sondern »zum großen Teil von der Existenz von Personen mit außerordentlicher Willenskraft und außerordentlichem Willen abhängt«, die Phase, wenn noch nicht gesichert ist, dass die Partei auf Dauer besteht und dass sie ihre Kernanliegen, ihre Antwort auf die großen Probleme, irgendwann dem »Staat« einschreiben wird, so oder so. Gramsci nennt drei Gruppen, die eine Partei braucht, damit ihre Existenz halbwegs gesichert ist: Auf der einen Seite steht die zahlenmäßig größte Gruppe der Mitglieder und Anhänger der Partei – jene, die sich auf sie beziehen und die sie unmittelbar erreicht, die aber keine besondere Verantwortung in der und für die Partei übernehmen. Die Basis im klassischen Sinn, innerhalb und außerhalb der Partei. Über diese Schicht ist Partei mit der Gesellschaft und ihren Klassen und Schichten verbunden, wird durch sie von der sozialen Wirklichkeit erreicht und hat an ihr teil. Auf der anderen Seite sieht Gramsci die zahlenmäßig geringe Gruppe der nationalen Führungsfiguren der Partei. Es sind die big guns der Partei, ihre »Heerführer«, die »auf nationalem Gebiet zentralisierend« wirken und »ein Ganzes von Kräften wirksam und mächtig werden« lassen, das ohne dieses Zusammenwirken wenig ausrichten könnte. In seinem Referat benennt Gramsci konkret, dass diese Schicht »gewöhnlich aus Parlamentariern und oft eng an die herrschende Klasse gebundenen Intellektuellen besteht«. Es sind die Schlachtschiffe der Partei, die sie in die nationale Auseinandersetzung schickt, da wo Sichtbarkeit und Öffentlichkeit hergestellt wird. Und dann gibt es ein »mittleres« Element, eine »Zwischenschicht«, die »in der aktuellen Situation eine noch größere Bedeutung hat, als sie in normalen Zeiten hätte«. Es ist diejenige Personengruppe, welche die Schicht der Anhänger und Mitglieder mit der Schicht der big guns »verbindet«, die beiden anderen Elemente »nicht nur in physische, sondern moralische und intellektuelle Berührung bringt«. Es sei »häufig die einzige aktive und politisch lebendige Schicht dieser Partei«. Sie spürt die Probleme der Partei, ebenso ihre Chancen, sie gestaltet ihren Alltag und stellt in der Praxis fest, was von der derzeitigen Orientierung funktioniert und was nicht. Es ist »diese Zwischenschicht, die die Verbindung zwischen der obersten Führungsgruppe und den Massen der Partei und der von der Partei beeinflussten Bevölkerung aufrecht erhält«. Diese Gruppe, so Gramsci, ist die entscheidende. Wenn sie existiert, existiert die Partei dauerhaft. Diese »Zwischenschicht« ist notfalls in der Lage, neues Führungspersonal hervorzubringen, so wie sie in der Lage ist, Anhänger zu werben und Mitglieder zu gewinnen, aber sie selbst kann nur schwer von den anderen beiden Gruppen produziert werden, wenn sie ausfällt. Auf diese Schicht richten sich daher auch alle Versuche, die Partei mit unnormalen, außerordentlichen Mitteln zu zerstören: Verhaftung, Berufsverbote, Terror. Wenn diese Zwischenschicht existiert und lebendig zusammenarbeitet, kann die Partei dagegen mit »normalen Mitteln« nicht zerstört werden. Sie wird Krisen, Wahlniederlagen, strategische Sackgassen, regionale Spaltungen, inhaltliche Spannungen und ökonomischen Druck aushalten und überwinden können, denn sie besitzt ein »Ferment«, aus dem heraus sie bilden kann, was sie braucht. Diese »zweite Gruppe« entsteht, weil sich »die eiserne Überzeugung gebildet [hat], dass eine bestimmte Lösung der lebenswichtigen Probleme nötig ist«. Weil sich ihre Mitglieder darüber im Klaren sind, dass sie die Partei brauchen, um ihre in tiefem Sinn politischen, gesellschaftlichen Ziele zu erreichen.

