Wie kann man eigentlich mit immer weniger Energie und Stoffen und Wasser produzieren? Damit ist im Grunde die gesamte Hardware der Gesellschaft, von den Gebäuden über Maschinen bis zu digitaler Software (die immer mehr Strom verbraucht), in Frage zu stellen.
Warum ist Europa einst zur dominanten Macht in der Welt aufgestiegen? Ich möchte mich auf eine – wie es sich für mich gehört – ressourcenzentrierte Hypothese konzentrieren, basierend auf The Great Divergence von Kenneth Pomeranz (2000). Bis 1780 waren die großen Zivilisationen der Welt ungefähr auf demselben Entwicklungsniveau, insbesondere China und Europa, bzw. das Yang-Tse-Delta auf der einen und England auf der anderen Seite. Beide Zivilisationen hatten ein ähnliches Problem: Die wirtschaftliche Entwicklung war an Grenzen gelangt, damals auch schon an ökologische Grenzen, die Grenzen der Fläche. Denn in einer biomassezentrierten Ökonomie, in der vorindustriellen Solarwirtschaft, ist Land die wichtigste Ressource. Land bzw. Wald stellen Treibstoff, Wärme, Material und natürlich auch Nahrung bereit. Es kam – wie jeder Umweltschützer weiß – in Europa zur Holzkrise. Die Problematik in China war ganz ähnlich. Weshalb hat England es geschafft, diese Beschränkungen zu überwinden und den Sprung nach vorne zu machen?
England war in der Lage, zwei Typen von Ressourcen zu mobilisieren. Erstens: biotische Ressourcen aus den Kolonien. Wenn eigenes Land knapp wird, wird versucht Land jenseits der Grenzen zu mobilisieren. Dies ist eine mögliche Charakterisierung von Kolonisierung. Im Grunde waren die Kolonien Orte, aus denen England biotische und andere Ressourcen bezogen hat. China hat keine Überseeentwicklung durchgemacht und hatte nur lockere Vernetzungen im Umkreis des chinesischen Meeres.
Zweitens, England hat es geschafft, in die Kruste der Erde einzugreifen, also Kohle in Arbeitsenergie umzuwandeln. »Unterirdischer Wald« war der mittelalterliche Ausdruck für Kohle. Die Möglichkeit, Kohle, also unterirdische Fläche, zu fördern, hat wiederum große Chancen eröffnet, Land zu substituieren – England war um 1840 über Kolonien und Kohle in der Lage, eine Fläche zu mobilisieren, die schätzungsweise so groß war wie England selbst. China wiederum verfügte über Kohle, aber v.a. im Nordosten. Es gab also ein geographisches Problem innerhalb des Riesenreiches.
Der Ausgriff in die Weite des geographischen Raums und der Griff in die Tiefe der geologischen Zeit waren zwei wesentliche Bedingungen für den Aufstieg der euroatlantischen Zivilisation. Ohne diese würde die Gestalt der industriekapitalistischen Gesellschaften ganz anders aussehen.
Das Entwicklungsdilemma
Warum diese Geschichte nacherzählen? Weil beide Bedingungen im 21. Jahrhundert nicht mehr ohne weiteres verfügbar sind. Natürlich gibt es nach- und neokoloniale Strukturen, der Zugriff auf Kolonien ist jedoch sehr viel schwieriger. Darum drehen sich auch viele Konflikte innerhalb der großen Schwellenländer, es handelt sich im Grunde um Kolonisierungskonflikte im eigenen Land: in Brasilien, Indien, Indonesien – Kämpfe um die biotischen Stoffe und andere Ressourcen im eigenen Land, notwendig für die industrielle Entwicklung.
Außerdem sind die Vorräte an Kohle, Öl, Gas etc. begrenzt, und ihr Verbrauch richtet mittlerweile ein Klimachaos an. Die Zugänglichkeit, der niedrige Preis und auch die langfristige Dauerhaftigkeit dieser Ressourcen sind in Frage gestellt. Die drei Großkrisen hängen zusammen: Das Klimachaos läuft eher im Hintergrund. Deutlich ist das Erreichen des peak oil und der damit verbundenen Folgen, angefangen von enormen Preissteigerungen. Die Krise der biologischen Ressourcen, also die Erschöpfung der Fischbestände, der Grasnarbe, der Fruchtbarkeit der Böden, der Wälder usw. trifft v.a. den globalen Süden, auch weil viel mehr Menschen ihren Unterhalt direkt davon bestreiten müssen.
