Man kann heute einem amerikanischen Politiker nichts Schlimmeres nachsagen, als ein »Redistributionist« zu sein. Und doch steht das Jahr 2013 für eine der größten Umverteilungen in der neueren Geschichte der Vereinigten Staaten. Es war eine Umverteilung von unten nach oben, von den arbeitenden Menschen hin zu denen, die Amerika besitzen.
Die Aktienkurse befanden sich Ende 2013 auf einem Allzeithoch – was den Anlegern den höchsten Jahresgewinn seit fast zwei Jahrzehnten bescherte. Die meisten Amerikaner hatten allerdings nichts davon, weil sie keine Rücklagen bilden konnten, um ihr Geld anzulegen. Mehr als zwei Drittel der US-BürgerInnen hangeln sich von Zahltag zu Zahltag.
Auch wenn man den Wert der Pensionskonten hinzunimmt, befindet sich der Großteil der Kapitalanteile im Besitz der Superreichen. Das eine Prozent der reichsten Amerikaner verfügt über 35 Prozent des Werts aller in US-Besitz befindlichen Anteile. Die reichsten 10 Prozent halten mehr als 80 Prozent. In der Hausse1 von 2013 knacken also Amerikas Reiche den Jackpot.
Was hat das mit Umverteilung zu tun? Man könnte einwenden, der Aktienmarkt sei eben ein großes Kasino. Da es größtenteils den Reichen gehört, bedeutet ein Anziehen der Kurse nur einen Vermögenstransfer von den einen (die ihre Anteile zu früh verkauft haben) zu anderen Reichen (die früh genug gekauft haben und ihre Anteile lange genug gehalten haben, um den großen Gewinn einzustreichen). Das lässt aber außer acht, dass sich Aktienkurse an Profiten orientieren. Sie spiegeln diese nicht exakt wider, das Verhältnis von Kursen und Gewinnen schwankt kurzfristig auf und ab. Auf längere Sicht entsprechen die Aktienkurse aber den wirtschaftlichen Profiten. Und 2013 war ein Jubeljahr für Profite.
Woher stammen diese Profite? Hier kommt die Umverteilung ins Spiel. Die USUnternehmen haben den Großteil ihres Geldes nicht durch höhere Absätze gemacht (auch wenn es bei den Exporten einen Zuwachs gab). Sie haben das große Geld vor allem durch die Senkung ihrer Kosten gemacht – vor allem beim größten Kostenfaktor: den Löhnen. Sie drücken die Löhne, weil die meisten Beschäftigten in dieser Frage keine Verhandlungsmacht mehr haben. Die unverändert hohe Arbeitslosigkeit – mit einer Rekordzahl an Langzeitarbeitslosen und einer großen Zahl von Menschen, die überhaupt aufgegeben haben, nach Arbeit zu suchen – erlaubt es den Unternehmen, ihre Bedingungen zu diktieren.
Jahrelang wurde die Verhandlungsmacht der US-Beschäftigten auch durch immer bessere Möglichkeiten der Auslagerung in Billiglohnländer, durch neue EDV-Programme, die fast einen Arbeitsplatz ersetzen, und durch eine fortlaufende Umwandlung von Vollzeitbeschäftigung in Teilzeit- oder Leiharbeit ausgehöhlt. Und die Gewerkschaften sind geschrumpft. Waren in den 1950er Jahren mehr als ein Drittel der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im privaten Sektor Gewerkschaftsmitglieder, sind heute nicht einmal sieben Prozent gewerkschaftlich organisiert.
All das erklärt, warum die Profite im Zuge dieses Aufschwungs gestiegen sind (allein 2013 um mehr als 18 Prozent), während die Löhne sanken. Die Unternehmensgewinne repräsentieren heute den größten Anteil am Bruttoinlandsprodukt – und die Löhne den kleinsten. Also: eine große Umverteilung.
Man könnte natürlich sagen, dass es sich um keine wirkliche »Umverteilung« handelt – in dem Sinne, wie der Begriff normalerweise verstanden wird –, weil der Staat ja nichts umverteilt. In dieser Sichtweise spiegeln sinkende Löhne, höhere Profite und ansteigende Kurse nur die Mechanismen des freien Marktes wider. Damit wird aber ingoriert, dass der Staat die Spielregeln bestimmt. Der Bundeshaushalt und die Haushalte der Bundesstaaten wurden beispielsweise gekürzt – was zu einem Rückgang der Nachfrage führte und zu höherer Arbeitslosigkeit. Der Kongress hat steuerliche Anreize zur Beschäftigungsförderung immer wieder abgelehnt. Einzelne Bundesstaaten haben sogenannte »Recht-auf-Arbeit«-Gesetze verabschiedet, die eine Abführung obligatorischer Gewerkschaftsbeiträge verbieten. Und so weiter.
Als sei dies nicht genug, wird zugunsten der Besitzenden und zulasten der Lohnabhängigen an der Steuerschraube gedreht: Reichtum wird niedriger besteuert als Arbeit.
Kapitalgewinne, Dividenden und Schulden werden steuerrechtlich begünstigt – weshalb Mitt Romney, Warren Buffet und andere Milliardäre und Multimillionä- re nach wie vor jährlich 12 Prozent ihres Einkommens an Steuern bezahlen, die meisten von uns aber mindestens den doppelten Anteil. Zu den größten Gewinnern gehören auch Topmanager und Wall-Street-Händler, deren Jahresendzulagen an die Aktienkurse gekoppelt sind, außerdem Hedgefonds- und Private-Equity-Manager, deren als »Gewinnbeteiligung« deklariertes Einkommen durch ein spezielles Steuerschlupfloch als Kapitalgewinn behandelt wird. Die Kursexplosion von 2013 hat ihnen fabelhafte Netto-Zusatzeinkünfte beschert.
In den Vereinigten Staaten gibt es seit Langem eine Umverteilung von unten nach oben, aber 2013 haben wir uns selbst übertroffen. Zu einer Zeit rekordverdächtiger Ungleichheit und obwohl es wirtschaftlich längst wieder aufwärts geht, fand in den USA eine große Umverteilung nach oben statt.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen auf portside.com. Aus dem Englischen von Thomas Laugstien.
Anmerkungen
1 Hausse oder Bullenmarkt bezeichnet an der Börse anhaltend steigende, dagegen Baisse oder Bärenmarkt anhaltend fallende Kurse (Anm. d. Red.).