Im Mai 2012 startete die Teachers Insurance and Annuity Association (TIAA), einer der größten Finanzdienstleister der USA mit einem verwalteten Vermögen von fast einer Billion US-Dollar, ein neues Investmentvehikel: Global Agriculture LLC. Über diesen Fond sollten zwei Milliarden US-Dollar in Agrarland in Brasilien, Australien, Osteuropa und den USA investiert werden. TIAA öffnete diesen Fond auch für andere Pensionskassen, die weit weniger Expertise auf diesem Feld haben. Im August 2015 verkündete TIAA, dass weitere drei Milliarden US-Dollar für die neue Investmentplattform Global Agriculture II LLC eingesammelt worden seien. Diesmal waren 20 weitere Investoren mit an Bord.
Diese Aktivitäten stehen für ein Phänomen, das seit einiger Zeit für Schlagzeilen sorgt: der großflächige und langfristige Erwerb von Agrarland (mittels Kauf, Pacht oder Konzessionen) durch globale Finanzinvestoren, Agrarkonzerne und Staaten, um dort Nahrungsmittel, Holzkulturen oder Biokraftstoffe anzubauen oder in CO2-Senken zu investieren. Es sind vor allem Finanzinvestoren, die diese neue Landnahme antreiben. Insbesondere institutionelle Investoren sind seit der Finanzkrise auf der Suche nach neuen sichereren Anlagehäfen. Die Nahrungsmittelpreiskrise 2007/08, eine wachsende Weltbevölkerung, gewandelte Ernährungsgewohnheiten in den asiatischen emerging markets, eine steigende Nachfrage nach Anbauflächen für Agrarkraftstoffe und CO2-Senken im Kontext von Peak Oil und Klimawandel sowie stagnierende oder sinkende Erträge in Kernproduktionsräumen schienen die Landwirtschaft zu einer sicheren Bank zu machen, denn Land ist eine begrenzte Ressource und erscheint im Vergleich zu anderen Finanzprodukten als etwas Greifbares, von relativ geringer Komplexität.
Investmenttrends: Was, Wer, Wo, Wie viel, Wie?
Ganz in diesem Sinne investierten Finanzinvestoren zwischen 2006 und 2016 weltweit 45 Milliarden US-Dollar in Agrarland und in die landwirtschaftliche Produktion. Aufkäufer sind vor allem Pensionsfonds, aber auch Familien- und Universitätsstiftungen (darunter etwa die Harvard-Stiftung), Lebensversicherungen, Entwicklungsbanken, Staatsfonds oder reiche Einzelpersonen. Das Land wird oft über sogenannte Asset Manager verwaltet und je nach Region und Investmentstrategie unterschiedlich in Wert gesetzt. Dabei geht es nie nur um die Erwirtschaftung stetiger Einkommensströme (aus Pacht oder direkter Bewirtschaftung), sondern um die Steigerung des Kapitalwerts und den lukrativen Wiederverkauf.
Auch wenn das Anlagevolumen im Vergleich zu anderen Anlageprodukten wie etwa Immobilien eher gering erscheinen mag, wächst es doch kontinuierlich, mit spürbaren Konsequenzen für die Bodenmärkte und die Agrarproduktion weltweit. Doch dies ist nicht die einzige Weise, wie Landwirtschaft zunehmend den Imperativen der Finanzwirtschaft unterworfen wird. Heute sind viele Agrarkonzerne selbst auf »Finanzmärkten« aktiv. Große Rohstoffhändler wie Cargill handeln mittlerweile im Bereich der futures markets mit komplexen Derivaten von Warentermingeschäften. Dies wiederum beeinflusst die Preise auf den Gütermärkten für Weizen, Reis oder Kaffee und hat damit direkte Auswirkungen auf Agrarproduzent*innen und -konsument*innen, vor allem im globalen Süden. Die Börsennotierung vieler großer Agrarkonzerne wirkt sich auch auf deren Unternehmensstrategien aus – jüngstes Beispiel ist die geplante Übernahme von Monsanto durch die Bayer AG –, mit massiven Konsequenzen für die Organisation von agrarischen Warenketten. Schließlich investieren Kapitalanleger in jüngerer Zeit verstärkt in Agrartechnologieunternehmen zum Zwecke der Förderung einer »smarten Landwirtschaft« (auch als Landwirtschaft 4.0 bekannt). Letztere soll eine neue Ära daten- und technologiegetriebener Agrarproduktion einläuten. So wird Landwirtschaft dem Nummernkult der Finanzwirtschaft zugänglich.
