Sozialismus macht das Soziale, Gesellschaftliche, das Allgemeinwohl zum Dreh- und Angelpunkt: Mensch und Umwelt vor Profit. Um das zu erreichen, muss die Logik der Kapitalverwertung gebrochen werden, indem die bestimmenden Kapitalisten entmachtet werden und ihr Eigentum – zumindest soweit es dem Wohl der Allgemeinheit entgegensteht – enteignet wird: Das betrifft etwa den größten Teil der »Finanzindustrie«, deren Geschäftsmodelle eine endlose Reihe von Krisen produzieren, Sozialstaat und Demokratie in der Europäischen Union zerstören und notwendige Investitionen in den sozial-ökologischen Umbau blockieren (vgl. Demirović/Sablowski 2012).
20 Jahre nach der Klimakonferenz in Rio ist offensichtlich, dass kapitalistische Konzerne und die dazugehörigen Eliten die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit systematisch vernichten. Die CO2-Emissionen müssten von 1990 bis 2050 auf den Stand von 1960 halbiert werden – stattdessen wächst der Ausstoß ungebrochen. Soll die Klimaveränderung aufgehalten werden, müssen die Treibhausgasemissionen global spätestens ab 2020 schnell sinken. Dafür müssten Energiesysteme, Landnutzung, urbane Räume mitsamt Verkehr und Mobilität schleunigst umgebaut werden, so dass »klimaverträgliche Gesellschaften« mit entsprechenden Produktions- und Konsumweisen und Lebensstilen entstehen könnten (WBGU 2011).
Dem stehen handfeste Kapitalinteressen entgegen: Dezentrale regenerative Stromerzeugung und die notwendige Halbierung unseres Energieverbrauchs passen nicht in kapitalistische Marktlogik, die Großverbraucher mit Spartarifen belohnt. Der kapitalistische Energiewirtschafts-Politik-Komplex WEC (World Energy Council) hält ein best case-Energieszenario für realistisch, bei dem noch 2050 die CO2-Werte über den heutigen liegen. Sie nehmen fünf oder sechs Grad Klimaerwärmung und die Katastrophe, die das für die Mehrheit der Menschheit bedeutet, wissentlich in Kauf.
Die Knappheit von Öl und die mit »Peak Everything« – der Erschöpfung aller nicht erneuerbaren Rohstoffe – beschworene Sackgasse existieren für die Konzerne nicht. Die Verwüstungen im Niger-Delta, die Vertreibung der Ogoni und anderer indigener Bevölkerungen, riskante Tiefseebohrungen, naturzerstö- rende Ölschieferausbeutung und schmutzige Kriege sprechen Bände. Es ist keine Umkehr zu erwarten, solange die Profitlogik das »fossilistische« System treibt.
Beim Verkehr die gleiche schiefe Bahn: Während mit »Schuldenbremsen« in Europa öffentliche und umweltfreundliche Mobilitätsangebote ausgebremst werden, rüstet die Automobilindustrie für die Verdoppelung des weltweiten PKW-Bestandes, blockieren die deutschen »Premium«-Autobauer angemessene CO2-Grenzwerte, wachsen motorisierte Güterverkehrsströme auf der Jagd nach Kostenvorteilen, und die Luftverkehrslobby drängt auf Verdreifachung der Fliegerei (ISW 2008; Wolf 2011).
Weniger Verkehr, weniger Öl- und Energieverbrauch – solche nahe liegenden Ziele können mit kapitalistischen Prinzipien nicht erreicht werden, weil es dabei immer um das »mehr« geht: nicht »mehr« an Lebensqualität, sondern »mehr« an verkaufter Ware.
Fast täglich werden Werbeprospekte von Aldi oder Lidl in Millionen Haushalte verteilt, welche für Billigfleisch- und Wurstwaren werben, die aus klimaschädlichen Großviehmastanlagen stammen, für deren Futterpflanzen Kleinbauern vom Land vertrieben werden, das sie bis dahin ernährt hat. Dagegen hilft auch die gesundheitsbewusste Zunahme von Biokonsum wenig. Solange die Produktion und Verteilung von Nahrungsmitteln von den Weltmarktinteressen der Discounter-Ketten und Agrarkonzerne dominiert wird, gibt es keinen Ausweg aus dem Irrsinn der Gleichzeitigkeit von gesättigten Märkten und hungernden Mäulern. Und keine umweltverträgliche Ernährung.
Der blinde Fleck
Nun ist all das nicht neu, nicht unbekannt. Und doch bleibt in fast allen klugen Ausarbeitungen, die auf nachhaltige Umgestaltung unserer hoch industrialisierten Gesellschaften zielen, die Frage der Macht- und Besitzverhältnisse merkwürdig unbeleuchtet. Auf den Block aus der Öl-Branche, Autoindustrie, Airlines, Flugzeugbauer und Energie, entfallen 31 Prozent des gesamten Umsatzes der 500 größten Konzerne der Welt. 1999 betrug dieser Anteil erst 23,4 Prozent (Wolf 2007). Das Verhältnis zum mächtigen Finanzsektor ist symbiotisch. Vor allem das Ölgeschäft (inklusive Spekulation) steht hoch im Kurs bei Fondsanlegern und Investmentbanken.
