»Das ist die Erde. Sie wird niemals der Himmel sein«
Ich bin seit vielen Jahren aktiv in der Klimabewegung, meistens mache ich Öffentlichkeitsarbeit. In unzähligen Workshops, Aufrufen und Pressemitteilungen habe ich erklärt, warum wir dringend Kohlebagger lahmlegen und energieintensive Industrien abschalten müssen. Wenn mich vor fünf Jahren jemand gefragt hätte, was zu tun sei, um die Klimakrise zu stoppen, hätte ich die Antwort gewusst: Wir müssen fossile Infrastruktur blockieren, massenhaften zivilen Ungehorsam rund um Kohletagebaue, Pipelines und Autobahnen leisten. Und zwar sofort. Alle. Mir saß die tickende Kohlenstoff-Uhr im Nacken, auf der in Zehntelsekunden die Zeit verrinnt, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Ich verstand nicht, warum Menschen nicht alles stehen und liegen lassen, um mit einer gesellschaftlichen Kraftanstrengung die Notbremse zu ziehen.
In der Zwischenzeit ist bei mir etwas passiert – ich kann gar nicht genau sagen, was. Ich mache es an den Bildern von brennenden Wäldern in Australien fest. Oder an dem Hitzesommer 2018, als die Bäume vor meinem Fenster vertrockneten. Oder am Absturz nach dem Höhenflug der Klimabewegung: der Hambacher Forst gerettet, Tausende bei den Ende-Gelände-Aktionen, über eine Million Menschen beim Klimastreik im September 2019. Doch statt System Change haben wir Ladesäulen für E-Autos gekriegt.
Ich hoffe nicht mehr ernsthaft darauf, dass wir die 1,5-Grad-Grenze einhalten können. Ich hoffe darauf, dass in 30 Jahren noch Trinkwasser aus dem Hahn kommt – für möglichst viele. Und dass wir es schaffen, die Folgen der Klimakrise möglichst solidarisch zu verwalten. Dieser Ernüchterungsprozess hat verrückterweise etwas Erleichterndes mit sich gebracht. Ich glaube, ich habe aufgegeben. Das schreibe ich auf die Gefahr hin, dass die meisten Menschen das missverstehen werden. Ich halte 1,5 Grad immer noch für politisch wichtig. Aufgeben heißt nicht aufhören. Unabhängig von Gradzahlen ist verdammt viel zu tun. Die globale Erwärmung wird sich durch die Kipppunkte teilweise unserer Kontrolle entziehen, die Klimakrise nicht. Für Klimagerechtigkeit wird es nie »zu spät« sein (vgl. AusgeCo2hlt 2021). Es geht – weiterhin und noch viel mehr – um einen gerechten Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen, um Macht- und Ausbeutungsverhältnisse, um den Erhalt von Feuchtgebieten genauso wie um offene Grenzen. Und jedes Biotop, jeder politische Spielraum zählt.
Vielleicht ist aufgeben gar nicht das richtige Wort. Akzeptieren? Ich habe akzeptiert, in einer Welt mit hohen dystopischen Anteilen zu leben. Akzeptieren heißt nicht »sich abfinden«. Akzeptieren ist das Gegenteil von Verdrängung. Es ist kein Schmusekurs mit dem Status quo, sondern Voraussetzung, ihn präzise am Kragen packen zu können. Dieser geistige Spagat ist wunderbar ausgedrückt in Gramscis Formulierung »Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens«.
Woher aber die Energie finden für den »Willen« weiterzumachen? Mir hilft ein Zitat der US-amerikanischen Autorin Rebecca Solnit: »This is earth. It will never be heaven.« Ich lese darin ganz viel Lebensbejahendes. Die Bereitschaft, sich einzulassen auf das, was ist. Bitte, fühl dich auf der Erde wie zu Hause! Es nimmt eine Last von meinen Schultern. Diesen erdrückenden Anspruch, den verknoteten Krisenhaufen unserer Gegenwart zum Paradies machen zu müssen. Es befreit mich von einer Haltung, die Kraft raubt: das ständige Verzweifeln an der real existierenden Gesellschaft, weil es nicht die Utopie ist; das Misstrauen gegenüber kleinen Veränderungen, weil sie nicht die Revolution sind; die Verachtung gegenüber den Menschen, die das mit dem Kapitalismus immer noch nicht verstanden haben, die scharfe Kritik an den Mitstreiter*innen, die es nicht schaffen, sich zu verhalten, wie wir uns das in einer befreiten Gesellschaft vorstellen; und schließlich vom unerbittlichen Perfektionismus uns selbst gegenüber. Mit dieser Haltung gebe ich zwar manch eine Hoffnung auf, nicht aber die Überzeugung, dass die Welt gerechter sein muss, oder die Freude an der Zusammenarbeit mit anderen, die diese Überzeugung teilen. Freude im Sinne von: zusammen neue Dinge tun und dabei wachsen – »to become capable of new things, with others« (Montgomery/Bergman 2017).
Was hat sich also für mich verändert seit den brennenden Wäldern im Jahr 2019? Ich tippe immer noch Aufrufe, RWEs Kohlebagger zu stoppen. Aber ich mache dabei mehr Kaffeepausen und weniger Nachtschichten. Die Kohlenstoff-Uhr stresst mich nicht mehr so arg. Ich habe akzeptiert, dass Veränderung Zeit braucht. Viel Zeit. Und dass alles anders kommt, als ich denke (#Pandemie, #Krieg). Ich fühle, natürlich, Trauer, Wut, Ohnmacht, Genervtheit. Aber drumherum auch Gelassenheit.
Was sage ich heute, wenn mich Leute fragen, wie wir der Klimakrise begegnen? Ich muss länger nachdenken und meine Antwort ist schwammiger. Ich sage vielleicht, dass Beziehungen keine Ablenkung von politischer Arbeit sind oder nette Nebeneffekte, sondern das, was alles zusammenhält. Oder dass es darum geht, all unsere Strukturen so widerstandsfähig zu machen wie möglich – ob gegen Extremwetterereignisse oder autoritäre Regierungen. Dazu gehört der Aufbau einer wasserspeichernden Humusschicht genauso wie das Knüpfen von starken, handlungsfähigen Netzwerken. Direkte Aktionen gegen Waldrodungen und andere Formen der Zerstörung finde ich weiterhin wunderbar und wichtig. Aber die selbstorganisierte Kulturkneipe auf dem Lande ebenfalls. Es kommt darauf an, möglichst viele Räume und Situationen zu schaffen, in denen Menschen sich als Teil eines größeren Zusammenhangs erleben, in dem alles, was sie tun oder lassen, eine Wirkung hat. Denn dort passiert Veränderung. Mittlerweile denke ich, es geht im Prinzip um etwas, was die einen Demokratie nennen. Die anderen Anarchismus. Und manche einfach: Verbundenheit.
Dorothee Häußermann
Literatur
AusgeCO2hlt, 2021: Jenseits von Hoffnung und Zweifel – warum Aufgeben keine Option ist
Montgomery, Nick/Bergman, Carla, 2017: Joyful Militancy. Building Thriving Resistance in Toxic Times, Chico, CA