Die historische Situation kann also so beschrieben werden: Die euro-atlantische Zivilisation hat einen Start zu glänzendem Reichtum gemacht, aber die Bedingungen, die diese Entwicklung möglich machten, sind immer weniger verfügbar. Das führt offensichtlich in ein Dilemma. Jener Aufstieg der euro-atlantischen Zivilisation hat eine ungemeine symbolische Kraft entwickelt. Die Imagination der Welt ist in hohem Maße geprägt vom Lebens-und Produktionsstil dieser euro-atlantischen Zivilisation. ›Entwicklung‹ heißt häufig nichts anderes als ›so zu werden wie die Reichen‹. Dieser Sieg der euro-atlantischen Zivilisation
setzt Standards, ist zur Projektionsfläche für Wünsche nach einem besseren Leben geworden. Es gibt kaum mehr ein Dorf in der Welt, in das die Bilderfetzen dieser euroatlantischen Zivilisation nicht vordringen. Ihre Erfüllung wird immer unmöglicher. Darin steckt ein exklusives Potenzial. Das macht das Entwicklungsdilemma aus: Die Formen von Wohlstand, von Reichtum, von attraktivem Leben, die in unserer Zivilisation entwickelt worden sind, sind nicht gerechtigkeitsfähig, d.h. sie können auf der Welt nicht verallgemeinert werden. Das hat mit Verteilungsfragen nur begrenzt etwas zu tun, unsere Zivilisation ist strukturell nicht gerechtigkeitsfähig. Selbst wenn wir alle eine gerechte Verteilung wollten, würde uns das nur schneller der biologischen und ökologischen Katastrophe entgegentreiben. Die Struktur verlangt, dass nur wenige daran teilhaben.
Deshalb gibt es nur zwei Wege. Der eine Weg ist, am Wohlstandsmodell der industriellen Moderne festzuhalten. Der andere Weg zwingt uns, sofern man eintritt für eine demokratische Weltgesellschaft, das überlieferte Wohlstandsmodell in Frage zu stellen. Das ist eine der Thesen in unserem Buch Zukunftsfähiges Deutschland (Wuppertal Institut 2008) – bzw., wir nehmen nur auf, was viele gedacht, erprobt und entwickelt haben: dass Gerechtigkeit nicht mehr von Ökologie zu trennen ist. Jeder, der für mehr Gleichheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde auf unserem kleinen Planeten eintritt, ist gezwungen, ökologisch zu sein. Oder: Es kann auch nicht mal mehr die Spur einer sozialistischen Idee geben, ohne ökologisch zu sein. Die Forderung für die nächsten Jahrzehnte lautet, Wohlstandsmodelle zu erfinden, die gerechtigkeitsfähig sind, die Ressourcen schonen und naturverträglich sind.
Ökologischer Wohlstand
Was könnte das heißen, nicht als abstrakte Utopie, sondern als Prozessutopie? Ich möchte eine Metapher verwenden, um die Überlegung zu vereinfachen. Denken Sie an einen Tanker und ein Segelschiff. Der Tanker ist gewaltig, mächtig, kraftvoll, groß, zieht durch die Weltmeere, befördert enorme Lasten. Das Segelboot ist leicht, klein, wendig, aber tänzelt ein bisschen unschlüssig herum, kann nicht im Entferntesten die Lasten transportieren, die der Tanker aufnimmt. Betrachten Sie den Tanker als Symbol für die Industriezivilisation und das Segelboot als ein Symbol für eine ökologische Ökonomie. Letztere bedingt, beim Auslaufen möglichst wenig Gewicht zu laden. Das Gewicht im Segelboot muss gut optimiert sein, zwischen denen, die drin sitzen, den für die Fahrt nötigen Dingen wie Wasser, Nahrung etc., und der Last – diese muss begrenzt bleiben, sonst droht Manövrierunfähigkeit. Daraus ergibt sich die erste Dimension für einen Wandel zum ökologischen Wohlstand: Dematerialisierung. Wie kann eine Ökonomie gestaltet werden, die mit einem drastisch geringeren Durchsatz an Naturressourcen, also Energiestoffen, Wasser und Fläche auskommt? Das ist nicht nur eine Frage unmittelbaren Managements, erfordert vielmehr eine neue Richtung des technischen Fortschritts. Denn letzterer bestand in den letzten 150 Jahren darin, immer mehr mit immer weniger Leuten zu produzieren. Die Logik verschiebt sich:
Wie kann man eigentlich mit immer weniger Energie und Stoffen und Wasser produzieren? Damit ist im Grunde die gesamte Hardware der Gesellschaft, von den Gebäuden über Maschinen bis zu digitaler Software (die immer mehr Strom verbraucht), in Frage zu stellen.
