, dass Investitionen in die Reproduktion der ArbeiterInnen sich in Form einer produktiveren, disziplinierteren Arbeiterklasse auszahlen würden. Stattdessen wird nun versucht, dies über den Markt zu regeln und auch Reproduktion unmittelbar produktiv zu machen. Dies geschieht durch die Einführung von Schulgebühren sowie durch die neoliberale Ideologie einer »Investition in das Selbst« (vgl. Hochschild in diesem Heft). Die Figur der »Arbeiterin« wird ausgelöscht und durch die Figur der »Mikro-Unternehmerin« ersetzt, welche in ihre eigene Bildung, Rente und Gesundheitsversorgung investiert. Es ist kein Zufall, dass Schulden zu einem alles durchdringenden Instrument der Akkumulation geworden sind. Sie sind Teil dieser Ideologie und dieses Disziplinarregimes. Die umfassende Verschuldung erweckt den Eindruck, wir alle seien »Kapitalisten«, die sich kleine Kapitalsummen von Banken leihen, um sie in Projekte zu investieren, die uns selbst auf- und verwerten sollen. Für den Erfolg oder das Scheitern dieser Projekte seien wir ganz allein selbst verantwortlich (vgl. Wichterich in diesem Heft).

Es stimmt, dass die Trennlinie zwischen Produktion und Reproduktion oft dünn geworden ist. Aber die Tatsache, dass der Großteil der Reproduktionsarbeit nach wie vor nicht entlohnt wird, ist Grund genug, die Unterscheidung beizubehalten. Ungeachtet veränderter Familienstrukturen und Lebensbedingungen bleibt doch die häusliche Sphäre der Mittelpunkt reproduktiver Tätigkeiten. Hier werden unbezahlte Dienste erbracht und Kürzungen der Sozialleistungen aufgefangen. Außerdem gibt es nach wie vor große Vorbehalte gegen kollektive Formen der Reproduktion – z.B. setzen alte Menschen, die sich nicht mehr allein versorgen können, alles daran, nicht in einem Pflegeheim leben zu müssen, in denen ihnen aufgrund von Kürzungen und Personalmangel nicht die nötige Versorgung zukommt.

Aber der wichtigste Grund, Produktion und Reproduktion zu unterscheiden, ist, dass wir den grundlegendsten Aspekt der kapitalistischen Akkumulation nicht aus den Augen verlieren dürfen: die systematische Abwertung der Reproduktionsarbeit. Wenn der Kapitalismus die Individuen und das Leben an sich abwertet, dann ist es ein System, dem wir uns in allen unseren Kämpfen widersetzen müssen.

Melinda, wie ordnest du die wachsende Bedeutung von assistierter Fortpflanzung in diesem Kontext ein und wie hat der Neoliberalismus die »klinische Arbeit« geformt? 

Melinda Cooper: Der Aufstieg der assistierten Fortpflanzung ist kein unausweichlicher Effekt einer technischen Neuerung. Er ereignet sich vielmehr als Symptom der dramatischen Verschiebungen an der Schnittstelle zwischen Haushalten und dem Arbeitsmarkt während der 1960er und 1970er Jahre. Wie Silvia ausgeführt hat, war die Krise des Fordismus auch eine des fordistischen Haushalts, mit seiner engen Verbindung zum keynesianischen Wohlfahrtstaat und dem »Familienlohn«. Als weiße Frauen die Haushalte verließen, um sich dem Heer der Lohnarbeitenden anzuschließen, ließ der Postfordismus das »Private« zur Arbeit werden. Der Arbeitsmarkt wurde entlang von Dienstleistungen neu strukturiert, die zuvor unbezahlt zuhause erbracht worden waren. In den USA geriet zudem die Arbeitsteilung entlang rassistischer Linien in die Krise. Eine beispiellose Anzahl von schwarzen Frauen verließ in den 1960er und 1970er Jahren ihre Anstellungen als Bedienstete in weißen Haushalten. Dadurch, dass sie besser bezahlte Stellen in Büros oder als Angestellte annahmen, verkleinerten sie mit der Zeit die Differenz zwischen ihren Löhnen und denen der weißen Frauen. Was wir heute »Dienstleistungsgesellschaft« nennen, ist das Produkt dieser doppelten Fluchtbewegung. Der Postfordismus internalisierte die Krise des fordistischen Haushalts, indem er Frauen in eine hierarchische Dienstleistungsökonomie eingliederte und die Arbeit, die im Rahmen von Dienstleistungen erbracht wird, ins Zentrum seines Akkumulationsregimes rückte. Beim Übergang zum Postfordismus ging es nicht nur um die vertikale Desintegration der nationalen Produktion und der großen Konzerne, sondern auch wesentlich um die des fordistischen Haushalts. Die interne Arbeitsteilung des fordistischen Haushalts wurde ersetzt durch verschiedene horizontale, vertraglich geregelte Dienstleistungsverhältnisse. Diese umfassen neben traditionellen reproduktiven Tätigkeiten eben auch die neuen, technisch ermöglichten reproduktiven Dienstleistungen im Bereich der assistierten Befruchtung und des Austragens von Kindern. Die Arbeit in diesem Bereich ist also exemplarisch für die Verallgemeinerung der Dienstleistungsverhältnisse in der Reproduktionsarbeit unter postfordistischen Bedingungen.

Die neuen Technologien der assistierten Fortpflanzung machten es möglich, die an sich biologischen Elemente der menschlichen Reproduktion in eine Reihe von einzelnen Fragmenten zu zerlegen, die jeweils von verschiedenen Dienstleistern erbracht werden können. So kommt es zu einem Outsourcing einzelner Momente und Funktionen des Reproduktionsprozesses an unabhängige Dienstleister außerhalb des juristischen Rahmens der Familie oder der Nation, ohne die juristische Einheit der postfordistischen Familie zu unterlaufen.

Aus dem Englischen von Tashy Endres