Zwei Ingenieure studieren auf der linken Seite des Bildes Pläne, über ihnen fliegt eine weiße Taube. Mittig montieren Arbeiter ein Rohr, weiter rechts läuft eine Familie mit Blumen in der Hand den Betrachter*innen entgegen. Im Hintergrund der Szenerie: massive Tankbehälter und Gebäudeanlagen. Vor der Sonne am Himmel glüht eine rote Sternschnuppe. Das Wandbild in der Raffinerie PCK (vormals „Petrolchemisches Kombinat“) in der brandenburgischen Grenzstadt Schwedt verströmt Zuversicht. Diese ist in den vergangenen Monaten massiv zurückgegangen – sowohl unter den Beschäftigten des PCK als auch generell in der Region.

Der Grund: Seit Januar läuft kein russisches Rohöl mehr über die Pipeline „Druschba“ (Freundschaft) nach Schwedt. Deutschland hatte zu Jahresbeginn alle Rohölimporte aus Russland wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gestoppt. Anfang Februar folgte das Embargo von russischen Raffinerieprodukten. In einer zugrundeliegenden EU-Verordnung hieß es dabei, dass russisches Öl über Pipelines weiter bezogen werden darf, solange einzelne EU-Länder die Lieferungen noch nicht ersetzen können. Verschiedene ostdeutsche Politiker*innen kritisierten das Öl-Embargo als Selbstverpflichtung, die zu diesem Zeitpunkt mehr schadet als nützt. Aufgrund mangelnder Alternativen sei man noch nicht bereit gewesen, so die Argumentation. Ein Embargo zu erklären, ohne die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, sei fahrlässig. Die Entscheidung fiel trotzdem. 

Die Bundesregierung stellte im September 2022 das PCK unter Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur, um die Versorgung vorerst sicherzustellen, zunächst bis zum März 2023. Für die Beschäftigten sprach sie eine zweijährige Beschäftigungsgarantie aus. Die mehrheitliche Kontrolle lag zuvor beim russischen Erdölkonzern Rosneft, zweitgrößter Anteilseigner war der britische Konzern Shell, dritter der italienische Konzern Eni. Ebenfalls verabschiedete sie im Herbst ein sogenanntes Zukunftspaket für die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Die Förderung soll in die Transformation der ostdeutschen Raffineriestandorte und Häfen fließen, mehr als 800 Millionen Euro davon nach Schwedt. Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) begrüßte die Schritte, die Betriebsratsvorsitzende des PCK betonte, dass Details noch offen sind. 

Das Schicksal des PCK, auf einer Fläche von 1072 Hektar platziert, ist seitdem ein Dauerthema in den Medien und Parlamenten, vor allem den ostdeutschen. Verschiedene Fragen kommen hier zusammen: Was macht eine effiziente Sanktionspolitik aus und wie werden die Lasten von dieser gerecht verteilt? Wie kann mittelfristig die Klimaneutralität von Raffinerie und Region erreicht werden, ohne dabei Wohlstand und Arbeitsplätze zu gefährden? Wie lässt sich die Transformation gestalten – unter Krisenbedingungen und hoher Dynamik? Und nicht zuletzt: Wie kann ein weiteres Ausbluten einer ostdeutschen Region verhindert werden? Das PCK ist zu einem politischen Symbol geworden, an dem diese Fragen verhandelt werden. Hinzu kommt: Rund neun von zehn Autos in Berlin und Brandenburg fahren mit Kraftstoff aus Schwedt – eine Versorgungskrise hätte massive Auswirkungen. 

Geringe Auslastung

Die Unsicherheit über die aktuelle Lage kommt nicht von ungefähr: Seit dem Embargo ist das PCK nur noch zu rund 55 bis 60 Prozent ausgelastet. „Um die Auslastung und die Versorgungssicherheit zu erhalten, ist das Dringendste die ausreichende Versorgung mit Rohöl“, fasst Rolf Erler, Bezirksleiter der IGBCE Berlin-Mark Brandenburg, das Problem zusammen. Im Moment sei allerdings noch „ordentlich zu tun“ in der Raffinerie, alle Mitarbeiter*innen seien beschäftigt. Tanker bringen Öl aus anderen Quellen in den Hafen Rostock. Eine rund 200 Kilometerlange Pipeline mit begrenzter Kapazität, Baujahr 1969, liefert es nach Schwedt. Um wirtschaftlich zu arbeiten, brauche das Werk aber mindestens eine Auslastung von 70 Prozent, heißt es.