In unserem Buch werden in diesem Zusammenhang drei Dinge angesprochen, die ich hier nicht ausführen kann: leichte Produkte, Produktionsverfahren, die ressourcenleicht sind und als delokalisierte Netze miteinander verknüpft sind. Es ist nicht vertretbar, dass z.B. auf der Strecke zwischen Kohlenflöz und Glühbirne ungefähr 60–70 Prozent der Energie verloren geht. Es ist keine Frage, dass es möglich wäre, durch andere Energie-, Produktions- und Versorgungsstrukturen diesen Verlust der Primärenergie auf vielleicht 20 Prozent zu beschränken. Im Grunde lässt sich diese Logik durch viele Produktionsketten hindurch verfolgen. Darüber hinaus ist ein Übergang von Produkten zu Dienstleistungen nötig.
Eine zweite Dimension für einen Übergang zum ökologischen Wohlstand ist Naturverträglichkeit. Faszinierend an einem Segelschiff ist, dass Schnelligkeit und Kraft aus einem Naturstrom gewonnen wird, ohne diesen zu zerstören. Es nutzt den Wind, ohne ihm Kraft zu nehmen. Mehr noch: Segelboote sind schneller, wenn sie gegen den Wind fahren – dank Jahrhunderten von Erfahrung mit dem Design von Booten, Takelage, Segeln. Darin steckt der Kern der Idee regenerativer Energien: Es ist die Kunst, Naturflüsse mit menschlicher Intelligenz zu nutzen, ohne diese Naturflüsse zu zerstören. Diese Logik steht dem Tanker gegenüber, der bekanntlich den Bestand plündert, der in der Erdkruste sitzt und nichts zurückgibt, ganz anders als das Segelboot. Wenn wir in diesem Zusammenhang von Dematerialisierung sprechen, sollten wir nicht nur Stoffe betrachten, sondern auch Strukturen, weil ein guter Teil unserer zentralistischen, kapitalintensiven und grenzüberschreitenden Produktionsweise auf der Verwaltung und Nutzung fossiler Energieströme beruht. Hier eröffnen sich mit regenerativen Energien neue Chancen auch für andere Produktionsstrukturen, zumindest im Energiebereich und angelagerten Sektoren. Denn vor allem Gas und Öl kommen nur an wenigen Orten der Erdkruste vor, die Konsumenten oder Nutzer aber sind verstreut über die ganze Welt. Dies erfordert, tausende Kilometer an Entfernungen zu überbrücken, von den angezapften Lagerstätten über die Verarbeitung bis zur Distribution an Konsumenten. Dies ist ein Grund für Zentralisierungstendenzen der Industrie, getrieben von den technologischen Erfordernissen der Energieversorger.
Anders mit regenerativen Energien: diese sind praktisch, weil die Sonne, weil Wasser, Biomasse im Allgemeinen überall vorkommt, so dass im Idealfall die Distanz zwischen Ort der Produktion und Ort des Konsums auf null schrumpfen kann. Der Konsument kann gleichzeitig Produzent sein und umgekehrt. Auf Grund dieser Eigenart regenerativer Stoffe, die überall verfügbar sind, verändert sich mit den Prosumers (Produzenten und Konsumenten fallen zusammen) die Struktur der Energieversorgung. Also ist die Perspektive der Naturverträglichkeit eine Perspektive von ungezählt vielen Miniproduzenten an Energie, die durch ein Netz miteinander verbunden sind, nach dem Modell des distributed computing – nun distributed energy generation. Diese Strukturfrage der Dezentralisierung1 als dritter Dimension ökologischen Wohlstands ist hochpolitisch, weil sie sich nicht von allein, quasi ›technologisch‹ einstellt.
Die vierte Dimension ökologischen Wohlstands: Das Segelboot kann unsere Faszination wecken, aber letztendlich wird man zugestehen müssen, dass das Segelboot nicht so viel leisten kann wie der Tanker. Es kann nicht so viele Lasten transportieren, nicht so lange Distanzen überwinden, es ist nicht so zuverlässig wie der Tanker, abhängig von unsteten Winden. Die Folge: Es wird auch die ökologische Zivilisation nicht dieselben Leistungen zur Verfügung stellen können wie die Industriezivilisation. Zentral ist also Selbstbegrenzung.
Naturverträglichkeit und Dezentralisierung produzieren selbst wieder neue Probleme, bzw. sind nicht durchhaltbar, wenn sie nicht gleichzeitig mit der Komponente Selbstbegrenzung verbunden sind, bezogen nicht zuletzt auf Zeit und Geschwindigkeit. Die Industriezivilisation hat hochgeschwinde Fahrzeuge und Vernetzungen produziert, die viel Energie verbrauchen.