Die LINKE: big guns, Mitglieder, ­Ehrenamtliche

Aus der Erfahrung von Die Linke ist Gramscis Schichtenmodell unmittelbar einleuchtend und anschaulich. Auch in Der Linken besteht die Gruppe der big guns ausschließlich aus Parlamentariern. Es sind die Mitglieder des geschäftsführenden Parteivorstands, der Bundestagsfraktion und der Vorstände der Landtagsfraktionen, in weiterem Sinne überhaupt ihre Parlamentarier ab der Landesebene aufwärts. Es sind die einzigen »Berufsrevolutionäre«, die sich die Partei leistet, gerade weil sie sich diese Gruppe nicht selbst aus ihrem Etat leisten muss. Auch in Der Linken steht diese Gruppe für die Aufgaben des Parteiaufbaus und des »lebendigen« Parteiprozesses meist nur sehr eingeschränkt zur Verfügung, einfach weil diese Gruppe mit anderen Dingen beschäftigt ist. Den Alltag der Partei können sie nicht tragen, die Verbindung zur breiten Schicht der Mitglieder und der Anhänger nicht selbst aufrechterhalten. Sie sind das Aushängeschild der Partei, sie haben Zugang zu den Ressourcen Personal, Budget und Öffentlichkeit. Auf die personelle Zusammensetzung dieser Gruppe richten sich letztlich alle Machtkämpfe in der Partei. Denn während das Papier der Parteitagsbeschlüsse geduldig ist, setzt diese Gruppe durch ihr konkretes Handeln und ihre unvergleichlichen Ressourcen unmittelbar Politik. Was die Mitglieder dieser Gruppe in der Öffentlichkeit tun, bestimmt, wie die Partei wahrgenommen wird, welche Kraft sie im Verhältnis zu den anderen politischen Kräften ausstrahlt, ob sie glaubwürdig wirkt und politische Intelligenz ausstrahlt. Sie machen nicht die Gestalt der Partei – das machen diejenigen, die mobilisieren, demonstrieren, intervenieren, integrieren, also die gemeinsame Aktivität der Mitglieder, Anhänger und Aktiven. Aber sie machen das Bild der Partei, und niemand kann es an ihnen vorbei korrigieren, niemand erfolgreich versichern, »so sind wir gar nicht«. Es ist eine Frage der politischen Kultur, diese Gruppe der big guns (allesamt Parlamentarier), ihre speziellen Ressourcen – Personal, Budget, Öffentlichkeit – nicht für die Arbeit der Partei nach außen zu verwenden, sondern sie statt dessen nach innen zu richten, damit sich der Wille der Partei so und genau so bildet, wie es ihren eigenen Vorstellungen und innerparteilichen machtpolitischen Zielsetzungen entspricht. Es ist eine Frage der Erziehung durch die »Zwischenschicht«, durch die Gruppe der überdurchschnittlich Aktiven und der ehrenamtlichen Funktionäre der Partei, ob die big guns sich daran gewöhnen, dass sie das nicht dürfen und dass sich der Versuch nicht auszahlt für sie. Die Basis, die breite Schicht der Mitglieder und Anhänger, kann diesen Versuch nicht zurückweisen. Sie ist zu wenig in das Innere der Partei involviert und engagiert, um sich vor den Manipulationen zu schützen, die sich mit großen Ressourcen bewegen lassen. Daher hängt diese Zivilisierung und Erziehung von der Zwischenschicht ab, die sich jenseits aller inhaltlichen Differenzen und Debatten einig sein muss, dass der »lebendige Prozess« der Partei eigenständig bleiben muss und nicht einseitig von den Bedürfnissen und Interessen der big guns getaktet werden darf. Wenn das passiert, stirbt dieser lebendige Prozess ab. Dann werden keine Orientierungen mehr entwickelt, sondern nur noch Waffen in der innerparteilichen Auseinandersetzung. Die Partei ist kein Instrument der gegenseitigen Aufklärung, Ermächtigung und Selbstveränderung mehr, sondern nur noch ein Wahlverein. Wenn der »lebendige Prozess« abstirbt, stirbt mit ihm auch die »Zwischenschicht« ab, von deren Existenz die langfristige Existenz der Partei abhängt. Einfach, weil sie keine Lust mehr hat, weil der persönliche Aufwand, sich genau hier zu engagieren, nicht mehr zu rechtfertigen ist.