Um diese zu erreichen, soll weiteres Öl aus Polen und Kasachstan kommen, doch die Verhandlungen gestalten sich schwierig. Deutschland und Polen unterschrieben im Dezember eine Vereinbarung, wonach die Länder sich gegenseitig bei der Öl-Versorgung stützen wollen. Mitte Januar war auch ein Schiff mit Öl in Danzig eingelaufen. Dauerverträge zur Nutzung des polnischen Hafens sind jedoch nicht bekannt. Polnische Regierungsvertreter*innen wiesen darauf hin, dass eine Zusammenarbeit zur Bedingung habe, sich von den russischen Anteilen am PCK zu trennen. Laut dem Bundeswirtschaftsministerium sei auch ein erster Vertrag eines PCK-Gesellschafters mit der staatlichen Ölhandelsgesellschaft in Kasachstan abgeschlossen worden. Zu konkreten Transportplänen von Öl aus Kasachstan ist bisher (Stand Anfang Februar) aber ebenfalls nichts bekannt. Russland muss dem Transport von kasachischen Öl über die Druschba-Pipeline zustimmen und kann für die Nutzung Gebühren verlangen. Den von PCK-Geschäftsführung und Betriebsrat geforderten Bau einer zweiten Pipeline von Rostock nach Schwedt lehnte das Bundesverkehrsministerium jüngst ab – es verwies darauf, dass man stattdessen in die Verbesserung der bisherigen Anlage investieren wolle. 

Die Bundesregierung zeigt sich grundsätzlich optimistisch. „Ich komme her mit Beschäftigungsgarantien, mit einem großen Zukunftsprogramm für die Uckermark, für Schwedt“, erklärte der verantwortliche Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Michael Kellner (Grüne), gegenüber Medien. Die Skepsis der Bevölkerung ist aber groß – auch, weil man mit der Treuhand negative Erfahrungen nach der Wende verbindet. Die vergangenen Wochen seien für sie ein „Déjà-vu“ gewesen, sagte Schwedts Bürgermeisterin Annekathrin Hoppe (SPD). 

„Chemie bringt Brot, Wohlstand, Schönheit“, verkündete einst eine DDR-Parole. Das PCK hatte der Bevölkerung tatsächlich relativen Wohlstand gebracht. Im Ort entstanden eine Großbäckerei, eine Papierfabrik, ein Kreiskrankenhaus, zahlreiche Kaufhallen, ein Kulturhaus. Die Bevölkerung wuchs bis 1989 auf 54.000 Menschen an. Die Wende markierte einen dramatischen Einschnitt: Große Teile der Industrie brachen weg, die Schuhfabrik und die Großbäckerei mussten schließen, die Bevölkerung sank auf rund 30.000 Menschen, ganze Wohnblöcke wurden abgerissen. Die Arbeitslosigkeit lag bei 25 Prozent, eine brutale Neonazi-Szene dominierte die Straßen. Im Juni 1990 wurde der Volkseigene Betrieb PCK aufgelöst und von der Treuhandanstalt an die westdeutschen Mineralölgesellschaften VEBA und DEA sowie einem italienisch-französischem Konsortium aus Agip, elf und Total verkauft. 2010 erwarb Rosneft die Mehrheit der Anteile. Die Stadt hatte sich zu diesem Zeitpunkt wieder vorsichtig aufgerappelt. Mit zwei Rückkehrer*innentagen versuchte man 2022 erstmals, Weggezogene von einer Rückkehr zu überzeugen, einige Interessierte kamen vorbei.

Viele PCK-Stellen wurden dabei im Laufe der Jahre abgebaut. Von 8000 Beschäftigten zu DDR-Zeiten sind heute noch 1200 geblieben. Und doch ist das PCK weiterhin ein zentraler Bezugspunkt für die Stadtbevölkerung und eine wirtschaftliche Lebensader für die Region. Die Anlagen wurden modernisiert, mindestens 2000 Menschen sind über weitere Unternehmen an die Raffinerie gebunden, für das Stadttheater ist man Sponsor. Der ehemalige PCK-Chemiker Ulrich Radike fasst das hiesige Lebensgefühl in der TV-Dokumentation “Schwedt und das Öl-Embargo” folgendermaßen zusammen: “Wir leben von der Raffinerie, wir leben für die Raffinerie.” 

