Ihr hostet gemeinsam den neuen Podcast »Weltunordnung«. Nach »dis:arm«, den Jan van Aken und Linda Peikert moderierten, ist es der zweite Podcast der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu linker Außenpolitik. Was hat es mit dem Namen auf sich und weshalb habt ihr euch für dieses Format entschieden? 

Pauline Jäckels: Der Name Weltunordnung beschreibt den Zustand einer sich verändernden internationalen Konstellation. Die unipolare Welt unter der Führung der USA befindet sich immer deutlicher in Auflösung. Aber die neue, sich herausbildende Ordnung, die an ihre Stelle tritt, droht keine Friedensordnung zu werden. Stattdessen beobachten wir mit der Rückkehr der nuklearen Konfrontation eine Gefahr, die wir schon längst überwunden glaubten. Hinzu kommt die Klimakrise, deren destabilisierende Auswirkungen immer deutlicher werden. Diese Herausforderungen müssten eigentlich mithilfe bestehender internationaler Organisationen wie der UN oder der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) bearbeitet werden, doch die verlieren immer weiter an Bedeutung. 

 

»Der lange fehlende außenpolitische Diskurs in der gesellschaftlichen Linken führt dazu, dass wir die neue imperiale Konkurrenz noch zu sehr mit den Kategorien des Kalten Krieges bewerten.« (Pauline Jäckels)

Mit dem Podcast möchten wir Perspektiven einen Raum geben, die diese Entwicklungen aus kritischer, progressiver Sicht analysieren. Da aber nicht jede*r Zeit und Lust zum Lesen hat, ist dieses Format besonders gut geeignet. In einer knappen Stunde können sich die Hörer*innen einen Überblick über die Lage in verschiedenen Regionen, über Konfliktdynamiken und die Hintergründe der skizzierten Umbruchsprozesse verschaffen. Außerdem erhoffen wir uns von dem Podcast, Diskussionen zu außen- und friedenspolitischen Fragen anzustoßen.     

Was sind aus eurer Sicht gerade die zentralen Prozesse der Umordnung? Was verändert sich?

Felix Jaitner: Der Übergang zur multipolaren Welt geht einher mit dem wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bedeutungsgewinn Asiens. Dem Aufstieg Indiens und Chinas steht der Bedeutungsverlust des Westens – insbesondere der Länder Westeuropas und Deutschlands – gegenüber. Diese Verschiebung der Kräfteverhältnisse von West nach Ost führt jedoch nicht zu einer sozial gerechteren oder friedlicheren Welt, sondern verschärft die Polarisierung: Weite Teile Afrikas, Lateinamerikas und Asiens bleiben ökonomisch, technologisch und politisch abhängig von den Großmächten. Die sich global verschärfenden Ungleichgewichte sind ein wichtiger Grund für die zunehmend gewaltsame Eskalation von Konflikten, aber auch für den Aufstieg rechtsautoritärer politischer Kräfte. 

 

»Friedrich Merz wird nicht müde zu betonen, dass Außen- und Innenpolitik sich nicht mehr trennen lassen. Damit hat er insofern recht, als dass die in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellose Aufrüstung vor allem über Kürzungen beim Sozialstaat finanziert werden soll.« (Felix Jaitner)

Zum anderen sehen wir eine Rückkehr der Blockkonfrontation, des Zerfalls der Welt in miteinander konkurrierende Bündnisse. Der große Unterschied zur Blockkonfrontation des Kalten Krieges ist, dass der gegen den traditionellen westlichen Imperialismus gerichtete Block noch nicht mal eine schimärenhafte alternative Idee jenseits des Kapitalismus verkörpert, sondern sich rein negativ begründet. Die Regime in Russland, im Iran oder in Nordkorea, um nur drei prominente Beispiele zu nennen, sind in ihrer Legitimationsstruktur völlig verschieden. Selbst China verfolgt nicht das Ziel, eine alternative Wirtschaftsordnung aufzubauen. Im Gegenteil: Der ökonomische Aufstieg des Landes beruht nicht zuletzt auf der brutalen Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung. Im herrschenden Diskurs wird diese neue Blockkonfrontation häufig als Gegensatz zwischen westlichen Demokratien und östlichen Autokratien konstruiert. Das halten wir vor allem für eine ideologische Begründung für die zunehmende Militarisierung der Außenpolitik. Wir befinden uns eher in einer neuen Phase der offenen imperialen Konkurrenz.

Weshalb sind aus eurer Sicht die außen- und friedenspolitischen Themen in der Linken derart umstritten? Und wie kann sie mit Widersprüchen, die ja in der Sache begründet sind, besser umgehen?