Wo stehen wir? Die Erschöpfung der »Zwischenschicht«

Die Linke befindet sich grundsätzlich in einer Phase, wo ihre langfristige Existenz noch nicht gesichert ist, wo sie noch mit »normalen« Mitteln zerstört werden, an »normalen« Problemen scheitern kann. Die aktuelle Situation ist von der Gefahr bestimmt, dass die Machtkämpfe zwischen den big guns auf eine Weise ausgetragen werden, die die »Zwischenschicht« zerstört. Man merkt das daran, dass ALLE Mitglieder dieser Zwischenschicht – die Aktiven und Ehrenamtlichen, die mehr Verantwortung übernehmen als durchschnittliche Mitgliedschaft – sich derzeit regelmäßig die Frage stellen: Wie lange gibt es uns noch, und wie lange bin ich noch dabei? Es wäre verkürzt, das als Schuldzuweisung »nach oben« zu lesen. Es ist genauso die »Schuld« der Zwischenschicht der Aktiven und Ehrenamtlichen, die diese Machtkämpfe reproduziert, teilweise sogar fordert, anstatt sie zu begrenzen und in die Schranken zu weisen. Entscheidend für das Schicksal der Partei ist, dass die Zwischenschicht bei all ihren inhaltlichen und strategischen Differenzen untereinander, die sie hat, ein gemeinsames strukturelles Interesse verteidigt: Dass Machtkämpfe nicht auf ihrem Rücken ausgetragen werden. Dass Beschlüsse der Partei autonom und bindend sind. Dass Parlamentarier an ihrem politischen Output gemessen und nicht dafür belohnt werden, dass sie mit ihren spezifischen Ressourcen die innerparteiliche Willensbildung manipulieren. Dass Positionen und Arbeit der Partei nicht vollständig davon abhängig gemacht werden, was in »den Medien« gut kommt (und es kommt immer das gut, was näher am gesellschaftlichen Mainstream liegt). Dass die Partei kein Werbefeldzug für ein Produkt ist, das man gegebenenfalls dem Markt anpasst, sondern selbst eine »große Produktion«, wie Brecht sagt, der man kein industrielles Korsett aufzwingen kann. Diese fünf Punkte sind das Minimum an struktureller Zivilisierung der »Oberschicht« und an innerparteilicher Solidarität, das von einer selbstbewussten »Zwischenschicht« eingefordert und durchgesetzt werden muss, um den Bestand der Partei zu sichern. Und schön wäre es, wenn ihre Leitungsstrukturen sie dabei unterstützen würden. Stattdessen dominiert teilweise die Haltung, ein fundamentaler innerparteilicher Sieg, eine Korrektur der Positionen, der personellen Besetzungen oder gar eine »Bereinigung« durch Austritte würde zur Stabilisierung der Partei beitragen, weil sich dann die »richtige« Strategie durchsetzt. Dabei gibt es gute Gründe dafür, warum sich keine der von verschiedenen Gruppen als »richtig« angesehenen Strategien mit »normalen«, also diskursiven Mitteln durchsetzt. Beide bislang gebräuchlichen Haupt-Strategien sind erschöpft und überholungsbedürftig. Das gilt für die West-Strategie, schnelles Parteiwachstum zu erreichen, indem man sich alleine auf die Ausbeutung der Schwäche der SPD konzentriert (und sich der sozialdemokratischen Anhängerschaft als Instrument anbietet, die SPD zu bestrafen und dadurch auf deren Kurs Einfluss zu nehmen). Es gilt genauso für die Ost-Strategie, gesellschaftliche Anerkennung zu erreichen, gerade indem man die inhaltliche Nähe zu den etablierten Parteien betont (und sich dadurch großen Teilen der Wählerschaft als Instrument anbietet, das Stigma des unterlegenen deutschen Teilstaats und der eigenen »falschen« Vergangenheit abzuarbeiten). Es wird Zeit, beide Strategien als gefährlich zu erkennen, weil sie letztlich auf »fremden Interessen« basieren, die auf Dauer nicht ausreichen, das Überleben der Partei zu sichern.