Mobilisierte Bevölkerung

Dass die unsichere Zukunft des PCK für große Unruhe unter der Bevölkerung sorgt, ist wenig verwunderlich. Im Sommer 2022 kamen rund 4000 Menschen in Schwedt zu einer Kundgebung, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wurde zu Beginn ausgebuht. Die Augenärztin Konstanze Fischer, aktiv bei der Initiative „Zukunftsbündnis Schwedt“, lies sich die zugesicherte Unterstützung der Bundesregierung mit Handschlag besiegeln. „Hier stehen keine Jammerossis, hier steht eine kreative, moderne, gut ausgebildete Stadtgesellschaft, eine Zivilgesellschaft, die einfordert, dass an sie gedacht wird.“ sagte sie unter Jubel. Mehr als 10.000 Menschen haben einen Forderungskatalog des Bündnisses unterschrieben. 

Aufgerufen zum Protest hatte auch die IGBCE. „Ich habe hier in Schwedt neben kritischen Positionen auch sehr viel Zuversicht wahrgenommen, dass wir die Transformation gemeinsam stemmen werden. Dafür müssen wir jetzt die Weichen stellen“, fordert Gewerkschafter Rolf Erler. Gemeinsam mit dem Betriebsrat veröffentlichte die Gewerkschaft ein Positionspapier, in dem neben der Sicherung der Arbeitsplätze und dem Umbau zu einer „grünen Raffinerie“ auch der Ausbau der Infrastruktur in der Region gefordert wird.

Die extreme Rechte von AfD bis zu Gruppen wie „Uckermark steht auf“ versucht ebenfalls, das Thema aufzugreifen, scheint bisher damit aber nur mäßig erfolgreich zu sein. Bei manchen Schwedter*innen, die weiterhin den Bezug von russischem Öl fordern, trifft sie dennoch auf offene Ohren. Bei den letzten Kommunalwahlen 2019 wurde die AfD zweitstärkste Kraft – die Sorge steht im Raum, dass sie von einer Zuspitzung der Situation profitieren könnte. 

Die oppositionelle brandenburgische LINKE versucht dies mit allen Mitteln zu verhindern und selbst Druck auf die Landes- und Bundespolitik auszuüben. Im Oktober rief sie zu einer Kundgebung auf dem Platz der Einheit in Schwedt auf. Der Abgeordnete Gregor Gysi, der Ko-Vorsitzende Martin Schirdewan sowie der brandenburgische Fraktionschef Sebastian Walter erklärten vor rund 1000 Teilnehmer*innen ihre Solidarität mit den Beschäftigten. „Im Westen würde die Bundesregierung bei einer Raffinerie anders handeln - und genau das dürfen wir uns nicht bieten lassen“, sagte Gysi. Die Partei hat in Schwedt weniger als 100 Mitglieder, die Bedingungen sind für die Basis nicht einfach. Trotzdem wurden zahlreiche Postkarten verteilt und Plakate aufgehängt. Aus dem Landesverband kommt Unterstützung, man ist viel mit den Beschäftigten und Anwohner*innen im Austausch. 

Die LINKE fordert vor allem ein Strukturstärkungsgesetz von Bund und Land für die Uckermark, ähnlich wie es für die Lausitz existiert. Der Öl-Standort soll zu einer nachhaltigen Energie-Region umgebaut werden und dabei aus den Fehlern bisheriger Transformationsprozesse lernen. Manches politische Versprechen wurden in der Lausitz nicht eingehalten, betont Walter. Geplant war dort etwa der Bau von vier Gleisprojekten – mittlerweile soll es nur noch eins geben, das frühestens 2030 fertig sein wird. Mit dem Strukturfördergesetz sollen für Schwedt verbindliche Garantien und konkrete Förderzusagen festgehalten werden. Diese müssten auch die Jobs in den Partner- und Zulieferunternehmen der Raffinerie in den Blick nehmen. Dazu soll die Raffinerie in Bundeseigentum überführt und verstaatlicht werden.