Finanzialisierung von Agrarland: Eine Kritik der Kritik
In globalisierungs- und kapitalismuskritischen Kreisen wird der globale Ansturm auf Agrarland vor allem als »Land Grabbing« diskutiert. Dabei ragen vor allem drei Kritikpunkte heraus. Erstens gibt es die These von der Finanzialisierung, womit in den Sozialwissenschaften der wachsende Einfluss von Finanzmotiven, -beziehungen, -kennzahlen, -akteuren und -institutionen in der Ökonomie bezeichnet wird. Im Kern geht es um eine Ausweitung des Operationsbereichs von Finanzmärkten.
Zweitens, dafür steht beispielhaft die Kritik von Roman Herre (2013: 5) von der NGO FIAN, wird vor der Kommodifizierung von Land infolge der Finanzialisierung gewarnt, womit »die einseitige und dominante Übertragung von ökonomischem Wert auf die Ressource Land [gemeint ist]. Dadurch werden gleichzeitig soziale, kulturelle, ökologische, historische oder territoriale Werte und Aspekte von Land beschnitten oder gänzlich ausgeblendet.«
Drittens wird oft argumentiert, dass Finanzialisierung ein von der Realwirtschaft losgelöster Prozess sei, durch den Gewinne spekulativ bzw. virtuell erwirtschaftet würden. Die Behauptung, der Finanzsektor generiere keinen wirklichen Wert, sondern lebe lediglich von der Wette auf die Preisentwicklungen eines Wertes und vom Handel mit Rechten an den Einkünften aus dieser Entwicklung, hat eine lange Tradition, die bis zu Marx zurückgeht.
Die Annahmen, die diesen Kritikpunkten zugrunde liegen, sind nicht unproblematisch. Wenn wir Finanzmärkte für ihren stetigen Ausdehnungsdrang anklagen, nennen wir dann das Kind beim Namen? Sind Finanzmärkte wirklich Märkte im klassischen Sinne? Anders als Gütermärkte zeichnen sie sich nämlich nicht durch den gepreisten Austausch von Waren aus, sondern durch Spekulations- und Investitionstätigkeiten, die den Transfer von Rechten an Assets beinhalten. Assets sind zum Eigentum gemachte Bereiche des Lebens, die einen Einkommensstrom erzeugen. Im Gegensatz zu Waren werden Assets bei steigender Nachfrage nicht billiger, sondern teurer, denn diese sind so konstruiert, dass ihre Vervielfältigbarkeit begrenzt ist (z. B. bei intellektuellen Eigentumsrechten). Finanzialisierung ist damit zum großen Teil nicht Vermarktlichung, sondern Assetisierung. Erst wenn sich Assets in eine liquide Form – bei Immobilien etwa über Verbriefung – überführen lassen, werden sie auf sekundären Märkten als Waren handelbar.
Assetisierung ist auch kein Prozess, in dem die »sozialen Werte« eines gesellschaftlichen Bereichs durch rein »ökonomische Werte« überschrieben würden. Ihr liegt eine zutiefst moralische Ordnung zugrunde – ein scheinbarer Widerspruch, denn Finanzmärkte und Moralität werden oft als Gegensätze diskutiert. Ökonomische Rationalitäten und Werte lassen sich jedoch nicht einfach von kulturellen oder moralischen Werten trennen, sondern sind selbst eine spezifische Ausprägung ebensolcher. Vermeintlich ökonomisch-technische Debatten über Finanzmärkte – für die ein kleiner Kreis oft männlicher Experten die Expertise beansprucht – sind daher auch immer normative Debatten über moralische Ordnungen. Sie strukturieren das Handeln der Finanzakteure, nicht etwa irgendwelche höheren Gesetze des »Marktes«. Darum muss die Kritik einer finanzialisierten Wirtschaft auch an diesem Punkt ansetzen.
