China gilt als ein Land, das sich wenig um die Umwelt schert. Die Regierung der zweitgröß- ten Volkswirtschaft setze auf einen einseitigen Wachstumskurs, ignoriere internationale Vereinbarungen und blockiere globale umweltpolitische Regulierungsbemühungen. Für diese Position werden verschiedene Argumente ins Feld geführt: Das Land ist zum größten CO2-Produzenten weltweit aufgestiegen. Die Mehrzahl der 20 Städte mit der schlechtesten Luftqualität befinden sich in China. Die großen Flusssysteme sind derart verschmutzt, dass das Wasser in über der Hälfte von ihnen als ungeeignet für den menschlichen Verbrauch gilt (Wen 2006, 112ff). Die Wüstenbildung bedroht die Lebensgrundlage von rund 100 Millionen Menschen. Insgesamt sterben jährlich 750 000 Chinesen an den schweren Umweltbelastungen. Auch die Energieversorgung des Landes ist ökologisch unausgewogen: Noch heute wird rund 70 Prozent des Stroms aus Kohle gewonnen, es sind derzeit zwei Dutzend Atomkraftwerke im Bau und wenn erneuerbare Energien in den Blick westlicher Medien geraten, dann in Gestalt des gigantischen Drei-SchluchtenDamms. Dieser produziert zwar so viel Strom wie neun Atomkraftwerke, trägt aber zur Zerstörung des einzigartigen Ökosystems des Jangtsekiang bei.
Weniger bekannt ist, dass die chinesische Regierung schon seit längerem auf eine Einhegung der Umweltprobleme bedacht ist. Bereits in den späten 1970er Jahren wurden erste umweltpolitische Maßnahmen umgesetzt (Engel 2010, 36ff). Der Einfluss der damals gegründeten lokalen Umweltbüros und der nationalen Umweltkommission blieb allerdings begrenzt. Erst 1998 erfolgte eine Aufwertung des Politikfelds durch die Gründung der Umweltbehörde SEPA (State Environmental Protection Administration). Auch auf Druck von Umweltbewegungen ist dieser Kurs seit der Amtsübernahme von Staatspräsident Hu Jintao und Premierminister Wen Jiabao im Jahr 2003 in verstärktem Maße verfolgt worden. Unter der Zielsetzung einer »Harmonischen Gesellschaft« strebt die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) eine ökologische (und soziale) Umorientierung an. Zwischen 1998 und 2007 wurden die Ausgaben für Umweltpolitik mehr als vervierfacht und die Anzahl der zuständigen Beamten beinahe verdoppelt. Im Jahr 2008 wurde die SEPA in ein eigenständiges Umweltministerium umgewandelt. Zudem verschärfte die Regierung die Umweltauflagen deutlich. Heute hat China die wichtigsten internationalen Umweltabkommen wie das Montreal-Protokoll oder die UN-Biodiversitätskonvention ratifiziert.
Um der wachsenden Umweltprobleme Herr zu werden, wurden zusätzliche Investitionen getätigt. Beispielsweise wurden im Jahr 2008 ca. 440 Milliarden Euro für ein Programm für Klima- und Umweltschutz bereit gestellt. Das Geld ging in die Wiederaufforstung oder den Ausbau alternativer Energiegewinnung. Laut dem XI. Fünfjahresplan (2006-2010) ist eine Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien von acht Prozent im Jahr 2007 auf 15 Prozent im Jahre 2020 vorgesehen. Hierfür wurden zunächst bis zum Jahr 2020 Investitionen über 200 Millionen Euro eingeplant. 2008 war China weltweit der zweitgrößte und 2009 der größte Förderer erneuerbarer Energien.
Allerdings verläuft diese Umorientierung keineswegs geradlinig. Das chinesische Wirtschaftsmodell ist in einer ökonomisch- ökologischen Doppelkrise: Die globale Finanzund Wirtschaftskrise seit 2008 hat gezeigt, dass die einseitige Exportorientierung und die Vernachlässigung des Binnenmarkts mittelfristig nicht aufrecht zu erhalten sind. Die ökologischen Begleitschäden des stürmischen Wirtschaftswachstums haben zudem ein solches Ausmaß erreicht, dass ein Strukturwandel der industriellen Produktion unvermeidbar scheint. Die chinesische Akademie für Sozialwissenschaften geht davon aus, dass die Umweltschäden heute jährlich zwischen acht und 12 Prozent am chinesischen BIPWachstum vernichten. Das Zusammentreffen beider Faktoren hat die chinesische Regierung zur Flucht nach vorne veranlasst. Die neue Strategie eines »Green New Deal« von oben reicht jedoch nicht aus, um die ökologische Katastrophe aufzuhalten.