Eon ist ein in 30 Ländern aktiver Global Player; das zweitgrößte deutsche Unternehmen und einer der »großen vier«, die den deutschen Strommarkt beherrschen und den Ausstieg aus der CO2-intensiven Kohlekraft ebenso verhindern, wie sie den Atomausstieg bis zum »geht nicht mehr« blockiert haben – und wird von institutionellen Anlegern dominiert. Die Zentralen der Energiekonzerne lassen mit ausgeklügelter Lobbyarbeit und in enger Verflechtung mit den politischen Institutionen ihre Interessen in Gesetze einarbeiten, die dem sozial-ökologischen Umbau entgegenstehen (Liedke 2006). So wurde z.B. die Ökosteuer als »Industriebegünstigungssteuer« angelegt und ein Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz bis heute ausgebremst.
Im Verkehrssektor scheitern klimaschonende Regeln regelmäßig an der Lobby der Automobilindustrie – angeführt von Daimler, Volkswagen AG, BMW und Porsche. 2007 sa- ßen rund 70 Autolobbyisten in den Firmenbü- ros der EU-Kommission in Brüssel, weitere 33 direkt im EU-Parlament (CEO 2007). Anstatt mit Ingenieuren und Facharbeitern alternative Mobilitätskonzepte zu erarbeiten, wird europaweit auf Wachstum des motorisierten Individualverkehrs gesetzt, werden noch mehr Straßen gebaut. So viele vernünftige Ansätze und Konzepte oder widerständige Initiativen gegen zerstörerische Projekte werden ausgebremst und von Konzernstrategien überrollt; Politiker werden mit Heerscharen von Beratern, Vordenkern und Lobbyisten gefügig gemacht, die gigantische Werbebudgets auflegen und ganze Imageabteilungen für grüne Deckmäntelchen beschäftigen, um immer mehr Käuferschichten zu gewinnen.
Augenfällig ist dieser blinde Fleck etwa beim Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen zur »Großen Transformation« (WGBU 2011). Dort wird ein Gesellschaftsvertrag skizziert, der in den nächsten zehn Jahren auf die Beine gestellt werden müsste. Dem stehen ominöse »Hemmnisse und Blockaden« aus »Interessenstrukturen« entgegen, die in dem »auf fossilen Energieträgern beruhenden Wirtschaftsmodell« verankert sind. Mehr nicht. Nichts von Eigentumsverhältnissen, von Profiten und Geld-Macht-Komplexen, von notwendigen Kämpfen. Selbst diese Andeutung ruft Gegenwehr hervor: Es geht ans Eingemachte.
»Ziel des Gesellschaftsvertrages für die Transformation zur nachhaltigen Gesellschaft ist der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen für heutige und künftige Generationen. Er kombiniert Zukunftsverantwortung mit demokratischer Teilhabe. […] Zentrales Element ist der gestaltende Staat […] Die große Transformation verlangt Technologiesprünge, neue Wohlfahrtskonzepte, vielfältige soziale Innovation sowie ein bisher unerreichtes Niveau an internationaler Kooperation.« (ebd., 1)
Müsste eine solche Transformation nicht sozialistisch sein?
Transformation ist freilich ohne Kampf, ohne aktives Eingreifen in Macht- und Eigentumsverhältnisse nicht zu haben. Wäre nicht der grüne, demokratische Sozialismus das zeitgemäße Gerüst für den neuen Gesellschaftsvertrag jenseits des fossilen oder begrünten Kapitalismus? Die natürlichen Lebensgrundlagen weltweit und für die Zukunft zu erhalten, das ist die soziale Frage unseres Jahrhunderts, die ohne Umverteilung, gesellschaftliche Planung, Demokratisierung, Gemeinnützigkeit, Kooperation statt Konkurrenz – kurz: ohne Veränderung der Produktions-, Lebens- und Regulationsweise – nicht gelöst werden kann. Auch nicht ohne Eingriffe in die Verfügungsgewalt der kapitalistischen Industrien.
Müssten wir eine Theorie des grünen Sozialismus erarbeiten? Warum spielt die Vision Sozialismus keine Rolle, wenn von Umwelt die Rede ist; und umgekehrt: Warum denkt, wer vom Sozialismus redet, nicht an das Naturverhältnis? Wie kann die ganze Fülle der Care-Ökonomie, die Fürsorge statt Effizienz ins Zentrum stellt, der In-Wert-Setzung von Sorgearbeit und von Natur entgegengestellt werden? Muss der grüne Sozialismus nicht »weiblich« sein, die feministische ökonomische Kritik einbeziehen? Wie lassen sich die Widersprüche unserer »imperialen Lebensweise« produktiv machen? Wer sind die »revolutionären Kräfte« und welche Rolle können Gewerkschaften spielen, deren Blütezeit eng mit einem (fordistischen) Wachstumspfad verbunden ist? Wie ließe sich nicht nur »gute Arbeit« realisieren, sondern auch das Korsett der »entfremdeten Arbeit« aufbrechen? Kann sich in Degrowth-Communities, Post-Oil-Cities und Bioenergie-Dörfern (vgl. LuXemburg 1/2012) neues emanzipatorisches Potenzial entfalten? Können gemeinnützige Unternehmen und Genossenschaften zu Projekten der Transformation werden? Lasst uns über Alternativen reden. Und lasst uns über Sozialismus reden – den grünen, demokratischen, weiblichen.