Auch die Behauptung, der Finanzsektor produziere keine materiellen (sondern nur fiktive) Werte, ist problematisch. Sie fußt auf einem objektivistischen Wertverständnis, wonach nur die Produkte menschlicher Arbeit wertvoll sein können. Während es Bereiche von Finanzmärkten gibt (etwa den Währungs- oder Rohstoffhandel), wo Profit tatsächlich ohne die Mobilisierung von Arbeitskraft entsteht, so geht es bei der direkten Beteiligung etwa an der landwirtschaftlichen Produktion darum, die Form eines Assets so zu strukturieren, dass eine bestimmte Wertentwicklung erzielt werden kann. Dies ist eine paradoxe Angelegenheit, denn auf der einen Seite wird davon ausgegangen, dass dieser Wert schon da sei, sich aber im Verborgenen befindet und es Aufgabe des findigen Finanziers ist, diesen lediglich freizulegen (im Fachjargon als unlocking value bezeichnet). Auf der anderen Seite wird in Finanzkreisen aber immer wieder unterstrichen, dass dieser Wert erst kreiert werden müsse. Letzteres beinhaltet neben einer aktiven Bearbeitung landwirtschaftlicher Assets auch einen Prozess der Synchronisation, durch welchen die Zeitlichkeit, Gesellschaftlichkeit und natürliche Basis landwirtschaftlicher Produktion mit den Ansprüchen und Normen der Finanzwelt in Einklang gebracht werden. Die erwartete Zukunft findet demnach ihren Niederschlag in der Organisation der Gegenwart.
Der Prozess der »Kapitalanlage« ist also Zukunftsarbeit. Diese unterscheidet sich jedoch von Ort zu Ort. In einigen Gegenden der neuen Landnahme wie Neuseeland oder Australien finden Investoren hochgerüstete Agrarbetriebe und investorenfreundliche Bedingungen vor. Hier steht die Assetisierung landwirtschaftlicher Produktion vor geringeren Herausforderungen als in einigen Regionen des globalen Südens, wo die Arbeit völlig neu organisiert werden muss. Die Aneignung von Eigentumsrechten, die Zähmung der Natur, die Organisation und finanzielle Messbarkeit und Transparenz von Produktionsprozessen sowie die formale und reale Subsumption von Arbeitskraft sind integraler Bestandteil der Assetisierung von Landwirtschaft. Hierbei handelt es sich nicht bloß um »Spekulation«, um unproduktive Tätigkeiten, die rein fiktive Werte schaffen. Es geht um die Organisation produktiver Tätigkeiten, aber eben ganz im Sinne finanzwirtschaftlicher Überlegungen. Spekuliert wird darauf, dass sich die Intervention auszahlen und positiv zur Wertsteigerung beitragen wird, indem zukünftige Käufer*innen bereit sein werden, das Risiko des »Erstinvestors« entsprechend zu entlohnen. Das Übrige tut in dieser Logik der Markt.
Gegen die Assetisierung von fast allem
Diese Kritik an der (verkürzten) Kritik der »grünen« Finanzialisierungsdebatte bedeutet keinesfalls, dass die Assetisierung von Agrarland – ebenso wie von anderen Lebensbereichen – nicht höchst kritikwürdig wäre. Es ist jedoch zunächst notwendig, die sozialen und moralischen Parameter dieser Prozesse offenzulegen. Nur so können wir die epistemische Autorität von Finanzeliten herausfordern, die zumeist das alleinige Sorgerecht für Finanzmärkte beanspruchen. Denn es gibt keinen intrinsischen Wert eines Assets, der nur darauf wartet, aus seinem Dornröschenschlaf erweckt zu werden. Sowohl das Asset wie auch sein finanzieller Wert werden gesellschaftlich hergestellt. Dies ist kein rein technischer oder ökonomischer Prozess, sondern ein moralisch aufgeladenes Unterfangen. Und Normen und moralische Werte sind im Gegensatz zu den vermeintlichen »Gesetzen des Marktes« veränderbar.
Das bedeutet auch, dass wir die Zeitpraktiken moderner Finanzmarktbürokratien kritisch hinterfragen müssen. Nicht nur bei Beteiligungen an der Landwirtschaft gehtes darum, die Produktion mit Blick auf die anvisierte Rendite zu verwalten. Das scheint auf den ersten Blick nicht immer problematisch. Wenn etwa ökologische Überlegungen zunehmend wichtiger für Investoren werden, so mag eine Milchfarm in Neuseeland, die einem amerikanischen Pensionsfonds gehört, durchaus einmal eine bessere Umweltbilanz haben als »normale« Milchfarmen. Gleichzeitig wird dies primär aus Renditegründen getan, denn ein nachhaltiger Betrieb erzielt im Falle einer Veräußerung womöglich einen höheren Preis.