Die Frage, die sich stellt: Bietet nicht Entschleunigung wiederum neue Qualitäten auf gleichzeitig viel sparsamerem Ressourcen- und Energieniveau? Das klassische Beispiel – Suffizienz als technisches Designprinzip – wäre eine Automobilflotte, in der kein Auto schneller als 150 Stundenkilometer fahren kann. Die Leistungsbegrenzung, das mittlere Leistungsniveau wird zum Konstruktionsprinzip. Dies ermöglicht auch Fahrzeuge mit anderem Gewicht, mit anderen Materialien. Aerodynamik spielt keine Rolle mehr, weil sie nur jenseits von 100 Stundenkilometern interessant ist. Das heißt, wir sprechen von einer neuen Generation von Technologien, die Suffizienz als Prinzip verfolgen und naturverträglich sein können, weil sie keine Benzinfahrzeuge mehr sein werden.
Auch Regionalisierung oder Dezentralisierung bedeutet ein Stück Selbstbegrenzung in der geographischen Verflechtung, nicht zuletzt bei Ernährung, Tourismus, Dienstleistungen usw. In diesen Bereichen zeichnen sich bereits neue Qualitäten ab, die wieder kultiviert werden. Schließlich haben Selbstbegrenzung und Lebenskunst etwas miteinander zu tun, weil uns bekanntlich die Großproduktion von Gütern der wertvollsten Ressource beraubt, nämlich der Zeit, über die wir alle als Personen verfügen. Wahrscheinlich gibt es einen tradeoff zwischen Reichtum an Gütern und einem Reichtum an Zeit. Darum ist es nahe liegend, dass eine Reduktion der Produktion von Gütern durchaus mit neuen Qualitäten, in diesem Fall Wohlstand an Zeit, einhergehen kann.
Lebensdiensliche Marktwirtschaft
Die Metaphorik von Peter Barnes (2008) aufgreifend: Der Kapitalismus braucht ein neues Betriebssystem. Kapitalismus 1.0 war der Manchesterkapitalismus, Kapitalismus 2.0 waren all die Versuche, die sozialzerstörerischen Tendenzen des Kapitalismus einzudämmen, mit den großen Innovationen der Sozialversicherungen. Diese stellen einen institutionellen Rahmen, um die sozial zersetzenden Tendenzen des Kapitalismus zu begrenzen. Dies führte zu Wohlfahrtsökonomien, Sozialpolitik, manche sagen »sozialer Marktwirtschaft«. Selbstverständlich wurde Kapitalismus 2.0 nie vollendet und nie auf die Dauer gesichert. Dennoch ist es an der Zeit, vom einem Kapitalismus 3.0 zu sprechen, einem System, das es schafft, die naturzerstörerischen Tendenzen zu begrenzen.
Was könnten Prinzipien eines Kapitalismus 3.0 sein?
- Qualitätsstandards: Es kann nicht den Kräften des Marktes überlassen werden, was und wie produziert wird. D.h., es braucht Formen der sozialen Steuerung, die auf ökologische Qualitätsstandards hin arbeiten – auf soziale auch, der Einfachheit halber beschränke ich mich hier auf ökologische. In Japan gibt es z.B. den so genannten toprunnerapproach: Die Regierung eruiert, was zu einem bestimmten Zeitpunkt die beste Waschmaschine ist. Diese erhebt sie zum Standard. Den müssen in fünf Jahren alle erreichen. Und dann wird wiederum die fortgeschrittenste Technologie identifiziert und die wiederum zum neuen Standard. Dies ist nur ein Beispiel, das auch auf ökologische Standards angewandt werden könnte. Andere Qualitätsstandards sind FairTrade oder Biolabel und anderes mehr. Es ist wahrscheinlich, dass mit der Zeit gesellschaftlich akzeptierte Produktionsverfahren und Produkte herauskommen.
- Grenzen setzen. Es ist eine öffentliche Aufgabe, Grenzen in Bezug auf unser Verhältnis zur Natur zu formulieren und durchzusetzen. Bisher war es öffentliche bzw. staatliche Aufgabe, den Konflikt unter den Menschen zu regulieren. Diese besteht fort, aber es kommt eine neue Aufgabe hinzu, die Regulation des Konflikts zwischen dem Wirtschaftssystem, der menschlichen Lebensweise und der Natur. Also gehört es zu den vornehmsten Aufgaben der Politik, im weitesten Sinne des Wortes, Grenzen zu formulieren, durchzusetzen und so zu gestalten, dass sie nicht ungleich wirken. Das verschärft allerdings jeden Verteilungskonflikt.