Für ein Programm zur Stärkung der Zwischenschicht

Was die Partei mindestens so dringend braucht wie ein Grundsatzprogramm, ist ein Programm zur gezielten Stärkung der Zwischenschicht. Dazu gehören zwei Dinge. Zum einen muss man die »mittlere« Gruppe darü- ber diskutieren lassen, wie es weitergeht und wie die Probleme gelöst werden können. Aktuell gibt es in der Partei gar keine Vorstellung davon, was eine Strategiedebatte überhaupt ist – das wurde auch bei der Strategiekonferenz der Landesverbände in Potsdam deutlich. Eine breit geführte Strategiedebatte würde die Partei stärken, denn ihre strategischen Probleme sind auch Probleme der gesamten Linken in einer sich verändernden politischen Gesamtsituation. Dafür braucht die Zwischenschicht organisatorische Unterstützung und die nötigen Ressourcen. Strategiedebatten sind eine eigenständige Anstrengung, die organisiert werden muss. Zum anderen muss man die »mittlere« Gruppe entlasten. Dazu gehört eine Entspannungspolitik zwischen den machtpolitischen Großlagern in der Partei, denn die machtpolitischen Konflikte auf der Bundesebene schlagen sich in unzähligen Fernbeben und einer kaum zu beherrschenden Kultur des Misstrauens und der Grabenkriege vor Ort nieder. Dazu gehört, dass die Bundesebene sich um die Beendigung des Zustands kümmert, dass in unzähligen Bereichen fünf Jahre nach der Fusion keine geklärten oder konsistenten Verfahren, Regeln und Alltagsprozesse existieren. Dazu gehört, dass der konstitutive Kompromiss bezüglich der Trennung von Amt und Mandat – »keine vollständige, aber eine substanzielle Trennung« – umgesetzt wird: Eine Parteiführung, die nur aus Abgeordneten besteht, kann die Eigenständigkeit der Partei nicht gewährleisten. Und dazu gehört, dass die Ressourcen der Partei und der Fraktionen stärker daraufhin umorganisiert werden, die Zwischenschicht der Partei zu stärken und zu entlasten. Eine nahezu komplett ehrenamtliche Partei, die kaum Einfluss darauf hat, wie der parlamentarische Arm seine ungleich größeren Ressourcen einsetzt, ist kein zukunftsfähiges Modell. Es gilt in der aktuellen Situation der Partei als »unpolitisch«, so etwas zu fordern. Aber es ist das Politischste, was eine Partei tun kann, die Regeln und Strukturen ihrer Kooperation zu klären. Die Apparat-bezogenen Entscheidungen, die von den einen als »das macht man so wie jede ordentliche Partei« verteidigt und von den anderen als »bürokratisches« Thema geringgeschätzt werden, in den Raum der politischen Bewertung, demokratischen Infragestellung und bewussten Entscheidung zurückzuholen, ist eine entscheidende Aufgabe in der derzeitigen Phase. Weil, wie Gramsci zu Recht ausführt: Wer seine Zwischenschicht endgültig verschlissen hat, kann den Laden dicht machen.  

Literatur

Antonio Gramsci: Gefängnishefte, Hg. v. WF. Haug, Klaus Bochmann und Peter Jehle, Hamburg 1996