Regierung und Unternehmen in Chile haben in der letzten Zeit den Eindruck erweckt, das Land stehe am Rande einer allgemeinen Energiekrise. Öffentlich finanzierte Kampagnen beschäftigen sich nicht mehr damit, die Sparpolitik zu verteidigen. Vielmehr gibt es eine geschlossene Front der Unterstützung für Großprojekte wie den Staudamm HidroAysén. Die Bürger sollen überzeugt werden, dass solche Energie-Megaprojekte notwendig seien; sonst drohe den Städten der Stromausfall.
Tatsächlich macht Elektrizität jedoch nur 14 Prozent der verbrauchten Energie aus, wovon wiederum nur 16 Prozent von den privaten Haushalten in Anspruch genommen werden. Es stellt sich also die Frage: Was steht hinter dieser Drohung mit der Dunkelheit, welche Unzufriedenheit und soziale Konflikte in allen Regionen des Landes schürt?
Noch beunruhigender wird das politische Szenario, wenn wir auch die aktuelle Wasserkrise mit einbeziehen. Hier ist das Problem real. Viele Gemeinden in Chile sind auf Wasserlieferungen aus LKWs angewiesen – sogar im Süden, wo es reichlich regnet. Kiefer- und Eukalyptusplantagen absorbieren das Wasser und machen es sauer. In den Medien wird diese Krise – eine offensichtliche Folge des extraktivistischen Modells aus den 1980er Jahren – nicht thematisiert.
Zur Stromversorgung sind in Chile im Jahr 1982 eine Reihe von Gesetzen erlassen worden: Der Staat verzichtete auf die direkte Verwaltung und Kontrolle und übernahm lediglich die Rolle, den Wettbewerb zu regulieren. Die Rechte des Privatsektors wurden über die – von anderen Gesetzen geschützten – Rechte der indigenen Völker und bäuerlichen Gemeinschaften gestellt. In Chile gibt es keine territoriale Gesetzgebung, die das Recht auf Lebensqualität für die Bewohner eines bestimmten Gebietes schützen könnte, das erleichterte diese Gesetzgebung. Die Kosten dieses Energiemodells wurden zu Ungunsten der am meisten verletzlichen Bevölkerungsgruppen externalisiert. Das Vorgehen wiederholte sich in der Wasser-, Forst-, Bergbau-, Agrar- und Lebensmittelpolitik. Die politökonomische Logik hinter den Reformen, die während der Diktatur eingeführt und unter den Regierungen der transición (des Übergangs zur Demokratie) vertieft wurden, ist offensichtlich: Aus Chile wurde ein Laboratorium des Neoliberalismus.
Dieses Experiment ist jetzt in die Krise geraten – keine Energiekrise, sondern eine Krise der Legitimität eines Systems, das zerstörerische Folgen für viele Lebensformen und Lebensräume hat – zu Gunsten transnationaler und privater Interessen.
Das Energiemodell der Diktatur
Der Energie-Endverbrauch besteht zu 71 Prozent in der Nutzung fossiler Energieträger (Erdöl 46 Prozent, Kohle 12 Prozent, Erdgas 9 Prozent); an zweiter Stelle kommt Brennholz, meist für den häuslichen Gebrauch, mit 15 Prozent, und erst an dritter Stelle steht mit 14 Prozent der Stromverbrauch (Energieministerium 2010).
In Chile gibt es vier Stromübertragungsnetze: Das Sistema Interconectado del Norte Grande (SING), das zwischen den Regionen Tarapacá und Antofagasta liegt, das Sistema Interconectado Central (SIC), das von Taltal bis Chiloé reicht, das Sistema de Aysén und das Sistema de Magallanes. Insgesamt haben sie eine Kapazität von 14 848 Megawatt. Davon entfallen 35 Prozent auf Wasserkraft, 62 Prozent auf Wärmekraftwerke (Öl, Kohle und Gas), während nur 3 Prozent auf die neuen erneuerbaren Energien entfallen: Windkraft, Biomasse und kleine Laufwasserkraftwerke.1