Hoffnung grüner Wasserstoff

Wer trägt die Hauptverantwortung für die Misere? „Verantwortlich für die Eskalation mit allen wirtschaftlichen und menschlichen Folgen ist Russland“, erklärt Gewerkschafter Rolf Erler. Daneben gehört für ihn aber auch eine jahrelang aufgebaute, einseitige Abhängigkeit bei der Energieversorgung zu den Ursachen der Krise. „Da sind wir als Mineralölgewerkschaft nicht die einzigen, die das zu lange Zeit toleriert haben.“ 

Die meisten Menschen in der Region legen ihre Hoffnungen nun auf einen klimaneutralen Umbau des PCK. Ab 2025 soll laut Plan der Bundesregierung sogenannter grüner Wasserstoff auf dem Gelände der Raffinerie produziert werden. „Grünes“ Kerosin und Schiffsdiesel sowie alternative Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien sind im Gespräch. Auf nachhaltige Energien spezialisierte Unternehmen wie Enertrag und Verbio haben bereits angekündigt, beim Umbau der Raffinerie unterstützen zu wollen. Bürgermeisterin Annekathrin Hoppe hofft, dass bereits in den nächsten zwei Jahren mit Enertrag eine erste Teilanlage für die Wasserstoff-Produktion entstehen könne. Die Stadt bereitet die Gründung einer Strukturentwicklungsgesellschaft vor. 

Die Erwartungen sind hoch: „Mit grünem Wasserstoff aus Schwedt produzieren wir grünen Stahl in Eisenhüttenstadt für eine grüne Auto- und Bahnindustrie im Osten“, beschreibt Irene Schulz, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG-Metall, ihre Vision für Ostdeutschland. Es ist jedoch sehr zweifelhaft, ob die Pläne so umsetzbar und auch wirtschaftlich sind. Ein Erfolg wäre zudem extrem abhängig vom Ausbau der erneuerbaren Energien: Die Herstellung von Wasserstoff erfordert drei- bis fünfmal so viel Energie wie eine direkte Nutzung der Erneuerbaren. Die benötigten Mengen herzustellen, wird teuer und aufwändig. Wasserstoff sei keineswegs "das neue Öl", sagt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, sondern "der Champagner unter den Energieträgern". 

Expert*innen gehen davon aus, dass der Großteil an grünem Wasserstoff vorerst importiert werden muss. Doch selbst wenn der lokal erzeugte Wasserstoff eine bedeutende Rolle in der Energiepolitik einnehmen wird, so werden sich auch hier ostdeutsche Länder immer noch gegen die finanzstärkeren westdeutschen behaupten müssen. Klar ist auch, dass sich bei der Erzeugung von Wasserstoff ebenso weiter die grundlegenden Fragen nach überfälligen gesellschaftlichen Veränderungen, Wachstumsvorstellungen und Konsumgewohnheiten stellen.

Die Zeit drängt jedoch, aus vielerlei Hinsicht. Klima-Aktivist*innen der „Letzten Generation“ besetzten nach Aktionen im Frühjahr 2022 zuletzt im Oktober eine Pumpstation in Schwedt. Laut der PCK-Geschäftsführung gäbe es nach Gesprächen „durchaus gemeinsame Ansätze“, aber „Uneinigkeit in Bezug auf die zeitliche Dimension eines nachhaltig durchgeführten Transformationsprozesses“. Auch aus Sicht der Gewerkschaft brauche es dafür genügend Spielraum. „Wir werden noch eine Zeit lang Rohöl verarbeiten müssen, das ist die Wahrheit“, so Rolf Erler von der IGBCE. „Wir müssen die Raffinerie weiter am Laufen halten, um auch den Umstieg auf Wasserstoff finanzieren zu können“. Der gesellschaftliche Bedarf nach Rohölprodukten sei laut dem Gewerkschafter zudem momentan auch noch vorhanden - eine Bestandsaufnahme, die vor allem die politischen Versäumnisse aller Akteure deutlich macht. 

Dieser Bedarf nach Rohölprodukten wird nichtsdestotrotz deutlich abnehmen. Auch die Klimabewegung wird von ihrer Forderung nach schnellem Handeln – zurecht – nicht abrücken. Der Druck zum Handeln ist groß. Die Beschäftigten und Menschen in der Region stehen so vor der immensen Herausforderung, in kürzester Zeit eine enorme Transformation zu bewerkstelligen. Dies alles unter den Bedingungen geopolitischer Machtkämpfe, einer globalen Energie- und Klimakrise, einer unklaren zukünftigen Gesellschafterstruktur, der Versuche rechter Einflussnahme, der Erfahrung des vorherigen Kahlschlags, sowie maximal vager Versprechen der Bundespolitik.