So mussten die Kernforderungen schon zu Beginn in einem schmerzhaften Prozess zurechtgestutzt werden. Wegen bestimmter landesrechtlicher Einschränkungen entschied das Bündnis, sich auf den kommunalen und sozialen Wohnungsbau zu konzentrieren. Der gesamte private Wohnungsmarkt blieb so außen vor, und damit drei Viertel der Mietwohnungen in Berlin. Wichtige Forderungen und stadtpolitische Akteure konnten folglich nicht eingebunden werden. Die IL Berlin hatte deshalb vor, den Volksentscheid durch eine Kampagne zu begleiten, die weiterreichende Forderungen hätte thematisieren können. Diese nahm jedoch nie an Fahrt auf – auch weil die anstehenden Aufgaben und erforderlichen Diskussionen im Bündnis fast alle unsere Ressourcen banden. Wir sahen in dem Gesetzentwurf dennoch viel Potenzial und den Grundstein für eine soziale Wohnraumversorgung. Zugleich versuchten wir, möglichst weitgehende Richtungsforderungen zu verankern, deren Umsetzung vielleicht nicht reibungslos funktioniert hätte, die aber das Potenzial gehabt hätten, einen Transformationsprozess anzustoßen. Solche Forderungen sind jedoch insofern juristisch riskant, als immer die Gefahr besteht, dass das gesamte Verfahren aus formalen Gründen gekippt wird. Entsprechend waren sie im Bündnis umkämpft. Zusätzlich steckt der Teufel im Detail: Wie etwa demokratisiert man eine städtische Wohnungsbaugesellschaft? Wie lassen sich die Interessen der aktuellen und potenziellen Mieter*innen vereinbaren, wie die der Beschäftigten mit denen von stadtpolitischen Bewegungen? Die Interessenlagen sind komplex, und es war notwendig, auch andere Akteure in der Stadt wie etwa ver.di oder den Flüchtlingsrat Berlin einzubinden. Genau hier liegt eine Chance des Volksentscheids: Er kann Diskussionsräume öffnen, um solche Richtungsforderungen gemeinsam zu entwickeln und konkret auszubuchstabieren. Mit weitgehenden Demokratisierungsforderungen konnten wir uns allerdings nicht durchsetzen: Dem Senat keine Mehrheit im Verwaltungsrat der neu zu schaffenden Anstalten öffentlichen Rechts zuzusichern, erschien vielen als zu weitgehend, weil es unter Umständen die Regelungskompetenz des Gesetzentwurfs überschritten hätte. Nicht nur an diesem Beispiel wird deutlich, dass das Projekt, ein neues Gesetz zu formulieren, tendenziell dazu zwingt, sich die Logiken der herrschenden Institutionen weitgehend zu eigen zu machen. Die eigenen Forderungen müssen entsprechend möglichst passförmig zu bestehenden Strukturen formuliert werden, können diese kaum überschreiten. Beispielhaft ist hier auch die Orientierung an Durchschnittsmieten als Maßstab für Mietsubventionen im sozialen Wohnungsbau: Während die Durchschnittsmiete eine dynamische Größe ist, die eine Mietsteigerung langfristig nur verlangsamen, aber nicht aufhalten kann, wäre eine Mietobergrenze hier eine sehr konkrete und zugleich radikalere Forderung gewesen. Um solche Abwägungen zu treffen, braucht es nicht (allein) juristische Sachkenntnis und Fachdebatten, sondern auch eine politisch-strategische Auseinandersetzung. Diese zu organisieren ist jedoch schwer, wenn das Machbare im Vordergrund steht und sich die neu eröffnete Diskussionsräume schnell wieder bürokratisch schließen.
Movement-Building per Volksentscheid?
Als IL verfolgten wir von Anfang an zwei parallele Ziele: realpolitische Erfolge und die Stärkung der mietenpolitischen Bewegung. Beides hing eng zusammen: Gerade Menschen, die sich nicht als linke Aktivist*innen verstehen, engagieren sich vor allem dann, wenn sie konkret etwas erreichen können. Eine Radikalisierung von Forderungen kann so auch als Lernprozess in gemeinsamen Kämpfen erst entstehen. Wir haben erlebt, welche Mobilisierungskraft von einer Initiative ausgeht, die ein Anliegen von Menschen trifft, das politisch nicht repräsentiert ist. Keine der Parteien in Berlin steht für einen mietenpolitischen Paradigmenwechsel. »Wo kann ich gegen steigende Mieten unterschreiben?«, war eine häufig gehörte Frage an unseren Info-Ständen. Am Unterschriftensammeln kann sich jede*r beteiligen. Was aber heißt Beteiligung über das Sammeln hinaus? Wie kann ein Mitmach-Volksentscheid aussehen, der gemeinsame Lernprozesse und eine Politisierung der Auseinandersetzung ermöglicht? Gelungen ist eine solche Beteiligung dort, wo sich neue Kiezgruppen rund um bestehende Initiativen formiert haben, die nicht nur Unterschriften sammeln, sondern auch andere Aktivitäten in Angriff nehmen wollten. Zusätzlich haben wir versucht, eine zentrale Struktur aufzubauen, die Interessierte mit Informationen, Einladungen, Kontaktadressen versorgt – also auch diejenigen mitnimmt, die sich nicht in bestehenden (Basis-)Gruppen zu Hause fühlen. Eine Beteiligung der Vielen über das Sammeln hinaus war aber schwierig. Außerdem gelang es uns nicht, das Aktivenplenum zu einem zentralen Ort der strategischen Diskussion zu machen, mit dem Ergebnis, dass am Ende Detailwissen und fachliche Kompetenz nur bei Wenigen lagen. Es wäre hier eine Vermittlungsebene nötig gewesen: Neben den fachpolitischen Expert*innen und Aktivist*innen hätten wir mehr Menschen gebraucht, die die Fachfragen hätten so übersetzen können, dass sie für andere politisch diskutierbar geworden wären. Dass genau das fehlte, fiel in der Anfangsphase wenig ins Gewicht. Es rächte sich jedoch, als unser Gegenüber die Strategie änderte und wir als Bündnis reagieren mussten.