Außerdem müssen wir anerkennen, dass emanzipatorische Projekte nicht mehr nur die Sphäre der Produktion politisieren müssen, sondern vor allem auch die Sphäre der global verwobenen Reproduktion. Die üblichen Proteste gegen »Banker im Landrausch« sind wenig zielführend. Ein Großteil der in die Landwirtschaft fließenden Investitionen stammen aus Pensionseinlagen. Hier muss letztendlich ein viel größeres Problem verhandelt werden, nämlich, dass im finanzialisierten Kapitalismus die materielle Absicherung breiter gesellschaftlicher Schichten im globalen Norden – durch Renten, Versicherungen – privatisiert wurde und durch Anlagen auf Finanzmärkten sichergestellt werden soll. Diese durch die Erosion des fordistischen Sozialstaats entstandene neue Kultur der Massenanlage geht für sie mit neuen Risiken und Zwängen einher.
Indem auf diese Weise die Kosten der Reproduktion externalisiert, also gewissermaßen ausgelagert werden, werden nicht nur agrarische Landschaften anderswo umgepflügt. Zugleich werden auf diese Weise globale Ungleichheiten fortgeschrieben und vertieft. Denn einerseits partizipiert nur ein geringer (wenn auch wachsender) Anteil der globalen Bevölkerung an kapitalmarktgedeckten Rentensystemen. Zum anderen verfestigt sich durch die Ausdehnung der Assetisierungsmaschinerie der Anteil des »einen Prozent« der Superreichen, denn Manager landwirtschaftlicher Beteiligungsfonds erheben wie in anderen Bereichen großzügige Gebühren, versteuern diese in der Regel aber nicht als Einkommen, sondern als Kapitalertrag. Angesichts der 2,49 Billionen US-Dollar, die mittlerweile von Private-Equity-Fonds verwaltet werden, ein nicht unbedeutender Beitrag zur globalen Ungleichheit.
Des Weiteren führt die Aneignung von Agrarland durch kaufkräftige Finanzinvestoren an vielen Orten auch zu Preissteigerungen beim Boden, die den weniger kapitalisierten Akteuren zusetzen. Zu erwarten sind außerdem tiefgreifende Folgen für die Nahrungsmittelsicherheit und Ernährungssouveränität. Durch die zumeist massiven Investitionen in die Landwirtschaft wird ein ökologisch problematischer und kurzfristig orientierter Produktivismus gefördert, der vor allem kleinbäuerliche Betriebe bedroht – direkt über Verdrängung oder indirekt über die Konkurrenz und den Preisdruck durch Überproduktion oder Importe. Der eingangs erwähnten TIAA wird vorgeworfen, in der Cerrados-Region in Brasilien mit dem Erwerb von über 250 000 Hektar Land (etwa die Fläche des Saarlands) und insbesondere durch Investitionen in den sozial und ökologisch wenig verträglichen industriellen Sojaanbau (Romero 2015) solche Verwerfungen auszulösen. Hinzu kommt die Assetisierung derjenigen Bereiche, die der Produktion vor- und nachgelagert sind: Sie bergen aufgrund ihrer Marktgröße und der darin realisierbaren Kontrollstrategien noch wesentlich größere Risiken für die globale Ernährungssouveränität. Insgesamt entstehen durch den finanzgetriebenen Ansturm auf Agrarland neue globale Eigentumsverhältnisse, bei denen bestimmte privilegierte Subjekte – vor allem im globalen Norden – zu distanzierten Eignern an Land und landwirtschaftlichen Betrieben werden. Diese Relationalität ist an sich nichts Neues, war der Kapitalismus doch von Anfang an eine Formation, deren Motor auf globalen Verflechtungen beruhte.
Die Aneignung billiger Arbeit, Energie, Natur und Nahrung an immer neuen frontiers sind seit jeher integraler Bestandteil des expansionshungrigen kapitalistischen Systems (Moore 2016). Dieses Verhältnis hat aber eine neue Gerinnungsform gefunden, die sehr wohl ein neues Element kapitalistischer Verwertung darstellt: die »Asset-Form« (Muniesa et al. 2017). Von den Wagniskapitalgebern des Silicon Valley über die Kapitalisierer von Patenten und Verwaltern von Immobilienfonds bis hin zu den mächtigen Private-Equity-Unternehmen, die uns durch ihre verzweigten Besitztümer fast überall im Alltag begegnen: Sie alle arbeiten tagtäglich an der Asset-Form. Emanzipatorische ökonomische Projekte müssen deswegen verstärkt diese weit verbreitete, aber bisher wenig verstandene Form der kapitalgetriebenen Transformation fast aller Lebensbereiche problematisieren.