Die Weltwirtschaftskrise als beschleunigender Faktor
Die Finanz- und Wirtschaftskrise traf die chinesische Wirtschaft hart. Die hohe Außenabhängigkeit des Landes führte Ende 2008 zu einem raschen Rückgang des Außenhandels (Schmalz/Ebenau 2011, 145ff). Dieser sank von Januar bis September um über ein Fünftel. Direkte Folge des Einbruchs war ein Rückgang des BIP-Wachstums. Nachdem die chinesische Wirtschaft in den ersten zwei Quartalen 2008 um jeweils über zehn Prozent und im dritten Quartal um neun Prozent gewachsen war, fiel das Wachstum Ende 2008 auf 6,3 Prozent und im ersten Quartal 2009 sogar auf 6,1 Prozent. Es folgte eine Pleitewelle in der bereits vor der Krise u.a. wegen steigender Löhne in Bedrängnis geratenen Exportindustrie. Insgesamt wurden um die 670 000 Fabriken geschlossen. Die chinesische Regierung fürchtete aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit soziale Unruhen. Chinesische Experten sehen ein BIP-Wachstum von acht Prozent als erforderlich an, um die ländlichen Migranten erfolgreich in den städtischen Arbeitsmarkt zu integrieren (Schucher 2009, 123). Unterschiedliche Studien, die zu Beginn des Jahres 2009 erstellt wurden, gehen davon aus, dass zwischen elf und 20 Millionen Wanderarbeiter ihren Job verloren hatten.
Die chinesische Regierung reagierte mit einem umfangreichen Konjunkturpaket von über 450 Milliarden Euro. Das Programm war primär auf Infrastrukturinvestitionen ausgerichtet. Insgesamt flossen rund ein Drittel aller Ausgaben in Projekte, die in Verbindung mit Umweltschutzmaßnahmen standen. Für den Einkommenstransfer und die Steigerung des Konsums waren nur rund 80 Milliarden Euro und damit unter 20 Prozent der Gesamtmittel veranschlagt. Im Rahmen der Krise wurden allerdings zusätzliche Weichen für den Ausbau der Sozialsysteme gestellt. Wie die Regierung zu Beginn des Jahres 2009 ankündigte, sollen z.B. weitere 95 Milliarden Euro in den Ausbau des Gesundheitssystems investiert werden.
Der wirtschaftliche Zusammenbruch wurde durch die Konjunkturmaßnahmen gestoppt. Das Wachstum des Binnenmarkts mit über 15 Prozent war der Hauptfaktor für die positive Wirtschaftsbilanz im Jahr 2009. Insgesamt erholten sich die binnenmarktorientierten Provinzen im Landesinneren und im Westen, darunter die Innere Mongolei (16,9 Prozent) oder Chongqing (14,8 Prozent), deutlich rascher als die exportorientierten Küstenregionen. Zwar kehrten die Exporte im zweiten Quartal 2010 wieder auf die Vorkrisenwerte zurück und etablierten sich erneut als zentrale Wachstumsquelle für die chinesische Volkswirtschaft. Gleichzeitig hatte jedoch eine Streikwelle in der Exportindustrie im Sommer 2010 zu deutlichen Lohnsteigerungen geführt. Bereits zuvor waren die Mindestlöhne in verschiedenen Provinzen seit 2008 um über 20 Prozent angehoben worden. Bisher ist kein eindeutiger Trend auszumachen: Nach den offiziellen Zahlen für 2010 ist das Wachstum des Binnenkonsums deutlich unter dem Exportwachstum geblieben, während die Einzelhandelsumsätze auf einen überdurchschnittlich raschen Anstieg des Konsums hindeuten.