Der Versuch, Grenzen zu setzen, wird bereits unternommen, z.B. mit dem europäischen Emmissionshandel – bisher ein eher missglückter Ansatz. Der Grundgedanke dahinter ist aber im Sinne einer lebensdienlichen Marktwirtschaft. Denn der Grundgedanke ist nicht trading (Handel). Das ist die Leistung der Amerikaner, dass sie etwas als emmissions trading verkaufen, so dass alle Wirtschaftsfreunde begeistert mittun. Ein wichtiger Teil der Wirtschaft verspricht sich immer noch viel vom Emissionshandel. Umgekehrt: Unseren Freunden von der Linken und den Globalisierungskritikern stehen die Haare zu Berge, weil es um marktwirtschaftlichen Handel mit Emissionen geht. Doch der entscheidende Angelpunkt des Ganzen ist caping, die Begrenzung von Emissionen, nicht trading. Es gibt kein trading ohne caping, aber es kann sehr wohl caping ohne trading geben. Aus diesem Grund haben wir argumentiert, dass der so genannte Emissionshandel eine interessante institutionelle Innovation sein kann, wenn er eine Reihe von Bedingungen erfüllt: Die Emissionsgrenzen dürfen nicht in einem Kuhhandel zwischen Politik und Wirtschaft festgelegt werden, sondern von einer unabhängigen Institution. Eine weitere Bedingung wäre, dass die Lizenzen zum Ausstoß von Emissionen am Beginn der Kette erworben werden müssen, schon bei der Ressourcengewinnung und Energieerzeugung. - Natürlich müssen Lizenzen etwas kosten. Wir erleben eine great commons robbery, einen großen Raub an Gemeineigentum, wenn Emissionsrechte unentgeltlich ausgegeben werden und Unternehmen damit Milliarden von Euro an Gewinnen machen.
- Wer erhält eigentlich die Einnahmen aus dem Verkauf der Rechte, der Bepreisung der Natur, nicht nur beim Emissionshandel? Längerfristig fallen da große Summen an. Es wird geschätzt, der europäische Emissionshandel könne in den nächsten Jahren 50 bis 70 Milliarden Euro im Jahr erwirtschaften. Diese Einnahmen gehören zwei Gruppen von Menschen: Einerseits den europäischen Bürgern, denn die Luft ist ein Gemeinschaftsgut. Andererseits gehört die Atmosphäre nicht nur Europa – insofern sollten die Einnahmen auch dazu eingesetzt werden, um naturverträgliche Bedingungen auf der ganzen Welt zu schaffen.
Wachstum oder Wohlstand?
Wer das Wachstumskapitel in unserem Buch aufmerksam liest, wird feststellen, dass sich dort mehr Fragen als Gewissheiten finden. Vielleicht ist es uns kunstvoll gelungen, dies zu verschleiern. Doch wir glauben, auch wenn es nicht so ausdrücklich gesagt wird, dass es keinen Umbau auf eine langfristig naturverträgliche Ökonomie geben kann, ohne die Wachstumsfrage zu stellen. Es kann keine ökologische Ökonomie geben ohne ›Wachstumsbefriedung‹. Warum? Um es vorsichtig zu sagen: Was gegenwärtig in der öffentlichen Debatte common sense ist, ist unplausibel. In der EU, bei der deutschen Regierung und auch bei Teilen der Umweltforscher und Umweltfreunde, ist common sense, dass es möglich wäre, 80-90 Prozent weniger fossile Energien im Jahre 2050 zu nutzen, und gleichzeitig die Wirtschaftsleistung zu verdoppeln. Dies ist aller Wahrscheinlichkeit nicht möglich. Aus diesem Grund erfordert die Vorsorge eine politische Debatte: Wie kann eine Ökonomie gebaut werden, die einigermaßen ein auskömmliches, gutes Leben ermöglicht, ohne dass sie wachsen muss. Auf diese Frage haben wir keine Antwort. Es ist nicht plausibel, zu glauben, dass man den ökologischen Fußabdruck drastisch verkleinern könnte, ohne auch den ökonomischen Fußabdruck zu verkleinern.
Der Artikel von Wolfgang Sachs ist der erste von drei Beiträgen zur Debatte Green New Deal, die in Heft 1 erschien. Sie bildet einen Ausschnitt der Diskussionen im Rat für radikale Realpolitik – Der Zukunftskommission
der RLS – über die Tragfähigkeit eines solchen Projekts: Kann ein Green New Deal zur Lösung der Krisen beitragen
und auch soziale Belange und Gerechtigkeitsfragen mit Blick auf den ›globalen Süden‹ berücksichtigen oder nicht?