Pauline Jäckels: Wir würden das nicht auf die Linke begrenzen. In Deutschland herrscht im gesamten progressiven Lager keine Einigkeit darüber, wie die geopolitischen Umbrüche zu bewerten sind. Hinzu kommt, dass es wenig Untersuchungen gibt, die kritisch die aktuellen Umbruchsprozesse analysieren und zu einer eigenständigen linken Diskussion beitragen würden. 

Der über lange Jahre fehlende außenpolitische Diskurs in der gesellschaftlichen Linken führt dazu, dass wir die neue imperiale Konkurrenz noch zu sehr mit den Kategorien des Kalten Krieges bewerten oder Narrative des herrschenden Diskurses übernehmen. In Teilen der Linken gibt es historisch bedingte Sympathien für Russland oder China, im bürgerlichen Lager für die USA. Doch anders als im Kalten Krieg wird nicht der Kapitalismus als System herausgefordert. Länder wie China, Indien und Russland beanspruchen einen Platz als anerkannte Großmächte und die etablierten westlichen Kräfte zeigen wenig Bereitschaft, den Kuchen neu zu verteilen.

Unser aktuelles Heft zielt auf »Strategien der Hoffnung«: Wo seht ihr Möglichkeiten für eine wirksame linke Intervention? 

Felix Jaitner: Bundeskanzler Friedrich Merz wird nicht müde zu betonen, dass Außen- und Innenpolitik sich nicht mehr trennen lassen. Damit hat er insofern recht, als dass die in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellose Aufrüstung vor allem über Kürzungen beim Sozialstaat finanziert werden soll. Diesen Zusammenhang aufzuzeigen, ist eine zentrale Aufgabe der Linken. 

Das progressive Lager – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa – beschränkt sich jedoch vor allem darauf, Abwehrkämpfe gegen Sozialkürzungen, gegen Aufrüstung, gegen rechte Hetze und autoritäre Tendenzen zu führen. Eine Strategie der Hoffnung müsste auch eine konkrete gesellschaftliche Utopie beinhalten, die den Menschen eine Perspektive aufzeigt, wie ein gutes, gerechtes und friedliches Leben aussehen könnte. Ich meine damit Vorstellungen oder Elemente einer neuen Weltwirtschafts-, Handels-, Klima- und Sozialordnung, die eine Verringerung der globalen Ungleichheiten, Kooperation und eine gemeinsame friedliche Existenz zum Gegenstand haben. Solange diese fehlen oder nur abstrakt diskutiert werden, bleibt die Linke in der Defensive und hat der Rechten wenig entgegenzusetzen. 

Alle – außer der Linken – setzen auf Aufrüstung. Sogar die IG Metall sieht darin teilweise eine Chance zur Sicherung von Industriearbeitsplätzen. Wie beurteilt ihr das Mobilisierungspotenzial des Themas Abrüstung für das progressive Lager links der Union? Kann da was gehen aus eurer Sicht, und wenn ja, wie? 

Pauline Jäckels: Die klare Haltung in der Linken gegen Aufrüstung wird dadurch infrage gestellt, dass Stimmen aus der Partei immer wieder für eine militärische Unterstützung der Ukraine werben. ­Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet – selbst im Falle eines völkerrechtswidrigen Angriffes wie des russischen – ziehen zwangsläufig eine enge militärische Kooperation und erhöhte Rüstungsausgaben nach sich. ­Deshalb halten wir es für inkonsequent, gegen Aufrüstung, aber für Waffenlieferungen zu sein.   

Eine klare Positionierung gegen die Aufrüstung in Deutschland ist essenziell, denn sie führt nicht zu mehr Sicherheit, sondern erhöht die Gefahr einer militärischen Konfrontation. Als Antwort auf die ­zusätzlichen Milliardenausgaben in der EU und den USA werden nicht nur in Russland, sondern auch in China, Indien und anderen Ländern zusätzliche Budgets für das Militär bereitgestellt. Damit befeuert Deutschland eine globale Rüstungsspirale, die wertvolle Ressourcen bindet, die zur Begrenzung des Klimawandels oder der wachsenden ­sozialen Ungleichheit viel sinnvoller eingesetzt werden könnten – und letztendlich wichtige Kontextfaktoren für gewaltsame Konflikte sind.

Eine wirksame Mobilisierung gegen die Aufrüstung und die Militarisierung der deutschen Politik ist jedoch nur dann möglich, wenn im progressiven Lager die Sicherheitsbedürfnisse der Menschen ernst genommen werden. Das bedeutet: Die Linke muss eine Strategie entwickeln, wie Sicherheit im Angesicht der Klimakrise und der Rückkehr der atomaren Konfrontation nicht nur gedacht, sondern auch konkret umgesetzt werden kann. 


Das Gespräch führte Mario Candeias.


Zum Podcast geht es hier: www.rosalux.de/weltunordnung

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