Der Zusammenbruch der arbeitsintensiven Exportbranche in der Krise zeugte von der Notwendigkeit, die Industrieproduktion zu restrukturieren. Die Parteiführungen in der Zentrale und in den Provinzen setzen – wie zuvor schon die ostasiatischen Tigerstaaten – auf eine technologische Aufwertung der Exportproduktion. Hierfür wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen (Tong 2010, 104): Der Staatsrat legte ein Förderprogramm über 97 Milliarden Euro für zehn Schlüsselindustrien mit dem Schwerpunkt Technologieförderung auf. Auch einige Provinzen wie die ökonomisch bedeutendste Region Guangdong beschlossen vergleichbare Förderprogramme. Umwelttechnologie und Energieeffizienz wird dabei eine zentrale Rolle zugewiesen. Die ehrgeizigen Energieeffizienzziele, die bereits vor der Krise von der neuen Nationalen Kommission für Energieeinsparungen und Energiemanagement in Betrieben ausgegeben wurden, sollen dazu beitragen, dass bis 2020 bis zu 45 Prozent weniger CO2 pro BIP-Einheit ausgestoßen wird (Schmid 2010, 31). Hierzu wurden u.a. strenge Standards für den Energieverbrauch von elektronischen Geräten oder auch für die Energiebilanz von Neubauten verabschiedet. Als die Energieeffizienz pro BIP-Einheit nach drei Jahren deutlicher Reduzierungen im Jahr 2010 zunächst nicht weiter sank, reagierte die chinesische Führung mit der Zwangsschließung von beinahe 2100 als klimaschädlich eingestuften Betrieben, etwa in den Bereichen Stahl-, Papier- oder Zementproduktion (FAZ vom 10.8.2010). Die Krise wirkte zwar als Beschleuniger für die sozial- und umweltpolitischen Bemühungen der Regierung. Die Konjunkturmaßnahmen waren jedoch nicht ausreichend, um einen tragfähigen Strukturwandel einzuleiten.
Der zwölfte Fünfjahresplan
Nach der Krise steht der Strukturwandel weiterhin auf der Agenda. Im Entwurf für den XII. Fünfjahresplan (2011-2015) des Zentralkomitees der KPCh wird der Umwelttechnologie eine zentrale Rolle als Innovationsmotor und Anlagesphäre zugewiesen. Für den Zeitraum von 2011 bis 2015 werden erneut um die 440 Milliarden Euro für Schlüsseltechnologien veranschlagt. Auf der Liste stehen neue Informationstechnologien, Technologien für Energieeinsparung und Umweltschutz, erneuerbare Energien, Biotechnologie, High-TechIndustrieanlagen, neue Werkstoffe sowie Autos mit alternativen Antriebssystemen. Zusätzlich soll das Schienennetz massiv ausgebaut, ein Recycling-System entwickelt, in energiesparende Gebäude investiert und es sollen verschmutzte Wasservorkommen wiederaufbereitet werden. Laut dem Entwurf wird eine Steigerung der Energieeffizienz um rund 17 Prozent angestrebt (Finamore 2010). Außerdem soll der Anteil der Kohle am gesamten Energieverbrauch von insgesamt 70 auf 62 Prozent gesenkt werden. Hierfür wird vor allem der Ausbau erneuerbarer Energien, aber auch, in geringerem Maße, von Atomkraft und Erdgasnutzung vorangetrieben.
Der Plan identifiziert zusätzlich die niedrigen Löhne und die Unterentwicklung des ländlichen Raums als zentrale Blockaden für eine ausgeglichene Entwicklung. Daher soll eine Steigerung des Konsums durch den Ausbau der Sozialsysteme und höhere Staatsausgaben für die ländliche Bevölkerung erreicht werden. Das Zentralkomitee setzt auf einen Mix verschiedener Politikmaßnahmen: Durch die Steigerung der Mindestlöhne und der Gehälter für Staatsbedienstete soll die Lohnquote angehoben werden. Außerdem ist ein staatliches System zur Konsumentenkreditvergabe geplant, und es sind Subventionen für den Häuserbau vorgesehen. Im Zentrum des Vorhabens steht indes der Ausbau der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Der Anteil der privaten Konsumausgaben am BIP soll durch die Maßnahmen bis 2015 um über fünf Prozent erhöht werden.
