Der neue Schub der Digitalisierung könnte zu weitreichenden Umbrüchen in der Arbeit und im Alltagsleben führen. Oft wird dies eher als Bedrohungsszenario diskutiert (vgl. Krämer in diesem Heft). Die deutliche Steigerung der Arbeitsproduktivität und neue Formen der Produktion können aber auch Chancen eröffnen für ein stärker selbstbestimmtes Arbeiten und Leben, für eine sozial gerechtere und ökologische Gestaltung der Wirtschaft – und für neue Formen der Demokratie, die Alltag und Arbeit einschließen. Nur eines ist sicher: Von sich aus wird die technologische Entwicklung nicht zur Emanzipation führen. Ohne Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit wird die Digitalisierung bestehende Tendenzen der Prekarisierung, Entgrenzung und Spaltung der Arbeitsgesellschaft sowie der Aushöhlung der Demokratie verschärfen. Die Politik der Bundesregierung weist trotz aller Bekenntnisse zu »guter Arbeit« genau in diese Richtung. Andrea Nahles will zwar im Rahmen der Diskussionen um »Arbeit 4.0« das Normalarbeitsverhältnis neu definieren (vgl. BMAS 2015). Angesichts der bestehenden Prekarisierung und Spaltung der Arbeitsgesellschaft ist dies auch sinnvoll und notwendig. Allerdings bleiben konkrete Vorschläge zur sozialen Absicherung von Solo-Selbstständigen und zur Anpassung des Arbeitsrechts an neue Beschäftigungsformen wie Crowd- und Cloudworking (vgl. Altenried in diesem Heft) ebenso aus wie Maßnahmen zur Bekämpfung prekärer Beschäftigung. Die »digitale Agenda« der Großen Koalition ist im Kern eine milliardenschwere öffentliche Subvention für private Konzerne, die darauf abzielt, das neoliberale und exportdominierte Wirtschaftsmodell angesichts von zunehmender Standortkonkurrenz abzusichern. Angesichts dessen besteht die Gefahr, dass von der Digitalisierung nur eine kleine Gruppe hoch qualifizierter und mobiler SpezialistInnen profitiert, während die Prekarisierung weiter zunimmt: durch »hochtechnologische Arbeitslosigkeit« (Haug), den Abstieg größerer Teile der FacharbeiterInnen in ein wachsendes Segment eines »Cyber-Prekariats«, das zwischen unsicherer Beschäftigung, Solo-Selbständigkeit und Arbeitslosigkeit pendelt. Die gesellschaftliche Linke sollte dem ein eigenes Projekt entgegensetzen, das ausgehend von Kämpfen um die Gestaltung der Arbeit Perspektiven eines gesellschaftlichen Pfadwechsels, einer großen Transformation über den neoliberalen Kapitalismus hinaus eröffnet. Was in einer Gesellschaft als selbstverständlich gilt, welche Vorstellungen von guter Arbeit und einem guten Leben sich gesellschaftlich verallgemeinern (lassen), ist eine Frage der (Klassen-)Kämpfe um die Hegemonie. Es geht darum, Ansprüche der verschiedenen Gruppen der Lohnabhängigen auf gute Arbeit und ein gutes Leben – auf das, was selbstverständlich sein sollte in einer reichen Gesellschaft – so zu formulieren, dass sie zu gesellschaftspolitischen Forderungen für eine andere Regulierung der Arbeit werden. Dies darf jedoch kein einfaches Zurück zum alten, an der männlich geprägten Realität der Industriearbeit ausgerichteten ›Normalarbeitsverhältnis‹ bedeuten.
Für ein Neues Normalarbeitsverhältnis
Arbeit muss für alle sicher, planbar und kürzer, geschlechtergerecht und gerecht verteilt, selbstbestimmter und demokratischer gestaltet werden. Konkret heißt das: Zukunft muss planbar sein und braucht Tarifverträge für alle: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) will die Digitalisierung nutzen, um prekäre Arbeit durch sachgrundlose Befristungen und Auslagerung in prekäre Selbstständigkeit (Werkverträge, Cloudworking) auszuweiten und Tarifverträge weiter auszuhöhlen. Dem muss begegnet werden mit einer breiten gesellschaftlichen Mobilisierung für die Abschaffung von Leiharbeit, die Zurückdrängung von Befristungen und Werkverträgen sowie für die Umwandlung von Minijobs in existenzsichernde und sozialversicherte Beschäftigung. Solo-Selbständigkeit und Cloudwork als Formen prekärer digitalisierter Arbeit müssen streng reguliert und sozial abesichert werden; beispielsweise durch eine Mindestvergütung für Solo-Selbständige und deren Einbeziehung in eine allgemeine Bürgerversicherung für Gesundheit und Pflege. Mit der Digitalisierung ist auch eine neue Qualität der Internationalisierung der Arbeitsbeziehungen verbunden – ohne dass es ein entsprechendes internationales Vertragsrecht gäbe. Dringend notwendig sind daher neue Konzepte für ein internationales Wirtschafts-, Arbeits- und Tarifrecht mit Sanktionsmacht. Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung der Arbeit ist ein Schlüsselprojekt für jede soziale Gestaltung der Digitalisierung. Schon heute werden Millionen Menschen dauerhaft von Erwerbsarbeit und gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen, und viele Beschäftigte – mehrheitlich Frauen – sind in Teilzeit unfreiwillig ›unterbeschäftigt‹. Burn-out ist durch die Entgrenzung der Arbeit und Zeitstress zu einer gesellschaftlichen Krankheit geworden. Für viele wird es immer schwieriger, Arbeit und Leben unter einen Hut zu bekommen. Der neue Rationalisierungsschub macht eine Initiative zur Verkürzung und geschlechtergerechten Umverteilung der Arbeit dringender denn je. Diese müsste sich um die breit getragenen, aber konkret sehr unterschiedlichen Wünsche nach mehr selbstbestimmter Zeit drehen und diese zu einem gemeinsamen Kampf bündeln. Der Slogan »Arbeit umverteilen statt Dauerstress und Existenzangst« wäre vielleicht geeignet, um Forderungen wie der nach »kurzer Vollzeit« von etwa 28 bis 32 Stunden und nach flexiblen Modellen für unterschiedliche Lebensphasen wie Sabbatjahr, Familien- und Bildungsauszeiten eine gemeinsame Strahlkraft zu verleihen. Durch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung könnte das Versprechen der Digitalisierung, selbstbestimmter zu arbeiten und zu leben, für alle Wirklichkeit werden: Die Arbeit muss sich um das Leben drehen und nicht andersherum. Es geht dabei auch um eine Überlebensfrage der Demokratie: Wenn die Löhne sinken und Arbeit weiter entgrenzt wird, wächst die Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen weniger Superreicher und Großkonzerne.
Selbstbestimmte Flexibilität
Die BDA fordert als Reaktion auf die Digitalisierung, die Arbeitszeit weiter zu flexibilisieren (etwa durch Arbeitszeitkonten). Angesichts des Drucks der Unternehmerlobby weigert sich die Große Koalition, eine effektive Anti-Stress-Verordnung zu beschließen. Genau das braucht es aber: eine Bremse gegen Dauerstress, Burn-Out und Arbeit auf Abruf. Neben besseren Arbeitsschutzvorschriften und individuellen Veto-Rechten bei Überlastung brauchen Betriebs- und Personalräte erzwingbare Mitbestimmungsrechte bei Fragen der Gestaltung der Arbeitsorganisation, Arbeitszeit und personellen Ausstattung des jeweiligen Arbeitsbereichs.1