In der Falle: Einbindung statt Ermächtigung
Im Sommer 2015 sah sich der Mietenvolksentscheid mit einer Strategie der Einbindung und Einschüchterung konfrontiert. Die SPD bot Gespräche an und versprach eine mietenpolitische Kurskorrektur in Form eines Gesetzes zur sozialen Wohnraumversorgung, mit der einige unserer Forderungen aufgegriffen werden sollten. Zugleich drohte sie mit einer Klage vor dem Landesverfassungsgericht, die aufgrund unvorhergesehener rechtlicher Schwächen des Gesetzestextes sogar aussichtsreich gewesen wäre. Das Bündnis sah sich in einer Zwickmühle: Auf der einen Seite bestand die Gefahr, sich in jahrelangen juristischen Streitigkeiten aufzureiben und das politische Momentum zu verlieren; auf der anderen Seite die Möglichkeit, einen Teilerfolg zu erreichen, dabei aber der SPD Wahlkampfhilfe zu leisten und eine Schwächung der mietenpolitischen Bewegung in Berlin zu riskieren. Eine vom Ko-Kreis bestimmte Gesprächsgruppe nahm an den Verhandlungen teil. Es gelang jedoch auch hier nicht, zugleich eine breite Diskussion in den Strukturen des Bündnisses und darüber hinaus zu führen. Dies hätte Zeit erfordert und wäre der Forderung der SPD nach Vertraulichkeit und schnellen Entscheidungen zuwidergelaufen. In dieser Situation auf die Bremse zu treten und einen anderen Modus einzufordern, war nicht einfach und ist zumeist unvereinbar mit dem politischen Angebot, auf ›Augenhöhe‹ zu verhandeln. Am Ende der Verhandlungen stand ein von der Mehrheit der Gesprächsgruppe unterstütztes Kompromissgesetz. Im Bündnis gab es jedoch heftige Kontroversen, in denen auch die unterschiedlichen Perspektiven der Akteure deutlich wurden: Während für die einen vor allem konkrete Verbesserungen wie etwa Mietsenkungen im sozialen Wohnungsbau ausschlaggebend waren, sahen wir als IL darin eine Vereinnahmungsstrategie, die den Aufbau von Gegenmacht auch im anstehenden Wahlkampf weiter erschweren würde. Es wäre in dieser zugespitzten Situation sehr hilfreiche gewesen, wenn wir unterschiedliche Szenarien und unsere Perspektiven darauf bereits im Vorfeld der Kampagne diskutiert hätten.
Was bleibt? Versuch einer Bilanz
Es bleibt umstritten, ob der MVE als Erfolg oder Scheitern, Etappensieg oder Rückschlag zu werten ist. Argumente lassen sich für alle Einschätzungen finden. Für unsere Bewertung ist nicht zuletzt die Art und Weise der Entscheidungsfindung relevant. Wie mit den Angeboten von SPD und Senat umzugehen ist, wurde beispielsweise nicht mit allen am Bündnis Beteiligten diskutiert und erst recht nicht gemeinsam entschieden. Manche hätten lieber eine öffentliche Konfrontation mit der SPD gesucht, anstatt hinter geschlossenen Tü- ren zu verhandeln. Eine andere Option wäre gewesen, jenseits von Verhandlungstisch und Verfassungsgericht mit der Unterschriftensammlung für einen neuen Gesetzesentwurf Druck aufzubauen. Diese Debatten nicht gemeinsam geführt zu haben, war ein folgenschwerer Fehler. So ließ ein Projekt, das ursprünglich auf Selbstorganisierung und Selbstermächtigung abzielte, erneut das Gefühl entstehen, dass andere entscheiden. Die Mobilisierung der Vielen droht so zu einem Instrument zu werden, um ›auf Augenhöhe‹ mit der Politik zu agieren – die Ermächtigung gerät als Ziel aus dem Blick. Das ist eine problematische Form der Realpolitik, die auf ein konkretes Ziel fokussiert und langfristige Veränderungen ausblendet. All das ist nicht der bösen Absicht Einzelner geschuldet, sondern hängt auch mit dem Instrument des Volksentscheids zusammen und mit den damit verbundenen Arbeitsstrukturen. Dem explizit entgegenzuwirken und demokratische Entscheidungsprozesse zu organisieren, bedeutet viel Arbeit. Offene und einladende Strukturen ergeben sich nicht von selbst, sondern müssen aufgebaut und ›gepflegt‹ werden. Diese sollten jedoch als wichtige Ressource statt als Bürde betrachtet und die damit verbundenen Aufgaben auf vielen Schultern verteilt werden. Nur so ist es möglich, Wissen weiterzugeben und damit auch einen produktiven Umgang mit Widersprüchen, der Komplexität der Herausforderungen und möglichen Rückschlägen zu finden (vgl. Zelik sowie Bruchmann/Candeias in diesem Heft). Realpolitisch betrachtet war der Mietenvolksentscheid ein Teilerfolg: Das im November 2015 verabschiedete »Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin« sieht eine (wenn auch unzureichende) Mietsubvention für einkommensschwache Haushalte im sozialen Wohnungsbau und eine Ausweitung von Krediten zur Schaffung von Sozialwohnungen vor.3