Grenzen einer systemimmanenten Lösung
Der Versuch der chinesischen Regierung, den ökonomisch-ökologischen Strukturwandel der Volkswirtschaft zu beschleunigen, unterliegt Grenzen. Die Autonomie der Provinzen birgt ein großes Potenzial für Widerstand gegen die Umsetzung umwelt- und sozialpolitischer Maßnahmen. Oftmals werden die Umweltgesetze auf der Ebene der Provinzen oder der Lokalverwaltung schlichtweg ignoriert, sodass die umweltpolitischen Impulse der Zentralregierung vor Ort versanden. Die exportorientierten Kapitalfraktionen im Osten des Landes wehren sich gegen einen beschleunigten Umbau des Wirtschaftsmodells, indem sie z.B. eine Aufwertung des Yuan ausbremsen und sich gegen Lohnerhöhungen sträuben (Hung 2009, 17ff). Eine Lösung wäre die Demokratisierung der Entscheidungsprozesse. Diese würde eine stärkere politische Partizipation der von Umweltschäden betroffenen Personen sowie größere Mitbestimmungsrechte der Arbeiter im Betrieb bzw. die Zulassung unabhängiger Gewerkschaften implizieren. Eine solche Veränderung könnte zu einer Schwächung des Machtmonopols der KPCh beitragen.
Weiterhin hat die chinesische Regierung zwar eine Fülle von umweltpolitischen Initiativen unternommen. Sie blockiert aber standhaft international bindende Regulierungen in der Klimapolitik. Dies hat nicht zuletzt mit der Geschichte des Landes zu tun, die nach dem ersten Opiumkrieg 1840-1842 durch eine Periode von über hundert Jahren Fremdherrschaft geprägt war. Die chinesische Regierung vertritt die Position, dass die westlichen Industrieländer wegen ihrer CO2-Emissionen der letzten Jahrzehnte in der Pflicht stehen, mit gutem Beispiel voranzugehen; China lasse sich in seiner nachholenden Entwicklung nicht von außen einschränken. Nicht ein Fehlen chinesischer Umweltpolitik ist das Problem. Das Land nimmt auch hierin mittlerweile eine Vorreiterrolle ein. Allerdings befreit Chinas Blockadehaltung andere Staaten, die kaum Anstrengungen in diesem Bereich unternehmen, von internationalem Druck.
Nicht zuletzt ist in der chinesischen Strategie eines Green New Deal ein innerer Widerspruch angelegt: Die Regierung strebt ein BIP-Wachstum von acht Prozent an, damit die soziale Stabilität erhalten bleibt. Alleine um hierbei einen weiteren Anstieg zu verhindern, müsste der CO2-Ausstoß um jährlich acht Prozent pro BIP-Einheit gesenkt werden. Eine solche Reduktion ist jedoch trotz der umfangreichen Maßnahmen nicht absehbar. Selbst bei einem Positivszenario – d.h. einer leichten Übererfüllung des XII. Fünfjahresplans mit 20 Prozent Energieeffizienzsteigerung und einer Erhöhung der CO2-neutralen Energiezufuhr um neun Prozent an der gesamten Energieproduktion – würde zwar der CO2-Ausstoß pro BIP-Einheit um ca. 28 Prozent sinken, das BIP im gleichen Zeitraum aber um beinahe 47 Prozent anwachsen. Dieser Widerspruch lässt sich an einzelnen Sektoren deutlich ablesen: China ist mit einem Weltmarktanteil von 38 Prozent zum führenden Produzenten von Solarzellen aufgestiegen (Schmid 2010, 32f), und gleichzeitig gehen wöchentlich chinesische Kohlekraftwerke mit einer Leistung von einem Gigawatt ans Netz. Selbst wenn ein erfolgreicher Umbau zu einem binnenmarktorientierten »Grünen Kapitalismus« vollzogen wird, wäre die ökologische Frage nicht gelöst. Der technokratische Green New Deal könnte letztlich an dem Wachstumsimperativ des chinesischen Kapitalismus und an seiner autoritär-nationalistischen Ausrichtung scheitern.